· Fachbeitrag · Vertragsarztrecht
KVen prüfen das Erfüllen des Versorgungsauftrags
von Rechtsanwalt Filip Kötter, D+B Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Berlin, www.db-law.de
| Vertragsärzte müssen nach § 95 Abs. 1 S. 1 SGB V „im Umfang des aus der Zulassung folgenden zeitlich vollen oder hälftigen Versorgungsauftrages“ an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen. Was das genau heißt, ist unklar: Reicht es, die 20 Pflichtsprechstunden nach dem Bundesmantelvertrag anzubieten? Müssen in bestimmtem Umfang Leistungen erbracht und abgerechnet werden? Muss der Arzt bestimmte Fallzahlen erreichen? |
Prüfpflicht wird aktuell von einigen KVen ernster genommen
Obwohl weder Gesetz noch Rechtsprechung hier bisher Klarheit schaffen, müssen die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) jährlich prüfen, ob die Vertragsärzte ihre Versorgungsaufträge erfüllen und die Ergebnisse den Zulassungsgremien übermitteln. Diese regelhaften Prüfungen schreibt § 95 Abs. 3 S. 4 SGB V seit 2015 vor. Trotzdem fanden sie bisher ‒ soweit bekannt ‒ nicht statt. Nun scheinen sie jedenfalls in Berlin und Nordrhein flächendeckend zu laufen (dass andere KVen folgen, dürfte sicher sein). Für einen vollen Versorgungsauftrag wird offenbar gefordert, dass die abgerechneten Leistungen des Arztes im Quartal 204 (Berlin) bzw. im Wochenschnitt 15 (Nordrhein) Stunden ergeben. Ob damit die Prüf- oder Kalkulationszeiten des EBM oder beide gemeint sind, ist nicht klar. Alternativ lassen die KVen Fallzahlen in Höhe von 75 Prozent des Fachgruppendurchschnitts ausreichen. In Berlin soll es wohl sogar genügen, dass 20 Sprechstunden pro Woche gemeldet sind.
Drohende Konsequenzen
Wer die genannten Werte nicht erreicht, wird zur Stellungnahme aufgefordert. Ob bzw. welche Konsequenzen drohen, wenn der Arzt keine ausreichende Tätigkeit nachweist, bleibt aber in den Anhörungsschreiben unklar. Die KV Berlin hat schon in der Vergangenheit anlassbezogen Tätigkeitsumfänge geprüft ‒ bspw. im Zuge von Praxisabgaben. Sie hat z. T. hälftige Zulassungsentziehungen beantragt, wenn die o. g. „Mindestwerte“ nicht erreicht wurden. Ob das bei den „regelhaften“ Prüfungen zulässig wäre, ist sehr fraglich. Denn die Begründung zu § 95 Abs. 3 S. 4 SGB V nennt (nur) Disziplinarmaßnahmen als mögliche Folgen. Das hieße „nur“: Verwarnung, Verweis, Ruhen der Zulassung bis zu 2 Jahren oder Geldbuße bis zu 50.000 Euro, die ggf. wenn auch wohl rechtswidrig, in der Praxis direkt vom Honorar einbehalten werden könnte.
Ausblick ‒ Was ändert sich?
Misslich bleibt, dass eine verbindliche Konkretisierung des (Mindest-)Teilnahmeumfangs bei vollem oder hälftigem Versorgungsauftrag fehlt. Auch der Referentenentwurf des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) vom Juli 2018 bleibt unbefriedigend. Die Prüfungen nach § 95 Abs. 3 S. 4 SGB V sollen danach verbindlich anhand von Fallzahlen und Leistungszeiten erfolgen.
Kritikwürdig an dieser geplanten Regelung ist, dass die Frage, ob Prüf- oder Kalkulationszeiten des EBM gemeint sind, offen bleibt. Zudem wird nicht festgelegt, ab welcher Fallzahl bzw. welchem Zeitaufwand der Versorgungsauftrag als erfüllt gilt. Hinzu kommt, dass alle 3 Werte ohnehin kaum sachgerechte Anknüpfungspunkte sein dürften:
- Fallzahlen lassen höchstens sehr grob auf einen Zeitaufwand schließen.
- Prüfzeiten sollen als Instrument der Plausibilitätsprüfung den Zeitaufwand eines maximal zügig arbeitenden Arztes ausdrücken. Als Kriterium bei der Prüfung der Erfüllung des Versorgungsauftrags würden sie (sachwidrig) jeden Arzt bestrafen, der mehr als das gerade noch vertretbare Mindestmaß auf die Versorgung der Versicherten verwendet.
- Und EBM-Kalkulationszeiten, die lediglich Durchschnittszeiten sein sollen, taugen als Kriterium zur Prüfung der Erfüllung des Versorgungsauftrags allenfalls mit (großzügigen) Aufschlägen.
Außerdem sollen nach dem Entwurf die Pflichtsprechstunden von 20 auf 25 pro Woche erhöht und im Gesetz verankert werden. Die Begründung hierzu legt nahe, dass ein voller Versorgungsauftrag künftig erfüllt sein soll, wenn der Arzt im Mindestumfang in Form von Sprechstunden „zur Verfügung steht“. Es wäre jedenfalls widersprüchlich, dann an anderer Stelle mehr als das ‒ also einen bestimmten tatsächlichen Leistungsumfang ‒ zu fordern.
Handlungsempfehlung ‒ Was ist zu tun?
Angesichts der vielen Unklarheiten gilt einstweilen: Der eigene Leistungsumfang sollte nicht nur mit Blick auf „Obergrenzen“ (Stichwort bspw.: Plausibilitätsprüfungen; ohnehin müssen grds. alle erbrachten Leistungen auch abgerechnet werden), sondern auch mit Blick auf eine ausreichende Tätigkeit laufend kritisch geprüft werden.
Ob es vor Konsequenzen schützt, (nur) die bisher offenbar von KVen angenommenen Mindestwerte für einen vollen Versorgungsauftrag zu erreichen, ist dabei unsicher. Denn Gesetzgeber und Bundessozialgericht nehmen in anderem Zusammenhang an, dass die volle Zulassung auch eine (freilich bisher ebenfalls nicht verbindlich definierte) „Vollzeittätigkeit“ fordert.
PRAXISTIPP | Wer von der KV aktuell zu einem vermeintlich zu niedrigen Tätigkeitsumfang angehört wird, sollte mit Vorsicht und ggf. erst nach Rechtsberatung Stellung nehmen. Stets sollte v. a. auch geprüft werden, ob eine scheinbar verlockend einfache Erklärung unnötig den Verdacht auf andere Pflichtverstöße nach sich ziehen könnte. |