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  • · Nachricht · Abgabenordnung |

    Ist der Zinssatz für Aussetzungszinsen (noch) verfassungsgemäß?

    | Die Anwendung des Zinssatzes von 6 % p.a. gemäß § 238 Abs. 1 AO auf nach § 237 AO ausgesetzte Steuerbeträge verstößt trotz kontinuierlich gesunkenen Zinsniveaus jedenfalls für einen Zinslauf von 2004 bis 2011 nicht gegen die Verfassung (FG Hamburg 23.5.13, 2 K 50/12; Rev. BFH IX R 31/13).  |

     

    Nach § 237 Abs. 1 S. 1 AO ist, soweit ein Einspruch oder eine Anfechtungsklage gegen einen Steuerbescheid, eine Steueranmeldung oder einen Verwaltungsakt, der einen Steuervergütungsbescheid aufhebt und ändert, oder gegen eine Einspruchsentscheidung über einen dieser Verwaltungsakte endgültig keinen Erfolg gehabt hat, der geschuldete Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts ausgesetzt wurde, zu verzinsen. Die Zinsen betragen nach § 238 Abs. 1 AO für jeden Monat 0,5 %.

     

    Diese Verzinsung gilt seit nunmehr über 50 Jahren und erscheint auch dem FG Hamburg fragwürdig. Zwar wollte es der Gesetzgeber (damals) aus Praktikabilitätsgründen vermeiden, dass der konkrete Zinsvorteil des Steuerpflichtigen aus der Aussetzung jedesmal für den Einzelfall ermittelt werden muss. Andererseits sind die Voraussetzungen für die Ermittlung heute deutlich einfacher und auch das Zinsniveau ist in den letzten zehn Jahren erheblich gesunken.

     

    Eine typisierende Regelung bedarf daher der Korrektur, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse, die Grundlage einer zulässigen Typisierung waren, durchgreifend ändern. Und anders als in den letzten vier Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts mit erheblichen Zinsschwankungen hat sich nunmehr ersichtlich ein Niedrigzinsniveau stabilisiert und haben sich damit die tatsächlichen Verhältnisse gegenüber den Gegebenheiten bei Einführung des Zinssatzes von 6 % p.a. entscheidend verändert. Dennoch führen nach der vornehmlich zu Art. 3 GG entwickelten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung vorhandene Ungleichheiten nicht in jedem Fall zur sofortigen Verfassungswidrigkeit und werden dem Gesetzgeber zur Beseitigung solcher Ungleichheiten in bestimmten Fällen Fristen eingeräumt. Dem Gesetzgeber ist danach eine gewisse Beobachtungszeit zuzubilligen, bevor eine Anpassung an die veränderten Verhältnisse unumgänglich wird.

     

    PRAXISHINWEIS | Allerdings weist das FG auf die Gefahr hin, dass durch einen zu hohen Zinssatz, der Rechtsschutz (Art. 20 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 4 GG ) de facto ausgehöhlt werden könnte, wenn im Falle eines späteren endgültigen Unterliegens -oder Teilunterliegens eine übermäßige Belastung mit Zinsen auf den ausgesetzten Steuerbetrag droht. Dabei ist auch einzubeziehen, dass die Festsetzung von Aussetzungszinsen nicht nur in den Fällen der vom Steuerpflichtigen beantragten Aussetzung der Vollziehung zum Tragen kommen kann, sondern auch dann, wenn die Finanzbehörde von Amts wegen Aussetzung der Vollziehung gemäß § 361 Abs. 2 S. 1 AO gewährt, obwohl der Steuerpflichtige dies weder beantragt hat noch wünscht, um aus haushalterischen Erwägungen dem Risiko der hohen Verzinsung zu entgehen, sog. aufgedrängte Aussetzung der Vollziehung (vgl. z. B. BFH vom 09.05.2012 I R 91/10, BFH/NV 2012, 2004, vorgehend FG Köln vom 08.09.2010 13 K 960/08, EFG 2011, 105 mit Anm. Neu). Inwieweit der Steuerpflichtige letztendlich erfolgreich gegen einen späteren Bescheid über Aussetzungszinsen für einen „zwangsausgesetzten“ Betrag wird vorgehen können, ist derzeit ungewiss und umstritten. Höchstrichterlich ist die Frage bislang nicht geklärt (s. a. Seer in Tipke/Kruse, AO, § 361 Rz.5; ders. Ubg 2008, 249).

    Quelle: ID 42357885