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  • · Nachricht · Prozessrecht

    Verfahrensrechtliche Folgen der Änderung und Ersetzung von Verwaltungsakten während des Finanzgerichtsprozesses

    | Auch nach Beginn des FG-Verfahrens bleibt das FA „Herr des Verfahrensn“ und ist befugt, den angefochtenen Steuerbescheid oder sonstigen Verwaltungsakt (z.B. Ablehnung einer Stundung oder eines Erlassantrags) zu ändern oder zu ersetzen. Zentrale Vorschrift ist hier § 68 FGO. Zu den verfahrensrechtlichen Folgen hat aktuell das Bayerische Landesamt für Steuern (BayLfSt 21.7.15, FG 2026.2.1-11/2 St42) Stellung genommen. Diese Verfügung nehmen wir zum Anlass, auf für die steuerliche Praxis wichtige Besonderheiten hinzuweisen und darzustellen, wie Sie sich prozessual richtig verhalten müssen. |

    1. Der Tatbestand des § 68 FGO

    § 68 FGO (entspricht § 365 Abs. 3 AO im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren) ist grundsätzlich immer anzuwenden, wenn der angefochtene Verwaltungsakt nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geändert oder ersetzt wird. Aufgrund seines Wortlauts gilt § 68 FGO auch schon dann, wenn die Änderung nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung, aber vor Klageerhebung erfolgt (BFH 16.9.86, IX R 61/81, BStBl II 87, 435).

     

    § 68 S. 4 FGO stellt klar, dass Entsprechendes gilt, wenn ein Verwaltungsakt nach § 129 AO - wegen offenbarer Unrichtigkeiten - berichtigt oder erneut bekanntgegeben wird, weil der angefochtene Verwaltungsakt wegen eines Bekanntgabemangels nicht wirksam geworden ist (BFH 25.2.99, IV R 36/98, BFH/NV 99, 1117).

     

    •  § 68 FGO

    1Wird der angefochtene Verwaltungsakt nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geändert oder ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. 2Ein Einspruch gegen den neuen Verwaltungsakt ist insoweit ausgeschlossen. 3Die Finanzbehörde hat dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts zu übermitteln. 4Satz 1 gilt entsprechend, wenn

     

    1. ein Verwaltungsakt nach § 129 AO berichtigt wird oder

    2. ein Verwaltungsakt an die Stelle eines angefochtenen unwirksamen Verwaltungsakts tritt.

     

    Der Anwendungsbereich ist aber nur dann eröffnet, wenn hinsichtlich des ursprünglichen und des neuen Verwaltungsakts Identität der Beteiligten und des Besteuerungsgegenstands besteht. Der Änderungsbescheid muss den Regelungsgehalt des Ausgangsbescheids in sich aufgenommen und die Wirkung des angefochtenen Bescheids suspendiert haben (BFH 25.10.72, GrS 1/72, BStBl. II 72, 231; BFH 26.11.08, X B 3/08, BFH/NV 09, 410).

     

    PRAXISHINWEIS | Die Änderung oder Ersetzung kann nicht dazu führen, dass eine zuvor - z.B. wegen Versäumung der Klagefrist - unzulässige Klage geheilt wird (BFH 13.4.00, V R 56/99, BStBl II 00, 490; BFH 16.12.08, I R 29/08, BFH/NV 09, 1032). Der Steuerpflichtige wird dadurch nach dem Gesetzeszweck verfahrensrechtlich weder schlechter noch besser gestellt.

     

    Der sachliche Anwendungsbereich des § 68 FGO ist nicht nur auf das finanzgerichtliche Klageverfahren (Anfechtung-, Verpflichtungs- und Nichtigkeitsfeststellungsklagen) beschränkt. Die nachfolgend dargestellten Rechtsfolgen treten in gleicher Weise ein:

    • im gerichtlichen Nebenverfahren der Aussetzung der Vollziehung (§ 69 FGO)
    • in der Revision (§ 115 FGO) und
    • bei der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 116 FGO).

     

    PRAXISHINWEIS | Umstritten ist die Anwendung des § 68 FGO im Falle einer Sprungklage (§ 45 FGO: Klage ohne vorhergehendes Einspruchsverfahren; für die Anwendbarkeit: FG München 14.1.04, 1 K 40/03, EFG 04, 828; dagegen: Gräber/von Groll, § 68 FGO, Rz. 25).

     

    Problematisch ist die grundsätzlich von der herrschenden Meinung befürwortete Anwendung des § 68 FGO bei Verpflichtungsklagen insoweit, als in einem ersetzenden Verwaltungsakt erstmalig Ermessenserwägungen nachgeholt werden. An sich darf die Verwaltung Ermessenserwägungen im Klageverfahren lediglich ergänzen (§ 102 S. 2 FGO). Die höchstrichterliche Rechtsprechung tendiert hier - jedenfalls bei Haftungsbescheiden und der Festsetzung von Verspätungszuschlägen - zu einer Anwendung. Die Folge ist, dass im weiteren Verlauf des Verfahrens die neuen Ermessenserwägungen in vollem Umfang zu berücksichtigen sind (so ausdrücklich BFH 16.12.08, I R 29/08, BFH/NV 09, 1032; a.A.: Gräber/von Groll, § 68 FGO, Rz. 25).

     

    • Beispiele aus der Praxis
    • Ablösung von Vorauszahlungsbescheiden durch Jahresbescheide bei der ESt (BFH 12.7.88, IX R 149/83, BStBl. II 88, 942), beim GewSt-Messbetrag (BFH 9.9.86, VIII R 198/84, BStBl II 87, 28), bei der USt (BFH 22.10.03, V B 103/02, BFH/NV 04, 502)
    • Nebenbestimmung wird zum Verwaltungsakt hinzugefügt, aufgehoben oder geändert (BFH 9.8.91, III R 41/88, BStBl II 92, 219)
    • Änderung eines festgesetzten Verspätungszuschlags nach erneuter Überprüfung (BFH 20.5.94, VI R 105/92, BStBl II 94, 836)
     

    2. Rechtsfolgen der Änderung und Ersetzung

    Ein während eines finanzgerichtlichen Verfahrens ergehender Änderungs- bzw. Ersetzungsbescheid ist dem Prozessbevollmächtigten bekannt zu geben und wird kraft Gesetzes zum Verfahrensgegenstand mit der Folge, dass das Verfahren fortan mit verändertem Verfahrensgegenstand fortgeführt wird. Ein Einspruch gegen den geänderten Verwaltungsakt ist insoweit ausgeschlossen (§ 68 S. 2 FGO). Hierauf ist in den Rechtsbehelfsbelehrungen der Verwaltungsakte hinzuweisen.

     

    PRAXISHINWEIS | Legt der Steuerpflichtige oder Prozessvertreter dennoch Einspruch gegen den neuen Verwaltungsakt ein, so wird das Finanzamt diesen als unzulässig verwerfen.

     

    Ergehen während eines laufenden Klageverfahrens mehrere Änderungsbescheide, wird nur der letzte Bescheid Gegenstand des anhängigen finanzgerichtlichen Verfahrens (BFH 2.12.99, II B 78/99, BFH/NV 00, 680).

     

    Verfahrensrechtlich häufig anzutreffen ist die Situation, dass die Verwaltung dem Klagebegehren des Klägers durch einen Änderungs- oder Ersetzungsbescheid ganz oder - nach vorhergehender Verständigung der Beteiligten - zum Teil entspricht (z.B. auf Vorschlag des zuständigen Richters im schriftlichen Verfahren oder im Abschluss an einen Erörterungstermin). Auch hier wird zwar der neue Bescheid Gegenstand des Verfahrens, gleichzeitig erledigt sich der Rechtsstreit aber in der Hauptsache.

     

    PRAXISHINWEIS | Kommt der Prozessvertreter in diesen Fällen der Aufforderung des Gerichts nicht nach, den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären (=Prozesserklärung), hat das Gericht durch Urteil die Erledigung der Hauptsache festzustellen und die Klage - mangels (weitergehendem) Rechtsschutzbedürfnis - als unzulässig zu verwerfen bzw. in der Sache zu entscheiden. Für dieses Verfahren trägt der Kläger dann das volle Kostenrisiko!

     

    3. Praxisrelevante Besonderheiten

    Auf drei problemanfällige Anwendungsbereiche des § 68 FGO ist besonders hinzuweisen:

     

    • Änderung und Ersetzung von Gewinnfeststellungsbescheiden,
    • Anwendung des § 68 FGO bei Haftungsbescheiden,
    • Bindung an Änderungszusagen des Finanzamts.

     

    3.1 Änderung und Ersetzung von Gewinnfeststellungsbescheiden

    Ein während des finanzgerichtlichen Verfahrens geänderter Gewinnfeststellungsbescheid wird nach § 68 FGO jedoch nur hinsichtlich der bereits zulässig mit der Klage angefochtenen Besteuerungsgrundlagen (partiell) Gegenstand des anhängigen Verfahrens.

     

    PRAXISHINWEIS | Gegen die übrigen im Änderungsbescheid korrigierten Besteuerungsgrundlagen kann Einspruch eingelegt werden (vgl. hierzu BFH 9.2.11, IV R 15/08, BStBl II 11, 764).

     

    3.2 Anwendung des § 68 FGO bei Haftungsbescheiden

    Bei Haftungsbescheiden kommt § 68 FGO jedoch nur dann zur Anwendung, wenn der angefochtene Bescheid aufgehoben und durch Erlass eines neuen Bescheids ersetzt wird und wenn beide Bescheide „dieselbe Steuersache” betreffen. Das bedeutet, dass der Haftungsbescheid nur insoweit i.S. des § 68 FGO geändert oder ersetzt ist und in der Folge Gegenstand des Verfahrens wird, als ihm derselbe Haftungstatbestand zugrunde liegt (Bayerisches Landesamt für Steuern 21.7.15, FG 2026.2.1-11/2 St42, Ziff. 5).

     

    PRAXISHINWEIS | Kein Anwendungsfall des § 68 FGO liegt vor, soweit bei einer erneuten Haftungsinanspruchnahme ein weiterer Haftungstatbestand hinzukommt mit der Folge, dass gegen den Bescheid insoweit Einspruch eingelegt werden kann bzw. muss. Bei einem derartigen Haftungsbescheid, der die Funktion eines teilbaren Sammelbescheids hat, ist daher für jeden Teil gesondert zu prüfen, ob und inwieweit die Voraussetzungen des § 68 FGO vorliegen (Bayerisches Landesamt für Steuern 21.7.15, FG 2026.2.1-11/2 St42, Ziff. 5 unter Hinweis auf BFH 6.8.96, VII R 77/95, BStBl. II 97, 79).

     

    Nicht in den Anwendungsbereich des § 68 FGO fällt der Fall, dass die Haftungssumme durch Teilrücknahme oder Teilwiderruf herabgesetzt wird, ohne dass das Finanzamt den ursprünglichen Bescheid aufhebt. In diesen Fällen wird das finanzgerichtliche Verfahren gegen den Regelungsinhalt des Erstbescheids fortgesetzt (BFH 6.8.96, VII R 77/95, BStBl II 97, 79).

     

    3.3. Bindung an Änderungszusagen des Finanzamts

    Bedenken eines Prozessvertreters, den Rechtsstreit in einer mündlichen Verhandlung in der Hauptsache für erledigt zu erklären im Hinblick auf eine bloße Änderungszusage des Finanzamts zugunsten des Mandanten sind unbegründet. Das beklagte Finanzamt ist nach dem Grundsatz von Treu und Glauben an diese Zusage gebunden. Würde das Finanzamt den Erlass des zugesagten Änderungsbescheids später entgegen der Zusage ablehnen, kann der Kläger den Rechtsstreit unter entsprechender Anwendung der §§ 68, 100 FGO ohne Durchführung eines Vorverfahrens mit dem Begehren fortsetzen, das Finanzamt zum Erlass des Änderungsbescheids zu verpflichten (BFH 29.10.87, X R 1/80, BStBl II 88, 121).

     

    PRAXISHINWEIS | Bitte achten sie darauf, dass die Änderungszusage des Finanzamts im Sitzungsprotokoll der mündlichen Verhandlung möglichst genau - auch betragsmäßig - festgehalten wird. Dies gewährleistet eine entsprechende Umsetzung.

     
    Quelle: ID 43550171