· Fachbeitrag · Vertragsarztrecht
Honorarkürzung bei falscher Kooperationsform
von RA, FA MedR Prof. Dr. Martin Stellpflug, D+B Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Berlin, db-law.de
| Die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) sind zu „sachlich/rechnerischen Richtigstellungen“ von Honorarforderungen befugt, wenn unterschiedlichste Unrichtigkeiten der Quartalsabrechnung entdeckt werden. Eine Konstellation, die zu Honorarrückforderungen führen kann, ist der „Missbrauch der Kooperationsform“. Der Beitrag zeigt zunächst das Wesen und die Prüfung dieses Missbrauchs sowie anhand zweier aktueller Urteile, worauf Sie konkret achten sollten, um nicht in Verdacht zu geraten. |
Missbrauch der Kooperationsform
Beim Missbrauch der Kooperationsform besteht der Vorwurf der KV i. d. R. darin, dass mehrere Ärzte eine Praxisgemeinschaft führen, wohingegen aus Sicht der KV diese Praxisgemeinschaft in tatsächlicher Hinsicht wie eine Berufsausübungsgemeinschaft (BAG, auch: Gemeinschaftspraxis) betrieben wird. Praxisgemeinschaften werden im Rahmen der Abrechnung wie mehrere Einzelpraxen behandelt und erreichen so im Vergleich zu BAGen in Summe höhere Fallzahlen und eine Mehrfachabrechnung von Leistungen. Während in einer BAG die gemeinsame und gemeinschaftliche Ausübung des ärztlichen Berufs im Fokus steht, handelt es sich bei der Praxisgemeinschaft um eine Organisationsgemeinschaft, die nicht der gemeinsamen ärztlichen Behandlung an gemeinsamen Patienten dient. Wichtige Abgrenzungskriterien für die selbstständige Praxisführung in einer Praxisgemeinschaft sind verschiedene Patientenstämme und getrennte Patientenkarteien.
Um aufzuspüren, ob eine Praxisgemeinschaft vielleicht wie eine BAG geführt wird, haben KBV und Krankenkassen Richtlinien zum Inhalt und zur Durchführung der Abrechnungsprüfungen vereinbart. Für die sogenannte Plausibilitätsprüfung wird bereits bei 20 Prozent Patientenidentität in gebietsgleichen/versorgungsbereichsidentischen bzw. 30 Prozent in gebietsübergreifenden/versorgungsübergreifenden Praxisgemeinschaften die Annahme einer Abrechnungsauffälligkeit vorgegeben. Nach Auffassung des Bundessozialgerichts liegt für zwei kooperierende Vertragsärzte desselben Fachgebiets jedenfalls bei mehr als 50 Prozent Patientenidentität eine für eine BAG kennzeichnende Behandlung eines gemeinsamen Patientenstamms vor.
MERKE | Je höher der Anteil gemeinsam behandelter Patienten ist, desto eher kann allein aus diesem Umstand auf eine missbräuchliche Nutzung der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft geschlossen werden. |
Liegt nach Prüfung aus Sicht der KV eine implausible Abrechnung vor, so wird den Ärzten ein zumindest grobfahrlässiges Verhalten unterstellt. Dies führt dazu, dass die Abrechnungssammelerklärung als Ganzes als unrichtig angesehen wird, was zu Honorarkürzungen berechtigt. Diese Kürzungen dürfen sich auf das gesamte Honorar erstrecken, das auf rechtswidrige Weise erlangt wurde. Eine positive Berücksichtigung, was bei rechtmäßigem Verhalten als Honorar zu zahlen gewesen wäre, ist nicht notwendig. Die Honorarfestsetzung darf „im Wege einer Schätzung“ erfolgen.
Aktuelle Rechtsprechung
In zwei aktuellen Verfahren wurde über entsprechende Honorarrückforderungen in Höhe von 30.000 bzw. 60.000 Euro gestritten. In beiden Fällen hielten die Sozialgerichte (SG) die Regresse allerdings für gerechtfertigt, weil sie von einem Missbrauch überzeugt waren.
In einem Fall, der vom SG Marburg entschieden wurde, war für das Gericht besonders problematisch, dass in vielen Fällen die Versichertenkarten der Patienten taggleich in beiden Praxisverarbeitungssystemen eingelesen wurden und außerdem ein Großteil der Behandlungen der jeweiligen Patienten von beiden Ärzten am gleichen Tage stattfand. Das Argument der betroffenen Ärzte, Akut- oder Notfallbehandlungen seien primär ursächlich für die große Menge der gemeinsamen Patienten, ließ das Gericht nicht gelten, da keine Notfallscheine zur Abrechnung gebracht worden seien. Auch die Praxispräsentation habe nach außen eher den Eindruck einer BAG als den Eindruck zweier voneinander unabhängig handelnder Praxen erweckt (SG Marburg, Urteil vom 01.10.2019, Az. S 12 KA 2/18).
In einem weiteren Fall, der vom SG Berlin entschieden wurde, wies das Gericht ausdrücklich darauf hin, dass eine stundenweise Vertretung oder eine Vertretung während man selbst ärztlich tätig ist, nicht zulässig sei. Der Einwand, die hohe Anzahl gleicher Patienten in beiden Praxen sei auf die vielen Vertretungsfälle zurückzuführen, überzeugte das Gericht daher nicht. Zumal keine Vertretungsfälle auf dem dafür vorgeschriebenen Formular (Muster 19) abgerechnet worden waren (SG Berlin, Urteil vom 25.09.2019, Az. S 83 KA 23/18).
Beide Gerichte hoben schließlich hervor, dass bei einer Praxisgemeinschaft die Ärzte verpflichtet seien, die Patienten auf die bestehende Kooperationsform und ihre Implikationen hinzuweisen. Die Ärzte seien ggf. auch gehalten, die Behandlung eines Patienten ‒ abgesehen von Notfällen ‒ abzulehnen und auf die bereits begonnene Behandlung durch den Praxisgemeinschaftspartner hinzuweisen.
FAZIT | Praxisgemeinschaften sind attraktiv, weil man gemeinsame Kosten teilen und anteilig reduzieren kann, ohne auf die Unabhängigkeit und Alleinentscheidungsbefugnis der Einzelpraxis verzichten zu müssen. Verstehen sich die Ärzte gut, werden jedoch schnell zusätzlich die Vorteile einer Gemeinschaftspraxis mitgenommen: unkomplizierte gegenseitige Vertretung, bessere terminliche Erreichbarkeit für die Patienten, Arbeitsteilung, Zuordnung der Patienten nach eigener Spezialisierung, etc. Wird dann im Ergebnis die Praxis nur noch formal gegenüber der KV als Praxisgemeinschaft geführt, führt dies zusätzlich zu wirtschaftlichen Vorteilen. Als „Missbrauch der Kooperationsform“ können die durch eine hohe Anzahl gemeinsamer Patienten erwirtschafteten Honorare jedoch von der KV zurückgefordert werden ‒ bis zu vier Jahre rückwirkend, was erhebliche Forderungen begründen kann. |