· Fachbeitrag · Wundermittel gegen Pleiten
Aussetzung der Insolvenzantragspflicht? ‒ Möglichkeiten für Unternehmen in der Krise
von Dr. Alexandra Schluck-Amend und Josefine Wolff
| Die Einschränkungen aufgrund der Coronapandemie treffen viele Unternehmen hart und zunehmend ernster. Bereits zu Beginn des ersten „Lockdowns“ im März 2020 hat der Gesetzgeber mit der Aussetzung der Insolvenz-antragspflicht bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung von Unternehmen bis zum 30.9.20 reagiert. Die Aussetzung galt bereits damals nur, wenn die Insolvenzreife auf den Folgen der COVID-19-Pandemie beruht hat und wenn es nicht aussichtslos war, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. War das Unternehmen am 31.12.19 nicht zahlungsunfähig, wurden diese Punkte zugunsten des Schuldners vermutet. Dies hat Geschäftsleiter im Hinblick auf Haftungsrisiken abgesichert und Unsicherheiten genommen. Zudem wurden in dem COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG) auch Zahlungen bei Insolvenzreife, die ansonsten eine Haftung des Geschäftsleiters hervorgerufen hätten, von der Haftung ausgenommen, wenn sie der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen. Dieser Schritt war zu begrüßen. |
1. Und wie sieht es in der Praxis wirklich aus?
Vielen Unternehmen fehlt es angesichts der Einschränkungen weiter an Liquidität, um das Geschäft fortzuführen. Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht entlastet Geschäftsführer damit in rechtlicher, nicht jedoch in tatsächlicher Hinsicht.
Im Gegensatz zu anderen Ländern hat die Bundesrepublik Deutschland zwar mittlerweile weitreichende Unterstützungspakete, wie KFW-Darlehen, die „November- und Dezemberhilfen“, die „November- und Dezemberhilfe Plus“, die „November- und Dezemberhilfe Extra“ und die „Überbrückungshilfen“ geschaffen. Unternehmen können hier unter den jeweiligen Voraussetzungen Unterstützung beantragen. Trotzdem beruht die erneute Verlängerung der Aussetzung der Antragspflicht bis Ende April 2021 vor allem darauf, dass die Auszahlung dieser Hilfen derzeit verzögert erfolgt und bei der Antragsstellung zum Teil technische Probleme bestehen. Der Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis zum 30.4.21 hat der Bundesrat am 12.2.21 zugestimmt. Es tritt rückwirkend zum 1.2.21 in Kraft.
2. Verlängerung der Aussetzung der Antragspflicht wegen Verzögerungen bei Auszahlung der Hilfsprogramme
Während die Insolvenzantragspflicht zunächst bis zum 30.9.20 ausgesetzt war, wurde die Aussetzung zunächst bis zum 31.12.20 verlängert ‒ jedoch nur im Hinblick auf die Überschuldung, nicht die Zahlungsunfähigkeit. Unternehmen, die zu diesem Zeitpunkt zahlungsunfähig waren, mussten nach der dann geltenden Rechtslage wieder einen Insolvenzantrag stellen. Zum Jahresbeginn hat der Gesetzgeber nun die Insolvenzantragspflicht erneut ausgesetzt, zunächst bis Ende Januar und nun sogar bis Ende April.
Die Aussetzung von Januar bis Ende April 2021 gilt für zahlungsunfähige und überschuldete Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen. Die auf den ersten Blick etwas unübersichtlichen Regelungen reagieren damit vor allem auf zweierlei:
- Zum einen soll die Antragspflicht nicht mehr grundsätzlich wegen der COVID-19-Pandemie ausgesetzt werden.
- Zum anderen reagiert der Gesetzgeber darauf, dass die Auszahlung der Hilfen verzögert erfolgt und eine Antragsstellung für manche Unternehmen aus rechtlichen oder tatsächlichen, insbesondere technischen, Gründen bisher nicht möglich war.
Für die Unternehmen, die einen Antrag gestellt haben und für die die Hilfe nicht aussichtslos ist, ist die Antragspflicht daher weiter ausgesetzt, und zwar sowohl bei Überschuldung als auch bei Zahlungsunfähigkeit. Dasselbe gilt für die Unternehmen, die zwar noch keinen Antrag gestellt haben, dies aber aus technischen Gründen nicht konnten und bei denen die übrigen Voraussetzungen gegeben sind. Zudem muss die Hilfeleistung in beiden Fällen für die Beseitigung der Insolvenzreife genügen.
3. Aussetzung der Antragspflicht: Eher Reaktion des Gesetzgebers als Ruhepolster für Unternehmen
Es wird deutlich, dass zumindest die verlängerte Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nicht allen krisengebeutelten Unternehmen nützt. Letztlich sollen nur die Unternehmen geschützt werden, bei denen die Insolvenzreife auf der verzögerten Auszahlung staatlicher Hilfen beruht und bei denen die Hilfeleistung die Insolvenzreife abwenden kann.
Darin könnte man die Auffassung des Gesetzgebers erkennen, dass Unternehmen ihr Geschäftsmodell mittlerweile auf die veränderten Bedingungen angepasst haben sollen. Klar ist auch, dass es weiterhin in der Verantwortung der Unternehmen liegt, sich um die Liquidität, die zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes notwendig ist, zu kümmern. Ein „Ruhepolster“ ist die Aussetzung daher sicherlich nicht, lediglich eine Reaktion des Gesetzgebers auf die verzögerte Auszahlung der Hilfen. Die Resilienz von Unternehmen, die wegen des schnellen technologischen Wandels und der Digitalisierung wichtiger wurde, gewinnt durch die Pandemie mehr an Bedeutung.
4. Privilegierung für unterstützende Gläubiger
Mit dem CovInsAG hat der Gesetzgeber, parallel zur Aussetzung der Antragspflicht, Regelungen getroffen, um Gläubiger, die krisengebeutelten Unternehmen helfen, zu schützen. So werden bestimmte Zahlungen von der Insolvenzanfechtung ausgenommen. Unter anderem sind Rückzahlungen eines im Aussetzungszeitraums gewährten Kredits bis zum 30.9.23 von der Insolvenzanfechtung ausgenommen. Dies gilt auch für die Bestellung von Sicherheiten. Für Kreditgewährungen oder Besicherungen drohen im Aussetzungszeitraum keine Haftungsrisiken bezüglich einer Insolvenzverschleppung. Mit der jüngsten Änderung des CovInsAG hat der Gesetzgeber nun Zahlungen bis zum 31.3.22 auf Stundungen, die bis zum 28.2.21 gewährt wurden, von der Insolvenzanfechtung ausgeschlossen. Während zunächst nur die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht als Rettungsanker für Unternehmen in der Krise erscheint, sollte hervorgehoben werden, dass durch die Regelungen zum Schutz unterstützender Gläubiger auch ein wesentlicher Schritt dafür getan wird, dass den Unternehmen wieder Liquidität zufließt und sie ihr Geschäft fortführen können.
FAZIT | Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ist weder ein Freibrief noch eine großzügige Unterstützungshandlung des Gesetzgebers. Sie passt sich an die Rechts- und Tatsachenlage an, die derzeit aufgrund der Hilfsprogramme von Bund und Ländern besteht. Ebenso wichtig wie die Aussetzung der Insolvenzantragsplicht, ist es jedoch, dass Unternehmen ihr Geschäftsmodell anpassen und ihnen ausreichend Liquidität zur Verfügung steht, um ihr Geschäft fortzuführen. Eine Sanierung im Insolvenzverfahren kann wie bisher auch ein sinnvoller Weg sein. |
Zu den Autorinnen |
- Dr. Alexandra Schluck-Amend ist Partnerin und Fachanwältin für Insolvenzrecht bei der internationalen Wirtschaftskanzlei CMS in Deutschland. Ihr Tätigkeitsschwerpunkt liegt im Gesellschafts- und Insolvenzrecht. Sie berät bei Restrukturierungen und Sanierungen innerhalb und außerhalb der Insolvenz. Hier begleitet sie Unternehmen insbesondere bei der Erstellung und Umsetzung von Sanierungskonzepten sowohl bei außergerichtlichen Restrukturierungen als auch im Insolvenzverfahren.
- Josefine Wolff ist Rechtsanwältin bei der internationalen Wirtschaftskanzlei CMS in Deutschland. Sie berät im Schwerpunkt bei Restrukturierungen. Sie unterstützt Schuldner wie Gläubiger krisenbehafteter Unternehmen sowohl innerhalb als auch außerhalb des Insolvenzverfahrens und im Hinblick auf alle Verfahrensarten (Regelinsolvenz, Eigenverwaltung, Insolvenzplan, Schutzschirm).