· Fachbeitrag · Arbeitsrecht
Das Arbeitszeugnis - Grundlagen, Formulierungen und Auslassungen
von RA Martin Brilla, FA für Verwaltungsrecht, Aachen
| Für den weiteren beruflichen Werdegang des Arbeitnehmers ist das Arbeitszeugnis von ausschlaggebender Bedeutung, weshalb nach Kündigungen häufig erbitterte Auseinandersetzungen darum geführt werden. Um dies so weit wie möglich zu vermeiden, sollte man mit den inhaltlichen Anforderungen vertraut sein, zumal sog. Geheimcodes, unzulässige Auslassungen sowie die Dankes- und Grußformel immer wieder in das Blickfeld der Rechtsprechung rücken. |
1. Grundlagen
Jeder Arbeitnehmer hat bei Beendigung seines Arbeitsverhältnisses Anspruch auf ein schriftliches Zeugnis; eine Erteilung in elektronischer Form ist ausgeschlossen (§ 109 Abs. 3 GewO).
Man unterscheidet das einfache Zeugnis, das lediglich Angaben zu Art und Dauer der Tätigkeit enthält (§ 109 Abs. 1 S. 2 GewO) und das qualifizierte Zeugnis, dessen Angaben sich darüber hinaus auf Leistung und Verhalten im Arbeitsverhältnis erstrecken (§ 109 Abs. 1 S. 3 GewO).
Das Zeugnis hat drei Zwecke:
- Es dient dem Arbeitnehmer für Bewerbungen und ist somit von großer Bedeutung für sein berufliches Fortkommen.
- Außerdem soll es über die Leistungen und das Verhalten des Arbeitnehmers informieren, wobei mögliche neue Arbeitgeber naturgemäß ein Interesse an möglichst wahrheitsgemäßen Angaben haben.
- Schließlich gibt es dem Arbeitnehmer (insbesondere als Zwischenzeugnis) darüber Aufschluss, wie seine Leistung und sein Verhalten beurteilt werden.
Grundsätze für die Zeugniserteilung sind deshalb (BAG 14.10.03, 9 AZR 12/03, DB 04, 1270):
- das Gebot der Zeugniswahrheit und
- das Gebot der Zeugnisklarheit.
Außerdem ist das Zeugnis im Interesse des beruflichen Fortkommens des Arbeitnehmers wohlwollend zu fassen. Dabei soll Grundlage das Verhalten sein, das für ihn kennzeichnend ist: „Einmalige Vorfälle oder Umstände, die für den Arbeitnehmer, seine Führung und Leistung nicht charakteristisch sind, gehören nicht in das Zeugnis“ (BAG 21.6.05, 9 AZR 352/04, DB 05, 2360).
Die Verpflichtung, ein wohlwollend formuliertes Zeugnis zu erteilen, besteht auch bei einer nicht guten Beurteilung von Führung und Leistung: „Allein ein wohlwollender Wortlaut eines Arbeitszeugnisses hindert den Arbeitgeber nicht daran, eine wahrheitsgemäße Beurteilung vorzunehmen“ (LAG Berlin-Brandenburg 7.11.13, 10 Sa 1440/13).
Auch wenn der Arbeitgeber in der Wahl seiner Formulierungen grundsätzlich frei ist, muss das Zeugnis klar und verständlich formuliert sein (§ 109 Abs. 2 GewO). Es darf auch keine Merkmale oder Formulierungen enthalten, mit denen eine andere als aus der äußeren Form oder aus dem Wortlaut ersichtliche Aussage über den Arbeitnehmer getroffen werden soll. Maßgeblich ist insofern der objektive Empfängerhorizont des Lesers; die Vorstellungen des Zeugnisverfassers sind unerheblich (BAG 12.8.08, 9 AZR 632/07, DB 08, 2546). Dementsprechend sind geheime Merkmale oder unklare Formulierungen, durch die der Arbeitnehmer anders beurteilt werden soll, als dies aus dem Zeugniswortlaut ersichtlich ist, unzulässig.
2. Unzulässige Formulierungen
Ein Satz wie: „Sie verstand es stets, ihre Interessen in der Firma durchzusetzen.“, kann und soll beim unbefangenen kundigen Leser den Eindruck erwecken, die Arbeitnehmerin habe ihre Interessen in dem Arbeitsverhältnis rücksichtslos durchgesetzt (Hessisches LAG 16.6.98, 9 Sa 132/98).
„Sie war sehr tüchtig und in der Lage, ihre eigene Meinung zu vertreten.“, heißt im Klartext: „Sie hat eine hohe Meinung von sich und vermag hiervon ausgehend sachliche Kritik nicht zu akzeptieren“ (LAG Hamm, 17.12.98, 4 Sa 630/98, BB 00, 1090).
Der Hinweis: „Gerne stehen wir jedem zukünftigen Arbeitgeber … hinsichtlich Nachfragen über die Qualität der …geleisteten Arbeit zur Verfügung“, bringt verschlüsselt zum Ausdruck, dass die im Zeugnis wiedergegebene Leistungsbeurteilung tatsächlich nicht den wirklichen Leistungen entspricht (ArbG Herford 1.4.09, 2 Ca 1502/08).
Die Formulierung: „Wir haben Frau X als eine freundliche und zuverlässige Mitarbeiterin kennengelernt.“, wird unterschiedlich bewertet: Das LAG Hamm (27.4.00, 4 Sa 1018/99, NZA 02, 624) interpretiert sie dahingehend, dass die Arbeitnehmerin gerade nicht freundlich und zuverlässig gewesen sei, „denn der Gebrauch des Wortes ‚kennengelernt’ drückt stets das Nichtvorhandensein der im Kontext aufgeführten Fähigkeit oder Eigenschaft aus“. Nach dem BAG (15.11.11, 9 AZR 386/10) erweckt die Formulierung „als sehr interessierten und hochmotivierten Mitarbeiter kennengelernt“ aus Sicht des objektiven Empfängerhorizonts hingegen nicht den Eindruck, der Arbeitgeber attestiere dem Arbeitnehmer in Wahrheit Desinteresse und fehlende Motivation.
Umstritten ist die Einschätzung auch bei einem gefalteten Zeugnis: Während das LAG Hamburg (7.9.93, 7 Ta 7/93) der Auffassung ist, dass ein Falten den Schluss auf ein Hausverbot oder sonstige gravierende Gründe zulässt, folgt das BAG dem nicht (21.9.99, 9 AZR 893/98, DB 00, 282).
3. Unzulässige Auslassungen
Grundsätzlich muss nicht jeder Einzelaspekt eines Tätigkeitsspektrums erwähnt werden. Die Entscheidung darüber, welche positiven oder negativen Leistungen er stärker hervorheben will als andere, liegt beim Arbeitgeber (BAG 12.8.08, 9 AZR 632/07, DB 08, 2546). Allerdings dürfen auch insofern weder Wortwahl noch Auslassungen dazu führen, dass beim Zeugnisleser der Wahrheit nicht entsprechende Vorstellungen entstehen können.
Ein Zeugnis darf vor allem keine Auslassungen enthalten, wo der verständige Leser eine positive Hervorhebung erwartet. Ein derartiges „beredtes Schweigen“, das auch Leerstellentechnik genannt wird, ist regelmäßig ein (versteckter) Hinweis für den Zeugnisleser, der Arbeitnehmer sei in diesem Merkmal unterdurchschnittlich oder allenfalls durchschnittlich zu bewerten (BAG 12.8.08, 9 AZR 632/07, DB 08, 2546).
Insofern sind auch Zeugnisbräuche einzelner Berufskreise zu beachten: „Ist es für Arbeitnehmer einer Branche oder einer Berufsgruppe üblich, bestimmte positive Eigenschaften oder Leistungen hervorzuheben, dann muss diesem Brauch auch im Zeugnis Rechnung getragen werden“ (BAG a.a.O.). Ob eine Leistungsbewertung in einem Zeugnis gebräuchlich ist, wird das Gericht bei Berufs- oder Fachverbänden erfragen, sofern es das nicht selbst beurteilen kann.
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In derartigen Fällen hat der Arbeitnehmer einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch darauf, dass ihm ein ergänztes Zeugnis erteilt wird.
Ob die Durchsetzungsfähigkeit einer Führungskraft ein gebräuchliches Merkmal der Leistungsbeurteilung ist, wird uneinheitlich gesehen: Während das LAG Hamm (27.4.00, 4 Sa 1018/99, NZA 02, 624) dies bejaht, ist die herrschende Meinung anderer Auffassung. Dies wird durch eine Untersuchung der Universität Erlangen-Nürnberg (vgl. Personalwirtschaft 2011, 35) gestützt, wonach dieses Merkmal nur in etwa 10 % der Zeugnisse von Führungskräften ausdrücklich genannt wurde.
Entsprechendes gilt für die Erwähnung der Zuverlässigkeit bei einem Kolonnenführer, weil es sich dabei nicht um eine berufsspezifische Eigenschaft handelt (LAG Hamm, 20.6.06, 19 Sa 1589/06); ohne weitere Begründung hat der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Aufnahme ins Zeugnis.
4. Die Benotung
In einem qualifizierten Arbeitszeugnis ist die zusammenfassende Endbeurteilung von ganz erheblicher Bedeutung. Da eingereichte Zeugnisse häufig nur überflogen werden, kann die Schlussnote den Ausschlag geben, ob der Bewerber zum Vorstellungsgespräch eingeladen wird oder nicht. Da sie somit für das weitere berufliche Fortkommen des Arbeitnehmers entscheidend ist, fordert das BAG: „Es genügt nicht, wenn dem Zusammenhang eines Zeugnisses zu entnehmen ist, dass es sich um ein ‚insgesamt’ gutes Zeugnis handelt. Im Interesse des Arbeitnehmers muss sich aus der Schlussnote auch dem eiligen Leser erschließen, ob er sich mit der Bewerbung näher befasst“ (BAG 14.10.03, 9 AZR 12/03, DB 04, 1270).
Wichtig | Die dem Arbeitnehmer erteilte Schlussnote muss mit der Beurteilung der einzelnen Leistungen vereinbar sein. Aus dem Gebot der Zeugnisklarheit ergibt sich, dass ein Zeugnis nicht in sich widersprüchlich sein darf.
Aus den Einzelbeurteilungen kann sich jedoch nur dann ein Anspruch auf eine bestimmte Endnote ergeben, wenn die Einzelbeurteilungen zwingend den Schluss auf die vom Arbeitnehmer verlangte bessere Endbeurteilung zulassen (BAG 14.10.03, 9 AZR 12/03, DB 04, 1270).
Welche Formulierungen der Arbeitgeber für die Gesamtbeurteilung verwendet und welches Beurteilungssystem er heranzieht, ist gesetzlich nicht vorgegeben: „Der Zeugnisleser darf nur nicht im Unklaren gelassen werden, wie der Arbeitgeber die Leistung des Arbeitnehmers einschätzt“ (BAG 14.10.03, 9 AZR 12/03, DB 04, 1270).
Der Arbeitgeber muss auch nicht die Notensysteme anwenden, die sich im Laufe der Zeit im Zeugniswesen herausgebildet haben; er kann Leistungen und Verhalten auch mittels anderer Formulierungen bewerten (BAG 21.6.05, 9 AZR 352/04, DB 05, 2360). Wenn er sie jedoch verwendet, ist das Zeugnis so zu lesen, wie es der Üblichkeit entspricht.
Checkliste / Notensystem Endbeurteilung | ||||||||
(vgl. BAG 14.10.03, 9 AZR 12/03, DB 04, 1270)
Die Noten 5 und 6 spielen in der Praxis keine große Rolle. Weitere Differenzierungen in Form von Zwischennoten sind möglich.
* auch: immer/durchgehend |
Obwohl es sich in der Zeugnissprache eingebürgert hat, gibt es das Wort =„vollste“ (grammatikalisch gesehen) nicht. Will der Arbeitgeber es nicht verwenden, kann er eine sehr gute Leistung mit anderen Worten bescheinigen (BAG 21.6.05, 9 AZR 352/04, DB 05, 2360) wie z.B. [zur] „größten“, „äußersten“, „höchsten“ oder „außerordentlichen“ [Zufriedenheit].
Checkliste / Notensystem Verhaltensbeurteilung | ||||||||
(vgl. LAG Hamm 17.6.99, 4 Sa 309/98)
Sein Verhalten zu Vorgesetzten, Arbeitskollegen, Mitarbeitern und Kunden war …
Steigerungen werden durch Zusätze wie „immer“, „ausnahmslos“ oder „durchweg“ ausgedrückt (BAG 21.6.05, 9 AZR 352/04, DB 05, 2360). |
Es ist üblich, dass insofern zuerst Vorgesetzte und erst danach Kollegen genannt werden. Nach Auffassung des LAG Köln (24.9.07, 14 Sa 539/07) kann die Reihenfolge aber auch von den Anforderungen des Arbeitsplatzes abhängen: Bei einem Arbeitnehmer, der vor allem selbst Vorgesetztenfunktion ausübt und für eine Vielzahl von Mitarbeitern verantwortlich ist, könne es wichtiger sein, zuerst sein Verhalten zu den ihm unterstellten Arbeitnehmern zu bewerten. Wenn das Arbeitsverhältnis hingegen von vertiefter Weisungsabhängigkeit geprägt ist, stehe das Verhalten gegenüber Vorgesetzten im Vordergrund. Dies erscheint zweifelhaft: In der Untersuchung der Universität Erlangen-Nürnberg (s.o. unter 3) wurde auf der Grundlage von 802 Zeugnissen festgestellt, dass in 84 % der Zeugnisse der Vorgesetzte zuerst und nur in 9 % der Fälle der Kollege vor dem Vorgesetzten genannt wurde.
Der Arbeitnehmer kann aus einer überdurchschnittlichen Leistungsbeurteilung kein Recht herleiten, dass auch sein Verhalten als „stets einwandfrei“ bewertet wird. Einen Automatismus dahingehend, dass eine überdurchschnittliche Leistungsbeurteilung zu einer überdurchschnittlichen Verhaltensbeurteilung führen muss, gibt es nicht (LAG Rheinland-Pfalz 14.5.09, 10 Sa 183/09, NZA-RR 10, 69).
5. Die Dankes- und Grußformel
Zwar ist es üblich, ein Zeugnis mit einem Dank für gute Zusammenarbeit und guten Wünschen für die Zukunft abzuschließen. Nach der Studie der Universität Erlangen-Nürnberg (s.o. unter 3.) enthielten 98 % der untersuchten Arbeitszeugnisse eine Klausel, in der zumindest Zukunftswünsche oder Dank und Bedauern geäußert wurden. Dementsprechend wird es häufig als Manko empfunden, wenn ein solcher Schlusssatz fehlt.
Das BAG ist jedoch der Auffassung, dass der Arbeitgeber ohne gesetzliche Grundlage nicht verurteilt werden könne, das Bestehen von persönlichen Empfindungen dem Arbeitnehmer gegenüber schriftlich zu bescheinigen. Zwar könnten positive Schlusssätze geeignet sein, die Bewerbungschancen des Arbeitnehmers zu erhöhen. Entscheidend sei jedoch, dass der Arbeitgeber damit Erklärungen abgibt, die über den von ihm geschuldeten Zeugnisinhalt hinausgehen.
Die Rechtsprechung zum beredten Schweigen in Zeugnissen lasse sich nicht auf das Fehlen von Schlusssätzen übertragen, denn „der kundige Zeugnisleser“ wisse, dass es keinen Anspruch auf den Ausdruck persönlicher Empfindungen in einer Schlussformel gebe und sich deshalb aus einem Arbeitszeugnis ohne Schlussformel nicht der Schluss ziehen lasse, der Verfasser habe hiermit eine besondere Aussage treffen und seine Leistungs- und Verhaltensbeurteilung relativieren wollen.
Dementsprechend gebe es auch keine Verpflichtung des Arbeitgebers, andere Empfindungen im Zeugnis nach den Vorstellungen des Arbeitnehmers auszudrücken. Sofern der Arbeitnehmer mit einer Schlussformel nicht einverstanden ist, hat er keinen Anspruch auf Ergänzung oder Umformulierung der Schlussformel, sondern nur auf Erteilung eines Zeugnisses ohne Schlussformel (BAG 11.12.12, 9 AZR 227/11, DB 13, 466).
6. Zeugnisstreitigkeiten vor Gericht
Erteilt der Arbeitgeber überhaupt kein Zeugnis, kann der Arbeitnehmer Klage vor dem Arbeitsgericht erheben.
Wichtig | Der Arbeitnehmer kann dann im Klageantrag den von ihm gewünschten Text vorgeben.
Der Arbeitgeber kann sich in dieser Situation gegen bestimmte Formulierungen nicht mit dem Argument wehren, dass sein Beurteilungsspielraum, der ihm bei der Abfassung des Zeugnisses zusteht, in unzulässiger Weise beeinträchtigt werde. Da er von seinem Recht, das Zeugnis abzufassen, keinen Gebrauch gemacht hat, muss er nicht nur exakt beanstanden, welche Formulierung des vom Arbeitnehmer gewünschten Zeugnisses inhaltlich falsch ist; er muss auch im Einzelnen darlegen, warum dies der Fall sein soll (LAG Hamm 28.3.00, 4 Sa 1578/99).
Weitaus häufiger sind jedoch Auseinandersetzungen über bereits erteilte Zeugnisse und vor allem über die Benotung. Der Normalfall ist - jedenfalls bislang - die Bescheinigung einer durchschnittlichen Leistung bzw. eines durchschnittlichen Verhaltens. Die Rechtsprechung billigt dem Arbeitgeber wegen seiner Erfahrungen mit verschiedenen Arbeitnehmern einen Beurteilungsspielraum zu, der gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist (BAG 14.10.03, 9 AZR 12/03, DB 04, 1270).
Möchte der Arbeitnehmer eine bessere Beurteilung erreichen, muss er darlegen und beweisen, dass er eine (sehr) gute Leistung erbracht bzw. ein (sehr) gutes Verhalten an den Tag gelegt hat. Dies ist sehr schwer und normalerweise nur durch frühere Leistungsbeurteilungen oder Zwischenzeugnisse zu erreichen. Davon darf der Arbeitgeber nämlich nur dann abweichen, wenn die späteren Leistungen des Arbeitnehmers dies rechtfertigen, und zwar auch dann, wenn das Zwischenzeugnis vom Betriebsveräußerer vor einem Betriebsübergang erteilt wurde und der Arbeitnehmer das Endzeugnis vom Betriebserwerber verlangt (BAG 16.10.07, 9 AZR 248/07, DB 08, 245).
Wichtig | Ein Zeugnis während einer Aus- oder Fortbildung verändert die Darlegungs- und Beweislast nicht zugunsten des Arbeitnehmers, denn dieses bezieht sich auf einen in sich abgeschlossenen Lebenssachverhalt; das Ende der Aus- oder Fortbildung ist eine Zäsur (LAG Hamm 13.2.07, 19 Sa 1589/06; LAG Hessen 28.3.03, 12 SaGa 1744/02).
PRAXISHINWEIS | Formale Fehler (z.B. Rechtschreib- und Grammatikfehler) sollte der Arbeitgeber auf entsprechende Rüge unverzüglich korrigieren, um einen unnötigen Prozess zu vermeiden. |
Verpflichtet sich der Arbeitgeber in einem Vergleich zur Erstellung eines pflichtgemäßen qualifizierten Zeugnisses entsprechend einem noch vorzulegenden Entwurf des Arbeitnehmers, darf er nicht ohne Weiteres von diesem Entwurf abweichen. Durch den Vergleich sei die Formulierungshoheit auf den Arbeitnehmer übertragen worden, sodass dieser darüber entscheiden könne, welche positiven oder negativen Leistungen er stärker hervorheben will; lediglich die Grenze der Zeugniswahrheit und Zeugnisklarheit sei zu berücksichtigen.
Der Arbeitgeber müsse den Vorschlag dennoch nicht ungeprüft und ohne jede Änderung übernehmen. Er könne prüfen, ob der vorgelegte Entwurf einem „pflichtgemäßen“ qualifizierten Zeugnis entspricht und ihn ggf. an die Vorgaben des § 109 GewO anpassen. Insbesondere sei er nicht verpflichtet, Grammatik-, Rechtschreib- oder Zeichensetzungsfehler zu übernehmen oder Verstöße gegen den Grundsatz der Zeugniswahrheit hinzunehmen. Bis zu dieser Grenze ist der Arbeitgeber jedoch im Wege der Zwangsvollstreckung anzuhalten, ein dem Entwurf des Arbeitnehmers entsprechendes Zeugnis zu erteilen (BAG 9.9.11, 3 AZB 35/11, DB 11, 2444).
PRAXISHINWEIS | Derartige Probleme lassen sich vermeiden, indem man sich vor Vergleichsabschluss auf einen ausformulierten Zeugnistext verständigt und diesen als Anlage zum Prozessvergleich nimmt. |
7. Bestandsaufnahme und Ausblick
Eigentlich sollen Arbeitszeugnisse ein umfassendes und realistisches Bild von Leistung und Verhalten der Arbeitnehmer zeichnen. Dennoch wird immer wieder beklagt, dass sie diesen Ansprüchen nicht gerecht werden:
- Viele Zeugnisse strotzen vor Rechtschreib- und Grammatikfehlern, was verdeutlicht, dass sich die Aussteller keine Mühe gegeben haben.
- Nicht selten werden Zeugnisse aus Angst vor gerichtlichen Auseinandersetzungen schwammig oder unzutreffend positiv verfasst.
- Es gibt immer wieder Gefälligkeitszeugnisse, die erkennbar von den Mitarbeitern selbst formuliert wurden.
Noch gravierender ist, dass der Notendurchschnitt in den vergangenen Jahren erheblich gestiegen ist. Studien zeigen, dass die Zahl der sehr guten Bewertungen erheblich gestiegen ist, wohingegen der Anteil der befriedigenden und unterdurchschnittlichen Zeugnisse zurückgeht.
Wenn Arbeitszeugnisse im Schnitt über 70 % gute und sehr gute Leistungen attestieren, stellt sich die Frage nach ihrer Aussagekraft. Kritiker fordern auch aus diesem Grund die Abschaffung des herkömmlichen Arbeitszeugnisses, zumal es dies in vergleichbarer Form außer in Deutschland nur in Österreich und der Schweiz gibt.
Da es dazu wahrscheinlich nicht kommen wird, dürfte die Notenverschiebung anderweitige Konsequenzen haben:
- Einerseits werden die Personalverantwortlichen verstärkt in anderen Bestandteilen des Arbeitszeugnisses nach belastbareren Aussagen über Leistung und Verhalten suchen.
- Andererseits werden die Arbeitgeber verstärkt dazu übergehen, wirklich gute und sehr gute Leistungen außerhalb des herkömmlichen Notensystems durch individuelle Formulierungen zu bescheinigen.
- Möglicherweise gibt es auch in die andere Richtung Versuche eines Gegensteuerns: Eine Studie der Personalmanagement Service GmbH (abrufbar unter www.arbeitszeugnis.de/images/studie_noten.pdf) hat festgestellt, dass „rund 80 % aller untersuchten Arbeitszeugnisse teils so gravierende Auffälligkeiten aufwiesen, dass die Gesamtnote nicht mehr glaubwürdig wirkte“.
- Früher oder später wird sich die Rechtsprechung die Frage stellen müssen, ob der „Normalfall“ eines Zeugnisses nicht mittlerweile die „gute“ Note ist, sodass die Trennlinie bei der Darlegungs- und Beweislast verschoben werden muss.