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  • · Fachbeitrag · Ausfallhonorar

    Neues zu Ausfallhonoraren und Strafgebühren von Ärzten, wenn der Patient nicht erscheint

    | Für den Arzt oder den sonstigen Angehörigen von Heilberufen, etwa Physio- oder Ergotherapeuten, ist es ärgerlich, wenn der Patient zu einem vereinbarten Termin nicht erscheint und diesen auch nicht zuvor abgesagt hat. In der Regel lässt sich die Lücke nicht unmittelbar füllen, sodass es wegen des Leerlaufes einerseits und den weiterlaufenden Kosten andererseits auch zu einem wirtschaftlichen Schaden kommt. Die Krankenkassen zahlen diese Zeiten nicht. Es stellt sich deshalb die Frage, ob der Heilbehandler hier ein Ausfallhonorar oder eine Strafgebühr in Form einer allgemeinen Geschäftsbedingung vereinbaren kann. |

    1. Ausgangslage

    Die Rechtsprechung sieht das durchaus kritisch. So hat das LG Berlin schon 2005 (15.4.05, 55 S 310/04) eine Klausel, wonach vereinbarte Termine bei Verhinderung des Patienten 24 Stunden vorher abgesagt werden müssen und ansonsten ein Ausfallhonorar von 75 EUR in Rechnung gestellt wird, für unwirksam gehalten. Das AG Diepholz (26.6.11, 2 C 92/11) hat einen Behandlungskostenersatz bei nicht wahrgenommenen Arztterminen für nicht geschuldet angesehen, wenn dies nicht ausdrücklich vereinbart wurde. Nach dem AG kommt der Patient nicht ohne Weiteres in Annahmeverzug. Folge: Es besteht kein Vergütungsanspruch nach § 615 BGB.

     

    Der BGH hat sich dann im Jahr 2022 mit der Frage ausführlicher befasst und zeigt, unter welchen Voraussetzungen ein Ausfallhonorar anfallen kann.

    2. Der Fall des BGH

    Die Klägerin, eine Ergotherapeutin, nahm die beklagte Mutter der minderjährigen Patienten auf ein Ausfallhonorar für zwei wegen Krankheit (Corona) der Kinder kurzfristig abgesagter Behandlungstermine in Anspruch, die sie nicht anderweitig vergeben konnte. Die Klägerin ließ der gesetzlich versicherten Patientin zuvor eine „Wichtige Information“ mit folgendem Wortlaut unterschreiben:

     

    • Der Wortlaut der „Wichtigen Information“

    Können vereinbarte Termine nicht eingehalten werden, müssen diese mindestens 24 Stunden vorher abgesagt werden. Andernfalls wird Ihnen unabhängig von einer Begründung des kurzfristigen Ausfalls gemäß § 293 ff. BGB (gesetzliche Regelungen zum Annahmeverzug) eine Ausfallpauschale i. H. v. 25 EUR privat in Rechnung gestellt. Entsprechendes gilt für vereinbarte, aber nicht abgesagte Termine, die nicht eingehalten werden. Mit Ihrer Unterschrift erkennen Sie die Vereinbarungen an und erklären sich mit ihnen einverstanden.

     

    Die Klägerin verfolgt nun ihren Zahlungsanspruch einerseits aus § 615 BGB, andererseits aus der vertraglichen Vereinbarung. AG und LG sind dem gefolgt und haben die Beklagte antragsgemäß verurteilt.

    3. Die Entscheidung des BGH

    Der BGH ist den Vorinstanzen nicht gefolgt und hat die Klage im Ergebnis abgewiesen. Trotzdem kann aus der Entscheidung abgeleitet werden, wie es richtig geht. Die Klageabweisung beruht nämlich nicht darauf, dass ein Ausfallhonorar grundsätzlich nicht möglich wäre.

     

    • Leitsatz: BGH 12.5.22, III ZR 78/21
    • 1. § 615 BGB ist gemäß § 630b BGB auf Behandlungsverträge i. S. d. § 630a BGB anwendbar. Ein etwaiger Vergütungsanspruch gemäß § 615 S. 1 BGB richtet sich auch gegen gesetzlich krankenversicherte Patienten.

     

    • 2. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Vereinbarung eines Behandlungstermins eine kalendermäßige Bestimmung i. S. d. § 296 S. 1 BGB darstellt, verbietet sich eine schematische Betrachtungsweise. Vielmehr sind sämtliche Umstände des jeweiligen Falles, insbesondere die Interessenlage der Parteien und die Organisation der Terminvergabe durch den Behandelnden sowie deren Erkennbarkeit für die Patienten, zu berücksichtigen.

     

     

    4. Regelung in AGB

    Bei der Regelung einer Ausfallpauschale in den Anmeldeformularen von Ärzten handelt es sich nach dem BGH um AGB i. S. d. § 305 Abs. 1 S. 1 BGB, deren Einbeziehung in den Vertrag nach § 305 Abs. 2 BGB nicht zweifelhaft ist. In S. 2 der im konkreten Fall eingesetzten Klausel wird unter Hinweis auf die §§ 293 ff. BGB ausdrücklich auf die „gesetzlichen Regelungen zum Annahmeverzug“ Bezug genommen. Aus der maßgeblichen Sicht eines Durchschnittspatienten kommt die Entstehung einer Ausfallpauschale im Fall einer Terminabsage somit nur unter den Voraussetzungen des Gläubigerverzugs in Betracht.

    5. Voraussetzung: Gläubigerannahmeverzug

    Nach § 615 S. 1 BGB kann der zur Dienstleistung Verpflichtete die nach § 611 BGB vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung der nicht erbrachten Dienste verpflichtet zu sein, wenn der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug gerät. Dies beurteilt sich nach §§ 293 ff. BGB. Die Vorschrift gibt keinen selbstständigen Anspruch, sondern bewirkt, dass der (ursprüngliche) Vergütungsanspruch dem zur Dienstleistung Verpflichteten erhalten bleibt. § 615 BGB ist gemäß § 630b BGB nach Ansicht des BGH auch auf Behandlungsverträge anwendbar.

     

    MERKE | Diese Sichtweise unterläuft nicht die Regelung in § 627 BGB. Danach hat der Patient die Möglichkeit, sich auch zur Unzeit ohne Angabe von Gründen von dem Vertrag zu lösen, ohne über § 628 BGB hinausgehende Rechtsfolgen befürchten zu müssen. Durch die Kündigung wird das Behandlungsverhältnis ex nunc beendet. Annahmeverzug kann nicht mehr eintreten. Der Patient muss also nichts mehr zahlen. Die einzige Obliegenheit, die das Gesetz dem Patienten auferlegt, besteht darin, den Behandelnden im Wege der Kündigung davon in Kenntnis zu setzen, die Behandlung nicht wahrnehmen zu wollen. Diese Obliegenheit bedingt keine Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts. Der Patient kann also durch rechtzeitige Kündigung des Vertrags seine Interessen ausreichend wahren. Das ist von den Fällen des Ausfallhonorars zu unterscheiden, da in diesen Fällen eben gerade keine Absage erfolgt (Kündigung) oder diese nicht rechtzeitig ist, also zeitlich so bemessen, dass der Termin noch einer anderen Person angedient werden kann.

     

    § 615 BGB gilt nach § 630a Abs. 1 BGB auch im Verhältnis des Arztes zu einem Kassenpatienten, da die Krankenkassen nur eintreten, wenn es tatsächlich zu einer Behandlung gekommen ist, nicht aber, wenn eine Leistungsstörung vorliegt, die im persönlichen Verantwortungsbereich des Versicherten liegt (BSGE 31, 33, 36).

    6. Kalendermäßige Bestimmung eines Exklusivtermins

    Die Voraussetzungen des Annahmeverzugs sind im vorliegenden Fall nicht bereits zu verneinen, weil das Berufungsgericht ein tatsächliches oder wörtliches Angebot der Klägerin i. S. d. §§ 294, 295 BGB nicht festgestellt hat. Denn die Entbehrlichkeit eines Angebots der Klägerin folgt aus § 296 S. 1 BGB. Die Beklagte hat ihre Kinder zu den vereinbarten Behandlungszeitpunkten nicht zur Praxis der Klägerin gebracht und somit eine kalendermäßig bestimmte Mitwirkungshandlung unterlassen.

     

    Bei der Beurteilung der Frage, ob die Vereinbarung eines Behandlungstermins eine kalendermäßige Bestimmung i. S. d. § 296 S. 1 BGB darstellt, verbietet sich nach dem BGH allerdings eine schematische Betrachtungsweise. Die Vereinbarung eines Behandlungstermins ist eine Nebenabrede im Rahmen des Behandlungsvertrags, deren Inhalt im Wege der Auslegung nach §§ 133, 157 BGB zu ermitteln ist. Dabei sind sämtliche Umstände des jeweiligen Falls, insbesondere die Interessenlage der Parteien und die Organisation der Terminvergabe durch den Behandelnden sowie deren Erkennbarkeit für die Patienten, zu berücksichtigen.

     

    Maßgeblich für die kalendermäßige Bestimmung ist es, dass keine Mehrfachtermine, sondern Exklusivtermine vergeben wurden. Deren Verbindlichkeit liegt nicht nur im Interesse des Arztes, sondern auch in dem der Patienten, denen dadurch längere Wartezeiten erspart bleiben. Für den Patienten war auch erkennbar, dass die minutengenau vereinbarte Behandlungszeit ausschließlich für ihre Kinder reserviert war, zumal durch den in den Anmeldeformularen enthaltenen Hinweis auf die 24-stündige Absagefrist und die Ausfallpauschale hinreichend klargestellt wurde, dass die mit der Klägerin vereinbarten Behandlungstermine nicht bloß unverbindliche Absprachen, sondern rechtsverbindliche Vereinbarungen sein sollten. Durch ihre Unterschrift erklärte die Beklagte aus Sicht der Klägerin nach Ansicht des BGH jeweils ihr Einverständnis mit der Verbindlichkeit der Terminvereinbarungen.

     

    Im konkreten Fall scheiterte der Anspruch allerdings daran, dass aufgrund der Corona-Verordnung eine Behandlung überhaupt nicht erfolgen konnte. Es wird aber inzwischen der Ausnahmefall sein, dass daran die Behandlung scheitert.

    7. So machen Sie es richtig

    Nach Maßgabe der höchstrichterlichen Rechtsprechung müssen also drei Bedingungen erfüllt sein, um ein Ausfallhonorar verlangen zu können:

     

    Checkliste / Drei Bedingungen für eine Musterformulierung

    • Es muss einen Hinweis darauf geben, dass die Notwendigkeit besteht, einen vereinbarten Termin mindestens 24/48 Stunden vorher abzusagen.
    • Es muss einen eindeutigen Hinweis auf § 615 BGB geben, also, dass ein Ausfallhonorar nur erhoben wird wenn sich der Patient im Annahmeverzug befindet, d. h., wenn der Termin nicht wahrgenommen wird, und der Arzt den Verdienstausfall nicht durch die Behandlung eines anderen Patienten ausgleichen kann.
    • Die Höhe der Ausfallgebühr muss einerseits eindeutig bestimmt sein und andererseits in einem angemessenen Verhältnis zu dem entgangenen Honorar stehen, d. h. möglicherweise ersparte Aufwendungen berücksichtigen.
     

     

    Musterformulierung / Ausfallhonorar für Behandler

    Sollten Sie einen exklusiv vereinbarten Termin nicht wahrnehmen können, sind Sie verpflichtet, diesen spätestens 24 Stunden im Voraus abzusagen. Wir vereinbaren für Sie nur beidseits verbindliche Exklusivtermine, die wir innerhalb des genannten Zeitraums regelmäßig nicht mehr anderweitig vergeben können. Andernfalls wird eine Ausfallgebühr in Höhe des für die Behandlung entgangenen Honorars fällig, sofern der Termin auch tatsächlich nicht mehr anderweitig vergeben werden konnte. Diese Regelung basiert auf den gesetzlichen Vorgaben des § 615 BGB (Annahmeverzug). Es ist darauf hingewiesen, dass das Ausfallhonorar von der Krankenkasse regelmäßig nicht übernommen wird, sondern auch von Kassenpatienten privat ausgeglichen werden muss. Es bleibt Ihnen unbenommen, nachzuweisen, dass es infolge des Unterbleibens der Dienstleistung zur dann anzurechnenden Ersparnis von Aufwendungen gekommen ist oder die anderweitige Verwendung der Dienste böswillig unterlassen wurde.

     

     

    Beachten Sie | Solche Musterformulierungen können immer nur eine Anregung sein, die der Prüfung des Rechtsanwalts im konkreten Einzelfall bedarf. Insoweit kann keine Haftung und Gewähr übernommen werden. Neben den Vorgaben des BGH muss die Klausel auch im Einzelfall §§ 307 ff. BGB entsprechen. Der BGH hatte das in seinem Fall offengelassen.

    Quelle: Ausgabe 10 / 2024 | Seite 167 | ID 50148575