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  • 02.02.2021 · IWW-Abrufnummer 220258

    Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 12.11.2020 – 3 Sa 97/19

    1. Das Bildungszeitgesetz Baden-Württemberg (BzG BW) gewährt Arbeitnehmern ebenso wenig wie das Bundesurlaubsgesetz ein Selbstbeurlaubungsrecht.

    2. Die Arbeitsvertragsparteien können rechtswirksam vereinbaren, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zunächst unbezahlte Freistellung außerhalb des Bildungszeitgesetzes Baden-Württemberg zur Teilnahme an einem Lehrgang gewährt und sich verpflichtet, das Arbeitsentgelt nachzuentrichten, wenn gerichtlich festgestellt würde, der Arbeitnehmer habe einen Anspruch nach dem Bildungszeitgesetz gehabt.

    3. Bildungszeit nach dem Bildungszeitgesetz Baden-Württemberg kann gleichermaßen für Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung, der politischen Weiterbildung und für die Qualifizierung zur Wahrnehmung ehrenamtlicher Tätigkeiten beansprucht werden.

    4. Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 8 Abs. 1 BzG BW für die Zeit der Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme, die den Arbeitnehmer zur Wahrnehmung der angestrebten Funktion eines Übungsleiters in einem Sportverein qualfizieren soll, setzt nicht voraus, dass der Arbeitnehmer Vereinsmitglied ist oder dass der Sportverein eine verbindliche Zusage für die spätere Ausübung der Übungsleitertätigkeit gegeben hat.


    In der Rechtssache
    - Beklagte/Berufungsklägerin -
    Proz.-Bev.:
    gegen
    - Klägerin/Berufungsbeklagte -
    Proz.-Bev.:
    hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 3. Kammer - durch den Vorsitzenden
    Richter am Landesarbeitsgericht Oesterle, die ehrenamtliche Richterin Bigge und den ehrenamtlichen Richter Böckle auf die mündliche Verhandlung vom 12.11.2020
    für Recht erkannt:

    Tenor:
    1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Reutlingen vom 2. Oktober 2019 - 6 Ca 41/19 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte die zugesprochenen Zinsen erst ab dem 2. Mai 2018 zu zahlen hat.


    2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.


    3. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.



    Tatbestand



    Die Parteien streiten über den Anspruch der Klägerin auf Entgeltfortzahlung für die Zeit der Teilnahme an einem vom Württembergischen Landessportbund e. V. (WLSB) veranstalteten Ausbildungslehrgang.



    Die Klägerin ist seit 1. August 1978 bei der Beklagten als technische Angestellte zu einem Bruttomonatsverdienst von zuletzt 3.998,58 € beschäftigt. Am 19. Dezember 2017 stellte sie einen Antrag auf Bewilligung von Bildungszeit (Bl. 10 der ArbG-Akte) für den Zeitraum vom 23. April bis 27. April 2018 zum Besuch der Veranstaltung "Ausbildung "Sport mit Älteren" Grundlehrgang, Ausbildung zum Übungsleiter C" des Württembergischen Landessportbundes e. V., eines anerkannten Trägers im Sinne von § 9 BzG BW. Der Antrag bezog sich auf das erste Modul einer nach dem Programmheft (Bl. 94 bis 100 der ArbG-Akte) auf drei Jahre angelegten Veranstaltung. Der Erwerb der Trainerlizenz ist erst nach vollständigem Abschluss des gesamten Lehrgangs möglich.



    Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin mit Schreiben vom 26. Januar 2018 ab.



    Unter dem Datum 19. März 2018 richtete der T. B. e. V. eine E-Mail folgenden Inhalts an die Klägerin:

    "... nach Rücksprache mit Frau M. (Vorsitzende Referat Sport) können wir Ihnen keine Bescheinigung ausstellen. Wir haben lediglich unser Interesse bekundet, dass wir an Übungsleitern interessiert sind. Wie der Bedarf in zwei bis drei Jahren ausschaut, ist im Moment nicht absehbar. Wir können uns jetzt noch nicht festlegen und bitten um Ihr Verständnis."



    Die Klägerin nahm an dem beantragten Lehrgang vom 23. April bis 27. April 2018 teil, was die Beklagte als unbezahlte Fehlzeit wertete. Anderenfalls hätte die Klägerin in diesem Zeitraum Gehalt in Höhe von 761,64 € brutto bezogen.



    Die Klägerin hat vorgetragen: Sie sei seit Anfang des Jahres 2018 Mitglied des T. B.. Sie beabsichtige, nach Abschluss des Lehrgangs zum einen als Trainerin beim T. B. tätig zu werden und zum anderen als Übungsleiterin in der nicht öffentlichen Betriebssportgruppe Gymnastik der Beklagten. Bildungszeit sei für solche Qualifizierungsmaßnahmen möglich, die dazu befähigen sollen, Aufgaben der Anleitung, Lehre und Organisation in Ehrenamtsbereichen wie Sport auszuüben. Befähigung sei im Sinne von Erlernung und nicht im Sinne von Verbesserung oder Fortführung zu verstehen. Weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus der -begründung lasse sich ableiten, dass ein Anspruch auf Bildungszeit nur dann besteht, wenn bereits bei Beginn der Bildungsmaßnahme feststeht, dass der Arbeitnehmer nach Abschluss der Qualifizierung bei einer bestimmten Einrichtung eine bestimmte ehrenamtliche Tätigkeit übernehmen würde. Zweck des Gesetzes sei, das ehrenamtliche Engagement zu stärken auch für diejenigen, die erstmalig eine ehrenamtliche Tätigkeit aufnehmen wollen.



    Die Klägerin hat beantragt:

    Die Beklagte wird verurteilt, 761,64 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30. April 2018 an die Klägerin zu zahlen.



    Die Beklagte hat beantragt,

    die Klage abzuweisen.



    Sie hat vorgetragen: Ein Anspruch auf Bildungszeit setze eine aktive ehrenamtliche Tätigkeit zum Zeitpunkt der Antragstellung voraus. Dies ergebe sich aus der Begründung zu § 1 Verordnung der Landesregierung zur Regelung der Bildungszeit für die Qualifizierung zur Wahrnehmung ehrenamtlicher Tätigkeiten (VO BzG BW), in der es heiße:

    "Unter einer Qualifizierung ist das Erlernen oder die Verbesserung von Kompetenzen oder Wissen in der jeweiligen ehrenamtlichen Tätigkeit zu verstehen.".



    Die rein abstrakte Qualifizierung für eine in der Zukunft eventuell wahrzunehmende ehrenamtliche Tätigkeit genüge nicht. Es sei nicht die Intention des Gesetzgebers, vage Zukunftspläne hinsichtlich der Aufnahme einer ehrenamtlichen Tätigkeit zu unterstützen.



    Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 2. Oktober 2019 stattgegeben und zur Begründung ausgeführt: Der Zahlungsanspruch der Klägerin ergebe sich aus §§ 1 Abs. 1 Satz 2, 8 Abs. 1 BzG BW.



    Die Klägerin habe den Antrag spätestens am 19. Dezember 2017 und damit mehr als acht Wochen vor Beginn der Bildungsmaßnahme am 23. April 2018 schriftlich gestellt, weshalb eine ordnungsgemäße Geltendmachung im Sinne des § 7 Abs. 1 BzG BW vorliege. Fünf Bildungszeittage für das Jahr 2018 entsprächen auch dem in § 3 BzG BW vorgesehenen Umfang. Bei dem Lehrgang "Ausbildung "Sport mit Älteren" Grundlehrgang, Ausbildung zum Übungsleiter C" handle es sich zudem um eine Bildungsmaßnahme im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 1, 3 und 4 BzG BW. Der Lehrgang habe auch gem. § 6 Abs. 1 Nr. 2 BzG BW dem Themenbereich des § 1 BzG BW entsprochen. Er werde von der auf Grund von § 1 Abs. 5 Satz 2 BzG BW erlassenen VO BzG BW erfasst. Nach § 1 VO BzG BW bestehe auch für die Qualifizierung zur Wahrnehmung ehrenamtlicher Tätigkeiten Anspruch auf Bildungszeit. Nach den §§ 3 und 4 VO BzG BW seien u.a. ehrenamtliche Tätigkeiten im Sinne des § 2 Abs. 1 VO BzG BW im Bereich des Sports (§ 3 Nr. 1 VO BzG BW) erfasst, wenn sich die Qualifizierung auf Aufgaben der Anleitung, der Organisation und der Lehre beschränke (§ 4 Abs. 1 VO BzG BW).



    Der von der Klägerin angestrebte Lehrgang bei einem anerkannten Träger im Sinne des § 9 BzG BW erfülle somit die erforderlichen Voraussetzungen. Die Klägerin plane, mit dem Lehrgang einen Übungsleiterschein zu erwerben, um als Übungsgruppenleiterin in der Betriebssportgruppe der Beklagten und als Trainerin im Sportverein T. B. tätig zu werden. Jedenfalls bei Sportvereinen handle es sich typischerweise um öffentlich zugängliche Organisationen im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 oder 3 VO BzG BW. Ob die Betriebssportgruppe ebenfalls die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VO BzG BW erfüllen würde - was angesichts der fehlenden öffentlichen Zugänglichkeit fraglich sei -, sei daher nicht relevant.



    Entgegen der Auffassung der Beklagten setze die VO BzG BW nicht voraus, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Antragstellung für die Bildungszeit oder zumindest der Entscheidung hierüber bereits eine verbindliche Zusage für die Tätigkeit als Trainerin beim T. B. vorliegen haben musste. Voraussetzung sei auch nicht eine zu diesem Zeitpunkt bereits bestehende Vereinsmitgliedschaft. Denn der Wortlaut des BzG BW oder der VO BzG BW enthalte keine ausdrückliche derartige Anforderung. Auch die Systematik zwinge nicht zur Annahme der Voraussetzung einer Mitgliedschaft oder gar verbindlichen Zusage der Organisation, in der die ehrenamtliche Tätigkeit wahrgenommen werden soll. In jedem Fall reiche es aus, wenn - wie bei der Klägerin mit der anvisierten Tätigkeit beim T. B. - die konkrete Absicht des Arbeitnehmers bestehe, die ehrenamtliche Tätigkeit in einer § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VO BzG BW unterfallenden Organisation wahrzunehmen. Mit dem BzG BW solle nach der Gesetzesbegründung das ehrenamtliche Engagement gestärkt werden. Die Forderung einer verbindlichen Zusage einer Einrichtung, dass der Arbeitnehmer dort nach Abschluss einer Qualifizierung ehrenamtlich tätig sein kann, würde diesem Gesetzeszweck jedoch zuwiderlaufen. Denn mit der Verordnung solle nicht nur die Wahrnehmung eines bestehenden Ehrenamts gestärkt, sondern auch die Übernahme neuer ehrenamtlicher Tätigkeit gefördert werden. Gerade bei mehrjährigen Qualifizierungsmaßnahmen würden die meisten Einrichtungen, in deren Dienst oder Auftrag die spätere ehrenamtliche Tätigkeit ausgeübt werden soll, nicht bereit sein, sich vorab festzulegen, ob eine Person nach Abschluss der Qualifizierungsmaßnahme ehrenamtlich eingesetzt werde. Voraussagen, wie der Bedarf an ehrenamtlichen Mitarbeitern in einem bestimmten Bereich in mehreren Jahren aussehen wird, seien naturgemäß schwierig. Gerade bei ehrenamtlich Tätigen komme es häufig zu einer hohen Fluktuation, etwa, weil das Ehrenamt aus persönlichen Gründen nicht mehr ausgeübt werde. Hinzu komme, dass es auch keine Möglichkeit gebe, den betroffenen Arbeitnehmer zur Wahrnehmung des ihm eventuell zugesagten ehrenamtlichen Engagements nach mehreren Jahren zu zwingen. Würde man eine verbindliche Zusage der jeweiligen Einrichtung voraussetzen, wären in der Folge faktisch die meisten Qualifizierungsmaßnahmen, die mehr als die geförderten fünf Tage pro Jahr dauern und deshalb über zwei oder mehrere Jahre verteilt werden, vom BzG BW ausgeschlossen, was dem Gesetzeszweck erkennbar zuwiderlaufen würde. Auch die Mitgliedschaft in der Einrichtung/dem Verein bei Antragstellung sei nicht erforderlich, was sich schon daraus ergebe, dass ein ehrenamtliches Engagement, etwa als Trainer in einem Verein, häufig auch ohne entsprechende Mitgliedschaft erfolge. Zudem seien in § 2 Abs. 1 Nr. 3 VO BzG BW auch Organisationsformen erfasst, bei denen überhaupt keine formelle Mitgliedschaft existiert, so dass eine entsprechende Anforderung insoweit ins Leere laufen würde. Der Zinsanspruch ergebe sich aus § 11 Abs. 2 BUrlG i.Vm. §§ 13, 247, 288 Abs. 1 BGB.



    Die Beklagte hat gegen das ihr am 22. Oktober 2019 zugestellte arbeitsgerichtliche Urteil am 19. November 2019 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 10. Januar 2020 am 9. Januar 2020 begründet.



    Sie trägt vor: Das Arbeitsgericht habe rechtsfehlerhaft angenommen, die Klägerin könne Bildungszeit für die Qualifizierung zur Wahrnehmung ehrenamtlicher Tätigkeiten beanspruchen, ohne selbst aktiv eine ehrenamtliche Tätigkeit auszuüben oder bereits eine verbindliche Zusage für die Ausübung einer ehrenamtlichen Tätigkeit vorliegen zu haben. Das Bildungszeitgesetz Baden-Württemberg diene in erster Linie der beruflichen und politischen Weiterbildung der Bildungszeitberechtigten. Dass das Ehrenamt überhaupt berücksichtigt wurde, sei eine landesspezifische Besonderheit, die nur auf die traditionell herausragende Rolle ehrenamtlichen Engagements in Baden-Württemberg zurückzuführen sei.



    Wenn es in der Gesetzesbegründung heiße "Auch sollen die Beschäftigten im Land auf diese Weise in die Lage versetzt werden, ehrenamtliche Aufgaben noch besser als bisher wahrzunehmen", folge daraus, dass es dem Gesetzgeber darum gegangen sei, die Möglichkeit einer Gewährung von Bildungszeit gerade denjenigen Bürgern einzuräumen, die bereits ehrenamtlich engagiert sind.



    Die Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts würde im Ergebnis zu einer reinen Freizeitorientierung der Bildungszeit führen. Angesichts einer regelmäßig hohen Fluktuation bei ehrenamtlich Tätigen würde die vom Bildungszeitgesetz Baden-Württemberg bezweckte Stärkung ehrenamtlichen Engagements konterkariert, wenn auch diejenigen Arbeitnehmer in den Genuss von Bildungszeit kämen, die ihre Bereitschaft zu ehrenamtlichem Engagement noch gar nicht in gefestigter Weise durch die aktive Ausübung einer ehrenamtlichen Tätigkeit dokumentiert haben. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts sei damit entweder zumindest eine Mitgliedschaft im entsprechenden Verein oder eine verbindliche Zusage zur Trainertätigkeit erforderlich.



    Die Beklagte beantragt,

    das Urteil des Arbeitsgerichts Reutlingen vom 2. Oktober 2019 - 6 Ca 41/19 - abzuändern und die Klage abzuweisen.



    Die Klägerin beantragt,

    die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.



    Sie verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und trägt ergänzend vor: Das Bildungszeitgesetz Baden-Württemberg diene nicht in erster Linie der beruflichen und politischen Weiterbildung; vielmehr sei die Förderung des Ehrenamtes ebenbürtig. Der Gesetzeszweck, auch das ehrenamtliche Engagement zu stärken, werde auch bei der Förderung der Übernahme neuer ehrenamtlicher Tätigkeiten erreicht. Ein Ehrenamt könne auch ohne Mitgliedschaft in einem entsprechenden Verein oder Einrichtung ausgeübt werden. Deshalb sei nicht entscheidungserheblich, ob die Klägerin bereits bei Antragstellung oder Durchführung des Kurses Mitglied des T. B. war. Auch müsse nicht bereits während der Qualifizierungsmaßnahme eine ehrenamtliche Tätigkeit aktiv ausgeübt werden, wie der Fall der Klägerin zeige. Dieser sei es nicht möglich, das Ehrenamt einer Trainerin C beim T. B. auszuüben, da ihr der Abschluss der entsprechenden Qualifizierungsmaßnahme fehle.



    Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens in beiden Instanzen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.



    Entscheidungsgründe



    Die zulässige Berufung der Beklagten war unter geringfügiger Korrektur des Zeitpunkts, ab dem die Klägerin die Verzinsung der Klageforderung verlangen kann, zurückzuweisen. Der Klägerin steht, wie vom Arbeitsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt, Arbeitsentgelt für den Zeitraum vom 23. April bis 27. April 2018 zu.



    A.



    Die Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO). Auch der Wert des Beschwerdegegenstandes gem. § 64 Abs. 2 lit. b ArbGG übersteigt 600,00 €. Sonstige Zulässigkeitsbedenken bestehen nicht, weshalb die Berufung insgesamt zulässig ist. Überdies hat das Arbeitsgericht die Berufung auch gem. § 64 Abs. 3 Nr.1 ArbGG gesondert zugelassen, woran das Berufungsgericht gebunden ist.



    B.



    Die Berufung der Beklagten ist in der Sache unbegründet.



    I.



    Der Anspruch der Klägerin folgt nicht aus § 8 Abs. 1 BzG BW. Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung für Bildungszeit entsteht nur, wenn der Arbeitgeber erklärt, den Arbeitnehmer von der Arbeit zur Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme im Sinne des § 6 Abs. 1 BzG BW freizustellen (vgl. BAG 9. Juni 1998 - 9 AZR 466/97 - NZA 1999, 219). Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts ist nicht ausreichend, dass die gesetzlich normierten Voraussetzungen für einen Anspruch auf Bildungszeit vorliegen. Das Bildungszeitgesetz Baden-Württemberg gewährt dem Arbeitnehmer ebenso wie das Bundesurlaubsgesetz einen gesetzlich bedingten Freistellungsanspruch. Dies ergibt sich aus § 1 Abs. 1 Satz 2 BzG BW, wonach der Beschäftigte während der Bildungszeit vom Arbeitgeber freizustellen ist. Das Bildungszeitgesetz Baden-Württemberg gewährt Arbeitnehmern ebenso wenig wie das Bundesurlaubsgesetz ein Selbstbeurlaubungsrecht (vgl. BAG 11. Mai 1993 - 9 AZR 231/89 - BAGE 73, 135).



    Gem. § 6 Abs. 4 Satz 1 BzG BW entscheidet der Arbeitgeber über Anträge nach § 6 Abs. 1 BzG BW unverzüglich, jedoch spätestens vier Wochen vor Beginn der Bildungsveranstaltung schriftlich, wobei es im Falle der Ablehnung der schriftlichen Darlegung der Gründe bedarf (§ 6 Abs. 4 Satz 2 BzG BW). Teilt der Arbeitgeber die Entscheidung nicht innerhalb der in § 6 Abs. 4 Satz 1 BzG BW genannten Frist formgerecht mit, gilt die Bewilligung als erteilt (§ 6 Abs. 4 Satz 3 BzG BW).



    Im vorliegenden Fall hat die Beklagte den auf den 19. Dezember 2017 datierenden Antrag der Klägerin auf Bildungszeit für den Zeitraum vom 23. bis 27. April 2018 mit - im Rechtsstreit nicht vorgelegtem - Schreiben vom 26. Januar 2018 abgelehnt. Da die Klägerin keine formellen Bedenken gegen die Ordnungsgemäßheit der Antragsablehnung vorgebracht hat, ist davon auszugehen, dass das Ablehnungsschreiben der Beklagten die Formvorschrift des § 6 Abs. 4 Satz 2 BzG BW erfüllt. Die Ablehnung erfolgte auch mehr als vier Wochen vor Beginn der Bildungsveranstaltung.



    Weigert sich der Arbeitgeber wie hier, die Freistellungserklärung abzugeben, hat der Arbeitnehmer nicht das Recht, der Arbeit fernzubleiben und für die Zeit der beantragten Bildungsveranstaltung Entgelt zu verlangen. Er kann allenfalls versuchen, den Freistellungsanspruch gerichtlich durchzusetzen (BAG 9. November 1993 - 9 AZR 9/92 - BAGE 75, 58).



    II.



    Der Anspruch der Klägerin auf Fortzahlung des Entgelts für die Dauer der Teilnahme an der Bildungsveranstaltung ergibt sich aber aus einer mit der Beklagten getroffenen Vereinbarung. Deshalb ist die Beklagte verpflichtet, nach der gerichtlichen Feststellung der Freistellungsvoraussetzungen das Arbeitsentgelt entsprechend § 8 Abs. 1 BzG BW fortzuzahlen.



    Die Beklagte wandte sich zu keinem Zeitpunkt gegen die Teilnahme der Klägerin an dem vom WLSB im April 2018 veranstalteten Lehrgang. Offensichtlich wurde der Klägerin zunächst das ungekürzte Gehalt für April 2018 ausbezahlt, denn die Beklagte nahm mit Abrechnung vom 19. Juli 2018 (Bl. 16 der ArbG-Akte) eine Rückrechnung für April 2018 vor, mit der sie für den Zeitraum vom 23. bis 27. April 2018 fünf unbezahlte Fehltage und hierfür einen Betrag von 761,64 € brutto in Abzug brachte.



    Die Beklagte hat nicht behauptet, die Klägerin habe vom 23. bis 27. April 2018 unentschuldigt gefehlt, sondern der Streit der Parteien beschränkte sich von Anfang an auf die Frage, ob die Klägerin die Veranstaltung auf eigene Kosten, also im Rahmen unbezahlten Urlaubs, besuchte oder die Beklagte zur Freistellung nach dem Bildungszeitgesetz Baden-Württemberg mit der Folge der Entgeltfortzahlungspflicht verpflichtet war. Folglich ist von einer zwischen den Parteien geschlossenen Vereinbarung auszugehen, deren nach §§ 133, 157 BGB zu ermittelnder Inhalt darin besteht, dass die Beklagte der Klägerin zunächst unbezahlte Freistellung außerhalb des Bildungszeitgesetzes Baden-Württemberg zur Teilnahme an dem Lehrgang gewährte und sich verpflichtete, das Arbeitsentgelt nachzuentrichten, wenn gerichtlich festgestellt würde, die Klägerin habe einen Anspruch nach dem Bildungszeitgesetz gehabt (vgl. BAG 9. November 1993 - 9 AZR 9/92 - BAGE 75, 58). Eine solche Vereinbarung ist rechtlich möglich. Sie erhält den Arbeitsvertragsparteien die Möglichkeit, den Streit über die Qualität einer Bildungsveranstaltung nachträglich zu führen. Der Arbeitgeber wird nicht gezwungen, die Freistellung abzulehnen. Der Arbeitnehmer muss sie nicht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu erreichen suchen (BAG 9. Februar 1993 - 9 AZR 648/90 - BAGE 72, 200).



    III.



    Die Klägerin hat im Zeitraum vom 23. bis 27. April 2018 an einer nach § 6 Abs. 1 BzG BW anerkannten Bildungsveranstaltung teilgenommen und damit ihren Anspruch auf Bildungszeit nach § 3 Abs. 1 BzG BW verwirklicht. Die Beklagte hat für diese Zeit das Arbeitsentgelt der Klägerin fortzuzahlen, § 8 Abs. 1 BzG BW analog.



    1. Zwischen den Parteien ist nur streitig, ob die von der Klägerin im April 2018 besuchte Veranstaltung des WLSB konkret auf die Situation der Klägerin bezogen als Qualifizierungsmaßnahme zur Wahrnehmung ehrenamtlicher Tätigkeit im Sinne des § 1 Abs. 2 BzG BW zu werten ist. Dass der Besuch des Lehrgangs eine Bildungsmaßnahme im Sinne des § 6 Abs. 1 BzG BW darstellt, die von einem anerkannten Träger im Sinne des § 9 BzG BW veranstaltet wird, hat das Arbeitsgericht unter I. 1. lit. c bis d der Entscheidungsgründe seines Urteils im Einzelnen zutreffend ausgeführt. Dies wird von der Beklagten auch nicht in Zweifel gezogen, weshalb hierzu weitere Ausführungen entbehrlich sind. Gleiches gilt für die Ordnungsgemäßheit der Antragstellung der Klägerin und den ihr gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 BzG BW für 2018 noch zustehenden Anspruch auf fünf Arbeitstage Bildungszeit.



    2. Die Klägerin plante, mit dem Lehrgang einen Übungsleiterschein zu erwerben, um als Übungsleiterin in der Betriebssportgruppe der Beklagten und als Trainerin im T. B. tätig zu werden.



    Ersteres ist für einen Anspruch auf Bildungszeit unzureichend, da die Betriebssportgruppe nur für Betriebsangehörige zugänglich ist und somit gem. § 6 Abs. 2 Nr. 1 BzG BW ein Lehrgang, der die Tätigkeit als Betriebssportgruppenleiterin zum Ziel hat, keine Bildungsmaßnahme im Sinne des Bildungszeitgesetzes Baden-Württemberg darstellt. Dies stellt § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VO BzG BW klar, wonach ehrenamtliche Tätigkeiten im Sinne der Verordnung öffentlich zugänglich sein müssen.



    Vom Bildungszeitgesetz Baden-Württemberg gedeckt ist aber die Absicht der Klägerin, als Trainerin beim T. B. tätig zu werden, wie bereits das Arbeitsgericht unter I. 1. lit. e bis f der Entscheidungsgründe seines Urteils mit zutreffenden Erwägungen, denen sich die Berufungskammer gem. § 69 Abs. 2 ArbGG anschließt, ausgeführt hat. Im Hinblick auf die Berufungsangriffe sind folgende zusätzlichen Ausführungen veranlasst:



    a) Entgegen der Auffassung der Beklagten dient das Bildungszeitgesetz Baden-Württemberg nicht in erster Linie der beruflichen und politischen Weiterbildung der Bildungszeitberechtigten. Vielmehr tritt die Qualifizierung zur Wahrnehmung ehrenamtlicher Tätigkeiten gleichberechtigt neben die Ziele der beruflichen und politischen Weiterbildung, wie sich aus § 1 BzG BW ergibt.



    b) Der Anspruch auf Bildungszeit setzt nicht voraus, dass der Anspruchsteller im Zeitpunkt der Antragstellung oder der Durchführung der beantragten Bildungsmaßnahme bereits ehrenamtlich tätig ist. Hiergegen spricht schon der Wortlaut des § 1 Abs. 5 Satz 1 BzG BW, wonach die Qualifizierung zur Wahrnehmung ehrenamtlicher Tätigkeiten der Stärkung des ehrenamtlichen Engagements dient. In diesem Sinne wird auch unter A. 1. der Begründung zur VO BzG BW ausgeführt, dass Bildungszeit die Bürger des Landes Baden-Württemberg bei der Wahrnehmung ehrenamtlicher Aufgaben unterstützen und ihre Bereitschaft zur Übernahme neuer ehrenamtlicher Aufgaben erhöht werden soll. Die Erleichterung des Zugangs zu Qualifizierungsmaßnahmen für ehrenamtlich tätige Menschen durch die Bildungszeit sei ein sinnvoller Beitrag, um sie in ihrer Arbeit zu unterstützen und zu befähigen, diese Aufgaben noch besser zu erfüllen oder anderen den Zugang zum ehrenamtlichen Engagement zu erleichtern oder zu ermöglichen (A. 4. a der Verordnungsbegründung).



    c) Zugunsten der Beklagten kann auch unterstellt werden, dass die Klägerin erst im Jahr 2019 Mitglied des T. B. wurde. Denn der Anspruch der Klägerin auf Bildungszeit würde auch bestehen, wenn eine Mitgliedschaft im T. B. zuvor noch nicht bestanden hätte und obwohl der T. B. sich nicht in der Lage sah, der Klägerin eine bindende Zusage dahingehend zu machen, dass sie nach Abschluss ihrer Ausbildung bei ihm als Übungsleiterin tätig werden könne.



    Wenn § 1 Abs. 2 BzG BW einen Anspruch auf Bildungszeit u. a. für die Qualifizierung zur Wahrnehmung ehrenamtlicher Tätigkeiten verleiht, so setzt dies in zeitlicher Hinsicht schon voraus, dass zunächst die Qualifizierung erfolgen muss, um sodann eine ehrenamtliche Tätigkeit wahrnehmen zu können. Es ist nicht ersichtlich, dass über den glaubhaft bekundeten Willen hinaus, eine ehrenamtliche Tätigkeit nach durchgeführter Qualifizierung wahrnehmen zu wollen, weitere formale Voraussetzungen hierfür etwa im Sinne einer Vereinsmitgliedschaft oder einer bindenden Zusage einer entsprechenden Trainerstelle o. ä. verlangt werden könnten. Nach § 2 Abs. 1 VO BzG BW werden ehrenamtliche Tätigkeiten im Sinne dieser Verordnung in der Regel freiwillig und somit ohne entsprechende rechtliche Bindung ausgeübt. Das Erfordernis einer rechtlichen Bindung auf Seiten der Organisation, für die die ehrenamtliche Tätigkeit erfolgen soll, erscheint weder sinnvoll noch praktikabel. Gerade auf längere Zeit angelegte Qualifizierungsmaßnahmen wie der hier streitgegenständliche Übungsleiterlehrgang würden in der Praxis regelmäßig an der mangelnden Bereitschaft der Organisationen scheitern, Interessenten entsprechende bindende Zusagen über Jahre im Voraus zu machen. Hinzu kommt, dass eine einmal gegebene Zusage auch widerrufen oder gekündigt werden könnte.



    Außerdem ist zu beachten, dass im Bereich des Sports die Qualifizierung zur Wahrnehmung ehrenamtlicher Tätigkeiten auf Aufgaben der Anleitung, der Organisation und der Lehre beschränkt ist (§ 3 Nr. 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 VO BzG BW). Zum Erlernen oder zur Ausübung einer Sportart kann somit Bildungszeit nicht in Anspruch genommen werden, was die Annahme der Beklagten unzutreffend erscheinen lässt, dass die Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts zu einer reinen Freizeitorientierung der Bildungszeit im vorliegenden Fall führen würde. Überdies enthält das Bildungszeitgesetz Baden-Württemberg die Arbeitgeberinteressen wahrende Regelungen (insbesondere Kleinbetriebsregelung, Überforderungsklausel, Anrechnungsmöglichkeiten), die einer Überbeanspruchung der Betriebe im Hinblick auf die Inanspruchnahme von Bildungszeit entgegenwirken (vgl. A. 4. b) der Begründung zur VO BzG BW).



    IV.



    Das auf die in Anspruch genommene Bildungszeit entfallende Arbeitsentgelt beträgt unstreitig 761,64 € brutto. Zinsen auf diesen Betrag kann die Klägerin ab 2. Mai 2018 beanspruchen. § 8 Abs. 1 BzG BW sieht vor, dass das Arbeitsentgelt entsprechend den §§ 9, 11 und 12 BUrlG berechnet und während der Bildungszeit fortgezahlt wird. Somit kommt nicht § 11 Abs. 2 BUrlG zur Anwendung, sondern es verbleibt für das auf die Bildungszeit entfallende Arbeitsentgelt beim regulären Fälligkeitszeitpunkt der Vergütung, was sich nach den übereinstimmenden Angaben der Parteien im Termin zur mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer im vorliegenden Fall nach § 614 BGB richtet. Unter Berücksichtigung von § 193 BGB waren Zinsen gem. §§ 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 BGB ab dem 2. Mai 2018 zuzusprechen (vgl. LAG Hessen 12. September 2007 - 18 Sa 231/07 - juris).



    C.



    I.



    Die Beklagte hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.



    II.



    Die Zulassung der Berufung beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

    Oesterle
    Bigge
    Böckle

    Verkündet am 12.11.2020

    Vorschriften