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Änderungsbefugnis bei fehlerhafter Berücksichtigung elektronisch übermittelter Daten
| Das FG Münster (14.8.23, 8 K 294/23 E; Rev. BFH IX R 20/23, Einspruchsmuster ) hat entschieden, dass ein Steuerbescheid bei fehlerhafter Berücksichtigung elektronisch übermittelter Daten nach § 175b AO unabhängig von der Fehlerquelle und somit auch dann geändert werden kann, wenn der Fehler ebenso bei Vorlage einer Bescheinigung in Papierform aufgetreten wäre. |
Im Streitfall hatte der Kläger eine Abfindung i. H. v. 9.000 EUR erhalten, die auch laut der durch den Arbeitgeber der Finanzverwaltung elektronisch übermittelten Lohnsteuerbescheinigung in dem als Bruttoarbeitslohn ausgewiesenen Betrag enthalten war. In der Einkommensteuererklärung war die Abfindung zwar zutreffend eingetragen worden, der Einspruchsführer erklärte jedoch hinsichtlich des Bruttoarbeitslohns einen um 9.000 EUR gekürzten Betrag. Diesen gekürzten Arbeitslohn setzte das FA auch bei der Veranlagung an, obwohl das Risikomanagementsystem einen Hinweis auf die Abweichung von den Daten der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung gab. Das FG ging gleichwohl wie das FA davon aus, dass sich eine Änderungsbefugnis aus § 175b Abs. 1 AO ergebe. Entscheidend sei, dass elektronisch übermittelte Daten bei der ursprünglichen Steuerfestsetzung nicht zutreffend berücksichtigt worden seien. Unerheblich sei, worauf die unzutreffende Auswertung beruhe. Denn für die Anwendbarkeit des § 175b AO komme es nicht darauf an, ob eine Verletzung der Mitwirkungspflichten seitens des Steuerpflichtigen oder der Ermittlungspflichten durch die Finanzbehörde vorliege. Ebenso unerheblich sei es, ob dem Steuerpflichtigen bei Erstellung der Steuererklärung ein Schreib- oder Rechenfehler i. S. d. § 173a AO oder der Finanzbehörde bei Erlass des Steuerbescheids ein mechanisches Versehen i. S. d. § 129 AO, ein Fehler bei der Tatsachenwürdigung oder ein Rechtsanwendungsfehler unterlaufen sei. Nach Auffassung des FG ist auch keine den Wortlaut einschränkende teleologische Reduktion für den vorliegenden Fall geboten, in der die elektronisch übermittelten Daten korrekt waren und die Fehlerhaftigkeit des Steuerbescheides auf einen Fehler der Finanzverwaltung zurückzuführen sei, der wahrscheinlich ebenso bei Vorlage eines Ausdrucks der Lohnsteuerbescheinigung durch den Steuerpflichtigen „in Papierform“ aufgetreten wäre. § 175b AO solle eine umfassende Korrekturmöglichkeit unabhängig von der Fehlerquelle ermöglichen.
PRAXISTIPP | Das FG hat die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO im Hinblick auf die Frage, ob § 175b Abs. 1 AO in Fällen wie dem vorliegenden teleologisch zu reduzieren ist, zugelassen. Es darf daher mit Spannung erwartet werden, wie sich der BFH hierzu verhält. Viele weitere Anwendungsfragen rund um die noch recht neue Änderungsvorschrift des § 175b AO sind derzeit beim BFH anhängig. Die weitere Rechtsentwicklung sollte hier aufmerksam verfolgt werden. In eingetretenen Konfliktfällen sollten betroffene Änderungsbescheide mittels Einspruchs angefochten und bis zur höchstrichterlichen Klärung offengehalten werden. |