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  • · Fachbeitrag · Reform des Inkassorechts

    Mit welcher Geschäftsgebühr kann bei einer Inkassodienstleistung gestartet werden?

    von VRiOLG Frank-Michael Goebel, Koblenz

    | Mit dem am 1.10.21 in Kraft tretenden Gesetz zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht (BGBl. I 20, 3320) erhält Nr. 2300 VV RVG einen neuen Abs. 2, der künftig die vorgerichtliche Tätigkeit von Anwälten und Inkassodienstleistern regelt, sofern sie Inkassodienstleistungen erbringen. Dies ist immer der Fall, wenn eine rechtliche Prüfung im Einzelfall nicht erforderlich ist (§ 2 Abs. 1 vs. Abs. 2 RDG). Erheblich ist also nicht, wer tätig wird, sondern welche Dienstleistung erbracht wird. Wir haben den mit der Reform beabsichtigten Systemwechsel aufgearbeitet (FMP 21, 33), zusammengefasst, welche Anforderungen erfüllt sein müssen, damit ein durchschnittlicher Fall bei einer Inkassodienstleistung vorliegt (FMP 21, 63) und dargestellt, wann ein einfacher Fall vorliegt (FMP 21, 89). Wegen der deutlichen Gebührenkürzung wird von besonderer Relevanz sein, wann ein besonders umfangreicher oder schwieriger Fall vorliegt. Dazu im Folgenden: |

    1. Grundsätzliches

    Die Gebührenprivilegierung wegen einer umfangreichen oder schwierigen Tätigkeit findet sich künftig sowohl in Nr. 2300 Abs. 1 wie Abs. 2 VV RVG. Gleichwohl sind unterschiedliche Maßstäbe anzulegen, weil sich Nr. 2300 Abs. 1 auf eine Rechtsdienstleistung, Abs. 2 aber auf eine Inkassodienstleistung bezieht. Da die durchschnittliche Inkassodienstleistung geringere Anforderungen zeigt als die durchschnittliche Rechtsdienstleistung, sind auch die Anforderungen an die Privilegierung im Hinblick auf Umfang und Schwierigkeit geringer.

    2. Schwierigkeit hat andere Ebene

    Der „besonderen Schwierigkeit“ wird keine praktische Bedeutung zukommen, da sich dieses Tatbestandsmerkmal im Wesentlichen auf die Bearbeitung in rechtlicher Hinsicht wird beziehen müssen. Dann wird aber der Rahmen einer Inkassodienstleistung überschritten und es liegt eine Rechtsdienstleistung i. S. d. § 2 Abs. 1 RDG vor, die als Prüfung im konkreten Einzelfall die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 Abs. 1 VV RVG auslöst und damit ohne weitere Qualifikation zumindest den Gebührenrahmen einer 0,5- bis 1,3-Geschäftsgebühr eröffnet. Die Praxis wird sich deshalb darauf konzentrieren, die Frage zu beantworten, ob eine besonders umfangreiche Inkassodienstleistung vorliegt.

    3. Wann ist eine Inkassodienstleistung besonders umfangreich?

    Die Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 19/20348) nennt zwei Beispiele, die eine umfangreiche Inkassodienstleistung begründen sollen und ein Beispiel, wann dies nicht der Fall sein soll:

     

    • Mehrfache Adressermittlung: Die Gesetzesbegründung bestimmt, dass die erste Adressermittlung Teil der durchschnittlichen Inkassodienstleistung ist, sodass die zweite Adressermittlung bereits ein Überschreiten der 0,9-Schwellengebühr bei Inkassodienstleistungen erlaubt. Dabei kann eine erste Ermittlung schon dadurch veranlasst sein, dass der Mandant mitteilt, keine sichere Kenntnis über den Aufenthaltsort des Schuldners zu haben. Schon das datenschutzrechtliche Risiko gebietet es in diesem Fall, eine Adressverifizierung als (erste) Adressermittlung durchzuführen.

     

    • Überwachung einer zweistelligen Zahl von Raten bei einer Ratenzahlungsvereinbarung: Der Hintergrund dieses Beispiels ist der Umfang, in dem eine Bearbeitung der Akte erforderlich ist. Das legt es nahe, nicht nur den Umfang der Zahlungsüberwachung als Zählgröße zu betrachten, sondern bei einer kleineren Zahl von Raten auf den Umfang der notwendigen Mahnungen, wenn der Schuldner seinen regelmäßigen Verpflichtungen nicht nachkommt. So ist es nicht weniger Aufwand, wenn die Zahlung von sechs Raten überwacht werden muss, der Schuldner zur Erfüllung seiner Verpflichtung aber in Bezug auf jede Rate ein- oder mehrfach angemahnt werden muss.

     

    • Eine umfangreiche Inkassodienstleistung soll demgegenüber nicht allein durch viele schriftliche oder telefonische Mahnungen begründet werden können, „wenn nicht davon auszugehen war, dass die Mahnungen noch einen Erfolg bringen würden“ (BT-Drucksache 19/20348, S. 63). Die Art der Formulierung belegt, dass auch eine hohe Zahl solcher Mahnungen einen besonderen Aufwand begründen, der unter Heranziehen der Kriterien des § 14 RVG zur umfangreichen Inkassodienstleistung führen kann. Dem Inkassodienstleister obliegt jedoch die Darlegungslast, dass die Mahnungen noch zur zumindest teilweisen Zahlung der Forderung führen.
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    • Dieser Nachweis wird nicht besonders schwierig sein. Oft liegt der Grund, dass eine offene Forderung nicht ausgeglichen wird, bei Inkassodienstleistungen in der ‒ vorübergehenden - mangelnden Leistungsfähigkeit des Schuldners. Sie schwankt häufig, weil der typische Schuldner entweder über unregelmäßiges Einkommen verfügt oder bei einem regelmäßigen geringen Einkommen bei unvorhergesehenen Ereignissen in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät. Wiederkehrende Mahnungen erinnern den Schuldner an seine fortbestehenden Verpflichtungen und führen immer wieder dazu, dass in Phasen der Leistungsfähigkeit zumindest Teilleistungen erbracht werden. Aufgabe der Praxis wird es sein, die mangelnde Leistungsfähigkeit als Grund für den unterlassenden Forderungsausgleich zu dokumentieren.

     

    Neben diesen Ansätzen aus der Gesetzesbegründung sind weitere Fälle von Inkassodienstleistungen durch Anwälte und Inkassodienstleister denkbar, die einen über den durchschnittlichen Aufwand hinausgehenden Umfang der Angelegenheit begründen und deshalb eine über die 0,9-Geschäftsgebühr hinausgehende Gebühr rechtfertigen können:

     

    • Hat der Schuldner ein Lastschriftmandat erteilt und kommt es mehrfach zu Rücklastschriften, begründet dies nicht nur einen Aufwendungsersatzanspruch hinsichtlich der Rücklastschriftkosten, sondern verursacht auch einen erheblich aufwändigeren Buchungsaufwand.

     

    • Mit dem Übergang von der BRAGO auf das RVG wurde die alte „Besprechungsgebühr“ gestrichen. In Besprechungsfällen sollte die Geschäftsgebühr angehoben werden. So ist anerkannt, dass selbst die 1,3 Schwellengebühr bei Besprechungen mit dem Schuldner überschritten werden kann. Dies muss erst recht für die 0,9-Schwellengebühr bei Inkassodienstleistungen gelten. Die Besprechung hat dabei ein quantitatives wie ein qualitatives Element. So ist sie bei sehr langen Telefonaten ebenso gerechtfertigt, wie bei intensiven Erörterungen zur Frage, wie die offene Forderung ausgeglichen werden kann.

     

    • In der Praxis können sich Sprachbarrieren als besondere Hürde beim Forderungsausgleich darstellen. In Deutschland leben viele Nationalitäten, deren Muttersprache nicht Deutsch ist und die sich daher mit dem Verständnis rechtlicher Zusammenhänge schwer tun. Der Einsatz von Fremdsprachenkenntnissen dient hierbei dem Schuldner- und Verbraucherschutz, stellt aber zugleich eine vom Durchschnitt abweichende umfangreiche Tätigkeit dar.

     

    • Im Rahmen von Ratenzahlungsvereinbarung stellt sich der Schuldner besser, wenn er zu deren Absicherung Arbeitseinkommen oder Kontoguthaben abtritt. In diesen Fällen kann eine einfache Offenlage erfolgen, wenn der Schuldner sich nicht in der Lage sieht, die Raten regelmäßig auszugleichen. Fehlt es an einer Abtretung, liegt die kostenträchtige Titulierung und Zwangsvollstreckung nahe, obwohl sich auch im Rahmen der Offenlage der Abtretung klären ließe, ob pfändbare Beträge vorhanden sind. Die der Offenlage entsprechende Pfändung würde eine 0,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG auslösen. Es spricht nichts dagegen, den zusätzlichen Aufwand in gleichem Umfang durch eine Anhebung der Geschäftsgebühr abzugelten.

     

    • Ohne jeden Zweifel begründet auch der Einsatz eines Außendienstes durch den Rechtsdienstleister selbst oder einen Dritten (z. B.: www.iadb-online.de), der überwacht werden muss, einen besonderen Umfang der Dienstleistung, die über einen durchschnittlichen Fall hinausgeht.
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    • MERKE | Viele Inkassodienstleister verfügen über einen seriösen Außendienst, der seine Aufgabe darin sieht, mit dem Schuldner an Lösungen zu arbeiten, ohne die Verschuldung alleine aufgrund von Zinsen und Kosten weiter fortschreiten zu lassen. Oft werden solche Tätigkeiten von ehemaligen Gerichtsvollziehern, Polizisten oder Mitarbeitern der GEZ ausgeführt. Es ist fehl am Platz, solche Bearbeitungsformen generell abzulehnen. Zahlreiche Schuldner sind nicht in der Lage, die eigene finanzielle Situation allein auf schriftlichem Wege einer befriedigenden Lösung zuzuführen. Das persönliche Gespräch kann hier helfen.

       

    Neben den o. g. Beispielen sind weitere Fälle denkbar, die einen über den Durchschnitt hinausgehenden Aufwand rechtfertigen. Dabei ist zu beachten, dass ein besonderer Umfang nicht automatisch zu einer 1,3-Geschäftsgebühr führt, sondern nur den Rahmen einer 0,9- bis 1,3-Geschäftsgebühr eröffnet. In diesem Rahmen wird es Abstufungen des Aufwands und der Erhöhung nach Maßgabe des § 14 RVG geben können. Im Rahmen der Informationspflichten nach § 13a RDG n.F. (bisher § 11a RDG) für Inkassodienstleister und nach § 43d BRAO für Anwälte wird die Erhöhung zumindest stichwortartig zu begründen sein.

    Quelle: Ausgabe 06 / 2021 | Seite 108 | ID 47397743