· Fachbeitrag · Rechtsanwaltsvertrag
Widerrufsrecht für Verträge mit Rechtsdienstleistern?
| Verträge zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher, die mithilfe von Fernkommunikationsmitteln (z. B. Briefe, Telefax, SMS oder E-Mail) geschlossen werden, begründen nach § 312g BGB ein Widerrufsrecht für den Verbraucher. Gilt das auch, wenn es sich bei dem Vertragsgegenstand um eine Rechtsdienstleistung handelt? Der BGH hat diese Frage für den Vertrag mit einem Rechtsanwalt geprüft. Die Ergebnisse sind auf alle Verträge von Rechtsdienstleistern anwendbar und daher von weitergehender Bedeutung. |
Sachverhalt
Der Kläger ist Rechtsanwalt und hat am 22.1.14 an den Beklagten per Telefax ein Schreiben gerichtet, um seine anwaltliche Rechtsberatung für die Auseinandersetzung mit einer Fondsgesellschaft anzubieten. Gleichzeitig hat er einen Fragebogen und eine Vollmacht übersandt. Der Beklagte hat die Vollmacht unterzeichnet und mit dem ausgefüllten Fragebogen an den Kläger zurückgegeben.
Der Kläger hat dann gegenüber der Fondsgesellschaft die Ansprüche des Beklagten außergerichtlich geltend gemacht und dafür eine 1,3-Geschäftsgebühr in Rechnung gestellt. Der Beklagte wies die Forderung mit Schreiben vom 27.5.14 und vom 30.7.14 zurück und widerrief die Vollmacht.
Die auf Zahlung des Anwaltshonorars nebst Zinsen gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.
Relevanz für die Praxis
Der BGH und die Vorinstanzen gehen von einem wirksam geschlossenen Anwaltsvertrag aus. Im Übersenden der ausgefüllten Vollmacht sei das Angebot des beklagten Mandanten zu erkennen. Dieses Angebot habe der Kläger konkludent nach § 151 S. 1 BGB durch Aufnahme der anwaltlichen Tätigkeit angenommen.
Dem Zahlungsbegehren des Klägers könnte jedoch der vonseiten des Beklagten erklärte Widerruf entgegenstehen.
In Umsetzung einer Reihe von EU-Richtlinien hat das BGB dem Verbraucherschutz eine besondere Bedeutung beigemessen. Die folgende Grafik verdeutlicht das:
Dabei wird dem Verbraucher beim Verbraucherdarlehen, (§§ 491, 495 BGB), bei dem zum 1.1.18 neu ins BGB aufgenommenen Verbraucherbauvertrag (§§ 650i, 650l BGB), dem Außergeschäftsraumvertrag (§§ 312, 312g BGB) und beim Fernabsatzvertrag (§§ 312c, 312g BGB) ein Widerrufsrecht nach § 355 BGB eingeräumt.
Danach kann der Verbraucher seine auf den Abschluss eines Vertrags gerichtete Willenserklärung ohne Grund widerrufen und so die vertragliche Bindung aufheben.
Für die Anwendung des Widerrufsrechts beim Fernabsatzvertrag sind zunächst verschiedene Voraussetzungen zu prüfen:
- Verbrauchervertrag: Die Vorschriften über die Verbraucherverträge sind gemäß § 312 Abs. 1 BGB nur anwendbar, wenn es sich um einen Verbrauchervertrag im Sinne des § 310 Ab. 3 BGB handelt. Danach muss es sich stets um einen Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher handeln.
- Fernabsatzvertrag: Die Voraussetzungen für einen Fernabsatzvertrag nach § 312c BGB müssen gegeben und es darf keine Ausnahme nach § 312 Abs. 2 BGB begründet sein.
Liegen diese Voraussetzungen vor, steht dem Verbraucher ein Widerrufsrecht nach § 355 BGB zu. Das zeigt die zweite Grafik:
Ist der Anwaltsvertrag ein Fernabsatzvertrag?
Nach § 312c Abs. 1 S. 1 BGB sind Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen dann Fernabsatzverträge, wenn sie zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln abgeschlossen werden, es sei denn, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt. Der BGH drückt das so aus:
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Erbringung einer Dienstleistung?
Umstritten ist in diesem Zusammenhang bereits, ob der Anwaltsvertrag einen Vertrag über die Erbringung einer Dienstleistung im Sinne des § 312c BGB darstellt. Vereinzelt wird behauptet, die Regelungen über den Fernabsatzvertrag seien bei solchen Tätigkeiten nicht anwendbar, bei denen eine persönliche Dienstleistung im Vordergrund stehe (vgl. AG Berlin-Charlottenburg NJW-RR 16, 184, 185; AG Kleve 18.5.15, 35 C 434/16). Daher sei die Anwendbarkeit der Vorschriften über den Fernabsatzvertrag von vornherein ausgeschlossen. Dieser Argumentation widerspricht der BGH aus verschiedenen Gründen:
- Der Begriff der Dienstleistung im Sinne des § 312 Abs. 1 S. 1 BGB sei mit Blick auf den vom Fernabsatzrecht verfolgten Zweck und die unionsrechtliche Herkunft des Begriffs der Dienstleistungen weit auszulegen. Im Kern genüge es, wenn eine entgeltliche, tätigkeitsbezogene Leistung an den Verbraucher erbracht werde, insbesondere gewerblicher, kaufmännischer, handwerklicher oder freiberuflicher Art. Hierzu könnten folglich auch Anwaltsverträge zählen, die meist als Dienstleistungsverträge einzuordnen seien.
- Die Anwendbarkeit auf Anwaltsverträge entspreche auch Sinn und Zweck der verbraucherschützenden Regelungen für Vertragsabschlüsse im Fernabsatz. Fernabsatzverträge seien dadurch gekennzeichnet, dass Anbieter und Verbraucher sich nicht physisch begegnen und der Verbraucher die vom Unternehmer angebotene Ware in der Regel nicht vor Vertragsschluss in Augenschein nehmen oder sich Kenntnis von den Eigenschaften der Dienstleistung verschaffen kann (vgl. Erwägungsgrund 14 der RL 97/7EG). Um der daraus erwachsenden Gefahr von Fehlentscheidungen des Verbrauchers zu begegnen, werde ihm ein Widerrufsrecht eingeräumt. Das gelte auch für den Anwaltsvertrag.
- Ferner habe der Gesetzgeber in § 312 BGB einzelne, bestimmte Dienstleistungsverträge vom Anwendungsbereich des Fernabsatzrechts ausgenommen. Hierzu rechne der Anwaltsvertrag nicht. Diese Ausnahmen wären nicht erforderlich gewesen, wenn § 312b Abs. 1 BGB nicht auch solche Verträge erfasse, bei denen die Qualität der Waren oder der Dienstleistung auch bei persönlichem Kontakt nicht hinreichend sicher vorab beurteilt werden kann.
- Schließlich würde eine allgemeine Unanwendbarkeit des Fernabsatzrechts auf Anwaltsverträge der Lebenswirklichkeit nicht gerecht. Die Existenz und Zulässigkeit sogenannter „Anwalts- oder Steuerberater-Hotlines“ (BGH 26.9.02, I ZR 44/00; BGHZ 152, 153) oder die Versteigerung anwaltlicher Beratungsleistungen über das Internet (BVerfG NJW 08, 1298) seien Belag dafür, dass sich auch Anwälte für abzuschließende Beratungsverträge moderner Vertriebsformen unter Einsatz von Fernkommunikationsmitteln bedienen. Der Schutz der Verbraucher gebiete es, die Normen des Fernabsatzrechts vor allem in diesen Fällen auch auf Anwaltsverträge zu erstrecken.
Verbraucher ‒ Unternehmer
Der Anwalt ist nach § 14 BGB auch als Unternehmer zu qualifizieren und der beklagte Mandant war nach den Feststellungen des Gerichts als Verbraucher (§ 13 BGB) anzusehen.
Fernkommunikationsmittel
Schließlich ist der Vertrag auch durch ein Telefax bzw. eine Postsendung, also auch unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln zustande gekommen. Von daher sind die ersten Voraussetzungen für die Anwendung der Fernabsatzregelungen im vorliegenden Fall zu bejahen.
Organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem?
Die Vorschriften über den Fernabsatzvertrag sind nach § 312 Abs. 1, S. 1 BGB aber ausgeschlossen, wenn der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt ist.
Die Formulierung der Norm begründet eine widerlegliche Vermutung für das Vorliegen eines solchermaßen organisierten Systems. Das heißt, dem Unternehmer obliegt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass es sich nicht um ein organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem handelt (so auch: MüKo/Wendehorst, BGB, 6. Aufl., § 312b Rn. 68; Staudinger/Thüsing, BGB, Neubearbeitung 2012, § 312b Rn. 54; Erman/Koch, BGB, 15. Aufl., § 312c Rn. 9).
Im vorliegenden Fall war der Kläger dieser Darlegungs- und Beweislast nicht nachgekommen. Schon von daher waren die Anwendungsvoraussetzungen für einen Fernabsatzvertrag nach § 312c BGB insgesamt begründet.
Der BGH setzt sich aber auch grundlegend mit der Frage auseinander, in welchen Konstellationen ein Rechtsdienstleister ein organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem betreibt.
Danach soll ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem vorliegen, wenn der Unternehmer in seinem Betrieb die personellen, sachlichen und organisatorischen Voraussetzungen geschaffen hat, die notwendig sind, regelmäßig Geschäfte im Fernabsatz zu bewältigen (BT-Drucksache 14/2658, 30; BGH 7.7.16, I ZR 30/15, Abruf-Nr. 188842). Ausreichend ist die planmäßige Werbung eines Unternehmers mit dem Angebot telefonischer Bestellung und Zusendung der Ware (BT-Drucksache 14/2658, 85). Demgegenüber genügt es nicht, dass der Unternehmer auf seiner Website nur Informationen (etwa über seine Waren bzw. seine Dienstleistungen und seine Kontaktdaten) zur Verfügung stellt (vgl. Erwägungsgrund 20 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 25.10.11).
Ebenso wenig könne bei einem Rechtsanwalt ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem bejaht werden, wenn dieser lediglich die technischen Möglichkeiten zum Abschluss eines Anwaltsvertrags im Fernabsatz, etwa einen Briefkasten, elektronische Postfächer und/oder Telefon- und Faxanschlüsse vorhält, die auch sonst zur Bewältigung des Betriebs einer Anwaltskanzlei erforderlich sind.
Die Einrichtung einer Kanzlei kann das Vorliegen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems nicht infrage stellen. Ob und wie eine Kanzlei neben einer möglichen Bewältigung von Fernabsatzgeschäften auch andere Möglichkeiten zum Abschluss von Anwaltsverträgen nutzt, ist zur Beurteilung des konkreten Vertrages unerheblich. Es ist nämlich nicht erforderlich, dass der Unternehmer sein gesamtes Geschäft über Fernkommunikationsmittel abwickelt (vgl. BT-Drucksache 14/2658, S. 30).
Zwischenergebnis
Auch Verträge über Rechtsdienstleistungen, z. B. Verträge mit Rechtsanwälten, Steuerberatern, Inkassounternehmer etc., können den Regelungen über den Fernabsatzvertrag (§ 312c BGB) unterfallen. Die Voraussetzungen sind:
- Der Rechtsdienstleister (Unternehmer § 14 BGB) erbringt eine Dienstleistung für einen Verbraucher (§ 13 BGB) und
- der Vertrag ist ausschließlich durch Verwendung von Fernkommunikationsmitteln (z. B. Briefe, Kataloge, Telefonanrufe, Telekopien, E-Mails, SMS, Rundfunk, Telemedien) zustande gekommen.
Es ist kein Fernabsatzvertrag gegeben, wenn der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt. Es genügt für die Annahme eines solchen Systems, die planmäßige Werbung eines Unternehmers mit dem Angebot fernkommunikativer Bestellung der Ware oder Dienstleistung.
Ausübung des Widerrufsrechts
Im vorliegenden Fall hatte der Beklagte durch seine Erklärung vom 27.5.14 hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass er sich von einer etwaigen vertraglichen Beziehung mit dem Kläger lösen wollte. Nach Art. 229 § 32 Abs. 2 Nr. 3 EGBGB endete das Widerrufsrecht bei Verträgen, die ‒ wie hier ‒ vor dem 13.6.14 geschlossen wurden und bei denen der Verbraucher nicht ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht nach § 312g BGB belehrt wurde, erst mit Ablauf des 27.6.15.
Der Widerruf war also zulässig, die vertragliche Bindung dadurch aufgehoben.
MERKE | Hat der Verbraucher den Vertrag wirksam widerrufen, sind bis dahin erbrachte Leistungen nach § 357 Abs. 1 BGB zurückzugewähren. Bei Verlust der Ware muss der Verbraucher nach Maßgabe des § 357 Abs. 7 BGB angemessenen Wertersatz leisten. |
Probleme der Rückgabe
Was aber, wenn die Leistung wegen ihrer Beschaffenheit (z. B. Dienstleistung, Strom, Gas o. Ä.) nicht mehr zurückgegeben werden kann? Nach § 357 Abs. 8 BGB schuldet der Verbraucher dem Unternehmer Wertersatz für die bis zum Widerruf erbrachte Leistung, wenn der Verbraucher vom Unternehmer ausdrücklich verlangt hat, dass dieser mit der Leistung vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt. Der Anspruch besteht auch nur dann, wenn der Unternehmer den Verbraucher darüber vorher ordnungsgemäß informiert hat.
Um den betroffenen Unternehmen die ordnungsgemäße Erfüllung ihrer Belehrungspflichten zu erleichtern, hat der Gesetzgeber als Anlagen zu den entsprechenden Vorschriften des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) gesetzliche Muster für die Widerrufsbelehrung eingeführt.
PRAXISTIPP | In Anlage 1 zu Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 2 EGBGB finden Sie das „Muster für die Widerrufsbelehrung bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen“. |