· Fachbeitrag · Fallbeispiel
Latente Steuern unter Berücksichtigung steuerlicher Verlustvorträge
von WP/StB Lothar Schulz und M.A. Benjamin Ott, beide Stuttgart
| Mit der Neufassung des § 274 HGB durch das BilMoG hat der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung klargestellt, dass Verlustvorträge künftig bei der Ermittlung der aktiven latenten Steuern einzubeziehen sind, wenn und soweit in den nächsten fünf Geschäftsjahren mit einer Verlustverrechnung ernsthaft gerechnet werden kann. In welchen Fällen die Verlustvorträge auch dann in die Berechnung einzubeziehen sind, wenn keine Verrechnung innerhalb der fünf Jahre zu erwarten ist, untersucht dieser Beitrag. |
1. Ermittlung der latenten Steuern auf Verlustvorträge
Die Bewertung latenter Steuern erfolgt mit dem unternehmensindividuellen Steuersatz im Zeitpunkt des Abbaus der Differenz. Latente Steuern sind nicht abzuzinsen (§ 274 Abs. 2 HGB). Für die Berechnung der aktiven latenten Steuern bedeutet dies, dass auf Basis einer Planung der steuerlichen Ergebnisse das künftige Verlustverrechnungspotenzial zu ermitteln ist. Die Planung der steuerlichen Ergebnisse ist getrennt nach Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer vorzunehmen.
1.1 Steuerliche Planungsrechnung
Um eine hohe Qualität der Planung und damit eine hohe Prognosesicherheit zu gewährleisten, hat der Gesetzgeber den maßgeblichen Prognosezeitraum, in dem die Verlustvorträge zu realisieren sind, auf fünf Jahre beschränkt. Dabei sind die Beschränkungen durch die Mindestbesteuerung (§ 10d EStG) und die Restriktionen des § 8c KStG zu berücksichtigen. Ebenso können künftige Steuergestaltungen in die Planung mit einbezogen werden, sofern diese bereits eingeleitet sind oder mit denen kurzfristig mit hoher Wahrscheinlichkeit gerechnet wird. Auf die jeweils verrechenbaren Verluste in der Gewerbesteuer und Körperschaftsteuer ist dann der unternehmensindividuelle Steuersatz anzuwenden. Bei der Gewerbesteuer ist daher der entsprechende Hebesatz der zuständigen Gemeinde anzuwenden. Für die Körperschaftsteuer ist der derzeit gültige Satz von 15 % zzgl. Solidaritätszuschlag anzuwenden.
Die steuerlichen Planungsrechnungen können wie folgt abgebildet werden:
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Planungsrechnung
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Fortschreibung der steuerlichen Verlustvorträge
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Sofern eine Verlustverrechnung innerhalb der nächsten fünf Jahre nicht zu erwarten ist, erscheint es nach Auffassung des IDW zulässig, diese Verlustvorträge dennoch in die Berechnung aktiver latenter Steuern einzubeziehen, soweit die aktiven latenten Steuern auf die Verlustvorträge einen bestehenden Überhang an passiven latenten Steuern reduzieren. Das vorliegende Fallbeispiel folgt dieser Auffassung.
1.2 Anwendung bei kleinen und großen Kapitalgesellschaften
Große Kapitalgesellschaften müssen nach § 285 Nr. 29 HGB im Anhang angeben, auf welchen Differenzen oder steuerlichen Verlustvorträgen die latenten Steuern beruhen und mit welchen Steuersätzen die Bewertung erfolgt ist. Kleine Kapitalgesellschaften sind von der Anwendung des § 274 HGB über die Abgrenzung latenter Steuern grundsätzlich befreit (§ 274a Nr. 5 HGB). Die Auslegung der Befreiungsvorschrift ruft in der Praxis derzeit große Unsicherheit hervor.
Nach der Auffassung des IDW (E-ERS HFA 7) gilt diese Befreiung nicht für passive latente Steuern, soweit diese die Voraussetzungen einer Rückstellung erfüllen. Latente Steuern auf temporäre Differenzen erfüllen diese Voraussetzungen. Die Befreiung für kleine Kapitalgesellschaften beschränkt sich daher nur auf quasi-permanente Differenzen. Bei der Ermittlung der Rückstellung für passive latente Steuern können kleine Kapitalgesellschaften ebenfalls die aktiven latenten Steuereffekte und die Verlustvorträge berücksichtigen.
Der DStV fordert in seiner Stellungnahme zum IDW-Entwurf dagegen eine Klarstellung durch die Anpassung des § 249 HGB, indem ein Verbot zur Bildung einer Rückstellung für latente Steuern in die Vorschrift aufgenommen wird. Kleine Kapitalgesellschaften wären damit gänzlich von der Anwendung des § 274 HGB befreit. Der DStV begründet seine Forderung damit, dass die Voraussetzungen zur Bildung einer Rückstellung - rechtliche oder wirtschaftliche Verursachung - nicht gegeben seien. Die Belastung von KSt und GewSt entsteht erst mit Ablauf des jeweiligen Erhebungszeitraums. Am Bilanzstichtag ist die Verbindlichkeit für Steuerschulden somit rechtlich noch nicht entstanden. Auch die wirtschaftliche Verursachung nach BFH-Rechtsprechung liegt nicht vor, da die wesentlichen Tatbestandsmerkmale erst mit Ablauf des jeweiligen Erhebungszeitraums entstehen.
2. Fallbeispiel
Die A-GmbH ist eine große Kapitalgesellschaft und ist verpflichtet, erstmals zum 31.12.10 einen Jahresabschluss nach den Vorschriften des BilMoG aufzustellen (Kalenderjahr = Wirtschaftsjahr). Der Jahresabschluss zum 31.12.09 liegt bereits testiert vor. Er wurde nach den bisherigen handelsrechtlichen Normen aufgestellt.
Zum 31.12.10 besteht ein körperschaftsteuerlicher bzw. gewerbesteuerlicher Verlustvortrag in Höhe von 1.000 TEUR bzw. 800 TEUR. Die Verlustvorträge können auf Basis von Planungsrechnungen in den kommenden fünf Jahren zu 100 % (Fall 1) bzw. i.H. von 600 TEUR (Fall 2)genutzt werden. Darüber hinaus wurden in der Handelsbilanz zum 31.12.10 selbsterstellte immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens i.H. von 1.500 TEUR (Fall 1) bzw. 1.000 TEUR (Fall 2) aktiviert sowie eine Rückstellung für drohende Verluste i.H. von 300 TEUR gebildet. Steuerlich unterbleiben die Aktivierung und die Passivierung. Der für die Berechnung der latenten Steuern anzuwendende Gesamtsteuersatz beträgt 30 % (Körperschaftsteuer und SolZ 16 % und Gewerbesteuer 14 %).
3. Lösung
Berechnung der passiven latenten Steuer aus der Aktivierung der selbsterstellten immateriellen Vermögensgegenstände des Anlagevermögens:
Fall 1: 1.500 TEUR x 30 % = 450 TEUR
Fall 2: 1.000 TEUR x 30 % = 300 TEUR
Berechnung der aktiven latenten Steuer aus der Bildung der Drohverlustrückstellung: 300 TEUR x 30 % = 90 TEUR.
Berechnung der aktiven latenten Steuern aus steuerlichen Verlustvorträgen:
Verlustvortrag KSt: | 1.000 TEUR x 16 % | = 160 TEUR |
Verlustvortrag GewSt: | 800 TEUR x 14 % | = 112 TEUR |
Aktive latente Steuern aus Verlustvorträgen | 272 TEUR |
Fall 1: Es sind 450 TEUR passive latente Steuern und 90 TEUR aktive latente Steuern anzusetzen. Darüber hinaus können die gesamten aktiven latenten Steuern aus steuerlichen Verlustvorträgen i.H. von 272 TEUR angesetzt werden, da nach Abzug der aktiven latenten Steuern aus steuerlichen Verlustvorträgen ein Passivüberhang verbleibt. Saldiert ergeben sich somit passive latente Steuern i.H. von 88 TEUR. Diese müssen zwingend ausgewiesen werden.
passive latente Steuern | 450 TEUR |
./. aktive latente Steuern | - 90 TEUR |
verbleiben | 360 TEUR |
./. aktive latente Steuern aus Verlustvorträgen | - 272 TEUR |
= Passivüberhang | 88 TEUR |
Fall 2:Es müssen 300 TEUR passive latente Steuern und 90 TEUR aktive latente Steuern angesetzt werden. Da sich nach Abzug der gesamten latenten Steuern aus Verlustvorträgen (272 TEUR) ein Aktivüberhang i.H. von 62 TEUR ergeben würde, ist der Ansatz aktiver latenter Steuern auf Verlustvorträge auf maximal den Betrag des passiven Überhangs an latenten Steuern vor Verlustverrechnung begrenzt - d.h. maximal 210 TEUR. Saldiert ergibt sich somit eine latente Steuer von 0.
Sofern eine vollständige Verlustverrechnung wie in Fall 2 erst zu einem späteren Zeitpunkt als innerhalb der nächsten fünf Jahre zu erwarten ist, dürften nach der Gesetzesbegründung zum BilMoG die nicht verrechenbaren Verlustvorträge nicht zur Berechnung herangezogen werden - auch nicht um diese mit einem bestehenden Passivüberhang zu verrechnen.
Hiernach müssten ebenfalls 300 TEUR passive latente Steuern und 90 TEUR aktive latente Steuern angesetzt werden. Der Ansatz der aktiven latenten Steuern wäre allerdings auf den Betrag der innerhalb der nächsten fünf Jahre zu erwarteten Verlustverrechnung beschränkt - hier 180 TEUR (= 600 TEUR x 30 %). Saldiert würde sich somit eine passive latente Steuer von 30 TEUR ergeben, die zwingend auszuweisen wäre.
passive latente Steuern | 300 TEUR |
./. aktive latente Steuern | - 90 TEUR |
verbleiben | 210 TEUR |
./. aktive latente Steuern aus Verlustvorträgen | - 180 TEUR |
= Passivüberhang | 30 TEUR |
4. Fazit
Trotz unterschiedlicher Meinungen über den Wortlaut des § 274 HGB ist es zu vertreten, steuerliche Verlustvorträge nach der Auffassung des IDW zu berücksichtigen. Würde man steuerliche Verlustvorträge nur teilweise bei der Berechnung aktiver latenter Steuern berücksichtigen, käme es zu einem erhöhten Ausweis an passiven latenten Steuern. Tatsächlich wäre die ausgewiesene künftige Steuerbelastung in dieser Höhe aber nicht zu erwarten. Insofern sollten auch die nicht verrechenbaren steuerlichen Verlustvorträge in die Berechnung miteinbezogen werden, soweit die aktiven latenten Steuern auf die Verlustvorträge einen bestehenden Überhang an passiven latenten Steuern reduzieren.
Zu den Autoren | Die Autoren sind für die AUREN Wirtschaftsprüfung (www.auren.de) tätig.