· Fachbeitrag · Online-Beitrag
Cannabis als Leistung der GKV ‒ Informationen für die Praxis
| Ärzte können Schwerkranken Cannabis künftig auf Rezept verordnen. Die Kosten erstattet die gesetzliche Krankenversicherung (GKV). Die Änderungen des Betäubungsmittelgesetzes sind jetzt in Kraft getreten. Der Online-Beitrag beleuchtet u. a. den Leistungsanspruch der Versicherten sowie die Indikationen für die Verordnung und stellt in einer Übersichtstabelle die derzeit importierbaren Cannabis-Sorten und Importeure dar. Sie finden den gesamten Beitrag auch im Archiv von AAA unter aaa.iww.de > Ausgabe 4/2017. |
Hintergrund
Mit dem Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften wurde u. a. über die Einfügung des neuen Absatz 6 in § 31 SGB V ein Leistungsanspruch der Versicherten auf Cannabis in der GKV im SGB V aufgenommen, der im März in Kraft getreten ist.
Leistungsanspruch des Versicherten
Gesetzlich Krankenversicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung erhalten einen Anspruch auf Versorgung mit Cannabis-Arzneimitteln in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten sowie mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol und Nabilon, wenn
- 1. eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung
- a) nicht zur Verfügung steht,
- b) im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustands der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann,
- 2. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht.
PRAXISHINWEIS | Die Verordnung der Cannabis-Arzneimittel erfolgt auf einem Betäubungsmittelrezept. Auch zugelassene Fertigarzneimittel fallen ‒ bei einer Verordnung in anderen als den zugelassenen Indikationen ‒ unter diese Regelung. |
Genehmigung durch die Krankenkasse erforderlich
Die Leistung muss vor der ersten Verordnung durch die Krankenkassen genehmigt werden. Die Genehmigung kann nur in begründeten Ausnahmefällen abgelehnt werden. Ein Muster oder Formular zur Antragstellung bei der Krankenkasse liegt derzeit nicht vor.
Genehmigungsfristen nach Antragseingang:
- Verordnung im Rahmen der SAPV: 3 Tage
- Sonstige Verordnungen: 3 bzw. 5 Wochen (wenn gutachterliche Stellungnahme erforderlich (§ 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V)
Der Genehmigungsantrag bei der Krankenkasse bezieht sich ‒ nach bisheriger Auffassung ‒ auf ein konkretes Cannabisprodukt. Bei einem Wechsel (bspw. von Cannabisblüten auf Dronabinol) bei gleicher Indikation wird daher eine erneute Genehmigung erforderlich. Einzelne Stellen vertreten zwischenzeitlich die Auffassung, das auch in diesen Fallkonstellationen keine erneute Genehmigung erforderlich ist. Insofern empfiehlt sich derzeit in entsprechenden Fällen die Abklärung mit der zuständigen Krankenkasse hinsichtlich einer erneuten Genehmigung.
Begleiterhebung
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) führt zu den Cannabis-Verordnungen eine Begleiterhebung (über 60 Monate) durch. Der Arzt, der entsprechende Verordnungen tätigt, ist verpflichtet, die für die Begleiterhebung erforderlichen Daten an das BfArM zu übermitteln.
Hierzu regelt das Bundesgesundheitsministerium (BMG) durch Rechtsverordnung den Umfang der zu übermittelnden Daten, das Verfahren zur Durchführung der Begleiterhebung einschließlich der anonymisierten Datenübermittlung sowie das Format des Studienberichts. Derzeit liegt erst ein Referenten-Entwurf der Verordnung vor. In diesem ist u. a. vorgesehen, dass die vom Arzt erhobenen Daten anonym (Patient und Vertragsarzt) ein Jahr nach Beginn der genehmigten Leistung (oder nach Beendigung, falls diese vor Ablauf eines Jahres erfolgt) elektronisch an das BfArM in einem Erhebungsbogen übermittelt werden. Ein Wechsel des eingesetzten Cannabisprodukts (z. B. von Cannabisblüten auf Dronabinol) gilt als neue Therapie, für die erneut der Erhebungsbogen ausgefüllt und an das BfArM übersandt werden muss. Der Patient muss über die Begleiterhebung aufgeklärt werden. Hierfür wird dem Arzt auf der Web-Site des BfArM ein Informationsblatt zur Verfügung gestellt werden.
Auf Grundlage des auf der Basis der Erhebungsbögen erstellten Studienberichts (nach 60 Monaten) soll der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) dann das Nähere zur Leistungsgewährung in der Arzneimittel-Richtlinie regeln.
Cannabisblüten
Cannabisblüten sind die blühenden, getrockneten Triebspitzen der weiblichen Cannabis-Pflanze. Die Blütenstände bilden eine stark gestauchte Rispe (ca. 1 bis 5 cm lang und breit). Bei der handelsüblichen Ware liegen die Blütenstände unzerteilt vor oder sind mehr oder weniger in ihre Einzelteile zerfallen (bis zu 1 cm lange Fragmente der Rispe).
Es gibt auch Cannabissorten im Markt, die granuliert vorliegen. Die getrockneten Blüten wurden hier auf eine maximale Teilchengröße von 5 mm zerkleinert. Die Zerkleinerung soll helfen, die Dosierbarkeit zu steigern.
Aufgrund der unterschiedlichen Wirkstoffkonzentration in einzelnen Blütenteilen wird hinsichtlich der Dosiergenauigkeit empfohlen, Cannabisblüten vor der Anwendung zu zerkleinern und zu sieben. Das NRF sieht hier das Mahlen in einer Kräutermühle und Siebung durch ein 2 mm Sieb vor.
Derzeit importierbare Cannabis-Sorten und Importeure
Für die Versorgung mit Cannabis in standardisierter Qualität wird der Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken in Deutschland unter staatlicher Kontrolle des Anbaus ermöglicht. Das BfArM übernimmt die Aufgabe der Kontrolle und Überwachung in Deutschland. Bis der staatlich kontrollierte Anbau in Deutschland erfolgen kann, wird die Versorgung mit Cannabis zu medizinischen Zwecken über Importe gedeckt.
In der nachfolgenden Übersicht sind die derzeit importierbaren Cannabis-Sorten und Importeure aufgelistet. Derzeit werden die holländischen Varietäten in 5g Dosen geliefert, die Pedanios-Varietäten aus Kanada in 10g Dosen. MedCann will 5g und 10g Dosen anbieten.
Varietät | Gehalt THC [%] | Gehalt CBD [%] | Herkunft | Importeur |
Bedrocan | ca. 22 | <1 | Niederlande | Fagron GmbH & Co. KG und Pedianos GmbH |
Bedica | ca. 14 | <1 | ||
Bedrobinol* | ca. 13,5 | <1 | ||
Bediol* | ca. 6,3 | ca. 8 | ||
Bedrolite* | < 1 | ca. 9 | ||
Pedanios 22/1 | ca. 22 | <1 | Kanada | Pedanios GmbH |
Pedanios 18/1 | ca. 18 | <1 | ||
Pedanios 16/1 | ca. 16 | <1 | ||
Pedanios 14/1 | ca. 14 | <1 | ||
Pedanios 8/8 | ca. 8 | ca. 8 | ||
Princeton (MCTK007) | ca. 16,5 | < 0,05 | Kanada | MedCann GmbH |
Houndstooth (MCTK001) | ca. 13,5 | < 0,05 | ||
Penelope (MCTK002) | ca. 6,7 | ca. 10,2 | ||
Argyle (MCTK005) | ca. 5,4 | ca. 7 |
* Diese Sorten liegen granuliert vor.
Rezepturvorschriften
Für die Verordnung von Cannabisblüten und Cannabinoid-haltiger Zubereitungen stehen standardisierte Rezepturformeln beispielsweise seitens der DAC/NRF-Kommission (Deutscher Arzneimittel-Codex / Neues Rezeptur-Formularium) zur Verfügung:
- Cannabisblüten zur Inhalation nach Verdampfung (NRF 22.12.)
- Cannabisblüten in Einzeldosen zur Inhalation nach Verdampfung (NRF 22.13.)
- Cannabisblüten zur Teezubereitung (NRF 22.14.)
- Cannabisblüten in Einzeldosen zur Teezubereitung (NRF 22.15.)
- Ölige Cannabisölharz-Lösung 25 mg/ml Dronabinol (NRF 22.11.)
- Ethanolische Dronabinol-Lösung 10 mg/ml zur Inhalation (NRF 22.16.)
- Dronabinol-Kapseln zu 2,5 bzw. 5 oder 10 mg (NRF 22.7)
- Ölige Dronabinol-Tropfen 25 mg/ ml (NRF 22.8)
Wird bei einer Verordnung auf die NRF-Rezeptur verwiesen,
- werden Cannabisblüten bereits in der Apotheke zerkleinert und gesiebt
- sind bei nicht abgeteilten Cannabisblüten Dosierlöffel und bei Lösungen Pipetten oder Dosierpumpen inkludiert.
Folgende Verordnungshöchstmengen innerhalb von 30 Tagen sind zu beachten BtMVV):
- Cannabisblüten: 100.000 mg (100g)
- Cannabisextrakt (bezogen auf den Gehalt an THC): 1000mg (1,0g)
- Dronabinol: 500mg (0,5g)
Bei Überschreitung der Verordnungshöchstmenge ist der Buchstabe „A“ auf dem Rezept anzugeben.
Indikationen für die Verordnung von Cannabis-Arzneimitteln
Der Gesetzgeber hat keine Einschränkung hinsichtlich der Indikationen vorgenommen, bei denen Cannabisarzneimittel zulasten der GKV unter den genannten Ausnahmen verordnungsfähig werden.
Die vorliegende Evidenz für den Einsatz von Cannabis ist für die verschiedenen Indikationen nicht einheitlich und reicht in der Bewertung von „belegt“ bis hin zu „unzureichend“.
Die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) hat in ihrer Stellungnahme beispielsweise folgende Bewertungen vorgenommen:
Spastik: Die aktuellen Daten sprechen dafür, dass die positiven Effekte auf subjektive und objektive Endpunkte bei einigen Patienten gegenüber den Nebenwirkungen überwiegen. Cannabinoide scheinen auch gegen Schmerzen bei MS wirksam zu sein.
Übelkeit und Erbrechen durch Zytostatika: Die Wirksamkeit in dieser Indikation gilt als belegt. Da Arzneimittel mit besserer Wirksamkeit und weniger Nebenwirkungen zur Verfügung stehen, sind Cannabinoide jedoch keine Mittel der ersten Wahl.
Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust: Bei HIV/AIDS-assoziierter Anorexie gibt es keine ausreichende Evidenz. Eine Wirksamkeit von Cannabinoiden bei Gewichtsverlust aufgrund anderer Ursache (z. B. Tumorerkrankungen oder Alzheimer Demenz) gilt als nicht sicher belegt.
Chronische Schmerzen: Bei chronischen und insbesondere neuropathischen Schmerzen ist ein Therapieversuch gerechtfertigt, wenn andere Therapiestrategien ohne Erfolg blieben. Da Cannabinoide gleichzeitig den Appetit stimulieren, die Stimmung aufhellen, die Übelkeit hemmen und den Schlaf fördern können, kann ihr Einsatz in der Palliativmedizin erwogen werden.
Schizophrenie: Laut einem aktuellen Cochrane-Review ist eine antipsychotische Wirkung von Cannabinoiden hier nicht belegt.
Morbus Parkinson: klinische Studien haben insgesamt enttäuschende Ergebnisse gebracht, allerdings sind auch positive Wirkungen beschrieben worden.
Tourette-Syndrom: Aufgrund der schlechten Datenlage kommt ein Cochrane-Review zu dem Schluss, dass die Wirksamkeit von Cannabinoiden hier nicht belegt ist. Trotzdem empfehlen Experten hier den Einsatz zur Behandlung von Tics, wenn eine Erstlinientherapie keinen Erfolg gezeigt hat.
Weitere Indikationen: Für zahlreiche weitere Indikationen werden positive Wirkungen von Cannabinoiden beschrieben, bei allerdings unzureichender Datenlage, sodass keine abschließende Bewertung möglich ist. Hierzu gehören Epilepsie, Kopfschmerzen und chronisch entzündliche Darmerkrankungen.
Bei der Verordnung von Cannabisarzneimitteln ist neben einer Bewertung hinsichtlich des Einsatzes in der jeweiligen Indikation auch auf Kontraindikationen und Wechselwirkungen zu achten.
Weitere Informationen auch zu Nebenwirkungen und Kontraindikationen können beispielsweise folgenden Veröffentlichungen entnommen werden:
- AkdÄ: Cannabinoide in der Medizin (2015) https://www.akdae.de/Stellungnahmen/Weitere/20160114.pdf
- Information_healthprofessionals_cannabis_canada Information healtprofessionals cannabis canada
- The Health Effects of Cannabis and Cannabinoids (The Current State of Evidence and Recommendations for Research https://www.nap.edu/24625
- Cannabinoids for Medical Use ‒ A Systematic Review and Meta-analysishttps://jamanetwork.com/journals/jama/fullarticle/2338251