· Fachbeitrag · Berufsrecht
Fällt nun das Fremdbesitzverbot?
| Anwälte sind nach § 59b bis e, i und j BRAO (früher § 59a Abs. 4 BRAO) in der beruflichen Verbindung mit Nichtanwälten eingeschränkt. Das hindert einerseits die Beteiligung von Fremdkapital und andererseits die Weitergabe von Anteilen an einer Kanzlei als Lebenswerk innerhalb der (nicht anwaltlichen) Familie. Der BayAGH hatte Zweifel an der Europarechtskonformität des Fremdbesitzverbots und seine Fragen dem EuGH vorgelegt. Für einen Paukenschlag sorgt jetzt das Votum des Generalanwalts. |
1. Das war geschehen
Ein Anwalt hatte in Deutschland 2020 eine Rechtsanwalts UG gegründet und für diese 2022 eine Anwaltszulassung erhalten. An der Gesellschaft beteiligte sich dann mit 51 % eine nicht anwaltliche österreichische GmbH, wobei die Satzung der UG so geändert wurde, dass diese Gesellschafterin keinen Einfluss auf die Berufsausübung der Rechtsanwälte nehmen konnte und die Auskunfts- und Einsichtsrechte so beschränkt wurden, dass die anwaltliche Verschwiegenheit gewahrt werden konnte. Darauf entzog die Rechtsanwaltskammer der UG die Zulassung nach §§ 59a, 59e, 59h BRAO wieder. Hiergegen zog die UG vor den BayAGH, der die Zweifel der mangelnden Europarechtskonformität dieser Vorschriften teilte und das Verfahren deshalb dem EuGH vorlegte (20.4.22, III - 4 - 20/21). Jetzt hat der Generalanwalt den Fall votiert und folgt den Argumenten von UG und BayAGH. Meist folgt der EuGH dem Votum des Generalanwalts.
2. Generalanwalt votiert
Der Generalanwalt misst das deutsche Fremdbesitzverbot an Art. 15 der Dienstleistungsrichtlinie und kommt zu dem Ergebnis, dass es in der jetzigen Form europarechtswidrig ist. Sein Vorschlag, dem BayAGH zu antworten:
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Art. 15 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.06 über Dienstleistungen im Binnenmarkt ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, deren Bestimmungen
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Der Generalanwalt bei EuGH sieht durchaus einen weiten Spielraum der Mitgliedstaaten bei der Regelung des Berufsrechts eines Rechtsanwalts. Die Ziele der BRAO stünden insoweit im Einklang mit den Regelungen der Dienstleistungsrichtlinie. Der Generalanwalt betont aber auch, dass die Beteiligung einer Handelsgesellschaft am Kapital einer anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaft unter die Grundfreiheiten des EU-Rechts fällt. Insbesondere die Niederlassungsfreiheit und der freie Kapitalverkehr seien hier relevant. Die Möglichkeit, in andere Mitgliedstaaten zu investieren und sich niederzulassen, sei ein wichtiger Aspekt der europäischen Integration. Der Generalanwalt erkannte an, dass die berufliche Verantwortung von Anwälten und Anwältinnen geschützt werden muss. Eine zu weitreichende Beteiligung von Handelsgesellschaften könnte die Unabhängigkeit und Integrität der anwaltlichen Berufsausübung gefährden. Daher sollten nationale Regulierungsbehörden die Möglichkeit haben, solche Beteiligungen zu überprüfen und gegebenenfalls zu begrenzen. Insgesamt unterstreicht der Generalanwalt die Balance zwischen wirtschaftlichen Interessen und beruflicher Verantwortung.
Die Beschränkungen der BRAO seien aber nicht kohärent und damit europarechtswidrig. Sie schließen Angehörige anderer als der aufgeführten Berufe aus, selbst wenn diese die Kriterien für eine Beteiligung erfüllten. Nicht notwendig sei auch das Erfordernis, dass ein beteiligter Gesellschafter in der Berufsausübungsgemeinschaft noch selbst berufstätig sei. Die BRAO schließe Angehörige anderer als der aufgeführten Berufe von der Stellung als Gesellschafter aus, selbst wenn sie die Kriterien erfüllen könnten, auf deren Grundlage die Beteiligung Angehöriger der aufgeführten Berufe gestattet wird.
Die BRAK hat bereits reagiert. Sie liest das Votum anders als die überwiegende Zahl der Kommentatoren. Der Generalanwalt habe das Fremdbesitzverbot als sinnvoll bezeichnet. Auch künftig müsse die Kammeraufsicht ‒ dann auch über nicht anwaltliche Gesellschafter ‒ sichergestellt sein. Auch könne es nur eine Minderheitsbeteiligung geben. Das verkennt, dass der Generalanwalt die deutsche Regelung gerade nicht als kohärent ansieht. Dabei sieht er die Beteiligungsmöglichkeiten nicht auf die Angehörigen anderer freier Berufe beschränkt. Auch sieht der Generalanwalt nicht die Notwendigkeit, dass jeder Gesellschafter zugleich auch in der Rechtsanwaltsgesellschaft tätig sein muss.
3. Was passiert jetzt?
Nach dem Votum des Generalanwalts muss nun der EuGH entscheiden. Das wird voraussichtlich in den nächsten Monaten geschehen. Sollte das Gericht ihm folgen, ist dies die Richtlinie für die Entscheidung des AGH. Dies wird dann die europarechtswidrigen Vorschriften im konkreten Einzelfall nicht anwenden und die Entscheidung über den Widerruf aufheben. Darüber hinaus wird aber der Gesetzgeber gefordert sein, nun das Verbot aufzuheben oder den Rahmen zu bestimmen, in dem ein Fremdbesitz möglich ist. Von Letzterem ist auszugehen. Dazu gibt es auch schon ältere Hinweise aus der Literatur (Kilian, AnwBl. 14, 111; Henssler, AnwBl. Online 18, 564; s. zur Problematik auch BVerfG AnwBl. Online 23, 242 mit Anm. Nellesen, a. a. O., 280), die den Weg zur Beteiligung nicht aktiver Gesellschafter, Anwaltskapitalgesellschaften und Erfolgshonoraren vorzeichnen. Bundesjustizminister Buschmann wird nun schnell seine Zurückhaltung (AnwBl. 22, 582) aufgeben und den Prüfauftrag aus dem Koalitionsvertrag umsetzen müssen.