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  • · Fachbeitrag · Betriebsprüfung

    Hinzuschätzung bei Imbissbetrieb ist rechtswidrig

    von Dr. Stephan Peters, Warendorf

    | Kleinere Kassen- und Buchführungsmängel können auch in einem bargeldintensiven Betrieb den Aufzeichnungen nicht ohne Weiteres die Ordnungsgemäßheit nehmen und Hinzuschätzungen rechtfertigen (FG Münster 9.3.21, 1 K 3085/17, Abruf-Nr. 221836 ). |

    1. Sachverhalt

    Die Klägerin betreibt einen griechischen Imbiss. Ihren Gewinn ermittelt sie gemäß § 4 Abs. 3 EStG. Die Bareinnahmen erfasst sie mittels elektronischer Registrierkasse. Sie bewahrte die täglichen Bonrollen auf. Da die Klägerin und ihr Ehemann zunächst keine Erklärungen einreichten, schätzte das FA die Einnahmen, woraufhin die Klägerin nachträglich Steuererklärungen einreichte. Im Rahmen der angeordneten Außenprüfung führte der Kläger eine Bargeldverkehrsrechnung durch, die zu Fehlbeträgen führte. Im Rahmen des Berichts über die Betriebsprüfung listete der Prüfer die folgenden Mängel auf:

     

    • Die Erfassung von Pfandgelderstattungen (11,94 EUR) war fehlerhaft.
    • Differenzen im Kassenbestand seien erst später korrigiert worden, woraus der Prüfer schloss, dass der Abgleich Kassen-Ist und Kassen-Soll nicht täglich durchgeführt wurde.
    • Eine Geldtransitzahlung i. H. v. 400 EUR vom 9.7.12 sei erst am 10.7.12 erfasst worden.
    • Barumsätze am 13.12.13 seien nicht vollständig erfasst worden, da ein Umsatz i. H. v. 10,70 EUR fehlte.
    • Der Bratwursteinkauf sei am 7.4.14 erfasst worden, obwohl dieser erst am 8.4. erfolgt sei.
    • Einnahmen aus der Automatenabrechnung vom 5.8. seien erst am 7.8. erfasst worden, weshalb die Kassenbestände am 5.8. und 6.8. fehlerhaft seien.
    • Ferner wurden Barumsätze am 2.2.14 i. H. v. 33,95 EUR nicht erfasst.
    • Am 13.2.14 fehlten 14,30 EUR und 10,90 EUR.

     

    Aus Sicht des Prüfers entsprachen die vorgelegten Aufzeichnungen daher nicht den Erfordernissen der §§ 140 ff. AO, weshalb der Anscheinsbeweis der Richtigkeit der vorgelegten Unterlagen (§ 158 AO) widerlegt und zugunsten der Finanzverwaltung eine Schätzungsbefugnis nach § 162 AO gegeben sei. Der Prüfer führte zunächst eine Ausbeutekalkulation durch. Diese führte zu Mehreinnahmen zwischen 46.000 und 60.000 EUR pro Prüfungsjahr. Dadurch entwickelten sich die Rohgewinnaufschlagsätze im Prüfungszeitraum wie folgt:

     

    • Ermittlung der Rohgewinnaufschlagsätze
    2012
    2013
    2014

    Richtsätze

    133 ‒ 213 ‒ 376

    133 ‒ 213 ‒ 376

    144 ‒ 223 ‒ 376

    Vor BP

    156,18 %

    137,87 %

    159,74 %

    Nach BP

    257,25 %

    208,75 %

    250,54 %

     

    Im Nachgang wurden durch das beklagte Finanzamt geänderte Einkommensteuerbescheide, Gewerbesteuermessbescheide und Umsatzsteuerbescheide erlassen. Im Rahmen des Einspruchsverfahrens erklärte das beklagte Finanzamt, dass es sich bei der vorgenommenen Ausbeutekalkulation um eine zulässige Schätzungsmethode handele. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass das Finanzamt insbesondere für den Wareneinsatz von Fleisch einen Abschlag i. H. v. 30 % für Bratverluste und Schwund berücksichtigt habe.

    2. Entscheidungsgründe

    Im Umfang der eingelegten Einsprüche hatte die Klage Erfolg. Entgegen der Auffassung der Beklagten bestand im vorliegenden Fall aufgrund der festgestellten Mängel keine über die gewinnwirksame Korrektur der Beanstandungen hinausgehende Schätzungsbefugnis.

     

    Zwar seien die Aufzeichnungen der Klägerin nach dem Gesamtbild aller Umstände des Einzelfalls nicht formell ordnungsgemäß. Dies führt vorliegend jedoch nicht dazu, dass die Aufzeichnungen insgesamt verworfen werden können. Eine Buchführung ist nach der Rechtsprechung des BFH erst dann formell ordnungswidrig, wenn sie wesentliche Mängel aufweist oder die Gesamtheit aller unwesentlichen Mängel diesen Schluss fordert (BFH 2.12.08, X B 69/08). Dabei kommt es auf das Gesamtbild aller Umstände des Einzelfalls an. Formelle Mängel berechtigen nur dann zur Schätzung, soweit sie Anlass geben, die sachliche Richtigkeit des Buchführungsergebnisses anzuzweifeln (BFH 14.12.11, XI R 5/10). Eine Buchführung kann somit trotz einzelner Mängel als formell ordnungsgemäß erscheinen. In Geschäftsbereichen mit Bargeldverkehr können insbesondere Mängel der Kassenführung den gesamten Aufzeichnungen die Ordnungsgemäßheit nehmen (BFH 14.12.11, XI R 5/10).

     

    Da der Gewinn vorliegend mittels Einnahmen-Uberschussrechnung ermittelt wurde und § 4 Abs. 3 EStG keine Regelungen über den formellen Mindestinhalt der Aufzeichnungen enthält, können sich Aufzeichnungspflichten lediglich aufgrund weiterer Steuergesetze (§ 22 UStG) ergeben. Danach müssen die Aufzeichnungen die vereinbarten bzw. vereinnahmten (§ 20 UStG) Entgelte ausweisen. Ferner müssen die Aufzeichnungen so beschaffen sein, dass es einem sachverständigen Dritten innerhalb einer angemessenen Zeit möglich ist, einen Überblick über die Umsätze des Unternehmers und die abziehbare Vorsteuer zu erhalten und die Grundlagen für die Steuerberechnung festzustellen. Gemäß § 146 AO (damals geltende Fassung) sind die erforderlichen Aufzeichnungen zudem vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorzunehmen. Eine Verpflichtung zur Führung eines Kassenbuchs lässt sich bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG nicht aus § 22 UStG und § 63 UStDV herleiten.

     

    Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben führen die im Rahmen der Betriebsprüfung festgestellten Mängel angesichts ihres geringen sachlichen Gewichts und ihrer geringen Häufigkeit nach Ansicht des Gerichts nicht dazu, dass die Aufzeichnungen der Klägerin wesentliche Mängel aufweisen. Die von dem Betriebsprüfer angeführten und beanstandeten Geschäftsvorfälle fallen weder im Vergleich zur Gesamtheit der im Betrieb insgesamt angefallenen Geschäftsvorfälle, noch hinsichtlich ihrer Gewinnwirksamkeit ins Gewicht (2012: 11,94 EUR, 2013: 22,64 EUR; 2014: 59,15 EUR). Die nicht gegebene Kassensturzfähigkeit beschränkt sich auf einzelne, vorübergehende und kurze Zeiträume, die kein solches sachliches Gewicht aufweisen, dass die Aufzeichnungen als nicht mehr formell ordnungsgemäß zu betrachten sind. Weil der Rohgewinnaufschlagsatz nach den von der Klägerin erklärten Werten den untersten Rohgewinnaufschlagsatz in keinem Jahr unterschritt und konstant auf einem niedrigen Niveau lag, größere Schwankungen oder Gewinneinbrüche, die gegen eine Plausibilität sprechen könnten, somit nicht vorlagen, könne diese Verprobung die sachliche Richtigkeit der Aufzeichnungen nicht widerlegen, so das Gericht.

    3. Relevanz für die Praxis

    Das FG setzt mit seiner Entscheidung ein klares Zeichen für die Einhaltung der von der Rechtsprechung postulierten Vorgaben zur Verwerfung der Aufzeichnungen aufgrund formeller Mängel. Wenngleich das Urteil einen Sachverhalt betrifft, in welchem der Gewinn gemäß § 4 Abs. 3 EStG ermittelt wurde, entfaltet das Urteil auch für Bilanzierende eine Signalwirkung. Das klare Signal: Fehler passieren in jeder Branche, auch in bargeldintensiven Imbissbetrieben. Diese Fehler können aber nicht zwingend Aufzeichnungen oder bei Bilanzierenden der Buchführung die Beweiskraft nehmen. Die Finanzverwaltung muss sich vielmehr intensiver mit der Fehlerhäufigkeit und Fehlergewichtung auseinandersetzen und erläutern, aus welchen Gründen die Beweiskraft der Buchführung widerlegt ist oder Aufzeichnungen insgesamt zu verwerfen sind. Der Begründungs- und Darlegungsaufwand liegt aufseiten der Finanzverwaltung.

     

    Beachten Sie | Das Gericht weist noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass das Unterschreiten des untersten Rohgewinnsatzes der Richtsatzsammlung regelmäßig nicht geeignet ist, die Vermutung für die sachliche Richtigkeit formell ordnungsgemäßer Aufzeichnungen zu widerlegen (BFH 18.10.83,VIII R 190/82).

     

    Wenngleich die Klage überwiegend Erfolg hatte, konnten die Kläger bezüglich des Umsatzsteuerbescheids für das Jahr 2012 nicht obsiegen. Hintergrund war eine verfahrensrechtliche Problematik, weil nach den Feststellungen des Gerichts der Einspruch lediglich gegen die Umsatzsteuerbescheide 2013 und 2014 eingelegt worden war, da der Umsatzsteuerbescheid 2012 in dem Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht ausdrücklich benannt war. Damit fehlte es an einem fristgerechten Einspruch gegen den Umsatzsteuerbescheid 2012, weshalb der Bescheid in Bestandskraft erwuchs. Auch aus der Einspruchsbegründung ‒ die noch immer im Rahmen der Einspruchsfrist einging ‒ ergaben sich nach Ansicht des Gerichts keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die ausdrücklich erklärten Einsprüche auch auf den Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2012 erstrecken sollen. Da das Gericht von einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten ausging, kam eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand (§ 110 Abs. 1 S. 1 AO) vorliegend nicht in Betracht.

    Quelle: Ausgabe 05 / 2021 | Seite 112 | ID 47358449