13.09.2012 · IWW-Abrufnummer 122828
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg: Beschluss vom 03.05.2012 – 2 S 156/12
Die in Nr. 1.2.4 der Anlage zur Beihilfeverordnung geregelte Beschränkung der Beihilfefähigkeit implantologischer Zahnarztleistungen auf zwei Implantate pro Kieferhälfte bezieht sich nicht auf "provisorische Implantate", die dazu dienen, die Zeit bis zur Versorgung mit dem endgültigen Zahnersatz zu überbrücken.
2 S 156/12
In der Verwaltungsrechtssache
- Kläger -
- Antragsgegner -
gegen
Land Baden-Württemberg,
vertreten durch das Landesamt für Besoldung und Versorgung Baden-Württemberg - Rechtsreferat -,
70730 Fellbach,
- Beklagter -
- Antragsteller -
wegen Beihilfe
hier: Antrag auf Zulassung der Berufung
hat der 2. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg
am 3. Mai 2012
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 7. Juli 2011 - 9 K 1127/09 - wird abgelehnt.
Der Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 401,24 EUR festgesetzt.
Gründe
Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 07.07.2011 bleibt ohne Erfolg. Die vom Beklagten geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
1.
Aus dem Vorbringen des Beklagten ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
a)
Der Kläger ist beihilfeberechtigter Beamter des beklagten Landes. Seine Ehefrau ist mit einem Bemessungssatz von 70 % beihilferechtlich berücksichtigungsfähige Angehörige. Im Zeitraum vom 08.01. bis zum 09.02.2009 befand sie sich in zahnärztlicher Behandlung. Dabei wurden ihr u.a. die Zähne in regio 44 und 48 gezogen und in regio 44 und 46 zwei Implantate eingesetzt. Im Bereich des ebenfalls fehlenden Zahnes in regio 45 setzte der behandelnde Zahnarzt - zur Abstützung der Prothese - ein zusätzliches "provisorisches Implantat" ein, das nach seinen Ausführungen eine "bessere und schonendere Einheilung der bleibenden Implantate ohne Prothesendruck mit sofortiger Stabilisierung der vorhandenen Prothese" ermöglicht. Dieses vorläufige Implantat wurde vor Vornahme der endgültigen Versorgung wieder entfernt.
Für die dargestellten Maßnahmen - einschließlich Material- und Laborkosten -stellte der behandelnde Zahnarzt unter dem 18.02.2009 insgesamt 2.318,40 EUR in Rechnung. Davon entfielen auf das vorläufige Implantat in regio 45 Kosten in Höhe von 185,76 EUR; weitere Leistungen, die die Bereiche in regio 44 bis 46 insgesamt betrafen, wurden in Höhe von 47,73 EUR abgerechnet. Mit Bescheid vom 18.03.2009 erkannte das Landesamt für Besoldung und Versorgung Baden-Württemberg (im Folgenden: Landesamt) vom Rechnungsbetrag in Höhe von 2.318,40 EUR lediglich einen Betrag in Höhe von 1.588,32 EUR als beihilfefähig an und gewährte insoweit - unter Zugrundelegung eines Bemessungssatzes von 70 % - eine Beihilfe von 1.111,82 EUR. Dabei ging das Landesamt davon aus, dass von dem Rechnungsbetrag die Aufwendungen in Höhe von 13,09 EUR für einen Heil- und Kostenplan nicht beihilfefähig, die auf den Zahn in regio 48 entfallenen Kosten in Höhe von 154,31 EUR insgesamt beihilfefähig und der restliche Betrag in Höhe von 2.151,-- EUR im Hinblick auf Nr. 1.2.4 der Anlage zur Beihilfeverordnung nur zu zwei Dritteln beihilfefähig seien. Zur Begründung für die teilweise Versagung der Beihilfe führte das Landesamt sinngemäß aus, auch bei dem "provisorischen Implantat" in regio 45 handele es sich um ein Implantat im Sinne der Nr. 1.2.4 der Anlage zur Beihilfeverordnung, so dass die Aufwendungen für die betreffende Kieferhälfte insgesamt nur in Höhe von zwei Drittel beihilfefähig seien.
Auf die daraufhin vom Kläger - nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens - erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht den Beklagten verpflichtet, dem Kläger eine weitere Beihilfe in Höhe von 401,24 EUR zu gewähren und den Bescheid des Landesamtes vom 18.03.2009 und den dazu ergangenen Widerspruchsbescheid aufzuheben, soweit sie dem entgegenstehen.
Das Verwaltungsgericht ist der Auffassung, dass es sich bei dem "provisorischem Implantat" in regio 45 nicht um ein Implantat im Sinne der Nr. 1.2.4 der Anlage zur Beihilfeverordnung handele. Deshalb lägen keine - zu kürzenden - Aufwendungen für mehr als zwei Implantate pro Kieferhälfte im Sinne dieser Regelung vor. Ein (Zahn-) Implantat im Sinne dieser Vorschrift sei eine dauerhaft in den Kieferknochen eingebrachte künstliche Zahnwurzel, auf der nach einer Einheilungsphase der Zahnersatz (Krone, Brücke bzw. sonstige Suprakonstruktion) befestigt werde. Solche Implantate seien bei der Ehefrau des Klägers lediglich in regio 44 und 46 - nicht jedoch in regio 45 - eingebracht worden.
b)
Gegen diese Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts wendet sich der Beklagte ohne Erfolg. Nach Nr. 1.2.4 der Anlage zur Beihilfeverordnung sind - von Ausnahmefällen abgesehen, die hier unstreitig nicht vorliegen - Aufwendungen für mehr als zwei Implantate pro Kieferhälfte, einschließlich vorhandener Implantate, und die damit verbundenen weiteren zahnärztlichen Leistungen von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen; dabei sind die gesamten Aufwendungen entsprechend dem Verhältnis der Zahl der nichtbeihilfefähigen zur Gesamtzahl der Implantate der jeweils geltend gemachten Aufwendungen zu kürzen.
Hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass in der betreffenden Kieferhälfte der Ehefrau des Klägers lediglich zwei Implantate in regio 44 und 46 eingebracht wurden und dementsprechend die dafür entstandenen Aufwendungen - einschließlich aller damit verbundenen weiteren zahnärztlichen Leistungen - beihilfefähig sind und eine Kürzung im Sinne des Satzes 2, 2. Halbsatz der Nr. 1.2.4 der Anlage zur Beihilfeverordnung nicht in Betracht kommt.
Ein "provisorisches Implantat" unterfällt nach Wortlaut und Sinn und Zweck der Regelung nicht der dargestellten Beschränkung. Ein Zahnimplantat (von lat. in "im, hinein" und planta "Steckling, Setzling") ist ein in den Kieferknochen eingesetzter Fremdkörper. Das Teilgebiet der Zahnheilkunde, dass sich mit der Insertion (Einsetzen) von Zahnimplantaten in den Kieferknochen befasst, wird dementsprechend als Implantologie bezeichnet. Durch ihre Verwendbarkeit als Träger von Zahnersatz übernehmen Zahnimplantate die Funktion künstlicher Zahnwurzeln. Hierbei werden sie im Allgemeinen (über ihr Schraubgewinde) in den Kieferknochen (enossale Implantate) eingedreht oder einfach eingesteckt. Sie verbinden sich innerhalb von drei bis sechs Monaten mit dem umgebenden Knochen zu einer festen, äußerst belastungsfähigen Trägereinheit (vgl. dazu http:/de.wikipedia.org/wiki/zahnimplantat). Dagegen unterscheiden sich provisorische Sofortimplantate von den beschriebenen dauerhaften Zahnimplantaten dadurch, dass eine Einheilung in den Knochen nicht gewünscht ist und sie lediglich dazu dienen, die Zeit bis zur Versorgung mit dem endgültigen Zahnersatz zu überbrücken. Auch wenn die Formulierung "Implantat" für sich genommen noch mehrere Deutungsmöglichkeiten eröffnet, spricht auch vor dem Hintergrund der ursprünglichen Wortbedeutung Vieles dafür, die feste, dauerhafte Verbindung mit dem Kieferknochen als maßgebliches Kriterium für die Auslegung anzusehen.
Nach Sinn und Zweck der Regelung in Nr. 1.2.4 der Anlage zur Beihilfeverordnung besteht jedenfalls kein Zweifel, dass die hier zu beurteilende provisorische Versorgung nicht dem Begriff des "Implantats" unterfällt. Die Beschränkung der Implantatversorgung durch den Verordnungsgeber ist im Hinblick auf den Gesichtspunkt der Angemessenheit der beihilfefähigen Aufwendungen erfolgt. Dieser Gesichtspunkt rechtfertigt es, in bestimmten, vom Verordnungsgeber festzulegenden Fällen Aufwendungen des Dienstherrn für geltend gemachte Beihilfeleistungen zu begrenzen. Diese Konstellation ist hinsichtlich der implantologischen Versorgung der Beihilfeberechtigten gegeben. Die Regelung in Nr. 1.2.4 der Anlage 4 zur Beihilfeverordnung verfolgt danach den legitimen Zweck, einer durch die im Allgemeinen kostenintensivere Behandlungsart der Implantatversorgung bedingten Ausuferung der für die öffentlichen Kassen entstehenden Kosten entgegenzuwirken. Maßgeblich ist dabei der Gesichtspunkt, dass neben der Einbringung von Implantaten regelmäßig die Möglichkeit einer kostengünstigeren Alternativversorgung auf "herkömmliche" Art und Weise, etwa mit einer Brücke, gegeben ist (vgl. dazu VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15.03.2012 - 2 S 2542/11 -).
Vor diesem rechtlichen Hintergrund erfasst die Beschränkung der Implantatversorgung nur die Versorgung mit "dauerhaften" Implantaten, da in diesem Bereich - bekanntermaßen - erhebliche Kosten anfallen und insoweit eine Beschränkung der Kosten angezeigt ist. Dieser Gesichtspunkt gilt aber gerade nicht für das hierzu beurteilende "provisorische Implantat". Die Kosten hierfür betrugen lediglich 185,76 EUR und bewegen sich damit auf einem signifikant geringerem Niveau bei "normalen" Implantaten. An dieser Einschätzung ändert sich selbst dann nichts, wenn man weitere Kosten in Höhe von 47,73 EUR, die insgesamt der Versorgung der Zahnlücken in regio 44 bis 46 dienten, teilweise mitberücksichtigt. Es kann danach keine Rede davon sein, dass diese Art der Versorgung zu unabsehbaren Kosten für die öffentlichen Kassen führen könnte.
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sich die ärztliche Notwendigkeit einer Versorgung des Beihilfeberechtigten mit einem "provisorischem Implantat" auf Grundlage der allgemeinen Regelung in § 5 Abs. 1 Satz 1 BVO beurteilt. Deshalb ist es dem Landesamt nicht verwehrt, im Falle eines Einsatzes von "provisorischen Zahnimplantaten" einen ausführlichen Nachweis über die medizinische Notwendigkeit einzuholen, wie es von ihm offensichtlich auch in zukünftigen Fällen beabsichtigt ist.
Die Richtigkeit dieser Auffassung wird auch durch folgende Kontrollüberlegung best ätigt: Werden zwei kostenintensive "normale" Implantate und ein preiswertes "provisorisches Implantat" wie im vorliegenden Fall gemeinsam zur Abrechnung gestellt, dann führte die Anwendung der beschränkenden Regelung in Nr. 1.2.4 der Anlage zur Beihilfeverordnung zur Übernahme von zwei Drittel dieser Gesamtkosten. Da in diesem Fall die Gesamtkosten insgesamt auf zwei Drittel reduziert würden, stünde der Beihilfeberechtigte im Ergebnis wirtschaftlich deutlich "besser" dar, wenn er allein Beihilfe für die unstreitig zu übernehmenden Kosten für die beiden "normalen" Implantate beantragte und von vornherein die Kosten für das "relativ günstige" vorläufige Implantat selbst trüge. Dass dies nicht Sinn und Zweck der Beschränkung in der Anlage zur Beihilfeverordnung sein kann, liegt auf der Hand und bedarf keiner weiteren Begründung.
Hiervon ausgehend liegt der Regelung in Satz 2 2. Halbsatz der Nr. 1.2.4 der Anlage zur Beihilfeverordnung, wonach - bei mehr als zwei Implantaten pro Kieferhälfte - die gesamten Aufwendungen entsprechend dem Verhältnis der Zahl der nichtbeihilfefähigen zur Gesamtzahl der Implantate zu kürzen sind, ersichtlich die Überlegung zugrunde, dass die Kosten für die jeweiligen Implantate - auch bei Anlegung eines großzügigen Maßstabs - noch in etwa vergleichbar sind. Für diese Konstellation ist es sachgerecht, die gesamten Aufwendungen für implantologische Leistungen - einschließlich aller damit verbundenen weiteren zahnärztlichen Leistungen - entsprechend der Gesamtzahl der Implantate zu kürzen, da die Zuordnung der angefallenen Kosten zu einem bestimmten Implantat mit erheblichen Schwierigkeiten bzw. erheblichem Verwaltungsaufwand verbunden ist. Eine Kürzung der gesamten Aufwendungen entsprechend dem Verhältnis der Zahl der nichtbeihilfefähigen zur Gesamtzahl der Implantate ist jedoch dann nicht mehr sachgerecht, wenn die Kosten für die einzelnen Implantate nicht in vergleichbarer Höhe anfallen, wie dies bei den Kosten eines "normalen" Implantats einerseits und den Kosten für ein "provisorisches Implantat" andererseits der Fall ist.
2.
Die Rechtssache besitzt auch keine grundsätzliche Bedeutung. Die vom Beklagten als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnete Frage, ob ein "provisorisches Implantat" unter den unbestimmten Rechtsbegriff des Implantats der Nr. 1.2.4 der Anlage zur Beihilfeverordnung fällt, lässt sich auf der Grundlage allgemeiner Auslegungsgrundsätze ohne weiteres beantworten. Die weitere Frage, ob der v öllige Ausschluss von der Beihilfefähigkeit für ein drittes Implantat je Kieferhälfte auch im Hinblick auf legitime fiskalische Zwecke einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit darstellt, ist im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich, da das hier zu beurteilende "provisorische Implantat" nicht unter die Beschränkung der Nr. 1.2.4 der Anlage zur Beihilfeverordnung fällt und dementsprechend kein "drittes" Implantat sein kann.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 3 GKG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).