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  • · Fachbeitrag · Steuerstrafrecht

    Zuschätzung im gastronomischen Bereich sowie strafrechtliche Verantwortung bei Falschberatung

    von Rechtsassessor Dr. Matthias H. Gehm, Limburgerhof und Speyer

    | Der BGH hat zu Fragen der Schätzung im Steuerstrafverfahren abermals Stellung genommen (BGH 10.7.19, 1 StR 265/18, Abruf-Nr. 211723 ). Betroffen war ein Betrieb mit gastronomischer Tätigkeit. Dabei ging es auch um die Frage der strafrechtlichen Verantwortung von Mandanten und Steuerberater, wenn letzterer eine falsche Auskunft zur steuerlichen Behandlung eines Sachverhalts gibt. |

    1. Ausgangsfall

    Der Angeklagte B war mit einer Beteiligung von 98 % Gesellschafter einer als OHG geführten Reederei. Im Zeitraum der Jahre 04 bis 11 entnahm B abends nach den Hafenrund- und Kreuzfahrten einen Teil der aus dem Verkauf von Fahrkarten, der Gastronomie und des Kiosk erzielten Erlöse der Firmen-kasse. Den verbliebenen Restbetrag ließ er von dem mitangeklagten Steuerberater H ins Kassenbuch eintragen und verbuchen. H wusste von diesen Einnahmen nichts. Die Passagierzahlen wurden von der OHG dem Hauptzollamt gemeldet.

     

    In den Jahren 07 bis 09 erwarb B nacheinander zur privaten Nutzung insgesamt drei Yachten, wobei er sich jeweils bei Erwerb der neuen von der alten Yacht trennte. AfA, Reparatur- und Wartungskosten bezüglich dieser Yachten machte B zu Unrecht als betrieblichen Aufwand bei der OHG geltend. Ebenso zog er Vorsteuer aus diesen Aufwendungen sowie dem Kauf der Yachten. Beim Verkauf seiner Yachten wies B in Rechnungen zu Unrecht Umsatzsteuer aus. Der entsprechende Betrag wurde beim Umsatzsteuerkonto der OHG verbucht und B versteuerte entsprechende Veräußerungsgewinne bei der OHG.

     

    H gab B die falsche Auskunft, dass die Umsätze aus dem Kiosk nicht der Umsatzsteuer unterfallen würden, worauf sich B verließ. Dabei wurden diese vermeintlich steuerfreien Umsätze auch nicht in der Anlage UR mitgeteilt. Bei den jeweiligen Ertragsteuern wurden diese allerdings erklärt.

     

    Die entsprechenden Steuererklärungen wurden von B als geschäftsführendem Gesellschafter selbst abgegeben, teilweise wurden die Erklärungen betreffend Umsatz- und Gewerbesteuer zusammen beim Finanzamt eingereicht.

    2. Schätzung

    Der BGH geht von einer Schätzungsberechtigung im Steuerstrafverfahren aus, da die konkrete Berechnung der Besteuerungsgrundlagen aufgrund der unvollständigen Buchführung nicht möglich war (formell und materiell fehlerhafte steuerliche Aufzeichnungen). Steht aber fest, dass ein Besteuerungstatbestand erfüllt wurde, ist hingegen das Ausmaß der tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen ungewiss, ist im Steuerstrafverfahren die Schätzung zulässig (BGH 20.12.16, 1 StR 505/16, BBP 17, S. 171 m. Anm. Gehm).

     

    Der BGH ließ es unbeanstandet, dass die Vorinstanz, das LG Lübeck, zur Ermittlung der Fahrkartenerlöse bei den dem Hauptzollamt gemeldeten Passagierzahlen ansetzte und diese mit den Ticketpreisen bei einem Sicherheitsabschlag von 10 % multiplizierte.

     

    Bei Ermittlung der Gastronomieerlöse wurden von der Vorinstanz die Preise nach den Speisekarten und die Zahlen für den Wareneinkauf zugrunde gelegt, wobei ein Rohgewinnaufschlagsatz von 586 % ermittelt wurde. Sodann wurde dieser Rohgewinnaufschlagsatz auf einen durchschnittlichen Aufschlagsatz aus dem Vergleich von Cafés (400 %) und Gaststätten (317 %) nach amtlicher Richtsatzsammlung reduziert, der als Mittelwert aus den benannten beiden Ausgangswerten bei 359 % lag. Dieser Wert wurde nach dem Grundsatz in dubio pro reo nochmals auf 317 % reduziert, also dem niedrigsten der beiden Ausgangswerte, und auf den Wareneinsatz angewendet. Dabei wurde auch berücksichtigt, dass nur für den Gaststättenbereich die Wareneinkaufspreise von der Finanzverwaltung ermittelt worden waren. Insbesondere für Schankverluste wurde ein Pauschbetrag sodann noch abgezogen.

     

    Der BGH hebt dabei hervor, dass, wenn aufgrund der vorhandenen Tatsachenbasis andere Schätzungsmethoden nicht in Betracht kommen, auch im Steuerstrafverfahren auf die Richtwerte für Rohgewinnaufschlagsätze aus der amtlichen Richtsatzsammlung des BMF zurückgegriffen werden darf (BGH 20.12.16, 1 StR 505/16, BBP 17, S. 171 m. Anm. Gehm). Allerdings sind bei diesem groben Schätzungsverfahren die festgestellten Umstände des Einzelfalls, also die örtlichen Verhältnisse und Besonderheiten des Gewerbebetriebs, zu berücksichtigen. Ergeben sich bei Einbeziehung dieser Umstände Anhaltspunkte für eine positivere Ertragslage, so braucht die Schätzung sich nicht an den unteren Werten auszurichten. Bei Zweifeln muss das Strafgericht sich hingegen am erwiesenen Mindestschuldumfang ausrichten (vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, 3. Aufl. 17, S. 436f. m.w.N.).

     

    Im Fall geht der BGH davon aus, dass der gehobene Lebensstil des Angeklagten B, der sich im Unterhalt von den Yachten widerspiegelt, berechtigt, von einem hohen Rohgewinnaufschlagsatz auszugehen. Da die Wareneinkaufspreise für das Gesamtjahr ermittelt wurden, erübrigt sich zudem eine Berücksichtigung von saisonal bedingten unterschiedlichen Auslastungen der Fahrten.

     

    Insofern hat der BGH, da kein Ansatzpunkt für Doppelverkürzungen vorlag, die Schätzungsergebnisse nicht beanstandet.

    3. Berechnung der verkürzten Ertragsteuern und Umsatzsteuer

    Da die OHG ihren Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt, war die nachzuentrichtende Umsatzsteuer auf die Kioskerlöse, den Fahrkartenverkauf und die Gastronomie gewinnmindernd zu berücksichtigen.

     

    Da der B zu Unrecht den Veräußerungsgewinn seiner Yachten bei der OHG erfasste, ist dieser Vorgang wieder rückgängig zu machen.

     

    Solange B keine Rechnungsberichtigung nach § 14c Abs. 2 S. 3, 4, 5 UStG durchgeführt hat, schuldet er gemäß § 14c Abs. 2 S. 1 UStG die zu Unrecht beim Verkauf der Yachten ausgewiesene Umsatzsteuer. Insofern ist dieser Betrag nicht beim Umfang der hinterzogenen Umsatzsteuer abzuziehen.

    4. Irrtum hinsichtlich der steuerlichen Behandlung

    Der BGH geht aufgrund der falschen Beratung durch H davon aus, dass B einem den Vorsatz ausschließenden Tatumstandsirrtum i. S. v. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB unterlegen ist, indem er davon ausging, dass hinsichtlich der Kioskerlöse keine Umsatzsteuerschuld entstanden sei (BGH 24.1.18, 1 StR 331/17, StRR 7/18, S. 18 m. Anm. Gehm).

     

    Dem steht nicht entgegen, dass in den Anlagen UR keine entsprechenden Umsätze angegeben wurden. Vielmehr ergibt sich aus dem Umstand, dass die Kioskerlöse vollständig als Betriebseinnahmen bei den Gewerbesteuererklärungen angegeben wurden, dass B keinen Hinterziehungsvorsatz hatte, denn ansonsten hätte er aufgrund seiner kaufmännischen Erfahrung auch in diesem Zusammenhang diese Umsätze verschwiegen, um nicht beim Finanzamt aufzufallen. Mangels Vorsatzes hat sich B insoweit nicht einer Steuerhinterziehung nach § 370 AO strafbar gemacht.

     

    Er hat sich zudem keiner leichtfertigen Steuerverkürzung nach § 378 AO schuldig gemacht. Zwar trifft ihn bei seiner kaufmännischen Tätigkeit im besonderen Maße die Pflicht, sich über seine steuerlichen Pflichten durch Inanspruchnahme des Rates eines als zulässig und erfahren bekannten Angehörigen der steuerberatenden Berufe zu vergewissern (BGH 17.12.14, 1 StR 324/14, wistra 15, S. 191). Jedoch hat er H umfänglich über diesen steuerlichen Komplex unterrichtet und durfte deshalb auf dessen tatsachengestützten Rat vertrauen.

    5. Strafbarkeit des Steuerberaters

    Da der H um die Steuerverkürzungen nicht wusste, hat er sich keiner Beihilfe zu den Taten des B schuldig gemacht. Was die unzutreffende umsatzsteuerliche Behandlung der Kioskumsätze anbelangt, fehlt es an einer vorsätzlichen Haupttat des B, zu der H Beihilfe nach § 27 Abs. 1 StGB hätte leisten können. Allerdings sieht es der BGH nicht hinreichend geklärt, ob der H aufgrund überlegenen Sachwissens als mittelbarer Täter in diesem Zusammenhang zu betrachten sei.

     

    Da H aber nur die Steuererklärungen vorbereitete, die B selbst beim Finanzamt einreichte, kann sich H bei fehlendem Vorsatz aber nicht einer mittelbar begangenen leichtfertigen Steuerverkürzung nach § 378 AO schuldig gemacht haben (BFH 29.10.13, VIII R 27/10, NZWiSt 15, S. 31).

    6. Konkurrenzverhältnis/Verjährungsfragen

    Der BGH bestätigt nochmals seine neue Rechtsprechung, nach der grundsätzlich die Zusammenabgabe von Steuererklärungen keine Tateinheit begründet. Es ergibt sich auch nichts Gegenteiliges daraus, dass hinsichtlich der verschwiegenen Erlöse aus dem Fahrkartenverkauf und dem Restaurant für die Gewerbe- und Umsatzsteuer Tatidentität vorliegt (BGH 22.1.18, 1 StR 535/17, NStZ 19, S. 154).

     

    Insofern wurde mangels Tateinheit teilweise nicht die Hinterziehungsgrenze von 50.000 EUR überschritten, sodass kein besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO vorlag und auch nicht die verlängerte Strafverfolgungsverjährungsfrist nach § 376 Abs. 1 AO, sondern die fünfjährige Verjährungsfrist nach § 369 Abs. 2 AO i.V.m. § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB zur Anwendung gelangte. Somit war teilweise Strafverfolgungsverjährung eingetreten.

    7. Einziehung

    Da die OHG dem Angeklagten nicht nur als Mantel diente, erlangte sie die hinterzogenen Umsatz- und Gewerbesteuer. Insofern ist die Einziehung nicht gegen den Angeklagten B, sondern gegen die OHG als Drittbeteiligte i. S. v. § 73b StGB zu richten (BGH 8.5.19, 1 StR 242/18, wistra 19, S. 427).

     

    Beim Angeklagten H ist zu berücksichtigten, dass sein Honorar als Steuerberater kein der Einziehung unterliegender Tatertrag ist.

    8. Relevanz für die Praxis

    Der BGH hat wie auch der BFH die Anwendung der amtlichen Richtsatzsammlung als anerkannte Schätzungsmethode bestätigt (BGH 8.8.19, X B 117/18, BFH/NV 19, S. 1219).

     

    Allerdings sind wegen des Grundsatzes in dubio pro reo im Steuerstrafverfahren die individuellen Verhältnisse des Steuerpflichtigen verstärkt mit zu berücksichtigen, sodass diese Schätzungsart auch nur subsidiär in Betracht kommt, wenn die Tatsachenbasis für eine einzelfallbezogene Schätzung nicht (hinreichend) gegeben ist. Insofern wird, wie im Fall, es auch regelmäßig nötig sein, Sicherheitsabschläge vorzunehmen (Gehm, NZWiSt 12, S. 408). Dies ist aber kein Automatismus. Ergeben sich Anhaltspunkte für eine gute Wirtschaftslage des Betriebs, kann auch am oberen Rand der Richtsätze angesetzt werden.

     

    Gleichzeitig belegt die aktuelle Entscheidung des BGH, dass der Steuerpflichtige, der aufgrund einer falschen Beratung des Steuerberaters Steuern verkürzt, sich regelmäßig nicht strafbar macht und auch keine Ordnungswidrigkeit nach § 378 AO begeht.

     

    Zudem wird die Einziehung im Steuerstrafverfahren durch die aktuelle Entscheidung des BGH beschränkt.

    Quelle: Ausgabe 12 / 2019 | Seite 312 | ID 46207124