03.06.2014 · IWW-Abrufnummer 141604
Sozialgericht München: Urteil vom 03.04.2014 – S 38 KA 5244/10
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
S 38 KA 5244/10
I. Der Bescheid des Beklagten vom 29.04.2009 in der Fassung des Wider-spruchsbescheides vom 24.11.2010 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, die Leistungen nach der Bema-Nr. 41a in den Behandlungsfällen D. und E. nachzuvergüten.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
Tatbestand:
Gegenstand des Klageverfahrens ist der Bescheid der Widerspruchsstelle vom 24.11.2010, mit dem der Widerspruch der Zahnarztpraxis gegen den Ausgangsbescheid zurückgewiesen wurde. In der Sache fand auf Antrag der Beigeladenen durch die Beklagte eine sachlich-rechnerische Richtigstellung der Bema-Nr. 41a (Leitungsanästhesie) im Quartal 2/2006 in zwei Behandlungsfällen (D ... und E ...; Absetzungsbetrag: 79,08 EUR) statt. Zur Begründung wurde ausgeführt, den von den Widerspruchsführern und jetzigen Klägern eingereichten Unterlagen könne entnommen werden, dass den Patienten zur Ausschaltung postoperativer Schmerzen im Aufwachraum Lokalanästhetika verabreicht worden seien. Dies stelle aber keine Indikation im Sinne der Leistungen nach den Bema-Nrn. 40 und 41a dar. Der Bema enthalte keine explizite Leistung, die als Analgesie oder Heilmittelinjektion zu verstehen wäre.
Dagegen ließen die Kläger durch ihren Prozessbevollmächtigten Klage zum Sozialgericht München einlegen. Laut den Ausführungen der Klägerseite wurden bei den beiden Patientinnen jeweils operative Eingriffe (Entfernung von Osteosynthesematerial nach einer bignathen Fehlbisskorrektur) vorgenommen. Die Eingriffe fanden in Allgemeinanästhesie unter Mitwirkung eines Anästhesisten statt. Nach der Operation sei die Narkose ausgeleitet worden. Die Patientinnen hätten dann über starke Schmerzen im Operationsgebiet geklagt. Die Verabreichung von Schmerzmitteln intravenös durch den Anästhesisten habe jedoch zu keinem Erfolg geführt. Daraufhin hätten die Patientinnen Leitungsanästhesien zur Ausschaltung postoperativer Schmerzen von den Klägern erhalten. Maßgeblich sei nach der Rechtsprechung der Sozialgerichte der Wortlaut der jeweiligen Leistungslegende. Weder aus dem Wortlaut der Gebührenordnungsposition 41a, noch aus den Abrechnungsbestimmungen ergebe sich eine Einschränkung. Insofern sei es für die Abrechnung unerheblich, ob die Leitungsanästhesie vor, während oder nach einer schmerzhaften Behandlung erfolge. Anders als bei der örtlichen Betäubung h öre die Ausschaltung des Nachschmerzes mit der Beendigung der Narkose abrupt auf. Die Indikation für eine Leitungsanästhesie sei auch nicht auf die Ermöglichung eines zahnmedizinischen Eingriffes beschränkt. Die Indikation sei vielmehr weiter zu ziehen. Dies ergebe sich auch aus der Schnellübersicht zum einschlägigen Kommentar (Liebold/Raff/Wissing, Kommentar zum Bema-Z, Band 1, KCH-Nr. 41 Stand Dezember 2012). Danach sei "bei gegebener Indika-tion in Sonderfällen zur Schmerztherapie oder für diagnostische Maßnahmen, zum Beispiel in der Schmerzdiagnostik zur Differenzierung periphere oder zentrale Schmerzursache" die Leistung nach der Bema-Nr. 41a abrechnungsfähig. Hinzuweisen sei ferner auf die Behandlungsrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (Abschnitt B.IV.6). Aus der Protokollnotiz hierzu ergebe sich, dass in Abgrenzung zur Lokalanästhesie eine zentrale Anästhesie (Narkose) oder Analgosedierung dann zur Leistungspflicht der GKV gehöre, wenn im Zusammenhang mit zahnärztlichen Leistungen eine andere Art der Schmerzausschaltung nicht möglich sei. Somit werde lediglich auf einen Zusammenhang mit dem zahnärztlichen Eingriff abgestellt, aber keine zeitliche Beschränkung vorgenommen.
Die Beklagte wies darauf hin, eine Leitungsanästhesie komme nur solange in Betracht, wie das mit ihr verfolgte Behandlungsziel auch erreichbar und erbringbar sei. Das Behandlungsziel sei hier die Ausschaltung von Schmerzen bei zahnärztlichen Eingriffen. Der zahnärztliche Eingriff sei aber hier in den beiden Behandlungsfällen bereits beendet. Im Übrigen sei auch die postoperative Überwachung und damit die Schmerzausschaltung Aufgabe des Anästhesisten, wie sich aus der "Vereinbarung zur Organisation der post-operativen Schmerztherapie" ergebe.
Dem widersprach die Klägerseite, indem sie darauf aufmerksam machte, die von der Beklagten zitierte Vereinbarung betreffe den stationären Bereich. Im ambulanten Bereich sei die Zuständigkeit der postoperativen Beobachtung allein beim Operateur, hier beim MKG-Chirurgen. Ferner sei darauf hinzuweisen, dass die Leitungsanästhesien nicht im Zusammenhang mit der Narkose durchgeführt worden seien, sondern ausschließlich der Behandlung der durch eine Verletzung - hier Operationstrauma - entstandenen Schmerzen dienten. Außerdem hätten die KzVB-Hinweise zur Bema-Nr. 41a im Jahr 2013 eine Änderung erfahren. Daraus sei zu entnehmen, dass die Bema-Nr. 41a in der Regel nicht bei Schmerzbehandlungen abgerechnet werden könne. Die Formulierung deute also darauf hin, dass eine Abrechnung in begründeten Ausnahmefällen sehr wohl möglich sei.
In der mündlichen Verhandlung am 03.04.2014 stellte der Prozessbevollmächtigte den Antrag aus dem Schriftsatz vom 05.09.2012. Hilfsweise beantragte er, die Berufung zuzulassen.
Die Vertreterin der Beklagten beantragte, die Klage abzuweisen. Hilfsweise wurde ebenfalls beantragt, die Berufung zuzulassen.
Der Vertreter der Beigeladenen stellte keinen Antrag.
Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung war die Beklagtenakte. Im Übrigen wird auf den sonstigen Akteninhalt, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie die Sitzungsniederschrift vom 03.04.2014 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage ist zulässig und erweist sich auch als begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten. Die Befugnis zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung ergibt sich aus § 106a Abs. 2 SGB V. Danach stellt die Kassenärztliche Vereinigung/Kassenzahnärztliche Vereinigung die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen fest.
Maßgeblich ist in erster Linie der Wortlaut der jeweiligen Leistungslegende, da das vertragliche Regelwerk Bema dem Ausgleich der unterschiedlichen Interessen von Zahnärzten und Krankenkassen dient und es vorrangig Aufgabe des Normgebers des Bema ist, Unklarheiten zu beseitigen (BSG, Urteil vom 11.12.2013, Az. B 6 KA 14/13 R). Dieser lautet für die Bema-Nr. 41a lediglich auf "Leitungsanästhesie", ohne dass sich weitere Leistungsbeschreibungen anschließen.
Zwischen den Beteiligten ist zunächst unstrittig, dass die Leitungsanästhesie nach der Bema-Nr. 41a neben der ITN, die während eines operativen Eingriffes vorgenommen wird, nicht abrechenbar ist. Wie die Klägerseite ausgeführt hat, sind vom Anästhesisten außer einer ITN auch Schmerzmittel verabreicht worden. Die Frage der Nebeneinanderabrechnung der ITN und der Leistungsanästhesie stellt sich hier aber nicht. Denn die ITN ist mit Ausleitung nach Beendigung des operativen Eingriffs abgeschlossen. Vielmehr ist zu klären, ob eine postoperativ vorgenommene Leitungsanästhesie zur Schmerzbehandlung die Leistungslegende der Bema-Nr. 41a erfüllt.
Zu unterscheiden ist allgemein zwischen der Anästhesie und der Analgesie. Unter Anästhesie versteht man die Herbeiführung eines Zustandes der Empfindungslosigkeit zum Zwecke einer operativen oder diagnostischen Maßnahme (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 265. Auflage 2014). Während bei der Anästhesie sämtliche Empfindungen ausgeschaltet werden, bleibt bei der Analgesie (Aufhebung der Schmerzempfindung infolge Schädigung sensibler Leitungsbahnen des zentralen Nervensystems oder durch Medikamente; vgl. Pschyrembel aaO) z.B. die Berührungsempfindlichkeit erhalten. Die Leitungsanästhesie stellt eine Form der Lokalanästhesie mit perineuraler Anwendung von Lokalanästhetika im Nervenverlauf dar (vgl. Pschyrembel aaO). Bereits aus den Definitionen ergibt sich, dass eine Abgrenzung zwischen Anästhesie und Analgesie schwierig ist und die Grenzen fließend sind. Konkret trifft dies auch auf die Leitungsanästhesie zu. Als Form der Lokalanästhesie ist sie genau genommen keine Anästhesie, sondern nur eine Analgesie (vgl. Eberhard Krüger, Lehrbuch der chirurgischen Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, 1985). Somit lässt sich das Argument der Beklagten nicht aufrechterhalten, der Bema sehe keine Leistungen vor, die zur Schmerzbehandlung dienten (vgl. auch Liebold/Raff/Wissing, Schnellübersicht zum Kommentar BEMA-Z, KCH Nr. 41; zur Schmerztherapie bei gegebener Indikation in Sonderfällen).
Soweit die Beklagte die Auffassung vertritt, die Leitungsanästhesie diene nur der Ausschaltung von Schmerzen bei zahnärztlichen Eingriffen, ist dem nicht zu fol-gen. Eine solche Beschränkung auf das Zeitintervall des operativen Eingriffs ist der Leistungslegende nicht zu entnehmen. Es genügt vielmehr, dass die Behandlung "der durch eine Verletzung - hier Operationstrauma - entstandenen Schmerzen" dient, womit ein Zusammenhang mit einem solchen Eingriff besteht. Dies entspricht auch den Behandlungsrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (Protokollnotiz zu Abschnitt B.IV.6). Daraus ergibt sich, dass lediglich auf einen Zusammenhang mit dem zahnärztlichen Eingriff abgestellt wird. Nicht klärungsbedürftig ist die Frage, ob die Leitungsanästhesie losgelöst von einem chirurgischen Eingriff einfach zur Schmerztherapie bei unklarer Diagnose mit der Bema-Nr. 41a abgerechnet werden kann.
Der Ansatz der Bema-Nr. 41a scheitert auch nicht daran, dass die Leistung postoperativ vom Operateur und nicht vom Anästhesisten erbracht wurde. Denn die Zuständigkeit des Anästhesisten endet grundsätzlich anders als im stationären Bereich mit dem Ende des operativen Eingriffs entsprechend der zwischen dem Operateur und dem Anästhesisten bestehenden Absprachen. Insofern ist eine Bezugnahme der Beklagten auf die "Vereinbarung zur postoperativen Schmerztherapie" des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten und des Berufsverbandes Deutscher Chirurgen, die nur für den stationären Bereich gilt, nicht möglich.
Die hierzu ergangenen Publikationen der Beklagten spiegeln ebenfalls kein homogenes Meinungsbild wider. So wird in der Publikation KzVB Transparent Heft 10/2009 ausgeführt, sowohl bei der Infiltrationsanästhesie (Bema-Nr. 40), als auch bei der Leitungsanästhesie (Bema-Nr. 41) gelte, dass die postoperative Schmerzbehandlung im Zusammenhang mit der ITN nicht den Leistungsinhalt der Nrn. 40/41 erfülle. Unter den KzVB-Hinweisen (Stand: 01.06.2013) findet sich dagegen die Bemerkung, die postoperative Schmerzausschaltung im Zusammenhang mit der ITN erfülle i n d e r R e g e l nicht den Leistungsinhalt der Nr. 41. Dies kann nur bedeuten, dass sich auch die Beklagte der Schwierigkeit der Auslegung der Leistungslegende der Bema-Nr. 41a bewusst war. Für den Fall, dass die postoperative Schmerzbehandlung nicht unter die Bema-Nr. 41a zu subsumieren wäre, hätte ein solcher Ausschluss explizit erfolgen müsse. Dies ist jedoch nicht geschehen. Unklarheiten dürfen nicht zulasten der Leistungserbringer gehen. Selbst wenn man die KzVB-Hinweise (Stand: 01.06.2013) zu Grunde legt, ist im konkreten Fall die Abrechnungsfähigkeit der Bema-Nr. 41a gegeben. Denn die mit zwei Zahnärzten fachkundig besetzte Kammer konnte sich davon überzeugen, dass die Leistungen der Bema-Nr. 41a sehr selten in Ansatz gebracht wurden. Genau dies spricht dafür, dass die Bema-Nr. 41a nicht in der Regel, das heißt nicht standardmäßig zur Abrechnung gebracht wurde, sondern nur in den Ausnahmefällen, in denen die bereits vom Anästhesisten erfolgte Schmerzbehandlung nicht ausreichte.
Aus den genannten Gründen war zu entscheiden, wie geschehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. 154 VwGO.
Zwar wird die Berufungssumme von 750 EUR nicht erreicht. Die Berufung war aber wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG auf Antrag hin zuzulassen.