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  • · Fachbeitrag · Produkthaftung

    Neue EU-Produkthaftungsrichtlinie in Kraft getreten: Darauf sollten sich Unternehmen jetzt vorbereiten

    von Prof. Dr. Ralf Jahn, Würzburg

    | Am 8.12.24 ist die neue EU-Produkthaftungsrichtlinie (ProdHaftRL) in Kraft getreten, die von den Mitgliedstaaten bis spätestens 9.12.26 umzusetzen ist und einen neuen Rahmen für Schadenersatzansprüche bei Schäden durch fehlerhafte Produkte schafft. BBP informiert Sie über die Eckpunkte der Neuregelung und wie sich Unternehmen bereits jetzt vorbereiten können. |

    1. Hintergrund

    Grundlage der Produkthaftung in Deutschland ist das Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG, 15.12.89, BGBl I 89, 2198), das das deutsche Schadenersatzrecht ergänzt und auf Basis der EU-ProdHaftRL von 1985 (Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25.7.85 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte) erlassen wurde. Wird ein fehlerhaftes Produkt (bewegliche Sache außer Arzneimittel) hergestellt, das zu einem Personen- oder Sachschaden führt, haftet der Hersteller (selbst bei sog. Ausreißern) und muss dem Geschädigten den Schaden ersetzen. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Hersteller den Produktfehler verschuldet hat, da die Haftung unabhängig vom Verschulden des Herstellers eintritt (sog. Gefährdungshaftung). Verursacht das fehlerhafte Produkt einen Schaden an einer anderen Sache, liegt ein Sachschaden vor. Für solche Sachschäden haftet der Hersteller aber nur, wenn die beschädigte Sache üblicherweise dem privaten Ge- oder Verbrauch dient und entsprechend verwendet wird.

     

    Beachten Sie | Der Sachschaden i. S. d. ProdHaftG ist nicht zu verwechseln mit dem Schaden am fehlerhaften Produkt selbst. Für Schäden am Produkt selbst haftet der Hersteller zusätzlich nach der Mängelhaftung im Kaufrecht.

     

    Neben dem Hersteller des Produkts haften auch der Importeur des Produkts und derjenige, der sein Logo oder seine eigene Marke auf dem Produkt des Herstellers anbringt (sog. Quasi-Hersteller), gesamtschuldnerisch. Auch der Händler kann haftbar gemacht werden, wenn der Hersteller nicht festgestellt werden kann oder wenn der Händler nicht in der Lage ist, innerhalb eines Monats den Hersteller oder den Lieferanten des Herstellers zu benennen.

    2. Entstehung und Zielsetzung der neuen ProdHaftRL

    Die EU-Kommission hat am 28.9.22 einen Entwurf vorgelegt, der die aus dem Jahr 1985 stammende ProdHaftRL an das digitale Zeitalter anpassen soll. Das EU-Parlament hat am 12.3.24 die neue EU-ProdHaftRL (Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Haftung für fehlerhafte Produkte) verabschiedet. Nach Zustimmung des EU-Rats am 23.10.24 wurde die neue EU-ProdHaftRL 2024/2853 am 18.11.24 im EU-Amtsblatt (www.iww.de/s12109) veröffentlicht und ist am 8.12.24 in Kraft getreten. Die EU-Mitgliedstaaten haben nun bis zum 9.12.26 Zeit, die neuen Vorschriften zur Produkthaftung in nationales Recht umzusetzen. Die bisherige Richtlinie 85/374/EWG wird mit Wirkung zum 9.12.26 aufgehoben und durch die neue ProdHaftRL ersetzt.

     

    Beachten Sie | Obwohl die ProdHaftRL formell in Kraft getreten ist, gilt sie für die betroffenen Wirtschaftsakteure noch nicht unmittelbar. Denn im Gegensatz zu einer EU-Verordnung muss eine EU-Richtlinie erst noch durch einen Gesetzgebungsakt in nationales Recht umgesetzt werden.

     

    Zielsetzung der neuen ProdHaftRL ist im Rahmen der Förderung des EU-Binnenmarkts vor allem:

     

    • Sicherzustellen, dass stets ein haftendes Unternehmen mit Sitz in der EU verfügbar ist, gerade weil die europäischen Verbraucher zunehmend direkt in EU-Drittstaaten (online) einkaufen, ohne dass es einen Hersteller bzw. Importeur gibt
    • Zu gewährleisten, dass das europäische Produkthaftungsrecht noch stärker an das europäische Produktsicherheits- und Marktüberwachungsrecht angepasst wird, wobei namentlich die Regelung 768/2008/EG sowie die Produktsicherheitsvorschriften genannt werden
    • Die Harmonisierung durch gemeinsame Regeln für die Produkthaftung zu stärken und dadurch das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu verbessern

    3. Eckpunkte der neuen ProdHaft-RL

    Mit der überarbeiteten Richtlinie werden die Vorschriften für die Entschädigung von Personenschäden, Sachschäden oder Datenverlusten, die durch unsichere Produkte verursacht werden, modernisiert und verstärkt. Nach Ansicht der Kommission gewährleistet die Richtlinie faire und vorhersehbare Regeln sowohl für Unternehmen als auch für Verbraucher. Sie trägt außerdem der wachsenden Zahl von Produkten auf dem Binnenmarkt Rechnung, die außerhalb der Union hergestellt werden, und gilt gleichermaßen für Produkte, die online vertrieben werden. Die neuen Vorschriften gelten für alle Produkte, von herkömmlichen Haushaltsgegenständen über digitale Produkte bis hin zu Spitzentechnologien wie Robotern und Smart-Home-Systemen. Aus Sicht der Wirtschaft ist aber zu bedenken, dass die neue ProdHaftRL die verschuldensunabhängige Haftung mit einer Vielzahl neuer Risiken einseitig zulasten der (produzierenden) Unternehmen verschärft. In diesem Zusammenhang sind insbesondere folgende Punkte von Bedeutung

     

    3.1 Erweiterung von Produkt- und Fehlerbegriff

    Der Produktbegriff umfasst alle beweglichen Sachen, auch wenn diese in eine andere bewegliche oder unbewegliche Sache integriert oder damit verbunden sind (Art. 4 Nr. 1 Hs. 1 ProdHaftRL). Neu ist jedoch, dass der Begriff nicht mehr nur Elektrizität, sondern auch digitale Konstruktionsunterlagen, Rohstoffe und Software umfasst (Art. 4 Nr. 1 Hs. 2 ProdHaftRL). Eine digitale Konstruktionsunterlage ist demnach die Grundlage für die Herstellung eines materiellen (beweglichen) Gegenstands, indem sie die automatische Steuerung von Maschinen (z. B. Fräsmaschinen) oder Werkzeugen (z. B. 3D-Drucker) ermöglicht. Bei Software kann es sich um Betriebssysteme, Computerprogramme, Anwendungen oder KI-Systeme handeln. Dabei ist es unerheblich, ob die Software als eigenständiges Produkt in Verkehr gebracht, über Cloud-Technologien abgerufen oder im Rahmen von Software-Service-Modellen bereitgestellt wird. Keine Software ist allerdings ein Quellcode, bei dem es sich lediglich um eine Information handelt, die nicht vom EU-Produkthaftungsrecht erfasst wird.

     

    Künftig wird die Fehlerhaftigkeit eines Produkts auch dadurch begründet, dass es nicht die Sicherheit bietet, die die „breite Öffentlichkeit“ erwarten darf. Leider lässt die ProdHaftRL offen, wann eine relevante Sicherheitslücke vorliegt. Das ist ein Risiko: Denn die „breite Öffentlichkeit“ kann andere Erwartungen haben als das, was für Unternehmen in technischer und rein praktischer Hinsicht möglich ist. Europäische Unternehmen müssen künftig z. B. nicht nur Schäden aus Cyberattacken ersetzen, sondern sehen sich zusätzlichen verschuldensunabhängigen Haftungsansprüchen ausgesetzt. Nach Art. 7 Abs. 2e ProdHaftRL wird hierbei auf den Zeitpunkt abgestellt, zu dem das Produkt in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen wurde, oder, wenn der Hersteller nach diesem Zeitpunkt die Kontrolle über das Produkt behält, den Zeitpunkt, in dem das Produkt die Kontrolle des Herstellers verlassen hat. Daraus folgt, dass ein Produktfehler auch dann vorliegen kann, wenn das Produkt zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens noch fehlerfrei war. Diese zeitlich verlängerte Haftung setzt voraus, dass die Kontrolle über das Produkt fortbesteht, und endet daher erst in dem Zeitpunkt, in dem dem Unternehmer die Möglichkeit der Kontrolle entzogen wird.

     

    3.2 Erweiterung des Kreises der Haftungsverantwortlichen

    Derzeit haftet in erster Linie nur der Hersteller, wobei dazu auch der Quasi-Hersteller zählt. Der Importeur haftet nach Art. 3 Abs. 2 RL 85/374/EWG wie ein Hersteller. Der Lieferant haftet hingegen nur subsidiär (Art. 3 Abs. 3 RL 85/374/EWG), wenn der Hersteller nicht festgestellt werden kann und er dem Geschädigten nicht innerhalb angemessener Zeit den Hersteller oder seinen Lieferanten nennen kann. Künftig zählen zu den haftenden Wirtschaftsakteuren der Bevollmächtigte, wenn der Hersteller des fehlerhaften Produkts außerhalb der EU niedergelassen ist (Art. 8 Abs. 1 Buchst. c ii ProdHaftRL), und der Fulfilment-Dienstleister, wenn der Hersteller des fehlerhaften Produkts außerhalb der EU niedergelassen ist und auch kein in der EU ansässiger Importeur oder Bevollmächtigter vorhanden ist (Art. 8 Abs. 1 Buchst. c iii ProdHaftRL).

     

    3.3 Beweiserleichterungen für Geschädigte

    Die Beweislast vor Gericht ändert sich durch Art. 10 ProdHaftRL zum Nachteil der Unternehmen. Bisher musste der Geschädigte den Fehler, den Schaden und die Kausalität zwischen Fehler und Schaden voll beweisen. Durch die Neuregelung ist der Geschädigte künftig im Prozess auch dann erfolgreich, wenn nur wahrscheinlich ist, dass der Produktfehler den Schaden verursacht hat.

     

    Darüber hinaus hat der Geschädigte im Gerichtsverfahren die Möglichkeit, sich vom Unternehmen alle für den Schadensfall relevanten technischen Unterlagen vorlegen zu lassen (Art. 9 ProdHaftRL). Legt das Unternehmen seine Unterlagen nicht oder nur unvollständig offen, wird der Produktfehler gesetzlich vermutet.

     

    3.4 Weitere Änderungen der ProdHaftRL

    Weitere wichtige Änderungen der ProdHaftRL betreffen

    • die Erweiterung des Schadensbegriffs (bei Personenschäden auch psychische Gesundheitsschäden, bei Sachschäden Erfassung von Schäden durch den Verlust oder Verfälschung von Daten, die nicht nur für berufliche Zwecke verwendet werden; Art. 5a ProdHaftRL),
    • den Wegfall von Haftungsgrenzen sowie
    • die Verlängerung von Verjährungshöchstfristen und Offenlegungsfristen des Unternehmens.

    4. Wie Unternehmen jetzt reagieren sollten

    Bereits jetzt, im Vorfeld der nationalen Umsetzung der neuen ProdHaftRL, sollten Unternehmen frühzeitig vorbereitende Maßnahmen treffen.

     

    4.1 Bislang nicht erfasste Wirtschaftsakteure

    Da die ProdHaftRL den Kreis der haftenden Wirtschaftsakteure erheblich erweitert, müssen sich gerade solche Unternehmen auf mögliche Schadenersatzansprüche einstellen, die bisher nicht zu den typischen Haftungsschuldnern zählten (z. B. etwa verändernde Hersteller, Bevollmächtigte des Herstellers, Fulfillment-Dienstleister, Betreiber von Online-Verkaufsplattformen). Für Unternehmen, die smarte Produkte oder KI-Systeme entwickeln oder vertreiben, ist die uneingeschränkte Ausweitung der Produkthaftung auf Softwareprodukte und die Erweiterung des Fehlerbegriffs von großer Relevanz.

     

    4.2 Beachtung von Offenlegungspflichten

    Für alle Unternehmen werden sich insbesondere die neuen prozessualen Pflichten und Risiken auswirken. Die Offenlegungspflicht wird weitreichende Konsequenzen für die Erfolgsaussichten von Haftungsprozessen haben, da sie praktisch zu einer Beweislastumkehr führt. Der Anspruchsteller muss ggf. nur noch die Plausibilität seines Anspruchs nachweisen. Möglicherweise erhält der Anspruchsteller in Zukunft Einsicht in sensible Geschäftsunterlagen von Unternehmen, wie Konstruktionsunterlagen und Erkenntnisse aus der Produktbeobachtung. Bei Nichtbefolgung der Offenlegungspflicht droht Prozessverlust aufgrund der Beweisvermutungen (Art. 9 ProdHaftRL). Unternehmen sollten daher ihre Dokumentationsprozesse anpassen, um bei einer Offenlegung im Haftungsfall nicht ungewollt Geschäftsgeheimnisse preiszugeben.

     

    4.3 Anpassung des Versicherungsschutzes

    Bisher haben hauptsächlich die Endhersteller eine Produkthaftpflichtversicherung abgeschlossen. Nach der neuen ProdHaftRL sollten nun auch die „neuen“ haftenden Wirtschaftsakteure, z. B. Hersteller von Komponenten wie Mikrochips, das Risiko des Endprodukts versichern. Unternehmen, die bislang mangels Haftungsrisiko ohne Versicherungsschutz ausgekommen sind, sollten den Abschluss einer Produkthaftpflichtversicherung prüfen. Die Senkung der Schwellenwerte für eine Klageerhebung bedingt eine Anpassung der Versicherungsprämien, da das Risiko einer gerichtlichen Inanspruchnahme in Produkthaftungsfällen steigt. Eine Anhebung der Versicherungsprämien führt wiederum zu steigenden Sachkosten in den Unternehmen, was Anlass sein kann, die eigenen Preise zu überprüfen und ggf. anzupassen.

    Quelle: Ausgabe 01 / 2025 | Seite 8 | ID 50267280