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  • · Fachbeitrag · Inkassokosten

    Musterfeststellungsklage beim OLG Hamburg: Inkasso vor dem Ende?

    | Eigentlich sollte das OLG Hamburg entscheiden, ob der Gläubiger Inkassokosten auch geltend machen kann, wenn die Forderung innerhalb verbundener Unternehmen nach § 15 AktG entstanden sind (Konzerninkasso) oder die notleidende Forderung von einem Dritten erworben wurde (Forderungskauf). Doch am Ende kam es ganz anders und die Frage ist entbrannt, ob die bisherigen Angebote der Inkassowirtschaft und außergerichtliche Angebote der Rechtsanwälte vor dem Aus stehen. Das OLG Hamburg beurteilte nämlich gleich das gesamte Geschäftsmodell von Inkassodienstleistern und das außergerichtliche Geschäftsmodell von Rechtsanwälten als ungeeignet, um einen Erstattungsanspruch für Inkassokosten (= Rechtsverfolgungskosten) gegenüber dem Schuldner zu begründen, wenn der Gläubiger das Liquiditätsrisiko des Schuldners im Hinblick auf den Erstattungsanspruch auf den Rechts- und Inkassodienstleister im Wege der Abtretung an Erfüllungs statt auf den Dienstleister überträgt. |

    1. Vergütungsmodell

    Gläubiger scheuen sich häufig davor, in die Forderungseinziehung zu investieren, da sie befürchten, „gutes Geld schlechtem hinterherzuwerfen“. Da der Rechtsdienstleister unbestritten zu vergüten ist, wird meist eine Vergütung nach dem RVG vereinbart.

     

    MERKE | Eine solche Vereinbarung wird kaum als unangemessen (Rechtsgedanke des § 307 BGB) oder als „künstlich hohe Vergütung“ zulasten des erstattungspflichtigen Schuldners angesehen werden können, weil sie der gesetzlichen Vergütung nach dem RVG im Sinne einer Taxe bzw. der Ortsüblichkeit im Sinne des § 612 Abs. 2 BGB entspricht.

     

    Die Vergütung wird aber nicht oder nur teilweise in bar entrichtet, sondern durch Abtretung des korrespondierenden Erstattungsanspruchs an den Rechtsdienstleister erfüllt (§ 364 BGB). Es wird also ein sog. Erfüllungssurrogat eingesetzt. Während Inkassodienstleister in der Vereinbarung der Abtretung an Erfüllungs statt völlig frei ist, ist der Rechtsanwalt im Kontext der gerichtlichen Verfahren einschließlich der Zwangsvollstreckung hierin beschränkt. Mit diesem Vergütungsmodell wird natürlich das Liquiditätsrisiko vom Gläubiger auf den Rechtsdienstleister verlagert. Dies geschieht in der Regel aber entgeltlich: Es wird hierfür meist eine Erfolgsprovision auf die eingehenden Zahlungen als Äquivalent gezahlt.

    2. Ausgangslage

    Der Musterkläger im Fall des OLG klagt als qualifizierte Einrichtung nach § 606 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO und als Dachverband von 16 Verbraucherzentralen in den Bundesländern und weiteren 28 Verbraucherschutzorganisationen zur Verwirklichung des Verbraucherschutzes.

     

    Musterfeststellungsbeklagte war die Forderungskaufgesellschaft der Otto-Gruppe, die Forderungen, die ihr von der Otto-Gruppe oder von nicht konzernangehörigen Dritten übertragen wurden, von der ebenfalls konzernzugehörigen Inkassogesellschaft einziehen lässt. Die Geschäftsanteile der Musterfeststellungsbeklagten wie der Inkassogesellschaft sind zu 100 Prozent im Eigentum einer Holding, die wiederum eine 100-prozentige Tochter der Otto GmbH & Co KG ist. In allen Verbindungen bestehen Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge. Es ist insgesamt mithin von einem Konzernverbund im Sinne der §§ 15 ff. AktG auszugehen.

     

    Eine Besonderheit liegt darin, dass nicht nur die Inkassogesellschaft, sondern auch die Musterfeststellungsbeklagte im Rechtsdienstleistungsregister nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 RDG eingetragen ist und es personelle Identitäten bei den qualifizierten Personen und bei den vertretungsberechtigten Personen gibt. Die Musterfeststellungsbeklagte will allerdings über keine eigene Mahn- und Vollstreckungsabteilung verfügen und sieht sich deshalb nicht in der Lage, die Forderung selbstständig einzuziehen.

     

    Gegenstand der Klage sind die Fälle von zwölf Verbrauchern als Schuldner von Unternehmen der Otto-Gruppe und drei Verbrauchern als Schuldner von davon völlig losgelösten Kreditinstituten. Die jeweiligen Forderungen wurden an die Musterfeststellungsbeklagte abgetreten, die damit neue Eigentümerin geworden ist. Sie hat die konzerneigene Inkassogesellschaft mit der Einziehung beauftragt, wobei von dieser ‒ nach altem Recht ‒ jeweils eine 1,3-Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG verlangt wurde. Dem liegt ein Inkassovertrag zugrunde, nach dem eine Vergütung nach Maßgabe des RVG vereinbart wurde, die mit den Haupt- und Nebenforderungen eingezogen werden soll.

     

    Die Zahlung der Vergütung wurde bis zur Realisierung beim Schuldner gestundet, bei mangelnder Realisierung wurde der Erstattungsanspruch an Erfüllung statt abgetreten. Bei eingehenden Zahlungen des Schuldners erfolgt die Verrechnung nach Maßgabe der gesetzlichen Regelungen in §§ 366, 367 BGB. Daneben schuldete die Musterfeststellungsbeklagte der Inkassodienstleisterin eine Erfolgsprovision, die nicht vom Schuldner erstattet verlangt wurde.

     

    Der Musterkläger ist der Auffassung, dass diese Kosten nicht zu erstatten sind, da es an einem Schaden fehle. Vielmehr handele es sich um nicht erstattungsfähige Erfolgsprovisionen. Es fehle an einem Aufwendungsschaden. Es liege schon keine Tätigkeit nach dem RDG vor, die einen Rückgriff auf das RVG gestatte. Letztlich zahle der zahlende Schuldner auch den Aufwand für den nicht zahlenden Schuldner; diese erzwungene Solidargemeinschaft habe keine Grundlage im Gesetz.

     

    Da die Musterfeststellungsbeklagte über eine Registrierung verfüge und jedenfalls im Konzern die Kompetenzen zur Verfügung stünden, müsse die Beklagte die Forderungen im Rahmen ihrer Eigenobliegenheiten ohne Inkassokosten einziehen. Dies auch vor dem Hintergrund, dass die Einziehung allein in einem digitalisierten Verfahren erfolge. Die Gesamtkonstruktion führe zu künstlichen Schadenspositionen, was gegen das Kostenminderungsgebot verstoße. Durch die Konstruktion stehe sich die Musterfeststellungsbeklagte besser als ohne das Schadensereignis.

     

    Die Musterfeststellungsbeklagte ist dem entgegengetreten. Die Erstattungsfähigkeit der Inkassokosten beruhten auf Verzug, §§ 280, 286 BGB. Die Vergütungsvereinbarung entspreche dem gesetzlichen Rahmen, die Ansätze des RVG würden nicht überschritten. Da sie berechtigt gewesen sei, die verzugsbegründend gemahnte Forderung an jeden beliebigen Rechtsanwalt oder Inkassodienstleister abzugeben, komme dem Umstand, dass die Inkassodienstleisterin ein verbundenes Unternehmen sei, keine Bedeutung zu. Die Argumente der Klägerin weist sie zurück.

    3. So sieht es das OLG

    Die mit der Klage aufgeworfenen Fragen des Konzerninkassos und des Forderungskaufs, waren dem OLG offenbar ein zu kleiner Rahmen. Seine Entscheidung geht weit darüber hinaus. Im Kern ist das OLG Hamburg der Auffassung, dass eine Vertragskonstruktion, bei der der Gläubiger/Auftraggeber durch eine Vereinbarung einer Vergütung nach dem RVG, die bis zur Realisierung gestundet und bei Nichtrealisierung an Erfüllungs statt abgetreten wird, lediglich einen nicht erstattungsfähigen fiktiven Schaden begründet. Welche Bedeutung in diesem Zusammenhang die zumindest im Tatbestand erwähnte Erfolgsprovision hat, wird nicht abgehandelt.

     

    • Leitsatz: OLG Hamburg 15.6.23, 3 Mk 1/21

    Vereinbaren Gläubiger und Inkassodienstleister eine Vergütungsstruktur, die sicherstellt, dass den Gläubiger in keinem Fall Rechtsverfolgungskosten belasten, entsteht ihm kein Schaden. Folglich hat der Schuldner in diesem Fall auch keine Rechtsverfolgungskosten zu tragen (Abruf-Nr. 236096).

     

    Das OLG stellt zunächst fest, dass an den formellen Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Musterfeststellungsklage nicht zu zweifeln ist. Das wird auch von den Parteien nicht angegriffen. Ebenso unbestritten ist, dass alle klagebetroffenen Verbraucher sich grundsätzlich in Verzug nach §§ 280, 286 BGB befunden haben und die Kosten der Rechtsverfolgung als Verzugsschaden nach § 280 Abs. 2, § 286 Abs. 1, §§ 249 ff. BGB vom Schuldner verlangt werden können. Voraussetzung sei aber, dass der Musterbeklagten überhaupt Rechtsverfolgungskosten als ersatzfähige Aufwendungen entstanden sind. Das zieht das OLG mit der Musterklägerin in Zweifel.

     

    Die Höhe der Inkassovergütung ist im Innenverhältnis zwischen Inkassodienstleister und Gläubiger nicht gesetzlich geregelt. Hinsichtlich der Gebührenhöhe besteht Vertragsfreiheit, die bei Inkassodienstleistungen nach dem RDG seit dem 1.10.21 gemäß § 13e RDG (§ 4 Abs. 5 RDG a. F.) durch die RVG-Gebührensätze gedeckelt sind. Der geltend gemachte Schaden besteht in der konkreten „Inkassovergütung“, die durch die Beauftragung des verbundenen Inkassodienstleisters mit der Rechtsverfolgung nach Verzugseintritt in jedem Einzelfall aufseiten der Musterbeklagten entstanden sein soll. Er ist gegenüber den 15 in der Klageschrift genannten Verbrauchern (u. a.) jeweils als „Nebenforderung/en aus Verzug gemäß §§ 280 Abs. 2, 286 BGB“ geltend gemacht worden.

     

    Bei der Beurteilung der Frage, ob und in welchem Umfang der dem Geschädigten zustehende Schadenersatzanspruch auch die Erstattung von Rechtsverfolgungskosten umfasst, ist zwischen dem Innenverhältnis des Geschädigten zu dem für ihn tätigen Rechtsanwalt bzw. Rechtsdienstleister und dem Außenverhältnis des Geschädigten zum Schädiger zu unterscheiden. Voraussetzung für einen Erstattungsanspruch im geltend gemachten Umfang ist grundsätzlich, dass der Geschädigte im Innenverhältnis zur Zahlung der in Rechnung gestellten Kosten verpflichtet ist und die konkrete (anwaltliche) Tätigkeit im Außenverhältnis aus der maßgeblichen Sicht des Geschädigten mit Rücksicht auf seine spezielle Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig war (st. Rspr., z. B. BGH NJW 19, 1522; Grüneberg, BGB, 82 Aufl., § 249 Rn. 57; § 286 Rn. 44).

     

    Das OLG zitiert zunächst den Gesetzgeber, bei der Regulierung der Inkassokosten durch das Gesetz zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht die streitgegenständliche Problematik erkannt, jedoch von einer Regelung im RDG abgesehen habe (BR-Drucksache 196/20, S. 23).

     

    MERKE | Offen bleibt dann allerdings, welche Konsequenzen das OLG aus diesem Zitat ziehen will. Am Ende hat der Gesetzgeber von einer gesonderten Regelung abgesehen, sodass es bei den allgemeinen Regelungen für die Erstattung von Rechtsverfolgungskosten bleibt.

     

    Nach Ansicht des OLG haben die Musterbeklagte und die Inkassodienstleisterin im Innenverhältnis zweierlei geregelt:

     

    • Zum einen haben sie die Pflicht des Gläubigers, eine Inkassovergütung zu zahlen, in Höhe einer 1,3-Gebühr analog RVG geregelt und zum anderen die Erfüllung dieser Vergütungspflicht durch die von der Inkassodienstleisterin angenommene Abtretung des Ersatzanspruchs zwischen Gläubiger und Schuldner an Erfüllungs statt gemäß § 364 Abs. 1 BGB.

     

    • Um ganz sicher zu gehen, dass die Musterbeklagte nicht die gegenüber den Verbrauchern geltend gemachten Inkassokosten für die Inkassodienstleistung zahlen muss, sei geregelt, dass die Inkassovergütungen zwar dem Konto der Musterbeklagten angelastet, diese jedoch bis zur Realisierung gestundet würden. Sofern Inkassovergütungen nicht realisiert werden, werden sie an Erfüllungs statt ‒ also mit schuldbefreiender Wirkung ‒ abgetreten.

     

    Bei dieser Erfüllungsvariante trage der an Erfüllungs statt annehmende Inkassounternehmer das Risiko, den geltend gemachten Vergütungsanspruch auch tatsächlich beim Schuldner realisieren zu können. Bei einem solchen Modell wird die Tätigkeit des Inkassodienstleisters faktisch durch die Zahlungen der tatsächlich leistenden Schuldner vergütet, die damit die gescheiterte Rechtsdurchsetzung gegen die nicht Zahlenden finanzieren. Wird also z. B. nur die Hälfte der geltend gemachten Gesamtforderungen tatsächlich gezahlt und vom Rechtsanwalt oder Inkassounternehmen ein Anteil am Gesamtbetrag als Honorar einbehalten, müsste dieses Entgelt eigentlich auf alle Schuldner umgelegt werden, um die tatsächlich zutreffende anteilige Vergütung zu bestimmen (Bülte, Anm. zu BGH NJW 19, 1759, 1762).

     

    MERKE | Hier irrt das OLG, weil es den Fall nicht strukturiert anhand der allgemeinen Vorschriften prüft. Die Abtretung an Erfüllungs statt wird einerseits nicht als gesetzlich zulässiges Erfüllungssurrogat erkannt, was sich aus der systematischen Stellung nach § 362 ff. BGB ergibt. Zum anderen „verarbeitet“ das OLG nicht den Umstand, dass eine nicht erstattungsfähige Erfolgsprovision vereinbart wurde. Sie stellt die Vergütung für die Übernahme des Liquiditätsrisikos durch den Inkassodienstleister dar.

     

    Nach Auffassung des OLG macht der Inkassodienstleister für die Musterbeklagte bei einem solchen Vergütungsmodell gegenüber den Verbrauchern nicht die bei der Musterbeklagten tatsächlich entstandenen Nachteile geltend. Es fehle schlicht an dem gegenüber den Verbrauchern konkret geltend gemachten Schaden der Musterbeklagten. In erster Linie sei schadensrechtlich zu berücksichtigen, dass es bei dieser Konstruktion an der geltend gemachten Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese fehlt, da sich der Gläubiger der (zugleich gestundeten) Belastung mit der Inkassovergütung durch die Erfüllungsabrede in derselben Vereinbarung wieder entledigt.

     

    Die Abtretung des Ersatzanspruchs an Erfüllungs statt stellt insoweit keinen erheblichen rechtlichen Unterschied zu einem nach h. M. nicht erstattungsfähigen Erfolgshonorar dar (so auch: Hartmann, ZRP 20, 12, 15). Bei dieser Konstellation macht das Inkassounternehmen gegenüber dem Schuldner Aufwendungen geltend, die der Gläubiger so nicht habe. Denn eine Zahlungspflicht, die nicht zur Zahlung verpflichtet, stellt keinen Nachteil dar.

     

    MERKE | Das vernachlässigt einerseits die Vergütung für die Übernahme des Liquiditätsrisikos (Provision auf Zahlungen) und sieht nicht, dass nach dem Gesetz zwischen der Verpflichtung und deren Erfüllung zu unterscheiden ist. Letztere setzt nach § 362 ff. BGB eben gerade nicht immer eine (Bar-)Zahlung voraus, sondern erlaubt auch Erfüllungssurrogate.

     

    Im Ergebnis stelle sich auch unter Wertungsgesichtspunkten des § 249 BGB die konkret vereinbarte aber zugleich gestundete, mithin nicht fällige, bei fehlender Realisierbarkeit sodann an Erfüllungs statt abgetretene Inkassovergütung als rein fiktive Schadensposition dar. Soweit die Musterbeklagte geltend mache, dass ihr ein rechnerisches Minus in Höhe der Inkassovergütung entstehe, wenn der Schuldner endgültig nur teilweise leiste, treffe dies nicht zu. Hier entstehe der Musterbeklagten kein Schaden, sondern es handele sich um das rechtlich neutrale Ausbleiben der Erfüllung.

     

    Soweit die Musterbeklagte geltend mache, sie trage die Vergütung in Form einer Zahlung zumindest in Insolvenzanfechtungsfällen und im Fall der Kündigung, sieht das OLG in den Insolvenzfällen eine ganz andere Konstellation und den Fall der Kündigung als vorgeschoben an.

     

    Der weitere Einwand der Musterbeklagten, dass es für die Schadensentstehung dem Grunde nach irrelevant sei, ob der Anspruch auf Zahlung einer Inkassovergütung nach seiner Entstehung eine Veränderung erfahre oder untergehe, denn dies habe ‒ aus der insofern maßgeblichen Ex-ante-Sicht ‒ auf die Entstehung der Verbindlichkeit und damit des Schadens keinen Einfluss, überzeuge ebenfalls nicht. Denn der Schaden entfalle hier nicht durch Geschehnisse nach Vertragsschluss (im Unterschied zu dem von der Musterbeklagten zitierten VW-Fall, BGH NJW 20, 1962), sondern die Vertragsvereinbarungen sähen von Anfang an vor, dass tatsächlich keine Zahlungspflicht entstehe.

     

    MERKE | Das übersieht wiederum, dass in allen Realisierungsfällen, also der ganz überwiegenden Zahl der Fälle, die Zahlung des Schuldners ausgekehrt und die Vergütung dann tatsächlich gezahlt wird. Das stellt sich nicht anders dar, wenn dieser Vorgang im Wege der Verrechnung erfolgt.

     

    Im maßgeblichen Zeitpunkt der Beauftragung der Inkassodienstleisterin könne auch die in Aussicht gestellte Abtretung eines (unterstellt) werthaltigen Verzugsschadensersatzanspruchs keinen Schaden begründen, weil im Zeitpunkt der Vertragsvereinbarungen mit der Inkassodienstleisterin noch gar kein Verzugsschadensersatzanspruch der Musterbeklagten bestehe, der verloren gehen und dadurch einen Schaden begründen könnte. Der von den Verbrauchern verlangte Verzugsschadensersatzanspruch bestehe nicht bei Beauftragung, sondern entstehe erst durch die Beauftragung. Solange ein Anspruch noch gar nicht besteht, sondern nur entstehen kann, bedeute der Verlust des hypothetischen zukünftigen Anspruchs ‒ hier des Verzugsschadensersatzanspruchs ‒ noch keinen Schaden.

     

    Des Weiteren dringe die Musterbeklagte auch nicht mit den Grundsätzen der schadensrechtlichen Vorteilsausgleichung durch, wonach eine ansonsten eintretende unbillige Entlastung des Schuldners durch Leistungen eines Dritten verhindert werden soll. Die Unbilligkeit sei durch die selbst gewählte Vergütungsstruktur widerlegt. Die Musterbeklagte könne jederzeit eine andere, rechtlich zulässige Vergütungsstruktur wählen, was ihr ohne Weiteres möglich sei.

     

    Schließlich dringe die Musterbeklagte auch nicht mit dem Hilfsargument durch, dass die säumigen Schuldner den streitgegenständlichen Schaden dann wenigstens im Wege der Drittschadensliquidation erstatten müssten. Die Drittschadensliquidation solle Konstellationen korrigieren, bei der ein Schädiger in unbilliger Weise von einer aus seiner Sicht zufälligen Schadensverlagerung ‒ also dem Auseinanderfallen von Geschädigtem und Anspruchsinhaber ‒ profitiert. Die streitgegenständlichen Vereinbarungen im Innenverhältnis ‒ Stundung und Abtretung an Erfüllungs statt ‒ stellten aus Sicht des Schuldners aber keine zufällige Schadensverlagerung dar. Die von der Beklagten zitierte Entscheidung des LG Karlsruhe (6.5.22, 20 S 35/21, BeckRS 2022, 16697) überzeuge nicht.

     

    MERKE | Die Zurückweisung der Entscheidung des LG Karlsruhe muss dem Senat allerdings schon fast peinlich sein. Das LG Karlsruhe wurde nämlich durch Urteil des BGH 7.3.23 im Verfahren VI ZR 180/22 (MDR 23, 732) und damit vor seiner Entscheidung bereits bestätigt. Damit hätte sich das OLG Hamburg auseinandersetzen müssen. Auch übersieht es vor dem Hintergrund, dass die aufgeworfenen Fragen auf europarechtlichen Regelungen beruhen, dass der Oberste Gerichtshof für Zivilsachen in Österreich (OGH 12.7.16, 4 Ob 139/16v, dazu Spitzer ÖBA 16, 733) sehr wohl eine Drittschadensliquidation angenommen hat. Die ganze Entscheidung lässt eine Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BGH vermissen.

     

    Das OLG Hamburg meint dann noch eine Anlehnung an das Wettbewerbsrecht nehmen zu müssen. Hier stelle es ein Indiz für Rechtsmissbrauch dar, wenn der beauftragte Anwalt das Abmahngeschäft „in eigener Regie“ betreibe, insbesondere den Auftraggeber vom Kostenrisiko ganz oder teilweise freistelle (OLG Hamburg 11.8.16, 3 U 56/15, GRUR-RS 16, 113191 Rn. 61 zu § 8 Abs. 4 UWG a. F.). So habe das OLG Frankfurt ausgeführt, dass der Vorwurf des Gebührenerzielungsinteresses ein kollusives Zusammenwirken zwischen Partei und Anwalt in der Weise voraussetze, dass der Anwalt zum Zwecke der Erzeugung eigener Gebührenansprüche seinen Mandanten vollständig oder zum größten Teil von den mit dem Führen der Prozesse verbundenen Kostenrisiken freistellt, also die Partei nur als „Strohmann“ ihres Anwalts fungiere (OLG Frankfurt GRUR-RR 16, 274 ‒ Drohkulisse, m. w. N.; GRUR-RR 17, 195 Rn. 13). Mittlerweile sei diese Konstellation als Regelbeispiel für eine nach § 8c Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. UWG n. F. verbotene missbräuchliche Geltendmachung von Ansprüchen gesetzlich geregelt.

     

    MERKE | Das OLG übersieht dabei aber, dass sich die Rechtsmissbräuchlichkeit auf das Geltendmachen der Hauptforderung bezieht. Deren Geltendmachen steht aber in den hier betroffenen Inkassofällen überhaupt nicht infrage.

     

    Ob die als Inkassovergütung geltend gemachten Kosten aus weiteren, vom Musterkläger vorgebrachten Gründen keinen ersatzfähigen Verzugsschaden der Musterbeklagten darstellen, hat der Senat dann dahinstehen lassen.

    4. Fazit

    Die Entscheidung leidet an grundlegenden juristischen Mängeln, stellt aber gleichwohl das gesamte Geschäftsmodell der Inkassodienstleister in Deutschland infrage. Es beruht darauf, dass der Dienstleister ganz oder teilweise das Liquiditätsrisiko des Schuldners im Hinblick auf die Erstattung der Rechtsverfolgungskosten übernimmt und dafür eine Provision auf die eingehenden Zahlungen erhält. Die Erwartung, dass der BGH die Entscheidung „kassiert“, ist wohl begründet, nachdem die Revision bereits angekündigt wurde. Die öffentlichen Reaktionen lassen allerdings erahnen, dass es bis dahin zu intensive Diskussionen zwischen Schuldnern und Inkassodienstleistern geben wird.

    Quelle: Ausgabe 08 / 2023 | Seite 135 | ID 49587150