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  • · Fachbeitrag · Insolvenzrecht

    Forderungskauf: Grenzen des Akteneinsichtsrechts des Gläubigers bei Missbrauchsgefahr

    | Das Wissen um Grund und Höhe evtl. weiterer Insolvenzforderungen und die Kenntnis um die Existenz von Schuldnern des Insolvenzschuldners ist für Gläubiger und den weiteren Ablauf des Verfahrens zentral. All das kann sich aus der Insolvenzakte ergeben. Eine aktuelle Entscheidung des BGH hilft hier, die notwendigen Erkenntnisse zu erlangen (7.5.20, IX ZB 56/19, Abruf-Nr. 215950 ). |

    1. Problemlage

    Für Schuldner kann die vorzeitige Restschuldbefreiung einen besonderen Vorteil haben: Sie sind in ihrer Kreditwürdigkeit weniger eingeschränkt und können freier am Arbeitsmarkt agieren und am Wirtschaftsleben teilhaben. Selten sind sie aber in der Lage, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und beantragter Restschuldbefreiung mit der Vielzahl der Gläubiger „einen Dealn“ zu organisieren, der sicherstellt, dass alle ihre Forderungsanmeldungen zurückziehen. Ist kein Gläubiger mehr verblieben, kann unmittelbar Restschuldbefreiung erteilt werden.

     

    Da Schuldnern hierfür meist die Lösungskompetenz fehlt, versuchen Gläubiger in manchen Fällen einen solchen „Deal“ zu organisieren. Sie kaufen allen anderen Gläubigern ihre Forderungen ab, um dann als Alleingläubiger mit dem Schuldner eine Vereinbarung zu treffen, die die vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung sicherstellt.

     

    Aber es gibt auch noch eine zweite Überlegung, die einen Forderungskauf in der Insolvenz interessant erscheinen lassen kann: So kann sich ein Insolvenzverfahren lange hinziehen, bis alle Außenstände Dritter eingezogen sind. Manchem Gläubiger ist das zu lange und er zieht einen schnellen, schmaleren (Teil-)Erfolg einer weit in der Zukunft liegenden höheren Ertragschance vor. In der Differenz kann ein Geschäftsmodell für den agierenden Gläubiger liegen.

    2. Der BGH musste entscheiden

    Die Gläubigerin ist Inhaberin mehrerer im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin festgestellter Forderungen. Sie hat Einsicht in die Insolvenzakten und die Forderungstabelle beantragt.

     

    Das AG hat den Antrag abgelehnt. Das LG hat dem Begehren auf die Beschwerde der Gläubigerin durch Beschluss des Einzelrichters stattgegeben. Dagegen richtet sich die vom LG zugelassene Rechtsbeschwerde.

    3. Chancen für den agierenden Gläubiger

    Der BGH hat ‒ natürlich ‒ beanstandet, dass der Einzelrichter entschieden und die Rechtsbeschwerde zugelassen hat. Er hätte die Sache zuvor auf die Kammer übertragen müssen (§ 568 S. 2 ZPO). Die Entscheidung war daher aufzuheben und in der Sache zurückzuverweisen.

     

    Beachten Sie | Um den damit verbundenen Zeitverlust zu vermeiden, sollte der Bevollmächtigte des Gläubigers hierauf stets wie folgt hinweisen:

     

    Musterformulierung / Hinweis des Rechtsanwalts

    Sollte das Gericht der hier vertretenen Auffassung nicht folgen wollen, wird schon jetzt gebeten,

     

    • die Sache nach § 568 S. 2 ZPO auf die Kammer zu übertragen.

     

    Die Kammer wird sodann ersucht,

     

    • die Rechtsbeschwerde zuzulassen.

     

    Die Übertragung der Sache auf die Kammer wie die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache erforderlich. Die hier aufgeworfene Frage stellt sich in vielen Fällen und ist bisher höchstrichterlich nicht entschieden, sondern lediglich im Sinne des Vortrags der Gläubigerin geübte Praxis. Davon abzuweichen, bedarf der rechtsgrundsätzlichen Klärung.

     

    Für das weitere Verfahren weist der Senat aber darauf hin, dass der Antrag der Gläubigerin auf Akteneinsicht gemäß § 299 Abs. 1 ZPO, § 4 InsO nicht rechtsmissbräuchlich sein dürfte. Dazu hat er einen wichtigen Obersatz gebildet:

     

    • Leitsatz: BGH 7.5.20, IX ZB 56/19

    Gläubiger einer festgestellten Forderung haben in einem Insolvenzverfahren einen Anspruch auf Akteneinsicht. Ein der Akteneinsicht ausnahmsweise entgegenstehender Missbrauch kann nicht darauf gestützt werden, dass der Gläubiger mithilfe der gewonnenen Erkenntnisse Forderungen anderer Gläubiger aufzukaufen beabsichtigt (Abruf-Nr. 215950).

     

    4. Akteneinsicht nach der ZPO ist zu übertragen

    Es ist allgemein anerkannt, dass kraft der Verweisung des § 4 InsO auf § 299 Abs. 1 ZPO die Verfahrensbeteiligten eines Insolvenzverfahrens einen Anspruch auf Akteneinsicht haben (OLG Celle ZVI 04, 114; MüKo/Ganter/Bruns, InsO, 4. Aufl., § 4 Rn. 57; Stein/Jonas/Thole, ZPO, 23. Aufl., § 299 Rn. 18).

    5. Gläubiger mit festgestellter Forderung ist Beteiligter

    Im eröffneten Verfahren ist jedenfalls ein Gläubiger, dessen Forderung mangels Bestreiten zur Tabelle festgestellt wurde, als Verfahrensbeteiligter zur Einsicht berechtigt (LG Karlsruhe NZI 03, 327; LG Düsseldorf ZIP 07, 1388; MüKo/Ganter/Bruns, a. a. O., § 4 Rn. 61; Schmidt/Stephan, InsO, 19. Aufl., § 4 Rn. 31; großzügiger für ein Einsichtsrecht bereits nach Anmeldung der Forderung: Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 3. Aufl., § 4 Rn. 47). Das Einsichtsrecht erstreckt sich auf von dem Verwalter gemäß §§ 174 ff. InsO hinsichtlich Forderungsanmeldungen geführte Akten, die sich bei Gericht befinden (MüKo/Ganter/Bruns, a. a. O., § 4 Rn. 58; Uhlenbruck/Pape, InsO, 15. Aufl., § 4 Rn. 29; HK-InsO/Sternal, 9. Aufl., § 4 Rn. 13).

    6. Rechtlich geschütztes Interesse ist nicht erforderlich

    Der verfahrensbeteiligte Gläubiger braucht ‒ anders als ein Dritter gemäß § 299 Abs. 2 ZPO ‒ ein rechtlich geschütztes Interesse an der Akteneinsicht nicht darzulegen (OLG Celle ZVI 04, 114). Eine Beschränkung des Einsichtsrechts ist gegenüber Verfahrensbeteiligten nur ausnahmsweise zulässig, wenn die Einsicht den Verfahrenszweck gefährden würde, weil ein Missbrauch der aus der Akte gewonnenen Erkenntnisse im konkreten Einzelfall droht (OLG Celle, a. a. O.; MüKo/Ganter/Bruns, a. a. O. § 4 Rn. 57; Uhlenbruck/Pape, a. a. O.).

    7. Forderungskaufabsicht ist kein Missbrauchsgrund

    Ein Missbrauch kann entgegen einer im Schrifttum vertretenen Ansicht (Schuster/Friedrich, ZIP 09, 2418) nach Ansicht des BGH nicht allein aus der Erwägung hergeleitet werden, dass die Gläubigerin ihr Akteneinsichtsrecht möglicherweise dazu nutzen will, Erkenntnisse über sonstige Gläubiger zu gewinnen, um diesen ein Angebot auf den Kauf ihrer Forderungen zu unterbreiten. Es steht den einzelnen Gläubigern frei, unter Berücksichtigung ihrer persönlichen wirtschaftlichen Interessen abzuwägen, ob sie sich zum Verkauf ihrer Forderungen entschließen oder einer Befriedigung im Insolvenzverfahren den Vorzug geben.

    8. Wirtschaftliche Entscheidung des Gläubigers

    Der Umstand, dass ggf. eine den Kaufpreis übersteigende Quote auf abgetretene Forderungen entfällt, berührt keine Belange des Insolvenzverfahrens und kann für sich genommen einen Missbrauch des Einsichtsrechts nicht begründen. Der Verwalter muss die Interessen der Gläubiger im Verfahren wahrnehmen, hat aber keinen Einfluss darauf, ob Gläubiger am Verfahren teilnehmen oder nicht. Zudem kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Kaufpreis die spätere Quote überschreitet oder Gläubiger eine Kürzung der Quote mit Rücksicht auf die sofortige Befriedigung ihrer Forderung vorziehen. Schließlich werden keine verfahrensfremden Ziele verfolgt, wenn den Gläubigern die Alternative einer Befriedigung ihrer Forderungen außerhalb des Insolvenzverfahrens angeboten wird.

     

    Diese Vorgehensweise kann dazu beitragen, Gläubiger vor Schäden im Zusammenhang mit dem Ausfall von Forderungen zu schützen (BGH WM 06, 1435). Zudem sind Forderungsabtretungen nach § 399 BGB rechtlich wirksam, sofern kein Abtretungsverbot eingreift. Deswegen muss es hingenommen werden, wenn Forderungen auch nach Verfahrenseröffnung abgetreten werden und neue Gläubiger am Verfahren beteiligt sind. Akteneinsicht kann nicht allein verweigert werden, um die vom Gesetz gebilligte Abtretung von Forderungen zu vereiteln oder mindestens zu erschweren.

    Quelle: Ausgabe 11 / 2020 | Seite 194 | ID 46903223