· Fachbeitrag · Schadenersatz
Erstattung der Reparaturkosten bei Pfändung und Versteigerung des Fahrzeugs
| Verkehrsunfälle werden nach seit langem feststehenden Grundsätzen abgerechnet. Auch bei wirtschaftlichem Totalschaden wird das Integritätsinteresse geschützt. Der Geschädigte kann einen über den wirtschaftlichen Wert hinausgehenden Schaden ersetzt verlangen. Doch nicht immer läuft alles so wie geplant. Was also, wenn der Geschädigte aus der ex-post-Sicht sein Integritätsinteresse nicht gelebt hat? Damit hatte sich nun das OLG Düsseldorf auseinandergesetzt. Fazit: Kommt etwas Unvorhergesehenes dazwischen, muss der höhere Schadenersatz nicht zwingend verloren gehen. |
Sachverhalt
Am 12.4.16 verursachte eine Versicherungsnehmerin der Beklagten einen Verkehrsunfall, bei dem der Pkw des Zeugen (Zedenten) beschädigt wurde. Die grundsätzliche Haftung der Beklagten ist unstreitig. Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass voraussichtlich Reparaturkosten i. H. v. 11.827,05 EUR brutto (bzw. 9.938,70 EUR netto) anfallen würden. Der Wiederbeschaffungswert betrage (mit USt) 9.900 EUR, der Restwert inklusive USt 4.000 EUR. Der Zeuge ließ das Fahrzeug bei der Klägerin für 11.912,27 EUR sach- und fachgerecht reparieren und trat seine Ansprüche gegen die Beklagte an die Klägerin ab. Die Beklagte hatte bereits auf Totalschadensbasis abgerechnet und zahlte auf den Fahrzeugschaden 4.059,33 EUR (Wiederbeschaffungswert von netto 8.319,33 EUR abzüglich eines Restwerts von 4.260 EUR). Der Geschädigte übersandte der Beklagten die Reparaturkostenrechnung und verlangte Zahlung des Differenzbetrags von 7.852,94 EUR. Am 12.5.16 erteilte die Stadt wegen eines Anspruchs gegen den Zeugen i. H. v. 727,20 EUR einen Pfändungsauftrag. Dem zugrunde lag eine Forderung aus einem Bußgeldbescheid vom 27.1.16. Der Pkw des Zeugen wurde gepfändet und dann versteigert.
Entscheidungsgründe
Das LG und das OLG haben die Beklagte verurteilt (OLG Düsseldorf 17.12.19, 1 U 162/18, Abruf-Nr. 213270). Sie sehen einen Anspruch aus § 7 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, § 249 Abs. 2 S. 1 BGB, § 398 BGB. Die Pfändung und Versteigerung des Pkw stehe der Abrechnung nicht entgegen. Die Gerichte hatten keine Bedenken gegen eine wirksame Abtretung. Der Geschädigte hatte seine Ansprüche gegen die Beklagte aus dem Unfall auf Erstattung der Reparaturkosten an die Klägerin nach § 398 BGB bei Auftragserteilung abgetreten. Da künftige Ansprüche abtretbar sind (MüKo/Roth/Kieninger, BGB, 8. Aufl., § 398 Rn. 78), kommt es nicht darauf an, wann genau die Abtretung erfolgt und der Anspruch des Zedenten auf Zahlung der Reparaturkosten entstanden ist.
MERKE | Es liegt auch keine nach § 3 RDG unzulässige Rechtsdienstleistung vor, die den Vertrag nach § 134 BGB nichtig macht. Nach § 5 RDG ist eine Rechtsdienstleistung im Zusammenhang mit einer anderen Tätigkeit erlaubt, wenn sie als Nebenleistung zum Berufs- oder Tätigkeitsbild gehört. Das ist bei der Abtretung der Forderung gegen einen Pflichtversicherer auf Erstattung der Reparaturkosten an die Werkstatt der Fall (Hirtz, BeckOK RDG, 14. Edition, Stand 1.7.20, § 5 Rn. 172 ff.). |
Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach aus § 7 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, § 398 BGB war zwischen den Parteien unstreitig. Die Voraussetzungen für den vollständigen Ersatz der Reparaturkosten, die über dem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs liegen, aber 130 Prozent des Wiederbeschaffungswerts unterschreiten, liegen ebenfalls vor.
Relevanz für die Praxis
Nach der st. Rspr. des BGH kann der Geschädigte auch dann, wenn die kalkulierten Reparaturkosten den kalkulierten Wiederbeschaffungswert um bis zu 30 Prozent überschreiten, auf Reparaturkostenbasis abrechnen (BGHZ NJW 92, 302; BGH NJW 05, 1108). Voraussetzung ist, dass er den Zustand des ihm vertrauten Fahrzeugs wie vor dem Unfall wiederherstellt, um es nach der Reparatur weiter zu nutzen. Ersatzfähig sind nur die konkret angefallenen Kosten. Ihnen muss eine Reparatur zugrunde liegen, die fachgerecht und in einem Umfang durchgeführt worden ist, wie sie der Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht hat. Außerdem muss der Geschädigte sein Interesse an der Wiederherstellung eben dieses Fahrzeugs zum Zwecke der Weiternutzung dokumentiert haben. Dieses für den Zuschlag von bis zu 30 Prozent ausschlaggebende Integritätsinteresse bringt der Geschädigte im Regelfall dadurch hinreichend zum Ausdruck, dass er das Fahrzeug nach der Reparatur für einen längeren Zeitraum nutzt. Dabei werden sechs Monate ab dem Unfallereignis als ausreichend angesehen (BGH NJW 08, 437; NJW 08, 439; NJW 08, 2183).
Die weitere Nutzung des Fahrzeugs über mindestens sechs Monate ist allerdings nur ein Indiz für das notwendige Integritätsinteresse. Es sind zahlreiche Fallgestaltungen denkbar, bei denen die Nutzung des Fahrzeugs aus besonderen Gründen bereits lange vor Ablauf der Sechs-Monatsfrist eingestellt wird, etwa in Folge eines weiteren Unfalls oder deshalb, weil eine Fahrzeugnutzung aus finanziellen Gründen (z. B. Arbeitslosigkeit) nicht mehr möglich ist (BGH NJW 09, 910). Solche Ereignisse müssen den Anspruch nicht vereiteln. Denn entscheidend ist, ob ein Integritätsinteresse bei Erteilung des Reparaturauftrags bestand, ob also der Geschädigte zu diesem Zeitpunkt den Willen besaß, sein Fahrzeug weiter zu nutzen. Dies kann sich auch aus anderen Umständen ergeben.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hatte das OLG keinen Zweifel an einem solchen Nutzungswillen. Die Mitarbeiter der Kfz-Werkstatt haben das bestätigt. Das sei mit dem Geschädigten ausdrücklich besprochen worden, der insoweit auf die 130-Prozent-Rechtsprechung hingewiesen worden sei. Der Geschädigte hat das bestätigt. Es sei sein Wunschauto gewesen und er habe es erst im Jahr 2015 bekommen.
Wie es genau zu der Pfändung gekommen sei, wusste der Geschädigte nicht. Das Fahrzeug sei auf einmal nicht mehr da gewesen. Sein Nachbar habe ihm gesagt, dass das Fahrzeug abgeschleppt worden sei. Er sei auch weiter im Besitz von Fahrzeugschlüsseln und Fahrzeugpapieren geblieben. Ohne Schlüssel und Papiere sei das Fahrzeug auch versteigert worden. Im Zeitpunkt der Erteilung des Reparaturauftrags habe er von einer Pfändung nichts gewusst. Er habe sich vielmehr darum gekümmert, die Summe aus dem Bußgeldbescheid noch aufzubringen. Seine Lebensverhältnisse haben nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme für das OLG den Nutzungswillen und die Notwendigkeit hinreichend glaubhaft begründet.