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  • 11.09.2014 · IWW-Abrufnummer 142676

    Oberlandesgericht Hamm: Urteil vom 12.08.2014 – 26 U 35/13

    Eine kostenintensive Zahnbehandlung (Implantatbehandlung mit Knochenaufbau durch Eigenknochenzüchtung) muss nicht bezahlt werden, wenn sich der Patient im Falle seiner ordnungsgemäßen Aufklärung über andere Behandlungsmöglichkeiten (Knochenaufbau durch Verwendung von Knochenersatzmittel oder Knochenentnahme aus dem Beckenkamm) gegen die kostenintensive Behandlung ausgesprochen hätte.


    Oberlandesgericht Hamm

    26 U 35/13

    Tenor:

    Die Berufung der Klägerin gegen das am 14. Januar 2013 verkündete Urteil der Zivilkammer I des Landgerichts Detmold wird zurückgewiesen.

    Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

    Das angefochtene Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

    Gründe

    I.

    Die Klägerin macht als Abrechnungsservice Honoraransprüche für eine zahnärztliche bzw. kieferchirurgische Behandlung durch den Zahnarzt Dr. Dr. M aus I geltend.

    Die Beklagte befand sich von September 2007 bis Juni 2008 in zahnärztlicher Behandlung bei dem Zahnarzt Dr. Dr. M, der eine Implantatbehandlung mit Knochenaufbau durchführte. Der Aufbau der Ober- und Unterkieferknochen sollte durch gezüchtetes Knochenmaterial erfolgen. Die Beklagte unterzeichnete unter zwischen den Parteien streitigen Umständen entsprechende Heil- und Kostenpläne sowie Einverständniserklärungen. Mit Rechnung vom 2.11.2007 verlangte der Zahnarzt eine Vergütung i.H.v. 19.277,20 EUR für die vom 14.09.2007 bis zum 24.10.2007 erbrachten Leistungen, wovon insgesamt 15.000 EUR auf die Kosten für die Eigenknochenzüchtung entfielen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Rechnungsbetrages wird auf die Kopie der Rechnung, Bl. 13 d.A., verwiesen. Die Beklagte zahlte darauf in sechs Teilbeträgen jeweils 610,00 EUR, insgesamt 3.660 EUR, so dass noch ein Betrag in Höhe der streitgegenständlichen Hauptforderung von 15.617,20 EUR offen ist. Die bisher in Rechnung gestellten Behandlungskosten belaufen sich auf ca. 42.000 EUR insgesamt. Die Beklagte stellte am 21.12.2008 beim Landgericht Hannover einen Antrag auf Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens gegen den Behandler Dr. Dr. M. In diesem Verfahren - 14 OH 1/09 LG Hannover - erstellte der Sachverständige Prof. Dr. K ein schriftliches Gutachten nebst Ergänzungsgutachten.

    Die Beklagte hat behauptet, über die anfallenden Kosten in Höhe von 90.000 EUR niemals aufgeklärt worden zu sein. Wäre sie darüber informiert worden, hätte sie der Behandlung niemals zugestimmt. Die Maßnahmen hätten auch zu keinem brauchbaren Ergebnis geführt und seien unbrauchbar, weil sämtliche Implantate nach kurzer Zeit herausgefallen seien.

    Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klage sei unbegründet, weil dem Anspruch der Klägerin ein Schadensersatzanspruch der Beklagten in mindestens der gleichen Höhe gegenüberstehe. Nach den Ausführungen des Sachverständigen im Rahmen des selbstständigen Beweisverfahrens sei das von dem Behandler gewählte Verfahren zum Knochenaufbau ungeeignet. Diesen Feststellungen sei die Klägerin nicht entgegengetreten. Wegen der getroffenen Feststellungen wird im Übrigen auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

    Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die ihr erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung trägt sie vor, die Beklagte sei über die ungefähren Gesamtkosten frühzeitig informiert worden. Die Beklagte habe vor der ersten Behandlung am 24.09.2007 die der Rechnung zu Grunde liegende Kostenvereinbarung unterzeichnet. Das Landgericht habe zwar das selbstständige Beweisverfahren beigezogen, den Inhalt dieses Verfahrens jedoch fehlerhaft nur teilweise berücksichtigt, insbesondere die in dem Verfahren vorgebrachten Einwendungen unberücksichtigt gelassen. Der Sachverständige habe einräumen müssen, dass es weder eine Kontraindikation gegeben habe, noch, dass das gewählte Verfahren ungeeignet gewesen sei. Der Beklagten sei die alternative Methode der Entnahme von Knochenmaterial aus dem Beckenkamm erläutert worden. Ihr sei die Notwendigkeit einer beidseitigen Operation mit entsprechend langfristiger Heilungsdauer erklärt worden, so dass sie sich für die vom Behandler vorgeschlagene Methode entschieden habe. Das Verfahren sei auch schon seit langem erprobt. Entgegen der Annahme des Sachverständigen sei eine völlig reizlose und entzündungsfreie Situation im Mundraum für das Einbringen der Implantate nicht zwingend erforderlich gewesen. Im Übrigen sei die Feststellung des Sachverständigen, es habe eine Entzündung vorgelegen, nicht belegt. Der Sachverständige habe die Ursache für die Heilungsstörungen und den Verlust der Implantate nicht festgestellt. Das gewählte Verfahren der Eigenknochenzüchtung sei jedenfalls nicht dafür ursächlich gewesen. Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 01.07.2014 hat die Klägerin vorgetragen, die Forderung sei mit dem Einverständnis der Beklagten am 01.11.2007 formlos aufgrund einer Rahmenvereinbarung zwischen ihr und dem Behandler abgetreten worden.

    Die Klägerin beantragt abändernd,

    die Beklagte zu verurteilen, an sie 16.179,50 EUR zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz aus 15.617,20 EUR ab dem 9.8.2008 und aus 755,80 EUR ab dem 6.12.2008 zu zahlen,

    hilfsweise,

    das Urteil aufzuheben und die Sache an das erstinstanzliche Gericht zurückzuverweisen.

    Die Beklagte beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.

    Sie trägt vor, sie sei zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der Vergütungsvereinbarung wegen der Einnahme von Tranquilizern nicht geschäftsfähig gewesen. Der Behandler habe die Situation unmittelbar vor dem Eingriff ausgenutzt, um sich ihre Unterschrift zu erschleichen. Einer Behandlung mit einem Kostenaufwand von mehr als 90.000 EUR hätte sie schon wegen ihrer fehlenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nicht zugestimmt. Im Übrigen stehe dem Vergütungsanspruch ein Schadensersatzanspruch entgegen, da die erbrachten Leistungen des Zahnarztes Dr. M mangelhaft und unbrauchbar gewesen seien.

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Die Akte 14 OH 1/09 LG Hannover war beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Der Sachverständige Prof. Dr. K hat sein in diesem Verfahren erstattetes Gutachten mündlich erläutert. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 17.06.2014 nebst Berichterstattervermerk verwiesen.

    II.

    Die zulässige Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

    Auch wenn das Landgericht verfahrensfehlerhaft ohne den erforderlichen Hinweis auf § 411 a ZPO das Sachverständigengutachten aus dem Verfahren 14 OH 1/09 LG Hannover im vorliegenden Rechtsstreit verwertet hat, kommt die hilfsweise von der Klägerin beantragte Aufhebung und Zurückverweisung der Sache nicht in Betracht, denn der Senat kann nach ergänzender Beweisaufnahme durch Anhörung des Sachverständigen gem. § 411 Abs. 3 ZPO in der Sache selbst entscheiden, § 538 Abs. 1 ZPO. Das Landgericht hat die Klage zutreffend abgewiesen. Die dagegen mit der Berufung vorgebrachten Einwände der Klägerin greifen im Ergebnis nicht durch und rechtfertigen keine abändernde Entscheidung.

    1. Der Senat lässt es offen, ob die Klägerin überhaupt zur Geltendmachung der Klageforderung aktivlegitimiert ist. Die Beklagte hat bereits mit Schriftsatz vom 25.05.2009 in erster Instanz in zulässiger Weise, § 138 Abs. 4 ZPO, mit Nichtwissen eine Abtretungsvereinbarung zwischen der Klägerin und dem Zahnarzt Dr. Dr. M bestritten, ohne dass die Klägerin eine entsprechende schriftliche Vereinbarung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz zum Nachweis ihrer Forderungsinhaberschaft vorgelegt hat. Erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung, § 296 a ZPO, hat die Klägerin mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 01.07.2004 vorgetragen, eine schriftliche Abtretungserklärung fehle, weil insoweit bereits eine Rahmenvereinbarung über die grundsätzliche Abtretung von Zahnarzthonoraren zwischen ihr und dem Behandler, Dr. Dr. M, bestanden habe. Die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gem. § 156 Abs. 2 ZPO ist gleichwohl nicht erforderlich gewesen. Es kann dahinstehen, ob das Vorbringen der Klägerin zur Begründung ihrer Aktivlegitimation vorliegend im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz ausreichend ist. Ein Anspruch der Klägerin auf die Klageforderung scheidet bereits aus einem anderen rechtlichen Grund aus.

    2. Ebenso wenig bedürfen die von der Beklagten gegen die Honorarvereinbarungen vom 24.09.2007 und deren Wirksamkeit vorgetragenen Einwendungen der Klärung durch den Senat. Es kann offenbleiben, ob aufgrund des Vorbringens der Beklagten davon auszugehen ist, dass sie infolge der Einnahme der vom Zahnarzt verordneten Beruhigungsmittel tatsächlich bereits geschäftsunfähig i.S.d. § 104 BGB gewesen ist, so dass ihre Erklärung gem. § 105 BGB nichtig war. Auch die von der Beklagten erklärte Anfechtung dieser Vereinbarungen, sofern sie wirksam sein sollten, griffe nicht durch, denn die Fristen gem. §§ 121 Abs. 1, 124 Abs. 1 BGB für die erstmals im beigezogenen selbständigen Beweisverfahren erklärten Anfechtungen sind in jedem Fall verstrichen. Darauf kommt es indessen nicht an, denn die Klage ist bereits aus einem anderen rechtlichen Grund unbegründet.

    3. Die Beklagte kann einem Vergütungsanspruch der Klägerin letztlich entgegenhalten, dass sie nicht ausreichend über alternative Behandlungsmethoden durch den Zahnarzt Dr. Dr. M aufgeklärt worden ist. Es ist nämlich davon auszugehen, dass die Beklagte im Falle ordnungsgemäßer Aufklärung die Behandlung durch den Zahnarzt nicht hätte vornehmen lassen, so dass ein Honoraranspruch in der geltend gemachten Höhe auch nicht entstanden wäre. Dafür spricht bereits der Umstand, dass sich die Klägerin, bevor sie den Zahnarzt Dr. Dr. M aufgesucht hatte, bereits in der Privatzahnklinik T GmbH durch den dortigen Prof. Dr. L hatte beraten lassen, der ihr zum Aufbau des Kieferknochens zu Knochentransplantationen geraten hatte. Wie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung weiter unwidersprochen vorgetragen hatte, hatte sie den Zahnarzt Dr. Dr. M aufgesucht, weil sie eine zweite Meinung einholen wollte. Dieser habe ihr, wie sie im Rahmen der mündlichen Anhörung durch den Senat gem. § 141 ZPO unwidersprochen vorgetragen hatte, die eigentlich beabsichtigte Beckenkamm-Operation jedoch ausgeredet. Dass sie die Behandlung abgelehnt hätte, wird durch die Tatsache bestätigt, dass die Beklagte bis heute keine Implantatversorgung hat.

    Im Rahmen der erforderlichen Aufklärung hätte der Zahnarzt Dr. Dr. M ordnungsgemäß und vollständig über die in Betracht kommenden Alternativen zum Knochenaufbau im Ober- und Unterkiefer aufklären müssen. Daran fehlt es jedoch hier. Der Senat folgt insoweit den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. K, der im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, dass vorliegend theoretisch drei Verfahren in Betracht gekommen wären. Neben der Eigenknochenzüchtung wäre, so der Sachverständige, die Verwendung von Knochenersatzmaterial (Collagen) und die Knochenentnahme in Betracht gekommen. Unstreitig hat der Zahnarzt allerdings nur auf die Knochenentnahme aus dem Beckenkamm als alternative Behandlungsmethode hingewiesen. Darüber hinaus hat er diese Methode als ungeeignet dargestellt und zur Begründung darauf verwiesen, dass die Menge des für den Ober- und Unterkiefer benötigten Knochenmaterials zu groß sei, um sie durch die Beckenkammoperation gewinnen zu können. Dies ist nach Einschätzung des durch den Sachverständigen beratenden Senats unzutreffend und irreführend. Der Sachverständige hat bereits in seinem in dem Verfahren 14 OH 1/09 LG Hannover erstatteten schriftlichen Gutachten, das der Senat gem. § 411 a ZPO in Kenntnis der Parteien herangezogen hat, ausgeführt, dass das Verfahren der Eigenknochenzüchtung zwar eine schon länger angebotene Therapieoption sei, der „golden standard“ jedoch die Verpflanzung des eigenen Knochens aus dem Kiefer oder dem Beckenkamm sei. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat er weitergehend erläutert, dass das Verfahren der Eigenknochenzüchtung zwar nicht kontraindiziert gewesen sei, es jedoch in der klinischen Routine nicht verwandt werde. Dies hat der Sachverständige nachvollziehbar damit begründet, dass bei dieser Methode die Schwierigkeit bestehe, den bei größeren Defekten erforderlichen dreidimensionalen Aufbau zu erreichen, so dass nur kleinere Defekte damit behandelt würden. Die Knochenentnahme aus dem Beckenkamm sei nach der zusammenfassenden Einschätzung des Sachverständigen, noch immer das beste Verfahren. Die Darstellung des Zahnarztes Dr. Dr. M hingegen, dass die Beckenkamm-Operation vorliegend ungeeignet gewesen sei, ist nach Einschätzung des Sachverständigen, der der Senat folgt, unrichtig. Der Sachverständige hat in seinem schriftlichen Gutachten dazu ausgeführt, dass die von dem Behandler angeführten Bedenken unbegründet seien, weil aus beiden Beckenkämmen genügend Knochenmaterial hätte entnommen werden können. In seiner schriftlichen Stellungnahme vom 17.04.2012 hatte er darauf hingewiesen, dass es sich entgegen der Darstellung des Zahnarztes Dr. Dr. M nicht um eine risikobehaftete schwere Operation handele. In der Senatsverhandlung hat der Sachverständige zudem erklärt, dass diese Operation zwar in einer Klinik vorgenommen werden müsse, während die Knochenentnahme zur Züchtung ambulant erfolgen können. Da hier aber auch eine Beckenkamm-Operation zusätzlich durchgeführt worden sei, hätte man auch den übrigen Knochenaufbau (Sinus-Lift) auf diese Weise vornehmen können. Schließlich hat der Sachverständige noch darauf hingewiesen, dass auch die Verwendung von Knochenersatzmaterial im Rahmen einer ambulanten Behandlung hätte vorgenommen werden können, so dass auch dieses Verfahren bei der Beklagten in Betracht gekommen wäre. Angesichts dieser eindeutigen Einschätzung des Sachverständigen erscheint die vom Behandler vorliegend vorgenommene Aufklärung über die in Betracht kommenden Behandlungsalternativen in höchstem Maße unzureichend. Die Methode der Verwendung von Knochenersatzmaterial hatte der Zahnarzt überhaupt nicht erwähnt. Hinsichtlich der Methode der Eigenknochenzüchtung, die allein Kosten in Höhe von 15.000 EUR verursacht hat, hat der Behandler die Risiken verharmlost, während er die Risiken der Knochenentnahme übertrieben dargestellt hat.

    Hätte der Behandler im Rahmen des Aufklärungsgesprächs, das nach seiner eigenen Behandlungsdokumentation am 14.09.2007 erfolgt ist, die Beklagte ordnungsgemäß auf die in Betracht kommenden Behandlungsmöglichkeiten hingewiesen, hätte sich diese gegen eine Behandlung ausgesprochen. Sämtliche in der Rechnung vom 02.11.2007 aufgeführten Positionen wären daher nicht angefallen, so dass der geltend gemachte Honoraranspruch entfällt.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

    Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen

    Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543 Abs. 2 ZPO. Die für die Entscheidung maßgeblichen Rechtsfragen sind solche des Einzelfalls.

    RechtsgebietBGBVorschriften§§ 280, 611 BGB