· Fachbeitrag · Vertragsarztrecht
Erneut bestätigt: Nachträgliche Ergänzung und Korrektur von Arztrechnungen ist zulässig
von RA Sebastian Kierer, Kanzlei Dr. Hahne, Fritz, Bechtler & Partner, Gießen, www.hfbp.de
| Private Krankenversicherer verweigern ihren Kunden regelmäßig die Erstattung ganzer Arztrechnungen oder einzelner Teile davon, weil diese (angeblich) formal unrichtig sind. Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg hat nun entschieden, dass eine notwendige nachträgliche Ergänzung oder Korrektur der Arztrechnung nicht automatisch dazu führt, dass der Patient seinen Anspruch gegenüber seiner Versicherung auf Erstattung der Rechnung verliert ( Urteil vom 9.11.2012, Az. 2 S 701/12 ). |
Erstattung formal unrichtiger Rechnung verweigert
Ein Patient verlangte von seiner Krankenversicherung (Postbeamtenkrankenkasse) die Zahlung der erstattungsfähigen Anteile dreier Arztrechnungen, die den mehrfachen Ansatz der GOÄ-Nrn. 1 und 3 enthielten. Die Krankenkasse nahm folgende formale Fehler in der Rechnung zum Anlass, mehrere Leistungspositionen nicht zu erstatten:
- In den Rechnungen war eine Unterscheidung einzelner Behandlungsfälle nicht erkennbar. Allerdings legte der Kläger nachträglich ein ärztliches Attest vor, aus dem sich verschiedene Erkrankungen ergaben, sowie handschriftliche Anmerkungen, in denen die Beratungen nach den GOÄ-Nrn. 1 und 3 jeweils unterschiedlichen Diagnosen zugeordnet werden konnten.
- Ferner befand sich in einer Rechnung die notwendige Angabe der Diagnose für eine erbrachte Leistung an einer formal falschen Stelle.
- Außerdem war die GOÄ-Nr. 410 einmalig ohne die Nennung des untersuchten Organs angegeben.
Gegen das Vorgehen der Kasse legte der Patient Widerspruch ein. Daraufhin erstattete die Krankenkasse ihm zwar weitere, allerdings nicht alle der begehrten Leistungspositionen, sodass er beim Verwaltungsgericht (VG) Stuttgart auf weitere Kostenerstattung klagte. Das VG wies die Klage im Wesentlichen aus Gründen der formalen Unrichtigkeit der Rechnungen vollständig ab. Hiergegen legte der Kläger Berufung beim VGH ein.
Die Entscheidung des VGH
Der VGH gab dem Kläger teilweise recht und änderte das Urteil des VG dahingehend ab, dass die beklagte Krankenkasse dem Patienten für seine Aufwendungen weitere Leistungen zu gewähren hat und die Bescheide der Kasse, soweit sie entgegenstehen, aufgehoben werden:
- Im Hinblick auf die mehrfache Berechnungsfähigkeit der GOÄ-Nrn. 1 und 3 stellte der VGH Baden-Württemberg fest, dass aus der Bezugnahme auf die jeweilige Erkrankung in Nr. 1 der Allgemeinen Bestimmungen in Abschnitt B der Anlage zur GOÄ zu folgern sei, dass bei mehreren Erkrankungen auch mehrere Behandlungsfälle nebeneinander bestehen können. Folglich seien die Leistungspositionen auch jeweils erstattungsfähig.
- Entgegen der Auffassung des VG Stuttgart sei für die Beurteilung der Berechnungsfähigkeit einzelner Leistungen nicht lediglich der Inhalt der Rechnungen maßgeblich, sondern es seien auch spätere Ergänzungen oder nachträglich von Dritten erstellte Diagnosen zu berücksichtigen.
- Insbesondere könne die Ansicht der beklagten Krankenkasse und des VG Stuttgart nicht auf § 12 Abs. 2 GOÄ gestützt werden. Diese Vorschrift regele lediglich in formeller Hinsicht, welchen Mindestinhalt eine Arztrechnung haben müsse, um die Fälligkeit der ärztlichen Forderung begründen zu können. Eine materiell-rechtliche Ausschlussregelung lasse sich ihr nicht entnehmen. Fehlerhafte Arztrechnungen blieben somit folgenlos, wenn die Notwendigkeit und Angemessenheit der erbrachten Leistung später festgestellt werde. Hierfür genüge die Nachreichung bzw. Korrektur einer Diagnose. Aus den vorgelegten Unterlagen des Klägers gehe eine Zuordnung der GOÄ-Nrn. 1 und 3 zu unterschiedlichen Diagnosen hervor, die als eigenständige Behandlungsfälle anzusehen und somit jeweils erstattungsfähig seien.
- Darüber hinaus stellte der VGH fest, dass ein formaler Fehler - wie etwa vorliegend die Nennung der Diagnose der durchgeführten Behandlung an einer „falschen“ Stelle in der Rechnung - nicht zu einem Ausschluss des Anspruchs auf Erstattung führe. Etwas Abweichendes ergebe sich jedoch in Fällen, in denen die Gebührenordnung - wie im Falle der GOÄ-Nr. 410 - ausdrücklich bestimmte Angaben „in der Rechnung“ verlange. Insoweit komme eine Nachholung dieser Angaben nicht in Betracht, da insoweit die Spezialregelung den allgemeinen Grundsätzen vorgehe.
FAZIT | Die Entscheidung des VGH zeigt, dass genauestens zwischen den einzelnen Leistungspositionen und den zugrunde liegenden Erkrankungen bzw. Behandlungsfällen zu differenzieren ist. Unterschiedliche Behandlungsfälle müssen sich nicht bereits aus der Rechnung selbst ergeben, sondern können auch nachträglich noch entsprechend geltend gemacht und nachgewiesen werden.
Der VGH lässt - in konsequenter Weiterführung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zu § 12 Abs. 2 GOÄ (vergleiche Urteil vom 21.12.2006, Az. III ZR 117/06) - keinen Zweifel daran, dass die Verletzung von Formvorschriften nicht per se zum Ausschluss des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs führt. |
Weiterführender Hinweis
- Lesen Sie zum erwähnten BGH-Urteil die Beiträge „Fälligkeit einer Arztrechnung: Anspruch auf Zahlung trotz Verstoß gegen GOÄ!“ (AAA 02/2007, Seite 13), „BGH-Urteil: Keine Kürzung der Privatliquidation“ (AAA 12/2007, Seite 10) sowie „Ein Patient zahlt seine Rechnung nicht - wie geht man damit um?“ (AAA 10/2011, Seite 1).