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  • · Fachbeitrag · Haftungsrecht

    BGH zur Lebensverlängerung: „Wrongful life“ ist kein Schaden!

    von RA Peter Janus, M.mel., armedis Rechtsanwälte, Hannover, armedis.de

    | Ärzte haften nicht auf Schmerzensgeld und Schadenersatz für eine durch künstliche Ernährung verursachte Lebensverlängerung. Dies hat der Bundesgerichtshof ( BGH) mit Urteil vom 02.04.2019 (Az. VI ZR 13/18 ) entschieden. Es gilt jedoch, die Besonderheiten des Falls zu beachten. |

    Sachverhalt

    Der 1929 geborene und bereits 2011 verstorbene Vater des Klägers (Patient) litt an einem dementiellen Syndrom, wegen dem er ab 1997 bis zu seinem Tod unter rechtlicher Betreuung stand. Die Betreuung umfasste hierbei die Aufgabengebiete der Personen- und Gesundheitsfürsorge. Der Patient lebte zudem seit 2006 in einem Pflegeheim, wo er unter hausärztlicher Betreuung stand. Bedingt durch eine 2003 diagnostizierte mutistische Störung war eine Kommunikation mit dem Patienten kaum mehr möglich, ab 2008 sogar vollkommen unmöglich. Hinzu kam eine spastische Tetraparese.

     

    Im Zuge eines stationären Krankenhausaufenthalts im Jahr 2006 wurde dem Patienten wegen Mangelernährung und der Gefahr des Austrocknens eine PEG-Sonde gelegt, mithilfe derer er bis zu seinem Tod künstlich ernährt worden war. Ab Januar 2010 litt er darüber hinaus bis zu seinem Tod regelmäßig unter Fieber, Atembeschwerden und wiederkehrenden Dekubiti sowie wiederholt unter Lungenentzündungen und an einer Gallenblasenentzündung.

     

    Der Sohn (Kläger) behauptete nun, die künstliche Ernährung seines Vaters sei spätestens ab Januar 2010 nicht mehr medizinisch indiziert gewesen, da die Erkrankungen irreversibel zum Tod geführt hätten, sodass sich die Weiterbehandlung als bloßes Hinauszögern des Sterbens dargestellt habe. Das Therapieziel hätte daher nach entsprechender Aufklärung des Betreuers durch den Hausarzt angepasst und die lebenserhaltenden Maßnahmen hätten eingestellt werden müssen.

     

    Der Patient hatte weder eine Patientenverfügung errichtet, noch ließ sich sein mutmaßlicher Wille anderweitig ermitteln. Der Kläger begehrte daher vom Hausarzt aus ererbtem Recht 100.000 Euro Schmerzensgeld sowie Ersatz von ca. 53.000 Euro für die ab Januar 2010 angefallenen Pflege- und Behandlungsaufwendungen.

    Prozessverlauf und BGH-Urteil

    Das Landgericht (LG) München I wies die Klage erstinstanzlich ab. Auf die Berufung des Klägers verurteilte das Oberlandesgericht (OLG) München den Hausarzt zu 40.000 Euro Schmerzensgeld, da dieser es unterlassen habe, mit dem Betreuer des Patienten die Frage der Fortsetzung oder Beendigung der Sondenernährung eingehend zu erörtern (Aufklärungspflichtverletzung). Die hieraus resultierende Lebensverlängerung des Patienten stelle sich als immaterieller Schaden dar. Den Ersatz der Pflege- und Behandlungsaufwendungen lehnte der Senat aus anderweitigen prozessualen Gründen ab.

     

    Der BGH hob auf die Revision des Hausarztes hin das Urteil des OLG München auf und stellte das klageabweisende Urteil des LG München I wieder her. In der bis Redaktionsschluss lediglich vorliegenden Pressemitteilung vom 02.04.2019 lässt der BGH es zunächst dahinstehen, ob im vorliegenden Fall eine Aufklärungspflichtverletzung vorgelegen hatte. Jedenfalls sei dem Patienten aber kein Schaden entstanden. Zur Begründung führt der Senat aus, dass das menschliche Leben ein höchstrangiges Rechtsgut darstelle, absolut erhaltungswürdig sei und damit ein Urteil über seinen Wert keinem Dritten zustehe. Deshalb verböte es sich, das (Weiter-)Leben selbst dann als Schaden im Rechtssinne zu qualifizieren, wenn der Patient es subjektiv als lebensunwert erachte und daher lebenserhaltende Maßnahmen zu unterbleiben haben. Ein Ersatz der Pflege- und Behandlungsaufwendungen scheitere daran, dass der Sinn und Zweck der Behandlungsaufklärung nicht darauf ausgerichtet sei, wirtschaftliche Belastungen zu verhindern, die mit dem Weiterleben verbunden seien.

     

    FAZIT | Es ist zunächst zu beachten, dass sich die Entscheidung des BGH lediglich auf einen Fall bezieht, in dem keine Patientenverfügung errichtet worden war und der Patientenwille auch nicht anderweitig durch den Betreuer ermittelt werden konnte, gleichwohl aber ursprünglich eine wirksame Einwilligung in die lebenserhaltenden Maßnahmen vorgelegen hat.

     

    Die Entscheidung des BGH kann daher nicht ohne Weiteres auf Fälle übertragen werden, in denen eine Patientenverfügung vorhanden ist oder der Patientenwille auf andere Weise durch den Betreuer/Bevollmächtigten ermittelt werden kann, sofern die Patientenverfügung / der Patientenwille auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutrifft.

     

    Denn die in der Pressemitteilung des BGH mitgeteilte Begründung würde in diesen Fällen dazu führen, dass der zu beachtende Patientenwille unterlaufen würde und die mit der Einführung der Patientenverfügung verbundene gesetzgeberische Entscheidung für den Vorrang des Selbstbestimmungsrechts des Patienten umgangen werden könnte.

     

    PRAXISTIPP | Es kann entsprechend der vorangegangenen Ausführungen nur dazu geraten werden, auch weiterhin gemeinsam mit dem Betreuer/Bevollmächtigten die aktuelle Behandlungssituation zu erörtern (§ 1901 b BGB) und den durch diesen aufgrund der Patientenverfügung oder anderweitig ermittelten und zum Ausdruck gebrachten (mutmaßlichen) Patientenwillen umzusetzen.

     

    Weiterführende Hinweise

     

    • Palliativversorgung in stationären Pflegeeinrichtungen ‒ neue EBM-Nr. 37400 (AAA 01/2019, Seite 3)
    Quelle: Ausgabe 05 / 2019 | Seite 16 | ID 45856319