· Fachbeitrag · Insolvenzantrag
Gleichgelagerte Lebenssachverhalte:Nachweis mehrerer Forderungen
| Um einen Insolvenzantrag stellen zu können, muss ein Insolvenzgrund vorliegen, also Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung. Sieht sich der Schuldner, wie regelmäßig, vielen Gläubigern mit verschiedenartigen Forderungen gegenüber, ist dies unproblematisch. Weniger problematisch ist es auch, wenn die Forderung des antragstellenden Gläubigers tituliert und damit einem Streit über ihren Bestand entzogen ist. Problematisch wird es aber, wenn einzig der antragstellende Gläubiger eine notleidende Forderung geltend macht, über deren Bestand Streit herrscht. Mit der Frage, ob in dieser Situation ein Insolvenzantrag überhaupt zulässig ist, musste sich aktuell der BGH beschäftigen. |
Sachverhalt
Die Antragstellerin hat beantragt, das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin zu eröffnen. Gesellschaftszweck der Schuldnerin war die Errichtung, der Vertrieb und der Handel mit Fotovoltaik-Anlagen und/oder Teilen davon. Grundlage des Antrags sind nicht titulierte rückständige Kaufpreisforderungen, die die Antragstellerin aus abgetretenem Recht geltend macht.
Das Insolvenzgericht hat den Insolvenzantrag als unzulässig verworfen, weil kein Beweis für den Bestand mehrerer Insolvenzforderungen geführt worden sei. Vielmehr liege nahe, dass nur eine Forderung vorliege, die nur teilweise abgetreten worden sei. Eine Glaubhaftmachung genüge nicht. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragstellerin den Eröffnungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Der BGH ist dem Insolvenzgericht gefolgt.
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Stützt ein Gläubiger den Insolvenzantrag nicht auf eine einzelne, sondern auf mehrere, auf gleichgelagerten Lebenssachverhalten beruhende Forderungen, hat er den Bestand der Forderungen zur Überzeugung des Gerichts zu beweisen, soweit diese Forderungen zugleich den Eröffnungsgrund bilden (Abruf-Nr. 220244). |
Nach § 14 Abs. 1 S. 1 InsO muss der Gläubiger ein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens haben und seine Forderung sowie den Eröffnungsgrund glaubhaft machen. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens setzt dabei voraus, dass das Insolvenzgericht vom Vorliegen eines Eröffnungsgrunds überzeugt ist (BGH NZI 06, 405; Uhlenbruck/Mock, InsO, 15. Aufl., § 16 Rn. 9).
Dabei sind zwei Fälle zu unterscheiden:
- Ist der Eröffnungsgrund (Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung) unabhängig davon gegeben, ob die Forderung des antragstellenden Gläubigers gegen den Schuldner besteht, setzt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht voraus, dass der Richter vom Bestehen dieser Forderung überzeugt ist. In diesem Fall genügt zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens ‒ neben der anderweitig gewonnenen Überzeugung des Richters vom Vorliegen des Insolvenzgrunds ‒, dass der antragstellende Gläubiger die Forderung glaubhaft macht (Uhlenbruck/Mock, a. a. O., Rn. 14).
- Hängt das Vorliegen des Eröffnungsgrunds dagegen vom Bestand der Forderung des antragstellenden Gläubigers dergestalt ab, dass der Schuldner nur dann zahlungsfähig oder überschuldet ist, wenn die von dem antragstellenden Gläubiger geltend gemachte Forderung besteht, reicht die Glaubhaftmachung der Forderung nicht aus. In diesem Fall muss der Gläubiger den Bestand seiner Forderung beweisen, wenn ihr der Schuldner substanziiert widerspricht (st. Rspr.: BGH ZIP 92, 947; ZIP 06, 247; ZInsO 10, 1091).
Der Beweis kann durch die Vorlage eines Titels über die Forderung geführt werden. In diesem Fall obliegt es dem Schuldner, etwaige Einwände gegen die Forderung in dem dafür vorgesehenen Verfahren überprüfen zu lassen, d.h. hiergegen Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO zu erheben.
Ist die Forderung dagegen nicht tituliert, gehen Zweifel zulasten des antragstellenden Gläubigers. Es gehört nicht zu den Aufgaben des Insolvenzgerichts, den Bestand ernsthaft bestrittener, rechtlich zweifelhafter Forderungen zu überprüfen. Fällt die tatsächliche oder rechtliche Beurteilung nicht eindeutig aus, ist der Gläubiger nach Ansicht des BGH (zunächst) auf den Prozessweg zu verweisen.
PRAXISTIPP | Bei einer untitulierten Forderung kann es sich deshalb empfehlen, zunächst im Wege des gerichtlichen Mahnverfahrens die Titulierung der Forderung zu betreiben. Das gerichtliche Mahnverfahren stellt ein schnelles, kostengünstiges und weniger aufwändiges Verfahren zur Titulierung der Forderung dar. Widerspricht der Schuldner der Forderung und geht das gerichtliche Mahnverfahren ins Klageverfahren über, ist der Streit um den Forderungsbestand richtigerweise hier zu führen. Mit einem unmittelbaren Insolvenzantrag würde der Gläubiger nur Zeit verlieren. |
Aus Sicht des BGH haben die Vorinstanzen den Insolvenzantrag der Gläubigerin zu Recht mangels vollständigen Nachweises der zur Begründung des Antrags herangezogenen Forderungen verworfen. Dabei hat der Gläubigerin auch nicht zum Erfolg verholfen, dass sie die geltend gemachten Forderungen als Einzelforderungen aus acht selbstständigen Kaufverträgen bezeichnet hat.
Für die Frage, ob eine Glaubhaftmachung der Forderung ausreicht oder der Gläubiger den Bestand seiner Forderung zur Überzeugung des Gerichts beweisen muss, kommt es nach dem BGH nicht entscheidend darauf an, ob der Gläubiger eine einzige oder mehrere Forderungen gegen den Schuldner geltend macht (BGH ZIP 08, 281). Maßgeblich ist vielmehr, ob der Eröffnungsgrund vom Bestand der Forderungen abhängt, derer sich der antragstellende Gläubiger zur Geltendmachung des Eröffnungsgrunds berühmt. Das nahm der BGH für den konkreten Fall an.
Relevanz für die Praxis
Ein Eröffnungsgrund wäre nur gegeben, wenn die von der Gläubigerin geltend gemachten Forderungen gegen die Schuldnerin tatsächlich bestehen. Dabei handelt er verschiedene Fallkonstellationen ab, die der Gläubiger prüfen muss:
- Es kommt nicht darauf an, ob die geltend gemachten Forderungen auf nur einem oder mehreren selbstständigen Vertragsverhältnissen beruhen. Es war ohnehin unstreitig, dass sämtliche aus dem Verkauf von Solarmodulen herrührenden Kaufpreisforderungen ursprünglich demselben Gläubiger zugestanden haben und auf nur eine dauerhafte Geschäftsverbindung zwischen dem ursprünglichen Gläubiger und der Schuldnerin zurückgehen. Sämtliche geltend gemachten Forderungen beruhten damit auf gleichgelagerten, durch die vertragliche Gestaltung verknüpften Lebenssachverhalten. Außerdem erhebt die Schuldnerin gegen sämtliche geltend gemachten Forderungen dieselben Einreden und Einwendungen. Der BGH sieht keinen Anlass, diese Sachverhaltskonstellation anders zu beurteilen, als wenn zwischen dem ursprünglichen Gläubiger und der Schuldnerin nur ein einziger Kaufvertrag geschlossen worden wäre.
- Auch die Anzahl und die Summe der geltend gemachten Forderungen ändert daran nichts. Wegen der Einheitlichkeit des ursprünglichen Rechtsverhältnisses entbinde schließlich der Umstand, dass nach dem Vortrag der Antragstellerin die Restforderungen aus zwei weiteren Kaufverträgen bei der ursprünglichen Gläubigerin verbleiben, die Antragstellerin nicht von der Pflicht, den Bestand der Forderungen zur Überzeugung des Insolvenzgerichts zu beweisen.
- Die behaupteten Forderungen sind nicht tituliert. Zweifel daran, ob die den Eröffnungsgrund bildenden Forderungen (noch) bestehen, gehen deshalb zulasten der Antragstellerin.
PRAXISTIPP | Die Einwände des Schuldners müssen also offensichtlich unbegründet sein. Das heißt: Die Haltlosigkeit muss ohne nähere Sachprüfung auf der Hand liegen, gleichsam „ins Auge springen“, substanzlos sein oder erkennbar rechtsmissbräuchlich eingesetzt werden. |
Nach der Systematik des Gesetzes ist es nicht die Aufgabe des Insolvenzgerichts, von Gläubigern behauptete Forderungen abschließend unter Berücksichtigung der vom Schuldner geltend gemachten Einwendungen auf ihre Berechtigung zu prüfen (BGH ZIP 06, 247; NZI 07, 350). Ob die Forderung berechtigt ist und ob eine Verjährungseinrede zu Recht erhoben wird, muss i. d. R. ‒ wenn die Einwendung oder die Einrede nicht ersichtlich unbegründet ist und daher ausnahmsweise außer Acht gelassen werden kann ‒ nicht das Insolvenzgericht entscheiden, sondern das Prozessgericht (BGH ZIP 07, 1226; ZIP 08, 281).