· Fachbeitrag · COVID-19-Pandemie
Sind die Mieten anzupassen?
| Seit Ausbruch der COVID-19-Pandemie und den Schließungen von Verkaufsstellen, Restaurants, Freizeiteinrichtungen etc. wird diskutiert, ob die von den Auswirkungen der Pandemie betroffenen Mieter und Pächter von Geschäftsräumen und anderen Betriebsgrundstücken weiter Miete oder Pacht entrichten müssen. Der Bundesgesetzgeber hat am 31.12.20 dazu eine neue Regelung erlassen. Sie stellt klar: Die COVID-19-Pandemie kann zu einer Störung der Geschäftsgrundlage im Gewerbemietverhältnis führen. Kann der Mieter nun eine Anpassung oder gar eine Befreiung von der Pflicht zur Mietzahlung verlangen? Die rechtliche Bewertung ist diffizil. Vermieter, Mieter und Rechtsdienstleister sollten wissen, worauf es ankommt. |
1. Neue gesetzliche Regelung
Der Gesetzgeber hat in Art. 240 EGBGB die vertragsrechtlichen Regelungen aus Anlass der COVID-19-Pandemie aufgenommen (FMP 20, 59, 117, 158 und FMP 21, 17). Mit Wirkung vom 31.12.20 ist mit § 7 zu Art. 240 EGBGB eine weitere Regelung hinzugekommen. Dort heißt es:
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Durch die im Zuge des Lockdowns verfügte Schließung von Gewerbe-, Kultur- und Freizeiteinrichtungen ist den Mietern von Gewerbeimmobilien die Nutzung zwar tatsächlich noch möglich, eine wirtschaftlich sinnvolle Verwertung aber faktisch beschränkt oder gar ausgeschlossen. Es fehlen deshalb die Einnahmen, aus denen die Miete gezahlt wird. Wie diese Konstellation rechtlich zu bewerten ist, wird derzeit unter drei Aspekten diskutiert.
2. Unmöglichkeit der Leistung?
Nach § 275 BGB ist der Anspruch auf die Leistung ausgeschlossen, soweit sie für den Schuldner oder jedermann unmöglich ist. Im Gegenzug entfällt nach § 326 Abs. 1 BGB der Anspruch auf die Gegenleistung. Soweit dem Vermieter also die geschuldete Leistung unmöglich ist, würde er den Anspruch auf die Miete verlieren. Daher ist zu klären, welche Leistung der Vermieter erbringen muss und ob ihm diese durch die pandemiebedingten Einschränkungen unmöglich wird.
Nach überwiegender Ansicht besteht die Pflicht des Vermieters einer Gewerbeimmobilie darin, dem Mieter das Objekt zu überlassen, um dort einen Geschäftsbetrieb zu führen. Er schuldet also, die dazu notwendigen Räume zu überlassen, nicht aber die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, um den Betrieb tatsächlich zu führen. Das Verwendungsrisiko trägt regelmäßig der Gläubiger, sodass kein Fall der Unmöglichkeit begründet werden kann (Palandt/Grüneberg, BGB, § 275, Rn. 20; BGH NJW 79,1818). Im Übrigen werden diese allgemeinen Vorschriften durch das Gewährleistungsrecht der §§ 536 ff. BGB verdrängt, sobald die Mietsache dem Mieter tatsächlich überlassen wurde.
3. Sachmängelhaftung des Vermieters?
Nach § 536 BGB ist der Mieter davon befreit, Miete zu zahlen, wenn die Mietsache einen Mangel aufweist, der ihre Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt. Davon erfasst sind zunächst physische Beeinträchtigungen der Nutzbarkeit, z. B. bauliche Mängel. Nach st. Rspr. des BGH können auch tatsächliche und rechtliche Beziehungen des Mietgegenstands zu seiner Umwelt einen Mangel begründen (z. B. Lärm, Staub, sonstige Immissionen), sofern sie für die Brauchbarkeit und den Wert des Mietobjekts von Bedeutung sind (BGH 15.10.08, XII ZR 1/07, Abruf-Nr. 090408). Schließlich können auch öffentlich-rechtliche Beschränkungen durch Gesetz oder behördliche Anordnung einen Mangel begründen.
Ob das auch bei pandemiebedingten Beschränkungen angenommen werden kann, ist umstritten. Nach einer Entscheidung des BGH zum gesetzlichen Rauchverbot in Gaststätten beruhen damit zusammenhängende Gebrauchsbeschränkungen nicht auf der konkreten Beschaffenheit der Sache. Das Verwendungsrisiko bezüglich der Sache, vor allem das Risiko, damit Gewinne erzielen zu können, trage bei der Gewerberaummiete der Mieter. Das gelte auch, wenn der Gewerbebetrieb durch nachträgliche gesetzgeberische oder behördliche Maßnahmen beeinträchtigt werde (BGH 13.7.11, XII ZR 189/09, Abruf-Nr. 112816). Unter Bezugnahme auf diese Entscheidung verneint die derzeit überwiegende Auffassung einen Sachmangel im Sinne des § 536 BGB im Fall der pandemiebedingten Nutzungsbeschränkungen der Gewerbeimmobilie. Eine Mietminderung haben die Gerichte für die Zeit des ersten Lockdowns überwiegend abgelehnt (LG Heidelberg 30.7.20, 5 O 66/20; LG Zweibrücken 11.9.20, HK O 17/20; LG Frankfurt 2.10.20, 2-15 O 23/20; LG Stuttgart 19.11.2 0,11 O 215/20).
4. Störung der Geschäftsgrundlage
Scheiden somit Unmöglichkeit und Sachmängelhaftung aus, wird die Frage einer Mietanpassung überwiegend unter dem Aspekt der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) diskutiert. Danach kann Vertragsanpassung verlangt werden, wenn sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsabschluss schwerwiegend verändert haben und die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt abgeschlossen hätten, wenn dies voraussehbar gewesen wäre. Es sind also folgende Punkte entscheidend:
Checkliste / Störung der Geschäftsgrundlage |
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a) Schwerwiegende Veränderung der Geschäftsgrundlage
Nach st. Rspr. wird die Geschäftsgrundlage eines Vertrags durch Umstände gebildet, die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt, bei Vertragsabschluss aber erkennbar zu den gemeinsamen Vorstellungen beider Vertragsparteien gehören. Gleiches gilt, wenn dem Geschäftsgegner erkennbar war, dass die andere Vertragspartei von dem Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände ausgegangen ist und auf denen sich der Geschäftswille der Parteien aufbaut (BGHZ 25, 390, 392).
Hier setzt Art. 240, § 7 EGBGB i. S. e. Vermutungsregelung an. Die Norm begründet eine widerlegbare Vermutung, dass pandemiebedingte Nutzungsbeschränkungen für eine Gewerbeimmobilie eine schwerwiegende Veränderung der Geschäftsgrundlage begründen.
b) Anderer Vertragsabschluss bei Kenntnis der Entwicklung
Stellt man auf Grundlage der Vermutung aus Art. 240 § 7 EGBGB nun fest, dass sich die Vertragsgrundlage schwerwiegend geändert hat, fragt es sich: Hätten die Parteien bei Kenntnis des Umstands den Vertrag so nicht abgeschlossen? Auch hier ist in Zeiten der COVID-19-Pandemie regelmäßig davon auszugehen, dass die meisten Mietvertragsparteien dann keine gleichlautende Vereinbarung über die Miete getroffen hätten.
c) Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag
Ausschlaggebend ist aber die Frage, ob der einen Seite das Festhalten am unveränderten Vertrag „unzumutbar“ wäre. Dann müsste das Festhalten mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin nicht mehr vereinbar sein und das für die betroffene Partei zu einem nicht mehr tragbaren Ergebnis führen (BGHZ 121, 378; 129, 236). Hier wird sich nun entscheiden, ob ein Anpassen der Zahlungspflicht wegen der pandemiebedingten Einschränkungen im Einzelfall begründet ist.
Dabei sind vor allem folgende Aspekte zu würdigen: Wie lange dauern die Beschränkungen? Wie ist die wirtschaftliche Lage des Unternehmens des Mieters? Was ist das Ausmaß der Umsatzeinbußen des Mieters? Wie hoch sind die Finanzierungskosten des Vermieters? Kann der Mieter sein Geschäftsmodell anpassen (z. B. auf Online- oder Auslieferungsservice)? Welchen Umfang haben staatlichen Hilfen? Gibt es Einsparungen durch Kurzarbeit?
Die Vermutungsregelung in Art. 240 § 7 EGBGB erstreckt sich nur auf das Vorliegen einer schwerwiegenden Änderung der Vertragsgrundlage und nicht auf die letztlich entscheidende Frage, ob das Festhalten am unveränderten Vertrag unzumutbar ist. Mit der neuen gesetzlichen Regelung wird also nicht per se eine gesetzliche Vertragsanpassung zugunsten des Mieters begründet. Entscheidend ist im Einzelfall eine Abwägung der Interessen des Mieters als auch der des Vermieters unter dem Aspekt der Unzumutbarkeit. Der Rechtsprechung wird daher die wesentliche Aufgabe zukommen, die Einzelfälle zu beurteilen und Leitlinien für eine interessengerechte Abwägung zu entwickeln.