Aufklärungspflichten Unzulängliche Aufklärung zu den Kosten der Behandlung - eine unterschätzte Gefahr von Rechtsanwalt Sören Kleinke und Rechtsanwältin Dr. Marion Wille, Kanzlei Kleinke, Osnabrück, www.kanzlei-kleinke.de Ein Arzt hat nicht nur medizinische Aufklärungspflichten gegenüber dem Patienten, die ihm schon eine Vielzahl von Pflichten aufbürden, sondern ihn können darüber hinaus auch wirtschaftliche Beratungspflichten treffen. Bei Verstößen drohen erhebliche monetäre Konsequenzen. Unklarheit besteht aber im Einzelnen darüber, wann und in welchem Umfang eine wirtschaftliche Aufklärung erfolgen muss. Gerade in den heutigen Zeiten eingeschränkter Leistungskataloge der gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen sollte der Arzt diese Aufklärungspflicht nicht unterschätzen: Notwendig wird eine derartige Aufklärung nämlich dann, wenn sich der Behandlungsvertrag (Arzt/Patient) nicht mit dem Leistungsumfang des Versicherungsvertrags (Patient/Versicherer) deckt. Grundsätze zum wirtschaftlichen Aufklärungsanspruch Rechtlich handelt es sich bei der wirtschaftlichen Aufklärungspflicht um eine Schutz- und Nebenpflicht aus dem Behandlungsvertrag. Danach hat sich der Arzt bei der Abwicklung des Vertrages so zu verhalten, dass sein Vertragspartner - der Patient - nicht in seinem Eigentum und in seinem Vermögen verletzt wird. Die Schutzbedürftigkeit des Patienten ergibt sich aus der Überlegung, dass dieser über den Umfang der Versicherungsleistungen meist im Einzelnen nicht Bescheid weiß. Oftmals wird er aber in der irrigen Annahme, die Krankenkasse werde die Kosten tragen, nicht erstattungsfähige Leistungen des Arztes in Anspruch nehmen. In solchen Fällen wird die Krankenkasse bzw. Krankenversicherung die Zahlung verweigern und sich dabei auf die gesetzliche Bestimmungen der §§ 12 und 70 SGB V (gesetzlich) bzw. § 1 MBKK und § 178 b VVG (privat) berufen. Die Aufklärungspflicht der Arztes folgt aus seinem so genannten Herrschaftswissen: Durch seinen regelmäßigen Umgang mit der Abrechnung seiner Leistungen gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung und auch gegenüber Privatpatienten weiß er besser als der Patient, welche Leistungen sowohl im GKV-System als auch von den privaten Krankenversicherungen erstattet werden. Auch der medizinische Sachverstand fehlt dem Patienten, so dass nur der Arzt abschätzen kann, was im Falle eines Kassenpatienten eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche bzw. bei einem Privatpatienten eine notwendige und wirtschaftliche Heilbehandlung ist. Wenn ein Arzt die wirtschaftliche Aufklärungspflicht verletzt hat, besteht ein Anspruch des Patienten auf Befreiung von der Kostenbelastung. Dies geschieht rechtlich gesehen dadurch, dass der Schadenersatzanspruch, der dem Patienten in Folge der Pflichtverletzung zusteht, mit dem Gebührenanspruch des Arztes verrechnet wird. Faktisch entfällt somit im Falle einer Verletzung der wirtschaftlichen Aufklärungspflicht der Vergütungsanspruch des Arztes gegenüber dem Patienten. Rechtsprechung zur wirtschaftlichen Aufklärungspflicht Das erste Grundsatzurteil zu dieser Thematik fällte der Bundesgerichtshof (BGH) im Jahre 1983: Er stellte fest, dass der Patient, wenn er die Wahl zwischen einer preiswerten ambulanten und einer teuren stationären Behandlung hat, zur Wahrung seines Selbstbestimmungsrechtes vom Arzt über die Behandlungsalternativen aufzuklären ist. Im vorliegenden Fall hatte die Krankenversicherung die Zahlung mit der Begründung verweigert, dass die Therapie genauso gut, aber wesentlich billiger ambulant möglich gewesen wäre. Der Patient verklagte daraufhin seinen Arzt auf Schadenersatz in Höhe der Mehrkosten. Der BGH gab der Klage statt und führte aus, dass der Arzt bei berechtigten Zweifeln an der Kostenübernahme durch die Krankenkasse seinen Patienten dementsprechend zu beraten habe. (BGH-Urteil vom 1.2.1983, Az: VI ZR 104/81, VersR 1983, 443). Diese Rechtsprechung hat auch jüngst das OLG Stuttgart bestätigt: Danach muss ein Arzt, der weiß, dass eine bestimmte ärztliche Behandlung von der gesetzlichen Krankenkasse nicht oder nur unter bestimmten fraglichen Voraussetzungen bezahlt wird, den Patienten hierüber aufklären (vgl. OLGR 2002/350,351). Nach einem Urteil des OLG Hamm aus dem Jahre 2001 (Az: 3 U 197/00, VersR 2001/895 ff.) ist eine derartige Aufklärungspflicht insbesondere dann anzunehmen, wenn mit der Therapie derart hohe Kosten verbunden sind, dass sie für den Patienten und seine Familie eine nicht tragbare Belastung bedeuten können. Aufklärungspflicht gegenüber Privatpatienten Ungeklärt ist weitgehend, ob für den Privatversicherten dieselben Grundsätze gelten wie für den Kassenpatienten: Wenn es um die Frage geht, ob eine Behandlung medizinisch notwendig ist oder nicht (medizinische Wissensherrschaft des Arztes), müssen dieselben Überlegungen wie bei einem Kassenpatienten gelten. Geringere Aufklärungspflichten bei Privatpatienten? Etwas anders könnte jedoch für die Aufklärungspflichten des Arztes gelten, die sich aus seiner "krankenversicherungsrechtlichen Wissensherrschaft" ergeben: Im Regelfall kennt sich der Arzt im Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung besser aus als in dem der Privatversicherer, da die Mehrzahl der Patienten gesetzlich versichert ist. Bei Privatversicherungen hingegen gibt es eine Vielzahl von Tarifen mit teilweise individuellen Absprachen (zum Beispiel Selbstbehalt oder Ausschluss von Vorerkrankungen), die für Ärzte kaum durchschaubar sind. Hinzu kommt, dass der privatversicherte Patient gegenüber seiner Versicherung eigenständig abrechnet. Diese Umstände könnten so interpretiert werden, dass mangels Wissensüberlegenheit des Arztes im Bereich des privaten Krankenversicherungsrechtes auch nur eine eingeschränkte Aufklärungspflicht gegenüber dem Patienten besteht. Aus diesem Gesichtspunkt heraus hat das OLG Köln (VersR 1987/514) entschieden, dass es nicht Aufgabe des Arztes ist, sich Kenntnis über den Versicherungsschutz des Patienten zu verschaffen. Falls der Arzt aber Zweifel an der Erstattungsfähigkeit der Leistung hat, hat er diese auch dem Privatpatienten mitzuteilen (Kammergericht Urteil vom 21.9.1999, Az: 6 U 261/98). Was gilt bei "fahrlässigen Wissenslücken" des Arztes? Wie aber steht es um die Schadenersatzpflicht des Arztes, wenn er den Patienten über solche wirtschaftliche Folgen nicht aufklärt, die er nicht kannte, die er aber hätte kennen müssen? Dies ist ein komplexes Problem und in der Literatur kontrovers diskutiertes Problem. Letztlich muss wohl immer der Einzelfall betrachtet werden. Festhalten lässt sich nur, dass sich zumindest bei berechtigten Zweifeln an der Erstattungsfähigkeit der Leistung keine inhaltlichen Unterschiede daraus ergeben, ob der Patient gesetzlich oder privat versichert ist. Aufklärungspflicht bei nicht erstattungsfähigen Leistungen Das OLG Stuttgart hat in einem Urteil vom 9. April 2002 (Az: 14 U 90/01, ) zu IGeL-Leistungen entschieden, dass eine wirtschaftliche Aufklärungspflicht des Arztes besteht, wenn absehbar ist, dass der Patient mangels Zahlungsverpflichtung der Krankenkassen die Kosten selbst tragen muss. Dass es in diesem Fall nicht zu einer Verurteilung des Arztes kam, lag alleine daran, dass die Patientin - was unstreitig war - von vornherein wusste, dass die gesetzliche Krankenversicherung nicht zahlungspflichtig war und das Honorar schon zur Operation mitbrachte. Insofern war die Pflichtverletzung des Arztes nicht kausal für den Schaden. Angesichts § 18 Bundesmantelvertrag (Vergütungsanspruch gegen Versicherte) sollte der Arzt sich aber auf keinen Fall darauf verlassen, dass der Patient bei späteren Konflikten dazu steht, über die wirtschaftlichen Konsequenzen informiert gewesen zu sein. Aufklärungspflicht bei alternativen Methoden Auch bei der Anwendung alternativer Methoden wie Ozon-Sauerstoff-Eigenbluttransfusionen muss der Arzt den Patienten darauf hinweisen, dass diese auch von privaten Krankenversicherern regelmäßig nicht ersetzt wird (OLG Frankfurt Urteil vom 11.6.1987, Az: 22 U 208/86). Etwas anders gilt, wenn ein Kassenpatient eine privatärztliche Behandlung erwünscht. Hier hat das OLG Hamm entschieden, dass der Arzt nicht auf die fehlende Erstattungsfähigkeit hinweisen muss (Urteil vom 6.2.1991, Az. 3 U 253/90). Aufklärungspflicht bei kosmetischen Operationen Die wirtschaftliche Aufklärungspflicht spielt bei kosmetischen Operationen eine besonders große Rolle - und zwar gleichermaßen für Kassen- als auch für Privatpatienten. Da kosmetische Operationen grundsätzlich medizinisch nicht notwendig sind, handelt es sich hier nicht um erstattungsfähige Leistungen im Sinne von § 12 und 70 SGB V bzw. § 1 MB/KK. Folglich hat der Arzt bei kosmetischen Operationen den Patienten eindringlich zu erklären, dass die Kostenübernahme durch die Krankenkasse zumindest problematisch ist (LG Bremen, Urteil vom 1.6.1990, Az: 9 O 164/1990b). Grenzen der wirtschaftlichen Aufklärungspflicht Die Rechtsprechung mutet den Ärzten einiges an wirtschaftlichen Beratungspflichten zu. Bei allen Anforderungen aber ist festzustellen: Mangels krankenversicherungsrechtlicher Ausbildung kann dem Arzt sicherlich keine umfassende versicherungsrechtliche Beratung abverlangt werden. Als Angehöriger der Heilberufe ist seine primäre Pflicht, der Gesundheit des Patienten zu dienen und nicht etwa als Versicherungsanwalt das Vermögen des Patienten zu schützen. Insbesondere bei privatversicherten Patienten darf die wirtschaftliche Aufklärungspflicht nicht überstrapaziert werden: Wo keine Wissensüberlegenheit existiert, darf auch keine Aufklärung mehr erwartet werden. Auch ginge es zu weit, wenn man den Patienten in seinem Verantwortungsbereich völlig entmündigen würde: Diesen Ansatz greift auch das LG Nürnberg-Fürth (Urteil vom 12.11.1991, Az: 13 O 390) auf, indem es die Klage eines Patienten wegen Verletzung der wirtschaftlichen Aufklärungspflicht zurückwies. Dort war der Patient, nachdem er zuvor von dem Arzt, der sich sogar persönlich mit der Versicherung in Verbindung gesetzt hatte, auf die fehlende Kostenzusage der Krankenversicherung hingewiesen worden. Der Patient ließ sich aber in Kenntnis dessen von dem Arzt weiter behandeln und kümmerte sich nicht weiter um die Einzelheiten mit seiner Versicherung. Fazit: Wenn ein Arzt Zweifel daran hat, dass die Krankenversicherung - ganz gleich, ob privat oder gesetzlich - eine Behandlung nicht in vollem Umfang zahlt, so trifft ihn die Pflicht, den Patienten darüber aufzuklären. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Patient die Kostenfrage von sich aus anschneidet oder nicht. Wie auch bei der Aufklärung über die Risiken, die Erfolgschancen und den Verlauf einer Behandlung sollte schriftlich dokumentiert werden, dass der Patient auch wirtschaftlich aufgeklärt worden ist. Geschieht dies nicht, so wird bei Problemen eine spätere Beweisführung sehr schwierig. |
Quelle: Abrechnung aktuell - Ausgabe 02/2004, Seite 12 |
Quelle: Ausgabe 02 / 2004 | Seite 12 | ID 100257