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300 Tage Mindestlohngesetz: Die 15 wichtigsten (Folge-)Fragen und Antworten!
von RA Dirk Helge Laskawy, FAArbR, Aderhold Rechtsanwaltsgesellschaft GmbH, Leipzig
| Kaum ein arbeitsrechtliches Thema war politisch und rechtlich so umstritten wie die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns zum 1.1.15. Alle Arbeitnehmer (ArbN) in Deutschland haben einen Mindestanspruch auf Zahlung von 8,50 EUR brutto je Zeitstunde - klingt einfach, ist kompliziert. Das Gesetz wirft eine Reihe von Folgefragen auf, die Antworten darauf überlässt der Gesetzgeber der Praxis. Der Beitrag gibt Antworten auf die 15 wichtigsten Fragen. |
1. Was ist unter Vergütung „je Zeitstunde“ zu verstehen?
Nach § 1 Abs. 2 S. 1 MiLoG beträgt „die Höhe des Mindestlohns […] brutto 8,50 EUR je Zeitstunde“. Das heißt nicht, dass Arbeitgeber (ArbG) dazu übergehen müssen, in den Arbeitsverträgen Stundenlöhne zu vereinbaren. Eine Vereinbarung im Arbeitsvertrag über ein (festes) Monatsgehalt bleibt möglich. So lange das Bruttogehalt rechnerisch zu einem Stundenlohn von 8,50 EUR brutto (oder mehr) pro geleisteter Stunde führt, spielt es keine Rolle, wie die Vergütungsabrede konkret gestaltet ist. Auch die Vereinbarung einer variablen Vergütungsform wie Stück-, Akkord- oder Leistungslohn bleibt erhalten, wenn der Mindestlohn für die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden erreicht wird. Dies gilt auch für pauschale Monatsvergütungen ohne konkrete Arbeitszeit und für geringfügig Beschäftigte.
PRAXISHINWEIS | Für alle Vergütungssysteme gilt der Grundsatz, dass der im Kalendermonat tatsächlich ausbezahlte Bruttolohn geteilt durch die monatliche Arbeitszeit rechnerisch zu einem Stundenlohn von 8,50 EUR führen muss. Einen fehlenden (Differenz-) Betrag muss der ArbG an den ArbN auszahlen. |
2. Welche Zahlungen des ArbG sind anrechenbar?
Neben dem Festgehalt gibt es weitere Leistungen des ArbG, die Entgeltcharakter haben bzw. haben können. Welche Vergütungsbestandteile auf den Mindestlohn anrechenbar sind und welche zusätzlich gezahlt werden müssen, regelt das Gesetz nicht.
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Die Bundesregierung verweist (in einer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrats) auf die von EuGH und BAG in der Rechtsprechung zur Entsenderichtlinie RL 96/71/EG bzw. zum AEntG entwickelten Grundsätze. Neben der Grundvergütung sind diejenigen Leistungen des ArbG anrechenbar, die
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Umgekehrt werden Zahlungen nicht berücksichtigt, wenn sie das Verhältnis zwischen der „Normalleistung“ und dem Arbeitslohn verändern, also als Ausgleich für zusätzliche Leistungen, aus sozialen oder betrieblichen Gründen oder aus sonstigen eigenen Zwecken gezahlt werden. Entscheidend ist daher - vorbehaltlich anderslautender gesetzlicher oder tariflicher Regelungen -, ob und wie die Vertragsparteien die „Normalleistung“ als arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit definiert haben.
3. Was gilt für Überstunden?
Die Anrechenbarkeit von Überstunden richtet sich nach der tarif- oder einzelvertraglichen Lohnabrede. Soweit Überstunden arbeitsvertraglich vorgesehen sind und mit dem Lohn pauschal abgegolten werden, ist eine Anrechnung möglich. Im Ergebnis ist auch hier wieder der Grundsatz zu wahren, dass der tatsächlich ausbezahlte Lohn geteilt durch die monatliche Arbeitszeit - einschließlich der Überstunden - rechnerisch zu einem Stundenlohn von 8,50 EUR brutto führen muss. Ein eventuell fehlender Teilbetrag ist zusätzlich auszubezahlen. Soweit die Überstunden über dem arbeitsvertraglich vereinbarten Arbeitszeitvolumen liegen, können sie nicht auf den Mindestlohn angerechnet werden, da sie der Grundvergütung nicht „funktional gleichwertig“ sind. Ihre Anrechnung würde das Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung im Bereich der Grundvergütung zum Nachteil des ArbN verschieben.
4. Werden Sonderzahlungen, Gratifikationen und Provisionen berücksichtigt? Was gilt für Zuschläge und Zulagen?
Nicht angerechnet werden können Leistungen, die als Kompensation für besondere Erschwernisse oder als Kostenaufwand gezahlt werden, etwa
- Zuschläge für Sonn- und Feiertagsarbeit,
- Nachtzuschläge,
- (Wechsel-)Schichtzuschläge,
- Schmutz- und Gefahrenzulagen,
- Akkord- und Qualitätsprämien.
Aber auch Trinkgelder, Dienstkleidungskosten, Kinderzuschläge, Fortbildungskosten und Mankogelder können nicht berücksichtigt werden.
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Aufwendungsersatz für dienstlich veranlasste Kosten, wie Kosten für Unterkunft und Verpflegung, ist ebenfalls nicht anrechenbar. Diese Leistungen sollen nicht die „Normalleistung“ vergüten. Der Zweck dieser Leistungen ist daher funktionell nicht gleichwertig mit dem des Mindestlohns. |
Ferner bleiben vermögenswirksame Leistungen oder ArbG-Beiträge zu einer betrieblichen Altersversorgung unberücksichtigt, da auch deren Zweck nicht die Vergütung der „Normalleistung“, sondern die Erreichung eines sozialpolitischen Ziels ist. Eine Ausnahme hiervon gilt bei einer Entgeltumwandlung nach § 1a BetrAVG, die nach der Gesetzesbegründung nicht unter § 3 S. 2 MiLoG fällt. Eine Vereinbarung über die Entgeltumwandlung ist daher auch im Mindestlohnbereich zulässig und gilt nicht als Schmälerung des Mindestlohns. Folgerichtig sind entsprechende Zahlungen aber auf den Mindestlohn anrechenbar.
Bei Wegegeldern ist zu differenzieren: Vergüten sie die Zeit, die der ArbN zur Zurücklegung des Weges aufgewandt hat, sind sie dem Arbeitsentgelt zuzuordnen und anzurechnen, wenn sie die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung des ArbN honorieren. Sollen sie demgegenüber einen Ausgleich für eine Fahrzeugnutzung darstellen, etwa des privaten Pkw im Interesse des Unternehmens, finden die Grundsätze über den Aufwendungsersatzanspruch Anwendung. Hier ist eine Anrechnung auf den Mindestlohn nicht möglich.
Einmalzahlungen wie Weihnachts- oder Urlaubsgeld oder ein 13. Gehalt können nur als Bestandteil des Mindestlohns gewertet werden, wenn dem ArbN der auf die Beschäftigungszeit entfallende anteilige Betrag zu dem maßgeblichen Fälligkeitsdatum des Mindestlohns (§ 2 Abs. 1 MiLoG) tatsächlich und unwiderruflich ausgezahlt worden ist. Ein einmal im Jahr gezahltes Urlaubsgeld kann also nicht auf die übrigen elf Monate „umgelegt“ werden.
Leistungs- und Qualitätsprämien sind grundsätzlich nicht berücksichtigungsfähig. Mit ihnen wird eine über das Normalmaß hinausgehende Arbeitsleistung entgolten (Lakies, Basiskommentar zum MiLoG, § 1 Rdn. 47; Preis, Schriftliche Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung am 30.6.14, Ausschussdrucksache 18 (11) 148 Seite, 80; aA: AG 20.4.15, 5 Ca 1675/15, Abruf-Nr. 144670)
Voraussetzung der Anrechnung ist, dass eine monatliche Auszahlung stattfindet und die Vergütung nicht zurückgefordert werden kann. So können Provisionszahlungen bzw. Umsatzbeteiligungen nur im Monat der Zahlung auf den Mindestlohn angerechnet und nur berücksichtigt werden, wenn sie unwiderruflich sind. Wenn Provisionsregelungen sogenannte Stornierungsklauseln enthalten, kann die Provisionszahlung nicht auf den Mindestlohn angerechnet werden.
5. Können Sachleistungen angerechnet werden?
Sofern Sachbezüge privatnützig gewährt werden, einen geldwerten Vorteil darstellen und die reguläre Arbeitsleistung honorieren, sind sie auf den Mindestlohn anzurechnen. Das MiLoG enthält keine ausdrückliche Bestimmung, wonach der Mindestlohn in EUR auszuzahlen ist. Die Anrechnung privatnütziger Sachleistungen ist mit den Zwecken des Mindestlohns vereinbar, da auch diese Leistungen dazu beitragen, den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Sie sind zudem Teil der funktionalen Gleichwertigkeit und vergüten i.d.R. die Normalleistung.
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Anrechenbar sind insbesondere die Privatnutzung von Dienstwagen, Tankgutscheine, Jobtickets, Gewährung freiwilliger Kost und Logis für Saisonkräfte und die Nutzung von Werks- und Dienstwohnungen. Die Bewertung von Sachbezügen erfolgt nach § 8 EStG und der Sozialversicherungsentgeltverordnung (SVEV). |
PRAXISHINWEIS | Zu beachten ist - vor allem im Niedriglohnsektor - die Grenze des § 107 Abs. 1 GewO. Demnach ist das Arbeitsentgelt grundsätzlich in EUR auszuzahlen.
Sachbezüge können vereinbart werden, wenn dies im Interesse des ArbN geschieht oder der Eigenart des Arbeitsverhältnisses entspricht. Der Wert der vereinbarten Sachbezüge oder die Anrechnung der überlassenen Waren auf das Arbeitsentgelt darf die Höhe des pfändbaren Teils des Arbeitsentgelts nicht übersteigen (vgl. § 107 Abs. 2 S. 5 GewO i.V.m. § 850c Abs. 1 ZPO). Sachbezüge sind hiernach maximal in Höhe des Differenzbetrags, um welchen die Mindestlohnschwelle die Pfändungsfreigrenze überschreitet, anzurechnen. |
6. Was ist bei Arbeitszeitkonten und Wertguthaben zu beachten?
Im Grundsatz ist der ArbG nach § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 MiLoG verpflichtet, dem ArbN den Mindestlohn für sämtliche tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden zum vereinbarten Fälligkeitszeitpunkt zu zahlen. Der Mindestlohn ist nach § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 MiLoG spätestens am letzten Bankarbeitstag (Referenzort: Frankfurt a.M.) des Monats fällig, der auf den Monat folgt, in dem die Arbeitsleistung erbracht wurde. Flexibilität hinsichtlich der Fälligkeit der Lohnzahlung ermöglicht aber die Errichtung von Arbeitszeitkonten. Hierzu enthält § 2 Abs. 2 MiLoG eine Öffnungsklausel. Demgemäß kann Arbeitszeit, welche den vertraglich geschuldeten Umfang übersteigt, auf ein schriftlich (durch Arbeitsvertrag, Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung) fixiertes Arbeitszeitkonto gebucht werden.
Nach § 2 Abs. 2 S. 3 MiLoG darf in das Arbeitszeitkonto monatlich maximal ein Arbeitszeitguthaben von bis zu 50 % der vertraglich geschuldeten Arbeitszeit eingebracht werden. Ein Ausgleich hat spätestens zwölf Monate nach Erfassung der Arbeitszeit durch bezahlte Freizeitgewährung oder Zahlung des Mindestlohns zu erfolgen. Diese Begrenzungen gelten nur, soweit der Mindestlohnanspruch für die tatsächlich erbrachten Arbeitsstunden (einschließlich Überstunden) nicht durch Zahlung des verstetigten Entgelts erfüllt ist.
PRAXISHINWEIS | Erhält der ArbN im Fälligkeitszeitraum mindestens eine Vergütung von 8,50 EUR für jede tatsächlich geleistete Arbeitsstunde, steht es den Parteien offen, über die Höhe des eingebrachten Guthabens und den Ausgleichszeitraum zu disponieren. Die Beschränkungen des § 2 Abs. 2 MiLoG gelten nicht. Wird das Arbeitsverhältnis vorzeitig beendet (beispielsweise durch Kündigung), hat der Ausgleich binnen eines Monats nach Vertragsende zu erfolgen. |
Die Folgen der Überschreitung der 50 %-Grenze regelt das Gesetz nicht. Grundsätzlich ist aber die „erbrachte Arbeitsleistung“ mit dem Mindestlohn zu vergüten. Die 50 %-Grenze soll verhindern, dass der Mindestlohnanspruch durch unbeschränkte Arbeitszeitflexibilisierung umgangen wird. Überschreitet der ArbG diese Grenze, verstößt er gegen das MiLoG und riskiert die Verhängung von Bußgeldern.
§ 2 Abs. 1 und 2 MiLoG gilt nicht für Wertguthabenvereinbarungen nach dem SGB IV (was sich aus § 2 Abs. 3 MiLoG ergibt). Derartige Vereinbarungen müssen die Vorgaben des MiLoG weder im Hinblick auf die Fälligkeit des Mindestlohns noch auf Arbeitskonten beachten. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass diese Wertguthaben aufgrund der Regelung im SGB IV gesichert sind. Er bezieht dies ausdrücklich auch auf Altersteilzeitvereinbarungen nach dem AltersteilzeitG (BT-Drs. 18/1558 B, S. 41).
7. Wirkt sich die neue Situation auf höhere Vergütungen aus?
Das MiLoG ist - vorbehaltlich des persönlichen Geltungsbereichs - auf alle ArbN unabhängig von der Höhe ihres individuellen Arbeitsentgeltanspruchs anwendbar. Auswirkungen auf individual- oder kollektivrechtliche Vereinbarungen, die Vergütungen oberhalb des Mindestlohns vorsehen, hat es vorerst nicht.
Das MiLoG spielt aber z.B. dann eine Rolle, wenn der ArbN gestaltend über sein Gehalt „verfügt“, wie bei einem gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleich über die Entgeltansprüche oder bei vertraglichen Ausschlussklauseln. § 3 MiLoG geht von der Unabdingbarkeit des Mindestlohns aus. Ausschlüsse sind daher nur wirksam, wenn sie eine Aufspaltung von Mindestlohn und Normallohn vorsehen und oberhalb des Mindestlohns wirken. Bei arbeitsvertraglichen Ausschlussfristen muss entweder die Klausel so gestaltet werden, dass deutlich wird, dass der Mindestlohnanteil nicht erfasst ist, weil sie sonst als intransparent i.S.d. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB angesehen werden könnte. Oder es sind Ausschlussklauseln unverändert zulässig, aber im Wege der Auslegung so zu verstehen, dass sie nur den Anteil oberhalb des Mindestlohns erfassen.
8. Was ist unter Auftraggeberhaftung/Generalunternehmerhaftung zu verstehen?
Das MiLoG begründet nicht nur die Pflicht des ArbG, den Mindestlohn selbst zu zahlen, sondern erklärt in § 13 MiLoG die Vorschrift des § 14 AEntG für anwendbar. § 14 AEntG enthält eine sehr weitgehende Haftungsregelung für Unternehmer, die als Auftraggeber fungieren und einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen zur Erledigung der an sich ihnen obliegenden Aufgaben einschalten. Solche Unternehmer haften - verschuldensunabhängig - für
- die Verpflichtung ihres Auftragnehmers,
- eines vom Auftragnehmer beauftragten weiteren Auftragnehmers (Nachunternehmer) oder
- eines vom Auftragnehmer oder einem Nachunternehmer beauftragten Verleihers,
ihren ArbN das Mindestentgelt zu zahlen wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat. Die Vorschrift soll die Einhaltung des MiLoG stärken, indem sie den Auftraggeber veranlasst, darauf zu achten, dass die von ihm beauftragten Unternehmen den Mindestlohn bezahlen. Der ArbG haftet nur für das Nettoentgelt. Zahlt ein Subunternehmer seinen ArbN nicht den Mindestlohn, können diese ihr Wahlrecht ausüben. Zudem können sie den Unternehmer, der die Werk- oder Dienstleistung in Auftrag gegeben hat, auf Zahlung des Mindestlohns in Anspruch nehmen. Der Unternehmer kann dann nicht einwenden, die ArbN sollten sich zunächst an ihren ArbG und unmittelbaren Vertragspartner halten. Dieses Wahlrecht wird daher vor allem bei einer Insolvenz von Subunternehmern Bedeutung haben.
Vermutlich wird auch im Bereich der Bürgenhaftung die Auslegung aus dem AEntG auf die Auftraggeberhaftung im MiLoG übertragen werden. Danach gelten nur solche Unternehmen als Subunternehmen, die unmittelbar eigene Aufgaben des Auftraggebers im Verhältnis zu dessen Kunden wahrnehmen, sodass nicht alle Werk- und Dienstleistungsverträge im Anwendungsbereich der Haftungsregelung sind.
9. Welche Kontrollmechanismen gibt es?
Die Einhaltung der Mindestlohnbestimmungen wird von der Bundeszollverwaltung, der sogenannten Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FSK), kontrolliert, die bisher schon im Rahmen des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes zuständig war (§ 14 MiLoG). Branchenunabhängig wird die FSK Lohn- und Meldeunterlagen überprüfen. Zudem wird auch die Sozialversicherungsprüfung auf die Einhaltung des Mindestlohns achten.
10. Folgen der Nichtbeachtung des Mindestlohns?
Bei Verstößen gegen die Pflicht zur rechtzeitigen Zahlung des Mindestlohns oder bei schuldhaftem - erheblichen - Einsatz eines Auftragnehmers, der den Mindestlohn nicht zahlt oder der seinerseits Nachunternehmer einsetzt, die den Mindestlohn nicht zahlen, kann eine Geldbuße in Höhe von bis zu 500.000 EUR (vgl. § 21 Abs. 1 Nr. 9, Abs. 2 MiLoG) verhängt werden. In den übrigen Fällen (bei Verstößen gegen die Meldepflichten oder fehlender Mitwirkung bei Prüfungen, vgl. §§ 15, 16, 17 MiLoG) können Geldbußen bis zu 30.000 EUR festgesetzt werden.
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Bei der Berechnung der Bußgeldhöhe wird die übliche Formel eingesetzt: Geldbuße = nicht bezahlter Mindestlohn x 2 + 30 %. Bei vorsätzlichem Handeln wird die Summe verdoppelt. |
Wird der Mindestlohn vorsätzlich unterschritten, so kann dies ferner den Straftatbestand des Vorenthaltens von Sozialversicherungsentgelten nach § 266a StGB erfüllen. Daneben liegt eine Strafbarkeit im Sinne von § 291 StGB (Wucher) nahe. Zudem droht einem ArbG der Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge, wenn gegen ihn eine Geldbuße von wenigstens 2.500 EUR festgesetzt worden ist. Weiterhin müssen Nachzahlungen von Lohnsteuer und Sozialversicherung, ausgehend vom Mindestlohn, geleistet werden.
11. Wie ist der Mindestlohnanspruch durchzusetzen?
Sollte eine außergerichtliche Einigung scheitern, muss der ArbN gegen seinen ArbG beim zuständigen Arbeitsgericht Klage auf Zahlung des (vollen) Mindestlohns erheben. Rechtsgrundlage des Lohnanspruchs ist § 1 MiLoG. Mindestlohnansprüche unterliegen der Regelverjährung von drei Jahren.
12. Gibt es bereits erste Urteile?
Das AG Berlin (4.3.15, 54 Ca 14420/14, Abruf-Nr. 144030) hat eine Änderungskündigung für unwirksam erklärt. Der ArbG kündigte das Arbeitsverhältnis und bot dem ArbN gleichzeitig an, es mit einem Stundenlohn von 8,50 EUR (statt 6,44 EUR) bei Wegfall der Leistungszulage, des zusätzlichen Urlaubsgelds und der Jahressonderzahlung fortzusetzen. Eine solche Anrechnung hielten die Berliner Arbeitsrichter für unzulässig. Der Mindestlohn solle unmittelbar die Arbeitsleistung entgelten. Andere Leistungen, wie das Urlaubsgeld und eine Jahressonderzahlung, die sich an der Dauer der Betriebszugehörigkeit bemessen, dienten diesem Zweck hingegen nicht. Daher dürften diese Leistungen nicht auf den Mindestlohn angerechnet werden. Eine Änderungskündigung, mit der diese unzulässige Anrechnung erreicht werden solle, sei unzulässig.
13. Welche Pflichten treffen den ArbG neben dem Mindestlohn?
Den ArbG treffen zum einen Mitwirkungspflichten bei Überprüfungen des Unternehmens durch die FSK. Er hat auch die Pflicht, Unterlagen vorzulegen, die Auskunft über die Einhaltung des Mindestlohns geben (§ 15 MiLoG).
ArbG mit Sitz im Ausland sowie Entleiher von ArbN von Verleihunternehmen mit Sitz im Ausland, die ArbN in den unter § 2a SchwarzArbG genannten Wirtschaftsbereichen beschäftigen, unterliegen darüber hinaus besonderen Meldepflichten (§ 16 MiLoG). Der ArbG ist verpflichtet, vor Beginn jeder Werk- oder Dienstleistung eine schriftliche Anmeldung in deutscher Sprache bei der zuständigen Behörde der Zollverwaltung vorzulegen, die die für die Prüfung wesentlichen Angaben enthält. Dies ist bei einer Meldung spätestens an einem Werk- bzw. Arbeitstag vor Aufnahme der Tätigkeit gegeben. Als wesentlich gelten
- Angaben über den Familiennamen, den Vornamen und das Geburtsdatum der von ihm im Geltungsbereich dieses Gesetzes beschäftigten ArbN,
- der Beginn und die voraussichtliche Dauer der Beschäftigung,
- der Ort der Beschäftigung,
- der Ort im Inland, an dem die nach § 17 MiLoG erforderlichen Unterlagen bereitgehalten werden,
- der Familienname, der Vorname, das Geburtsdatum und die Anschrift in Deutschland der oder des verantwortlich Handelnden und
- den Familiennamen, den Vornamen und die Anschrift in Deutschland einer oder eines Zustellungsbevollmächtigten, soweit diese oder dieser nicht mit der oder dem verantwortlich Handelnden identisch ist. Zudem sind Änderungen hinsichtlich der Angaben unverzüglich zu melden.
Bestimmte ArbG trifft nach § 17 MiLoG die Pflicht zur Aufzeichnung von Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit. Dies betrifft die in § 2a SchwarzArbG genannten Branchen, d.h. alle Beschäftigungsverhältnisse u.a. des Baugewerbes, der Gastronomie, des Speditionsgewerbes, des Messebaus oder der Fleischwirtschaft, daneben aber auch - branchenunabhängig - alle geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, wie Minijobber oder kurzfristig Beschäftigte. Die Aufzeichnungen müssen spätestens am siebten Kalendertag, welcher auf den Tag der Arbeitsleistung folgt, getätigt sein. Sie müssen mindestens zwei Jahre aufbewahrt werden. Entsprechendes gilt für Unternehmen die als Entleiher Leih-ArbN in ihren Betrieben einsetzen.
Die Mindestlohnaufzeichnungsverordnung (MiLoAufzV) sieht zudem für ausschließlich mobile Tätigkeiten unter bestimmten Voraussetzungen Vereinfachungen der Aufzeichnungspflicht vor. In den in § 2a SchwarzArbG genannten Branchen schränkt die Mindestlohndokumentationsverordnung (MiLoDokV) die Aufzeichnungspflicht ein, wenn das verstetigte regelmäßige Monatsentgelt brutto 2.000 EUR (seit 1.8.2015) überschreitet.
14. In welchem Verhältnis steht das MiLoG zu anderen gesetzlichen Lohnschranken?
Das MiLoG tritt hinter andere Mindestlohnregelungen in der Regel zurück. In Betracht kommen die auf der Grundlage des AEntG und des AÜG ergangenen Verordnungen zur Etablierung tariflicher Mindestlöhne bzw. Lohnuntergrenzen sowie die nach § 5 TVG für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge i.S.v. § 4 Abs. 1 Nr. 1 AEntG sowie §§ 5, 6 AEntG. Damit haben alle anderen Rechtsgrundlagen, die einen verbindlichen Mindestlohn etablieren, Vorrang vor dem MiLoG. Allerdings gilt dies nur insoweit, als diese Rechtsgrundlagen den gesetzlichen Mindestlohn erreichen oder überschreiten. Falls dies nicht der Fall ist, gilt insoweit für die Höhe des Mindestlohns das MiLoG. Hinsichtlich der übrigen Regelungen bleiben die anderen Regelwerke - AEntG und AÜG - anwendbar. Dies ergibt sich aus der Formulierung „soweit“ in § 1 Abs. 3 S. 1 MiLoG.
PRAXISHINWEIS | Bis zum 31.12.17 gehen abweichende Regelungen eines Tarifvertrags dem Mindestlohn vor, wenn sie für alle unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden ArbG mit Sitz im In- oder Ausland sowie deren ArbN nach den Regeln des AEntG oder § 3a AÜG verbindlich gemacht worden sind. Ab dem 1.1.17 müssen abweichende Regelungen jedoch mindestens ein Entgelt von 8,50 EUR brutto je Zeitstunde vorsehen (§ 24 MiLoG). |
Ferner kann nach der Rechtsprechung des BAG zur Sittenwidrigkeit unabhängig vom Mindestlohn ein Anspruch auf Lohn oberhalb von 8,50 EUR bestehen (BGA 18.4.12, 5 AZR 630/10, NZA 12, 978). Ein Arbeitslohn kann also auch in einem auffälligen Missverhältnis zur Arbeitsleistung stehen, wenn er über den Mindestlohn hinausgeht. Bei § 138 BGB ist nicht maßgeblich, dass die Vergütung abstrakt gesehen unter einer bestimmten Mindestgrenze liegt, sondern dass sie in keinem angemessenen Verhältnis zum objektiven Wert der Leistung des ArbN steht. Anstelle der nichtigen Lohnvereinbarung tritt bei Sittenwidrigkeit gemäß § 612 Abs. 2 BGB die übliche Vergütung, die sich in der Regel an der tariflichen Referenzvergütung im jeweiligen Wirtschaftsgebiet orientiert. Diese muss stets die Lohngrenze von 8,50 EUR erreichen.
§ 3 MiLoG verbietet ferner insoweit eine Abweichung von den Regelungen des MiLoG, weshalb individualvertragliche Vereinbarungen, die die Grundsätze des MiLoG einschränken, neben diesem nicht bestehen können.
15. Was sollte künftig bei Arbeitsverträgen beachtet werden?
Bei Arbeitsverträgen verdient die Definition der „Normalleistung“ besonderes Augenmerk. Es sollte hier eine genaue Leistungsbeschreibung erfolgen. Zulagen sollten in den „Grundlohn“ überführt werden. Einmalige Vergütungsbestandteile sollten auf den Monat umgelegt werden.
PRAXISHINWEIS | Bestehende Vergütungsvereinbarungen sollten auf Anpassungsbedarf überprüft werden. Der ArbG kann bestehende Verträge nicht einseitig ändern. Hier ist er auf die Mitwirkung des ArbN angewiesen. Insgesamt empfiehlt es sich für ArbG, die Neuverträge so zu gestalten, dass Zulagen und Zuschläge darauf beschränkt werden, nur noch wirklich benötigte Sondertatbestände zusätzlich zu honorieren. Alles andere wird als Bestandteil der Festvergütung für die „Normalleistung“ vereinbart. Jahreszahlungen sollten im Abrechnungsmodus umgestellt werden auf eine anteilige monatliche Zahlung von 1/12 vor der vereinbarten Fälligkeit, damit sie auf den Mindestlohn angerechnet werden können. Generell sollte auf die korrekte Erfassung der Arbeitszeiten im Betrieb geachtet werden. Der Monatslohn muss geteilt durch die geleisteten Stunden 8,50 EUR brutto betragen. |
Bei arbeitsvertraglichen Ausschlussfristen sollte eine Regelung aufgenommen werden, dass der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn nicht erfasst ist. Bei gerichtlichen Vergleichen über zukünftiges Entgelt sollte darauf geachtet werden, dass rechnerisch nachweisbar für zukünftige Monate mindestens der Mindestlohnanteil an den ArbN gezahlt wird. Das gilt bei außergerichtlichen Vergleichen für vergangene und künftige Zeiträume. So kann einem späteren Nachforderungsverlangen des ArbN entgegengewirkt werden.
Sofern ein Subunternehmen beauftragt wird, sollten bei der Auftragsvergabe Vorkehrungen getroffen werden, die das Risiko der Inanspruchnahme durch die ArbN gering halten. Dies kann z.B. geschehen durch
- sorgfältige Auswahl des Auftragnehmers,
- Plausibilitätsprüfung des Angebots (Kann die angefragte Leistung bei Zahlung des Mindestlohns gewinnbringend erbracht werden?),
- Aufnahme einer Garantie des Auftragnehmers über die stetige und fristgerechte Zahlung des Mindestlohns im Vertrag (ggf. zusätzlich versehen mit einer Vertragsstrafe),
- Verpflichtung des Auftragnehmers, bei Einsatz von Nachunternehmen dafür zu sorgen, dass diese sich ebenfalls zur Zahlung des Mindestlohns vertraglich verpflichten.