· Fachbeitrag · Autokauf
Haftung für Kfz-Sachmängel: Erheblicher Mangel oder nur eine Bagatelle?
| Urteile zur Abgrenzung eines erheblichen Sachmangels von einer Bagatelle haben derzeit Hochkonjunktur im Kfz-Handel. Dabei geht es letztlich immer um die Frage, ob der Käufer vom Kaufvertrag zurücktreten darf oder sich mit weniger einschneidenden Maßnahmen wie der Minderung des Kaufpreises oder dem sogenannten kleinen Schadenersatz zufriedengeben muss. Erfahren Sie, wie die Gerichte entscheiden und worauf es in der Praxis entscheidend ankommt. |
Worum geht es?
Im Kern geht es um den alt-ehrwürdigen Grundsatz, dass Verträge einzuhalten sind. Wegen Kleinigkeiten dürfen sie nicht aufs Spiel gesetzt werden - weder vom Verkäufer noch vom Käufer. Gesetzlich verankert ist dieser Grundsatz in § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB. Danach ist ein Rücktritt vom Vertrag ausgeschlossen, wenn die „Pflichtverletzung“ nur unerheblich (eine Bagatelle) ist.
Wichtig | Im Fall einer Bagatelle kann der Käufer nur den Kaufpreis mindern oder den sogenannten kleinen Schadenersatz verlangen. Das Geschäft zurückdrehen, kann er nicht.
Für eine „Pflichtverletzung“ bedarf es keiner großen Anforderungen: Es geht um den Mangel. Als Händler haben Sie die Pflicht, ein Fahrzeug mangelfrei zu liefern. Tun Sie das nicht, verletzen Sie Ihre Pflicht, egal, ob Sie schuld sind oder nicht. Die entscheidende Frage ist also: Wann ist ein Mangel erheblich und wann unerheblich, also eine Bagatelle?
Mangels gesetzlicher Regelung haben die Gerichte das Wort
Da das Gesetz in diesem zentralen Punkt schweigt, haben die Gerichte das Wort, das letzte die BGH-Richter in Karlsruhe. Und die haben in einer ganzen Reihe von Entscheidungen herausgearbeitet, worauf es ankommt.
Die BGH-Grundsätze im Überblick
- Ob ein Mangel erheblich oder unerheblich ist, ist eine Frage der Abwägung der beiderseitigen Interessen. Überwiegt das Interesse des Käufers an der Rückgabe des mangelhaften Fahrzeugs das Interesse des Verkäufers, den Vertrag bestehen zu lassen?
- Bei einem Verstoß gegen eine Beschaffenheitsvereinbarung ist Erheblichkeit des Mangels in der Regel zu bejahen (BGH, Urteil vom 6.2.2013, Az. VIII ZR 374/11; Abruf-Nr. 130456). Im Klartext: Haben Sie eine Zusage wie „Fahrzeug unfallfrei“ nicht eingehalten, sieht es schlecht für Sie aus. Nicht zuletzt deshalb operieren Sie ja mit Distanzierungsklauseln wie „laut Vorbesitzer“ oder - bei der Halteranzahl - „laut Fahrzeugbrief/ZB II“. Dann treffen Sie keine Beschaffenheitsvereinbarung, sondern geben nur eine Wissensmitteilung. Wenn diese falsch ist, richtet sich die Frage der Mangelhaftigkeit und damit auch der Erheblichkeit nach objektiven Kriterien, was für Sie tendenziell günstiger ist. Denn die Erheblichkeitslatte liegt jetzt höher.
- Gehen wir auf das weite Feld der technischen Mängel und unterstellen, dass es wirklich um einen Sachmangel und nicht um normalen Verschleiß oder Alterung geht. In diesen Fällen haben Sie in der Regel keine Beschaffenheitsvereinbarung gebrochen, erst Recht kein Garantieversprechen. Die Frage „Mangel ja oder nein“ hängt ab von so schwammigen Begriffen wie „übliche Beschaffenheit“ und „zu erwartende Beschaffenheit“ (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB). Wenn Ihr Fahrzeug diese Standards verfehlt haben sollte, also mangelhaft ist, wird in der Erheblichkeitsfrage die Weiche wie folgt gestellt: Ist der Mangel zu beseitigen oder kriegt man ihn nicht weg?
- Der zu beseitigende Mangel: Da technisch praktisch alles machbar ist, sind die meisten Technikmängel behebbare Mängel. Für die Erheblichkeit entscheidend sind dann grundsätzlich nur die Kosten der Mängelbeseitigung, und nicht das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung (BGH, Urteil vom 29.6.2011, Az. VIII ZR 202/10; Abruf-Nr. 112319).
PRAXISHINWEIS | Wann die Kostengrenze überschritten ist, ob schon bei drei, fünf oder erst bei zehn Prozent vom Kaufpreis, hat der BGH noch nicht entschieden. Nehmen Sie zur Sicherheit die Fünf-Prozent-Grenze als Richtschnur (Beispiel 1.000 Euro Mängelbeseitigungskosten [Fremdkosten inklusive Umsatzsteuer] bei einem Fahrzeug, das Sie für 20.000 Euro verkauft haben).
- Kein Grundsatz ohne Ausnahme: Der BGH nennt bei behebbaren Mängeln gleich zwei:
- Ausnahme 1: Der Mangel ist nur mit hohen Kosten behebbar. Beispiel: Statt 230 schafft der Wagen nur 217 km/h. Ein Motortausch brächte die Lösung, kostet aber so viel, dass die Erheblichkeitsgrenze klar überschritten wäre. In einem solchen (Ausnahme-)Fall fragt der BGH: Wie wirkt sich der Mangel auf die Funktionsfähigkeit des Fahrzeugs aus? Nur minimal oder gravierend? Die Antwort hängt ganz vom Einzelfall ab. Ein Sonderfall ist der Kraftstoffmehrverbrauch. Hier gilt für den Rücktritt bekanntlich die Zehn-Prozent-Grenze.
- Ausnahme 2: Auf die Höhe der Kosten für die Mängelbeseitigung kommt es auch nicht an, wenn die Ursache des Mangels im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung ungewiss ist (BGH, Urteil vom 29.6.2011, Az. VIII ZR 202/10; Abruf-Nr. 112319). Das Mangelbild wird quasi in diesem Zeitpunkt als Momentaufnahme eingefroren. Was davor war oder danach passiert ist, spielt keine Rolle. Wenn nun die Ursache des gerügten Mangels oder des Mangelsymptoms („Motor läuft unrund“) in diesem Zeitpunkt ungewiss ist, der Händler also selbst nicht weiß, was Sache ist, dann soll es nicht auf die Höhe der Kosten der Mängelbeseitigung ankommen.
- Beispiel:
Nach der Rücktrittserklärung stellt sich bei erneuter Prüfung heraus, dass der Mangel mit einem Kostenaufwand von nur 100 Euro zu beheben ist. Von der Kostenseite her wäre es eindeutig ein geringfügiger Mangel. Da sie aber ausnahmsweise nicht zählt, gilt der Mangel als erheblich.
- Der nicht zu beseitigende Mangel. Beispiele: Der Wagen ist nicht unfallfrei oder er hat eine zu hohe Gesamtlaufleistung. Diese Mängel kriegt man nicht weg, sie sind nicht nachbesserungsfähig. Seine ursprüngliche Aussage, dass derartige Mängel per se erheblich seien, hat der BGH inzwischen korrigiert (BGH, Urteil vom 12.3.2008, Az. VIII ZR 253/05; Abruf-Nr. 081110). Aber was ist der Maßstab für die Erheblichkeitsprüfung?
- Die Kosten der Mängelbeseitigung scheiden aus, weil es ja nichts zu beseitigen gibt.
- Negative Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit wäre ein Ansatz. Doch in den klassischen Fällen unbehebbarer Mangelhaftigkeit hilft auch dieser Aspekt nicht weiter. Bei einem fachgerecht beseitigten Unfallschaden, der kein Bagatellschaden war, ist der Wagen zwar mangelhaft, die Funktionsfähigkeit ist aber nicht in Frage gestellt.
- Bleibt die Wertminderung als Gradmesser. So sehen es auch die BGH-Richter: Liegt die Wertminderung unter ein Prozent des Kaufpreises, ist der Mangel eindeutig unerheblich, ein Rücktritt somit ausgeschlossen (BGH, Urteil vom 12.3.2008, Az. VIII ZR 253/05; Abruf-Nr. 081110).
Aktuelle Fälle aus der Rechtsprechung
Damit Sie das richtige Gefühl dafür bekommen, was die Gerichte als erheblich einstufen, geben wir eine Übersicht über aktuelle Entscheidungen, unterteilt in „erheblich ja = Rücktritt ja“ und „erheblich nein = Rücktritt nein“:
| erheblich |
| ja |
| ja |
| ja |
| nein |
| nein |