· Fachbeitrag · Plausibilitätsprüfung
„Unzeitengebühr“ nach EBM-Nr. 01100 erfordert mehr als nur die Herausgabe der Handynummer
von RA, FA MedizinR, Mediator Dr. Tobias Scholl-Eickmann, Kanzlei am Ärztehaus, Dortmund, kanzlei-am-aerztehaus.de
| In Abrechnungsprüfungen gerät immer wieder einmal die Leistung nach der EBM-Nr. 01100 ins Visier der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen). Die sogenannte Unzeitgebühr (Inanspruchnahme zwischen 19:00 und 22:00 Uhr sowie an Samstagen, Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen) kann nur abgerechnet werden, wenn die Inanspruchnahme des Vertragsarztes durch den Patienten „unvorhergesehen“ erfolgt. Dies haben KVen in der Vergangenheit häufig verneint, wenn der Vertragsarzt Patienten eine Mobiltelefonnummer gibt, damit diese ihn „im Notfall“ erreichen können. So auch im verhandelten Fall einer Kinder- und Jugendärztin (Sozialgericht [SG] München, Urteil vom 25.03.2021, Az. S 38 KA 262/19). |
Sachverhalt
Die beklagte Kinder- und Jugendärztin nimmt an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Bei einer Plausibilitätsprüfung fielen u. a. erheblich überdurchschnittliche Ansätze der EBM-Nr. 01100 auf. Die Ärztin erklärte, dass sie ihre Telefonnummer als Service bekannt gebe. So werde sie vielfach von Patienten bzw. deren Eltern telefonisch kontaktiert, auch
- zwischen 19 und 22 Uhr oder
- an den Wochenenden.
Ein von der KV daraufhin hinzugezogener Pädiater kontrollierte als medizinischer Fachexperte die Abrechnung und die zugrunde liegende Dokumentation. Er stellte dabei fest, dass der Dokumentation nicht der obligate Leistungsinhalt zu entnehmen sei. Lediglich die Führung eines Gesprächs (mit z. B. der Mitteilung von Befunden) begründe für sich genommen noch nicht die Abrechnungsfähigkeit der Nr. 01100.
EBM-Nr. | Leistungslegende | Bewertung |
01100 | Unvorhergesehene Inanspruchnahme des Vertragsarztes durch einen Patienten
Anmerkung: Die Gebührenordnungsposition 01100 ist nicht berechnungsfähig, wenn Sprechstunden vor 7:00 Uhr oder nach 19:00 Uhr stattfinden oder Patienten zu diesen Zeiten bestellt werden. ... | 196 Punkte (21,80 Euro) |
Der Widerspruch der Kinderärztin blieb ebenso wie die nachfolgende Klage erfolglos.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung der KV Bayerns sei rechtmäßig ergangen. Die Einwände der Ärztin griffen nicht durch. So sei die Rückforderung des Honorars in Bezug auf die Nr. 01100 zu Recht erfolgt, weil der obligate Leistungsinhalt nicht erfüllt worden sei. Dieser setze eine unvorhergesehene Inanspruchnahme des Arztes in den benannten Zeiten am Abend bzw. am Wochenende voraus. Zudem dürfe keine planmäßige oder faktisch regelhafte Tätigkeit zu den benannten Zeiten erfolgen.
Das Gericht erkenne zwar den Service der Ärztin an, die Privatnummer an Patienten herauszugeben. Die hohe Inanspruchnahme zu den benannten Zeiten bei der Ärztin folgte nach Überzeugung des Gerichts aber vor allem daraus, dass keine ausreichende Klarstellung durch sie erfolgte, dass die Nummer nur für Notsituationen außerhalb der Sprechstunde mitgeteilt wurde.
Es sei auch nicht nachvollziehbar, dass die Hemmschwelle für einen Anruf in einer Region mit einer „einfachen Bevölkerungsschicht“ niedriger sei als üblich, wie die Ärztin anführte. Im Übrigen sei in den Dokumentationen keine Uhrzeit hinterlegt, vielmehr wurde vielfach offenbar nur ein (unauffälliger) Laborbefund mitgeteilt. Dies sei indes keine „unvorhergesehene“ Inanspruchnahme.
PRAXISTIPP | Die Entscheidung ist auch bei arztfreundlicher Lesart nachvollziehbar und im Ergebnis nicht zu beanstanden, zumal die KV zugunsten der Ärztin noch einen Sicherheitsabschlag von 15 Prozent auf den ermittelten Regress gewährt hatte. Die Ausführungen des SG zur unvorhergesehenen Inanspruchnahme (Nr. 01100) stehen im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung.
Die Kinderärztin hatte Abweichungen gegenüber der Fachgruppe von mehr 1.000 Prozent (!) zu verzeichnen, was an sich schon ein gewichtiges Indiz für eine fehlerhafte Abrechnung begründet.
Im Kern ist jedoch maßgeblich, dass die Inanspruchnahme zu den benannten Zeiten unvorhergesehen und eben nicht im Rahmen einer (lockeren) Planung erfolgt. Dies wiederum sollte auch „prüffest“ dokumentiert werden. Dies bedeutet, dass
für die außerplanmäßige Inanspruchnahme dokumentiert werden. Genau dies hatte die Kinderärztin versäumt und stattdessen nur die Laborbefundmitteilung erfasst.
Dies verdeutlicht gerade, dass es eine „planmäßige Provokation“ für den telefonischen Austausch gab, der gerade nicht medizinisch indiziert war und die Abrechnungsfähigkeit der Nr. 01100 daher ausschließt. |
Weiterführender Hinweis
- Erreichbarkeit des Arztes „24/7“ per Mobiltelefon macht Inanspruchnahme noch nicht „vorhersehbar“ (AAA 02/2021, Seite 10)