· Fachbeitrag · Digitale Abrechnungsoptimierung/GOÄ & EBM
„Die Delegation der Abrechnung an eine künstliche Intelligenz birgt auch Gefahren!“
| Künstliche Intelligenz (KI) wird mehr und mehr im Alltag und Berufsleben eingesetzt. KI, ChatGPT, Apps, Sprachsteuerung und Tools sind auf dem Gesundheitsmarkt präsent. Welche sinnvollen Tools es gibt und wo die Chancen, aber auch die Gefahren beim Einsatz in einer Arztpraxis liegen, haben wir mit Praxisberaterin Heike Junge-Rappenberg besprochen. |
Frage: Der Einsatz der KI scheint in vielen Branchen schon Normalität zu sein. Wie sieht das derzeit in den Arztpraxen aus?
Antwort: Im Grunde setzen die Arztpraxen bereits seit der Umstellung auf die digitale Karteikarte vielfach KI im kleineren Rahmen ein. Die Praxisverwaltungssysteme (PVS) sind bereits seit Jahren in der Lage, bei der Abrechnung zu unterstützen. Inzwischen werden in vielen Praxen und MVZ zur Dokumentation auch KI-basierte Spracherkennungssysteme eingesetzt, die es dem Arzt ermöglichen, schnell und einfach die auch für die Abrechnung so wichtige vollständige Dokumentation zu erstellen. Auch die Erstellung von Arztbriefen oder Gutachten wird mittels Spracherkennung durchgeführt. Bei der Abrechnung wird mit Ziffernketten gearbeitet, entweder vom PVS voreingestellt oder praxisspezifisch selbst erstellt. Die PVS können unterscheiden, ob es sich um einen Kassen- oder Privatpatienten handelt und schlagen dann die entsprechende EBM- oder GOÄ-Ziffernkette vor. Auch gibt es die Funktion in den PVS, dass bei einem Patienten, bei dem z. B. wieder eine Gesundheitsuntersuchung möglich wäre, diese Option automatisch angezeigt wird.
Frage: Welche weiteren unterstützenden Tools gibt es für die Arztpraxen in Bezug auf die Abrechnungsoptimierung?
Antwort: Neben den vielfältigen Möglichkeiten, die die eigene PVS schon bietet, können Arztpraxen auf externe Softwarelösungen zurückgreifen, die bei der Abrechnungsoptimierung unterstützen. Diese Software wird neben dem eigentlichen PVS installiert und kontrolliert die Abrechnung. Es werden dann z. B. Hinweise zu vergessenen Positionen gegeben oder auch zu fehlenden ICD-10-Codierungen. Es gibt auch diverse Anbieter, die die unverschlüsselten Abrechnungsdateien (sog. con-Dateien) der Praxis auswerten und dann ein Honorarpotenzial errechnen. So soll den Praxen vor Abgabe der Abrechnung an die KV die Möglichkeit der Optimierung geboten werden. Hierbei muss natürlich auch der Datenschutz beachtet werden, vor allem wenn die con-Datei praxisexternen Firmen zur Verfügung gestellt wird!
Frage: Wie hilfreich sind diese zusätzlichen Softwarelösungen zur Abrechnung?
Antwort: Natürlich ist es absolut sinnvoll, dass eine Abrechnung vollständig durchgeführt wird. Die vergessenen Positionen herauszufinden, ist daher eine gute Unterstützung. Auch die Hinweise, dass eine bestimmte ICD-10-Codierung für die Berechnung einer Position Voraussetzung ist, sind wichtig, um Honorarverluste oder Plausibilitätsprüfungen zu vermeiden. Viele PVS bieten bereits Möglichkeiten der Abrechnungsunterstützung. Oftmals ist aber das Know-how in den Arztpraxen nicht vorhanden, wie man diese Auswertungen aus der PVS herausholt. Nach meiner Erfahrung nutzen die allermeisten Arztpraxen und MVZ nur einen Bruchteil der Möglichkeiten und Tools, die ihre Praxissoftware ihnen bietet. Regelmäßige Schulungen zur Praxissoftware für das gesamte Praxisteam sind leider eine Seltenheit.
Frage: Sehen Sie neben den Chancen auch Risiken beim Einsatz solcher KI- gestützten Software?
Antwort: Da viele dieser Software-Programme ein Honorarpotenzial in Eurowerten darstellen, verführt das evtl. dazu, dieses Potenzial auch unter allen Umständen zu heben. Die Verantwortung für die korrekte und regelkonforme Abrechnung trägt aber bekanntlich der Praxisinhaber. Dieser bestätigt im Rahmen der Quartalsabrechnung mit seiner Unterschrift, dass die Abrechnung vollständig ist und die maßgeblichen Regelungen beachtet worden sind. Zudem wird bei der Sammelerklärung der Quartalsabrechnung bestätigt, dass die Abrechnungsvoraussetzungen erfüllt sind und der Arzt sich von deren Erfüllung persönlich überzeugt hat. Eine Delegation der Abrechnung samt Optimierung auf KI-Basis birgt daher auch Gefahren. So müssen die obligaten Leistungsinhalte einer Position erfüllt und dokumentiert sein. Auch die Diagnosestellung, die für die Berechnung einiger Positionen zwingend ist, ist selbstverständlich eine ärztliche Leistung. Die Überprüfung der von der KI vorgeschlagenen Optimierungen sollte daher immer stattfinden.
Frage: Was raten Sie den Ärzten als Abrechnungsexpertin zum Thema KI in der Abrechnung?
Antwort: Zunächst sollten die Praxen alle sinnvollen und unterstützenden Tools ihrer bereits vorhandenen PVS ausschöpfen. Ziffernketten und Erinnerungen an Gesundheitsuntersuchungen, Impfungen, Chroniker- oder Geriatrieziffern sind äußerst hilfreich und empfehlenswert. Die Schulungen zum Handling der PVS sind ebenso wichtig wie die Abrechnungsschulungen. Beim Einsatz einer zusätzlichen Abrechnungssoftware sollten die vorgeschlagenen Optimierungen immer kritisch hinterfragt und von kompetenten Mitarbeitern oder Ärzten kontrolliert werden. Auch die angezeigten Honorarpotenziale sollten kritisch betrachtet werden, denn nicht nur die Abrechnungsvoraussetzungen müssen gegeben sein, sondern auch die Abrechnungsgenehmigung durch die KV muss für die Berechnung bestimmter Positionen erteilt sein. Bei der Berechnung eines Honorarpotenzials sind durch die Budgetierung der ärztlichen Leistungen auch stets die aktuellen regionalen Honorarverteilungsmaßstäbe zu beachten. Bei Nichtbeachtung dieser Punkte ist das durch die KI dargestellte Honorarpotenzial definitiv nicht realisierbar! Insgesamt geht eine gute Abrechnungsberatung und -optimierung immer über die reine Wissensvermittlung der Abrechnungspositionen und Abrechnungsbestimmungen hinaus. Vielfach geht es auch um die Umsetzung und Prozesse innerhalb der Praxis und des MVZ. Daher ist eine persönliche Beratung durch einen Menschen (noch) durch nichts zu ersetzen!