27.09.2012 · IWW-Abrufnummer 122942
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg: Urteil vom 20.08.2012 – 2 S 1001/12
Eine dentin-adhäsive Rekonstruktion kann grundsätzlich auch dann nach GOZ-Nummer 217 analog abgerechnet werden, wenn der behandelte Zahn anschließend überkront wird.
2 S 1001/12
In der Verwaltungsrechtssache
- Kläger -
- Berufungskläger -
prozessbevollmächtigt:
gegen
Postbeamtenkrankenkasse - Hauptverwaltung -,
vertreten durch den Vorstand,
Maybachstraße 54 - 56, 70469 Stuttgart,
- Beklagte -
- Berufungsbeklagte -
wegen Kassenleistungen
hat der 2. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg
am 20. August 2012
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 24.1.2012 - 12 K 5007/10 - geändert. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger weitere Kassenleistungen in Höhe von 303,69 EUR zuzüglich Prozesszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 7.12.2010 zu gewähren. Der Bescheid der Beklagten vom 3.5.2010 sowie deren Widerspruchsbescheid vom 10.11.2010 werden aufgehoben, soweit sie dem entgegenstehen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens im zweiten Rechtszug und 65 % der Kosten des Verfahrens im ersten Rechtszug. Der Kläger trägt 35 % der Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Frage, ob Aufwendungen für eine dentin-adhäsive Rekonstruktion analog GOZ-Nummer 217 neben Aufwendungen für eine Aufbaufüllung nach GOZ-Nummer 218 abrechenbar sind.
Der Kläger ist A-Mitglied der Beklagten. Mit Leistungsantrag vom 19.4.2010 machte er (u.a.) Aufwendungen von insgesamt 404,94 EUR für eine dentaladhäsive Rekonstruktion dreier Zähne geltend. Der behandelnde Zahnarzt war dabei von einem zweifachen Steigerungsfaktor ausgegangen.
Mit Bescheid vom 3.5.2010 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers insoweit ab. Die Füllungsleistung nach GOZ-Nummer 217 könne nicht als Kronenaufbaufüllung anerkannt werden. Aufwendungen für die dentin-adhäsive Füllungstechnik könnten im Übrigen nur bis zum 1,5-fachen Satz anerkannt werden. Den am 20.05.2010 u.a. gegen diesen Bescheid erhobenen Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.11.2010 zurück.
Der Kläger hat am 7.12.2010 beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage erhoben. Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 24.1.2012 u.a. insoweit abgewiesen, als sie Aufwendungen von insgesamt 404,94 EUR für eine dentaladhäsive Rekonstruktion dreier Zähne zum Gegenstand hatte. In den Entscheidungsgründen heißt es hierzu: Die Beklagte habe zu Recht die Erstattung der Aufwendungen analog der GOZ-Nummer 217 im Zusammenhang mit anschließender Überkronung nicht anerkannt. Die Vorbereitung eines Zahns mit plastischem Aufbaumaterial zur Aufnahme einer Krone sei auch dann Leistungsinhalt der GOZ-Nummer 218, wenn der Aufbau mittels dentin-adhäsiver Rekonstruktion erfolge.
Gegen das Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Berufung des Klägers, die sich auf die Geltendmachung der Aufwendungen für die dentin-adhäsive Rekonstruktion dreier Zähne analog der GOZ-Nummer 217 bei einem 1,5fachen Steigerungsfaktor beschränkt. Der Kläger macht geltend: Aufwendungen nach GOZ-Nummer 217 analog seien neben Aufwendungen nach GOZ-Nummer 218 erstattungsfähig, wenn die jeweiligen Behandlungen aus medizinischen Gründen an verschiedenen Tagen stattgefunden hätten. Zunächst seien hier die kariösen Defekte mittels der dentin-adhäsiven mehrschichtigen Füllung analog GOZ-Nummer 217 rekonstruiert worden. In dem drei bis vier Wochen später folgenden Präparationstermin seien Defekte in der Schmelz- und Dentinschicht festgestellt worden, sodass diese nach GOZ-Nummer 218 hätten aufgefüllt werden müssen. Dies werde durch eine ärztliche Bescheinigung des behandelnden Zahnarztes vom 22.3.2012 bestätigt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 24. Januar 2012 - 12 K 5007/10 - zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, ihm weitere Kassenleistungen in Höhe von 303,69 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu gewähren, und den Bescheid der Beklagten vom 3. Mai 2010 sowie deren Widerspruchsbescheid vom 10. November 2010 aufzuheben, soweit sie dem entgegenstehen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie tritt der Berufung entgegen und verweist auf ihr früheres Vorbringen.
Dem Senat liegen die einschlägigen Akten des Verwaltungsgerichts und des Beklagten vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird hierauf und auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§§ 125 Abs. 1, 101 Abs. 2 VwGO).
Die auf eine Teilanfechtung beschränkte Berufung des Klägers ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf die im Berufungsverfahren geltend gemachten weiteren Kassenleistungen in Höhe von 303,69 EUR. Der Bescheid der Beklagten vom 3.5.2010 sowie deren Widerspruchsbescheid vom 10.11.2010 sind deshalb - soweit sie dem entgegenstehen - rechtswidrig und verletzen der Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Betrag ist ab Rechtshängigkeit zu verzinsen.
Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 der Satzung der Beklagten in ihren hier maßgeblichen, im Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen geltenden Fassung vom 1.8.2009 (73. Änderung) haben die Mitglieder Anspruch auf die in den §§ 31 bis 48 der Satzung festgelegten Leistungen. Aufwendungen für zahnärztliche Leistungen sind gemäß § 32 Abs. 1 der Satzung in Verbindung mit Nummer 2 a) der Leistungsordnung A zu 100 Prozent erstattungsfähig. Nach § 32 Abs. 2 Satz 2 der Satzung müssen die Rechnungen allerdings nach der Gebührenordnung für Zahnärzte erstellt sein. Die Erstattungsfähigkeit setzt demnach grundsätzlich voraus, dass der Zahnarzt die Rechnungsbeträge auf der Basis einer zutreffenden Auslegung der Gebührenordnung in Rechnung gestellt hat (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.6.2007 - 4 S 2090/05 -; BVerwG, Urteil vom 25.11.2004 - 2 C 30.03 - ZBR 2005, 168 zur Beihilfe).
Die Abrechnung einer dentin-adhäsiven Füllung nach GOZ-Nummer 217 analog ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Für diese Leistung sieht die am 1.1.1988 in Kraft getretene Gebührenordnung für Zahnärzte keine eigene Gebührenposition vor. Die GOZ-Nummern 205 ff. betreffen herkömmliche plastische Füllungen, die GOZ-Nummern 215 bis 217 dagegen sogenannte Inlays. Gemäß § 6 Abs. 2 GOZ können selbständige zahnärztliche Leistungen, die erst nach Inkrafttreten der Gebührenordnung auf Grund wissenschaftlicher Erkenntnisse entwickelt werden, entsprechend einer nach Art, Kosten- und Zeitaufwand gleichwertigen Leistung des Gebührenverzeichnisses für zahnärztliche Leistungen berechnet werden. Gestützt auf ein von ihm beigezogenes Sachverständigengutachten hat der 4. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 27.6.2007 - 4 S 2090/05 - ([...]) entschieden, die Versorgung eines Zahns mit einer dentin-adhäsiven Kompositfüllung stelle eine erst nach Inkrafttreten der Gebührenordnung für Zahnärzte Mitte der 90er Jahre zur Praxisreife gelangte und vom Sach- und Zeitaufwand mit einer Inlay-Versorgung eines Zahnes vergleichbare Leistung dar, die gemäß § 6 Abs. 2 GOZ, Nummern 215 ff. abgerechnet werden könne (ebenso VGH Bad.-Württ., Urt. v. 28.1.2010 - 10 S 2582/08 - [...]). Das entspricht auch der einhelligen Rechtsprechung der anderen Oberverwaltungsgerichte (OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 11.6.2009 - 4 N 109.07 - ; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 8.3.2006 - 6 A 2970/04 -; BayVGH, Urt. v. 30.5.2006 - 14 BV 02.2643 -; SächsOVG, Urt. v. 1.4.2009 - 2 A 86.08 - alle in [...]; s. auch Senatsbeschluss vom 14.9.2010 - 2 S 1447/10 -).
Das Verwaltungsgericht hat nicht in Frage gestellt, dass eine dentin-adhäsive Füllung grundsätzlich nach GOZ-Nummer 217 analog abgerechnet werden kann. Es hat jedoch die Auffassung vertreten, die Vorbereitung eines Zahnes mit plastischem Aufbaumaterial sei bereits Leistungsinhalt der GOZ-Nummer 218 und könne daher nicht gesondert nach GOZ-Nummer 217 (analog) abgerechnet werden, wenn der Zahn - wie hier - anschließend überkront werde.
Dieser Ansicht ist nicht zu folgen. Bei der dentin-adhäsiven Rekonstruktion handelt es sich um eine besonders aufwändige Maßnahme, für die allgemein anerkannt ist, dass sie analog der GOZ-Nummer 215 bis 217 abgerechnet werden kann. Demgegenüber stellt die Vorbereitung eines zerstörten Zahnes mit plastischem Aufbaumaterial zur Aufnahme einer Krone nach GOZ-Nummer 218 eine vergleichsweise "einfache" Maßnahme dar. Dies kommt insbesondere darin zum Ausdruck, dass die GOZ-Nummer 218 nur mit einem Punktwert von 150 bewertet wird, während für die GOZ-Nummer 217 die achtfache Punktzahl - also 1.200 Punkte - angesetzt wird. Dementsprechend ist die Vergütung für eine Maßnahme nach GOZ-Nummer 217 achtmal so hoch wie für eine Maßnahme nach GOZ-Nummer 218. Dies schließt es schon von vornherein aus, dass die geringer bewertete Maßnahme nach GOZ-Num- mer 218 die wesentlich aufwändigere Maßnahme nach GOZ-Nummer 217 (mit-) enthält. Zudem kann die Leistungslegende der GOZ-Nummer 218 die dentin-adhäsive Rekonstruktion schon deshalb nicht unmittelbar umfassen, weil diese Technik zum Zeitpunkt der Schaffung der GOZ noch nicht bekannt gewesen ist (Liebold/Raff/Wissing, GOZ, Nrn. 218, 213, 219 Anm. 6.1, Nr. 2., S. 65). Demzufolge gehört die dentin-adhäsive Rekonstruktion zur Aufnahme einer indirekten Restauration nicht zu den Maßnahmen, die mit der GOZ-Nummer 218 abgegolten sind, sondern zu den zusätzlich berechnungsfähigen selbständigen Maßnahmen (ebd., S. 63).
Unabhängig hiervon hat das Verwaltungsgericht die besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalls außer Betracht gelassen. Der Kläger hat überzeugend vorgetragen - und durch eine entsprechende Bescheinigung seines behandelnden Zahnarztes belegt -, dass zunächst lediglich eine dentin-adhäsive Rekonstruktion durchgeführt werden sollte und erst beim späteren Schleifen der Zähne Schäden festgestellt worden sind, die aufgefüllt werden mussten. Jedenfalls bei dieser Sachlage stellen sich beide jeweils an verschiedenen Tagen durchgeführten Behandlungen als eigenständige Maßnahmen dar, die auch gesondert abgerechnet werden können.
Die Zinsforderung des Klägers ist ebenfalls begründet. Ihm stehen ab Rechtshängigkeit, die mit der Klageerhebung am 7.12.2010 eingetreten ist (§§ 81 Abs. 1, 90 VwGO), Prozesszinsen zu, die nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats für öffentlich-rechtliche Geldforderungen unter sinngemäßer Anwendung des § 291 BGB zu entrichten sind, wenn das jeweils einschlägige Fachrecht keine gegenteilige Regelung trifft. Damit wird an die Rechtsauffassung angeknüpft, wonach der Schuldner, auch wenn er in redlichem Glauben, zur Zahlung nicht verpflichtet zu sein, sich auf einen Prozess einlässt, nach dem das gesamte Rechtsleben beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben verpflichtet ist, dem Gläubiger für die Nutzungen Ersatz zu leisten, die er ihm während der Dauer des Prozesses vorenthalten hat (BVerwG, Urteil vom 22.2.2001 - 5 C 34.00 - BVerwGE 114, 61; VGH Baden-Württemberg, Urteile vom 5.1.2006 - 4 S 1956/04 -, vom 8.2.2006 - 4 S 1550/03 -, vom 14.2.2006 - 4 S 1322/05 - und vom 27.6.2007 - 4 S 2090/05 -). Die Höhe der Prozesszinsen folgt aus der entsprechenden Anwendung der §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2, 289 Satz 1 und 247 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 303,69 EUR festgesetzt (§ 52 Abs. 3 GKG).