· Fachbeitrag · Fluggastrechte
Nicht immer geht nur ein Flieger ...
| Die Rechtsprechung zur Frage der Entschädigung bei verspäteten oder annullierten Flügen nach der „Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.2.04 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen“ (im Folgenden: Fluggastrechteverordnung) scheint kein Ende zu nehmen. Jetzt hat sich der EuGH mit der Frage beschäftigt, wie zu verfahren ist, wenn eine Flugreise von mehreren Fluggesellschaften ausgeführt wird. Für die Frage der Entschädigung ist entscheidend, ob ein „direkter Anschlussflug“ vorliegt. Wann dies der Fall ist, ergibt sich nicht unmittelbar aus der Verordnung, sondern musste jetzt vom EuGH konkretisiert werden. |
Sachverhalt
Der Fall, über den der EuGH entschieden hat, stammt aus Deutschland und beruht auf einer Vorlage des BGH.
Für eine Reise am 25.7.18 von Stuttgart nach Kansas City (Vereinigte Staaten) erteilte ein Fluggast einem Reisebüro einen Vermittlungsauftrag für den Erwerb eines einheitlichen elektronischen Flugscheins für einen von der Swiss International Air Lines AG durchgeführten Flug von Stuttgart nach Zürich (Schweiz) und zwei von American Airlines durchgeführte Flüge von Zürich nach Philadelphia (Vereinigte Staaten) und von Philadelphia nach Kansas City. Die Nummer dieses Flugscheins stand auf den Bordkarten für diese Flüge. Der Flugschein gab American Airlines als Dienstleistungserbringerin an und war mit einer einheitlichen Buchungsnummer („Filekey“) für die gesamte Strecke versehen. Das Reisebüro stellte eine Rechnung aus, die für die gesamte Strecke sowie für den Rückflug von Kansas City nach Stuttgart über Chicago (Vereinigte Staaten) und London (Vereinigtes Königreich) einen einheitlichen „Teilnehmerpreis“ ausweist. Die Flüge von Stuttgart nach Zürich und von dort nach Philadelphia fanden planmäßig statt. Der Flug von Philadelphia nach Kansas City war dagegen bei der Ankunft um mehr als vier Stunden verspätet.
Die durch diese Verspätung entstandenen Ansprüche wurden abgetreten. Der neue Gläubiger klagt vor den deutschen Gerichten gegen American Airlines auf eine Ausgleichszahlung von 600 EUR nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Fluggastrechteverordnung.
AG und LG wiesen die Klage mit der Begründung ab, American Airlines sei nicht als ausführendes Luftfahrtunternehmen eines Flugs aus dem Gebiet eines Mitgliedstaats anzusehen, sodass die Verordnung Nr. 261/2004 ihr gegenüber nicht anwendbar sei und sie nach dieser Verordnung keine Ausgleichszahlung schulde. Es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, dass sich die Airlines verpflichtet habe, die Beförderung des Fluggasts von Stuttgart nach Kansas City durchzuführen, oder dass sie die Beförderung im Rahmen einer Codesharing-Vereinbarung übernommen habe.
Auf die zugelassene Revision legte dann der BGH die Sache dem EuGH vor. Auch wenn sich aus der Rechtsprechung des EuGH ergebe, dass zwei oder mehr Flüge, die Gegenstand einer einzigen Buchung gewesen seien, für die Zwecke des in der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen Ausgleichsanspruchs als direkte Anschlussflüge eine Gesamtheit darstellten, stelle sich doch die Frage, ob eine einheitliche Buchung schon vorliege, wenn ein Reisebüro von unterschiedlichen Luftfahrtunternehmen durchgeführte Flüge zu einem einzigen Beförderungsvorgang zusammenfasse, dem Fluggast hierfür einen Gesamtpreis in Rechnung stelle und einen einheitlichen elektronischen Flugschein ausgebe, oder ob es dafür darüber hinaus einer besonderen rechtlichen Beziehung zwischen diesen Luftfahrtunternehmen bedürfe.
Entscheidungsgründe
Das entscheidende Kriterium für die Beantwortung der Frage war, ob es sich um „direkte Anschlussflüge“ gehandelt hat.
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Der Begriff „direkte Anschlussflüge“ i. S. dieser Bestimmung ist so zu verstehen, dass er zwei oder mehr Flüge bezeichnet, die für die Zwecke des in der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen Ausgleichsanspruchs von Fluggästen eine Gesamtheit darstellen. Eine solche Gesamtheit liegt vor, wenn zwei oder mehr Flüge Gegenstand einer einzigen Buchung waren (Abruf-Nr. 231848). |
Der Begriff der „direkten Anschlussflüge“ ist nach Ansicht des EuGH im Interesse des im ersten Erwägungsgrundes der Fluggastrechteverordnung angeführten hohen Schutzniveaus für Fluggäste weit auszulegen.
Was also direkte Anschlussflüge i. S. v. Art. 2 Buchst. h der Verordnung Nr. 261/2004 betrifft, ist die Anwendbarkeit der Fluggastrechteverordnung unter Berücksichtigung des ersten Abflugorts und des Endziels des Fluges im Hinblick auf direkte Anschlussflüge i. S, d. Art 2 Buchst. h) der VO zu beurteilen. Gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. a) der VO gilt diese u. a. für Fluggäste, die auf Flughäfen im Gebiet eines Mitgliedstaats einen Flug antreten, weshalb ein Flug mit direkten Anschlussflügen, der von einem solchen Flughafen aus durchgeführt wird, in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt.
Für den EuGH sind vor diesem Hintergrund die tatsächlichen Feststellungen der Ausgangsgerichte von zentraler Bedeutung:
- Der Fluggast hat seine Flugreise in Stuttgart und damit innerhalb eines europäischen Mitgliedstaates angetreten.
- Er verfügte über einen einheitlichen elektronischen Flugschein, um damit drei aufeinanderfolgende Flüge von Stuttgart nach Kansas City antreten zu können.
- Die Nummer des Flugscheins war auf alle Bordkarten für die entsprechenden Flüge wiedergegeben.
- Der Flugschein wies nur eine einzige Dienstleisterin, nämlich die hier in Anspruch genommene American Airlines auf.
- Der Flugschein zeigte nur eine einzige Buchungsnummer (Filekey).
Um vier Stunden verspätet war der letzte der drei Flüge. Damit ist im Hinblick auf den Anspruch auf Ausgleichsleistung festzustellen, ob dieser letzte Flug als „direkter Anschlussflug“ bezogen auf den Abflugort in Stuttgart zu gelten hat.
Beachten Sie | Als maßgeblich für die Beurteilung sieht der BGH dann an, dass eine einheitliche Buchung der gesamten Reise von Stuttgart nach Kansas City durch das Reiseunternehmen akzeptiert und registriert geworden ist. Bei einem solchen Beförderungsvertrag sei grundsätzlich davon auszugehen, dass er auf einer einzigen Buchung beruhe, sodass es sich insgesamt um direkte Anschlussflüge handele.
Keine Bedeutung hat der EuGH dem Umstand beigemessen, dass die im Beförderungsvorgang enthaltenen Flüge von unterschiedlichen Luftfahrtunternehmen durchgeführt wurden und zwischen diesen keine besondere rechtliche Beziehung bestanden hat. Nach der Fluggastrechteverordnung fehle es an einer tatbestandlichen Voraussetzung dieser Art. Sie würde auch dem verfolgten Ziel der Sicherstellung eines hohen Schutzniveaus für Fluggäste zuwiderlaufen.
Relevanz für die Praxis
Der EuGH weist ausdrücklich darauf hin, dass das in Anspruch genommene Luftfahrtunternehmen ggf. bei dem Reisebüro oder den anderen Beteiligten Luftfahrtunternehmen Regress nehmen können, wenn die Komposition „direkter Anschlussflüge“ gegen deren Verpflichtungen verstoße.
Nach alledem hat der EuGH die vom BGH aufgeworfene Frage wie folgt beantwortet: Art. 2 Buchst. h) der Fluggastrechteverordnung ist dahin auszulegen ist, dass der Begriff „direkte Anschlussflüge“ einen Beförderungsvorgang erfasst,
- der aus mehreren Flügen besteht,
- die von unterschiedlichen, nicht durch eine besondere rechtliche Beziehung miteinander verbundenen ausführenden Luftfahrtunternehmen durchgeführt werden,
- wenn diese Flüge von einem Reisebüro zusammengefasst wurden, das für diesen Vorgang einen Gesamtpreis in Rechnung gestellt und einen einheitlichen Flugschein ausgegeben hat,
- sodass einem Fluggast, der auf einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats einen Flug angetreten hat und bei der Ankunft am Zielort des letzten Fluges mit großer Verspätung gelandet ist, der Ausgleichsanspruch nach Art. 7 der Verordnung zusteht.