· Fachbeitrag · Leserforum
„Wie oft darf ich unsere Azubis bei einem Personalengpass von der Berufsschule abmelden?“
von Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Arbeitsrecht sowie Handels- und Gesellschaftsrecht Benedikt Büchling, Hagen,
| FRAGE: „Bei uns ist es immer öfter ein Thema, ob wir MFA-Schülerinnen vom Berufsschulunterricht befreien können, damit sie bei einem Personalengpass in der Praxis arbeiten. Wie ist hier die Rechtslage?“ |
Antwort: Eine Freistellung bzw. Beurlaubung von der Berufsschule kommt nur in den im Berufsbildungsgesetz (BBiG) oder anderen Gesetzen (z. B. Entgeltfortzahlungsgesetz, Mutterschutzgesetz, Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz) geregelten Fällen in Betracht. In Ihrem Fall ist § 15 BBiG einschlägig. Danach besteht für Auszubildende die Pflicht zum Besuch der Berufsschule. Ausbildende Ärzte haben die Auszubildenden nach § 15 Nr. 1 BBiG daher für die Teilnahme am Berufsschulunterricht freizustellen. Von dieser Vorschrift darf nicht zuungunsten des Auszubildenden abgewichen werden.
Von dieser Pflicht kann nach der juristischen Kommentarliteratur (Wohlgemuth/Pepping, Kommentar zum BBiG) nur in wenigen Ausnahmefällen abgewichen werden; dies sind: Betreuung eines kranken Kindes, vorübergehende Schließung der Berufsschule, Kurzarbeit, Corona). Das BBiG schreibt damit vor, dass eine Freistellung von der Berufsschule immer nur aufgrund unabwendbarer Umstände nur nach einem schriftlichen Antrag erfolgen darf. Dieser muss vom Ausbilder rechtzeitig bei der Berufsschule eingereicht werden. Aus dem Antrag muss die Unabwendbarkeit der Freistellung ersichtlich sein. Alle vorhersehbaren betrieblichen Ereignisse stellen in der Regel keinen geeigneten Grund für eine Freistellung dar.
Notfälle mit plötzlichen Personalengpässen können zwar ggf. einen Härtefall im Sinne eines unvorhergesehen auftretenden, vom Betroffenen nicht beeinflussbares Ereignisses darstellen. Allerdings wird vertreten, dass diese Notfälle sich auf zwei Tage pro Jahr beschränken. Es ist daher ratsam, dass der ausbildende Arzt mit der Berufsschule bzw. dem/der Klassenlehrer bei Vorliegen einer solchen Notfallsituation kurzfristig Kontakt aufnimmt und bespricht, ob ‒ und wenn ja, in welchem Umfang ‒ eine Befreiung vom Berufsschulunterricht in Betracht kommt, um eine ausreichende Kompensation des unvorhersehbaren Personalengpasses zu gewährleisten. Sobald der Personalengpass behoben ist, ist die Auszubildende verpflichtet, die Berufsschule wieder regelmäßig zu besuchen (s. § 13 Nr. 2 BBiG).
MERKE | Wenn Ausbildungsbetriebe ihre Auszubildenden von der Ausbildung freistellen (z. B. weil Ausbilder in Kurzarbeit „Null“ sind) und hierdurch Lücken in der Ausbildung entstehen, die zur Nichtzulassung zur Abschlussprüfung (§ 43 Abs. 1 Nr. 1, Hs. 1 BBiG) oder zum Nichtbestehen der Abschlussprüfung führen, ist der Ausbilder wegen schuldhafter Verletzung seiner vertraglichen Ausbildungspflicht dem Auszubildenden zum Ersatz des hierdurch entstandenen Schadens verpflichtet. Vergleichbar dem Betriebsrisiko, das Arbeitgeber tragen, tragen Ausbilder das sog. Ausbildungsrisiko. |