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  • · Fachbeitrag · Umsatzsteuer

    Übertragung von Gesellschaftsanteilen kann Geschäftsveräußerung im Ganzen darstellen

    von Georg Nieskoven, Troisdorf

    | Der Verkauf von Personen- oder Kapitalgesellschaftsanteilen stellt grundsätzlich einen umsatzsteuerfreien Vorgang dar. Infolgedessen bleibt dem Anteilseigner in aller Regel der Vorsteuerabzug aus den häufig hohen veräußerungsbegleitenden Kosten verwehrt. Nach Ansicht von EuGH und BFH können solche Veräußerungsvorgänge jedoch auch eine nicht umsatzsteuerbare - und damit vorsteuerunschädliche - Geschäftsveräußerung im Ganzen (GiG) darstellen. Das BMF vertritt dazu allerdings eine restriktivere Auffassung als die Gerichte. |

    1. Die Ausgangslage

    Von einer nicht umsatzsteuerbaren GiG i.S. von § 1 Abs. 1a UStG ging die Besteuerungspraxis bislang aus, wenn ein Unternehmer sein Gesamtunternehmen oder einen organisch selbstständig bewirtschafteten Unternehmensteil an einen Erwerber mit Fortführungsabsicht veräußerte. Da das bloße Halten und Verwalten von Beteiligungen an Gesellschaften bislang aber überhaupt nicht als wirtschaftlich-unternehmerische Betätigung galt, konnte auch mit dem Verkauf einer solchen Beteiligung kein „aktiv bewirtschaftetes (Teil-)Unternehmensvermögen“ im Sinne einer GiG veräußert werden.

     

    In 2009 hatte der EuGH allerdings bereits andiskutiert, unter welchen Voraussetzungen der Verkauf einer Gesellschaftsbeteiligung einer „(Teil-)Unternehmensübertragung“ i.S. von Art. 5 Abs. 8 der 6. EGRL gleichgestellt werden könne. Dies komme zumindest dann in Betracht, wenn mit der Anteilsveräußerung zugleich auch die Übertragung des wesentlichen Vermögens der übertragenen Gesellschaft einhergehe (EuGH 29.10.09, C-29/08, Rz. 38 bis 40). Diese Überlegungen hatte der BFH jüngst offensiv aufgegriffen und geurteilt, die Übertragung von Gesellschaftsanteilen begründe dann eine GiG i.S. von § 1 Abs. 1a UStG, wenn der Anteilseigner …

     

    • 1. entweder 100 % der Anteile an der betroffenen Gesellschaft halte und diese auch vollständig auf den Erwerber übertrage oder
    • 2. Mehrheitseigner einer Gesellschaft sei, die als umsatzsteuerliche Organgesellschaft i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in sein Unternehmen eingebunden sei und der Erwerber der Anteile gleichfalls beabsichtige, eine umsatzsteuerliche Organschaft zu dieser Gesellschaft zu begründen (BFH 27.1.11, V R 38/09).

     

    Hinweis | Die Finanzverwaltung hat nun allerdings jüngst eine einschränkende bzw. modifizierte Anwendung der BFH-Sichtweise verfügt (BMF 3.1.12, IV D 2 - S 7100-b/11/10001, BStBl I 12, 76).

     

    2. Das BMF-Schreiben vom 3.1.12

    Unter Bezugnahme auf die BFH-Entscheidung V R 38/09 betont das BMF nun, zentrale Bedingung für eine GiG sei, dass das zur Übertragung anstehende Vermögen ein „hinreichendes Ganzes“ bilde, das dem Erwerber die Fortsetzung eines vom Veräußerer bewirtschafteten Vermögens i.S. einer unternehmerischen Tätigkeit ermögliche und dass der Erwerber diese Unternehmensfortführung auch beabsichtige. Zu beachten sei in diesem Zusammenhang jedoch, dass nach der Rechtsprechung des EuGH das bloße Erwerben, Halten und Veräußern von gesellschaftsrechtlichen Beteiligungen erst beim Hinzutreten weiterer Umstände als unternehmerisch veranlasst angesehen werden könne.

     

    Erst wenn der Anteilserwerber im Zuge der Übertragung zugleich in Rechtsverhältnisse eintrete, durch die das Halten der Beteiligung beim Veräußerer als unternehmerisch veranlasst anzusehen war, werde ein „hinreichendes Ganzes“ zur Fortführung eines Geschäftsbetriebs übertragen.

     

    PRAXISHINWEIS | Das BMF sieht diese Voraussetzung für eine GiG in den Fällen der Organschaft insbesondere dann als erfüllt an, wenn der Erwerber in die die wirtschaftliche Eingliederung vermittelnden Beziehungen zwischen bisherigem Organträger (OT) und Organgesellschaft (OG) eintritt. Andererseits könne eine GiG aber auch bereits dann vorliegen, wenn zwischen dem Erwerber der Beteiligung und der Gesellschaft, an der die Beteiligung besteht, „aus anderen Gründen“ kein Organschaftsverhältnis begründet werde.

    3. Die praktischen Konsequenzen

    Das BMF weicht in einem entscheidenden Punkt von der BFH-Sichtweise ab. Während der V. Senat künftig typisierend bei der Übertragung einer 100-Prozent-Beteiligung oder einer Organschaftsbeteiligung mit der Zusatzbedingung einer organschaftlichen Fortführung beim Erwerber ausnahmslos von einer GiG ausgehen will, hält das BMF unverändert am Prinzip fest, dass Beteiligungen grundsätzlich nicht „GiG-fähig“ sind. Eine GiG komme daher bei einer Anteilsübertragung nur in Betracht, wenn die Beteiligung Bestandteil einer unternehmerischen Betätigung ist. Denkbar wäre dies z.B. in folgenden Fällen:

     

    • Die Beteilung ist „Portfolio-Bestandteil“ eines zur Übertragung anstehenden gewerblichen Wertpapierhandels (vgl. A 2.3. Abs. 3 S. 5 Nr. 1 UStAE).
    • Der bisherige Anteilseigner unterhält zu der Gesellschaft, deren Beteilung er hält, entgeltliche Leistungsaustauschbeziehungen und der Erwerber tritt in diese ein (vgl. A 2.3. Abs. 3 S. 5 Nr. 3 UStAE).

     

    Unstreitig ist, dass nur die dem umsatzsteuerlichen Unternehmensvermögen zuzuordnenden Beteiligungen überhaupt für eine GiG in Betracht kommen. Denn wenn die Beteiligung mangels engem „unternehmerisch-wirtschaftlichem Bezug“ bereits nicht der unternehmerischen Sphäre zuzurechnen ist, vollzieht sich auch ihr späterer Verkauf nicht aus dem unternehmerischen Bereich und berechtigt bereits aus diesem Grund nicht zum Vorsteuerabzug aus veräußerungsbedingten Kosten (so auch EuGH 13.3.08, C-437/06, DB 08, 739). Hier liegen Finanzverwaltung und Rechtsprechung somit auf einer Linie. Doch auch bei den zum Unternehmensvermögen rechnenden Beteiligungen führt laut BMF nicht jede Veräußerung zur GiG:

     

    • Denn eine Zugehörigkeit zum Unternehmensvermögen ist bereits bei einem „engen operativen Bezug“ der Beteiligungsgesellschaft zu den Unternehmensaktivitäten des Anteilseigners denkbar, wenn die Beteiligung dem Anteilseigner z.B. verbesserte Einkaufskonditionen über die größere Marktmacht verschafft oder ihm zu Einfluss auf einen potenziellen Branchenkonkurrenten verhilft (A 2.3. Abs. 3 S. 5 Nr. 2 UStAE). Veräußert ein 100-Prozent-Beteiligter in diesen Fällen also seine gesamte Beteiligung, geht der BFH von einer GiG aus, während das BMF diese unter Hinweis auf die fehlende unternehmerische Einbindung der Beteiligung (keine Leistungsaustauschbeziehung zur Beteiligungsgesellschaft) verneint.

     

    • Aber selbst wenn Leistungsaustauschbeziehungen zur Beteiligungsgesellschaft unterhalten wurden (z.B. entgeltliche Geschäftsführungs- oder Beratungsleistungen), scheidet eine GiG laut BMF aus, wenn der Erwerber in diese Verträge nicht i.S. einer Unternehmensfortführung eintritt oder diese nicht fortzuführen beabsichtigt. Dies dürfte selbst dann gelten, wenn der Anteilserwerber alsbald vergleichbare eigene Leistungsaustauschbeziehungen zur Beteiligungsgesellschaft aufbaut (vgl. BFH 11.10.07, V R 57/06, BStBl II 08, 447).

     

    MERKE | Unbeantwortet lässt das BMF leider, ob dem Veräußerer die schlichte Absichtserklärung des Anteilserwerbers genügt, die Leistungsaustauschbeziehungen fortzuführen oder ob es letztlich - wie bei § 9 Abs. 2 UStG - auf den späteren „Ist-Zustand“ ankommt. Der BFH hatte es in einem Organschaftsfall ausreichen lassen, wenn „… der neue Gesellschafter für den Veräußerer objektiv erkennbar beabsichtigt, eine Organschaft zu der Gesellschaft, an der die übertragenen Anteile bestehen, zu begründen …“. Dies dürfte auch hier ausreichen.

    Während die Verwaltungsauffassung in den vorgenannten Fällen einschränkend wirkt, eröffnet sie in anderen Fällen einen größeren Anwendungsbereich. Denn während der BFH nur bei den zwei typisierenden Fällen der veräußerten „100-Prozent-Beteiligung“ oder der „durch den Anteilserwerber fortgeführten Organschaftsbeziehung“ eine GiG bejahen will, verzichtet die Finanzverwaltung auf solche Einschränkungen.

     

    So führt das BMF in Rz. 5 ausdrücklich aus, „…auf die Höhe der Beteiligung komme es nicht an…“. Auch wenn diese Aussage dort im Zusammenhang mit einer verneinten GiG steht, kann daraus m.E. gefolgert werden, dass die Finanzverwaltung der Beteiligungsquote für die Abgrenzung der GiG ganz generell keine Relevanz zuerkennt. Somit dürfte auch der Verkauf einer 30-Prozent-Beteiligung eine GiG darstellen, wenn der Anteilseigner an die Beteiligungsgesellschaft bislang entgeltliche Dienstleistungen erbracht hat und der Anteilserwerber durch Eintritt in die Verträge und Erwerb der zugehörigen Beteiligung „das gesamte Geschäftsfeld“ übernimmt.

     

    Auch das Bestehen einer Organschaft ist für das BMF offenkundig nicht entscheidend. Nach Rz. 5 soll eine GiG nämlich auch dann zu bejahen sein, „… wenn zwischen dem Erwerber der Beteiligung und der Gesellschaft, an der die Beteiligung besteht, aus anderen Gründen kein Organschaftsverhältnis begründet wird …“. Bei diesen anderen Gründen dürfte das BMF wohl in erster Linie folgenden Fall im Auge gehabt haben: Die laut BMF für ein „übertragbares und fortführbares (Teil-)Unternehmen“ wichtige wirtschaftliche Eingliederung der Beteiligungsgesellschaft liegt vor, aber eine umsatzsteuerliche Organschaft scheitert an den zunehmend strengeren Anforderungen an die organisatorische Eingliederung (vgl. BFH 7.7.11, V R 53/10).

     

    Das BMF fordert eine „unternehmerische Einbindung“ der zum Verkauf stehenden Beteiligung i.S. von Leistungsaustauschbeziehungen zum Unternehmen des Anteilseigners. Offen lässt das BMF aber, welche „Intensität“ hier verlangt wird, ob z.B. bereits eine schlichte Darlehensvergabe ausreicht. Für Letzteres spricht, dass die Finanzverwaltung bei einer Holdingmutter für eine Organschaftsbeziehung i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG ebenfalls bereits Kreditgeschäfte ausreichen lässt (vgl. OFD Karlsruhe 28.1.09, UR 10, 188). Zur gegenteiligen Auffassung gelangte allerdings das FG Hessen (15.3.07, 6 K 1476/02).

     

    PRAXISHINWEIS | Ist die Anteilsübertragung nach alledem als GiG zu werten, wird der Vorsteuerabzug aus veräußerungsbegleitenden Kosten grundsätzlich nicht durch § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG gehemmt. Nach Ansicht von Finanzverwaltung und Rechtsprechung (OFD Karlsruhe 25.3.02, S 7300, EuGH 22.2.01, C-408/98) orientiert sich dieser Vorsteuerabzug an der Relation der vorsteuerschädlichen zur unschädlichen Verwendung des veräußerten Wirtschaftsguts vor der Veräußerung. Da die Beteiligung selbst nicht unmittelbar zur Umsatzerwirtschaftung genutzt wurde, ist für den Vorsteuerabzug m.E. auf jene Umsätze abzustellen, die mit der Beteiligung im Zusammenhang standen (s.o.: Leistungsaustauschbeziehungen).

    4. Anwendungs- und Übergangsregelungen

    Nach A 1.5. Abs. 6 S. 4 UStAE kann umsatzsteuerlich dann von einer (Teil-)Geschäftsveräußerung ausgegangen werden, wenn ertragsteuerlich gemäß R 16 Abs. 3 EStR 2008 eine Teilbetriebsveräußerung vorliegt. Unklar war bislang, ob sich dieser Verweis nur auf die „systematische Teilbetriebsdefinition“ in R 16 Abs. 3 EStR (… mit einer gewissen Selbstständigkeit ausgestatteter, organisch geschlossener Teil des Gesamtbetriebs …“) bezog oder auch die in A 16 Abs. 3 S. 6 u. 7 EStR 2008 erwähnte „gesetzliche Teilbetriebsfiktion“ (100-Prozent-Beteiligung) umfassen sollte. Wegen dieses unklaren Auslegungsverständnisses hat das BMF nun verfügt, bei vor dem 31.3.12 erfolgten Anteilsveräußerungen werde es nicht beanstandet, wenn der Anteilseigner bei Vorliegen der Voraussetzungen des R 16 Abs. 3 S. 6 u. 7 EStR 2008 von der Veräußerung eines „gesondert geführten Betriebs“ i.S. von § 1 Abs. 1a UStG ausgehe. Da die Übergangsregelung auch auf A 16 Abs. 3 S. 7 EStR 2008 verweist, gilt sie entsprechend, soweit die Beteiligung im Eigentum eines oder mehrerer Mitunternehmer derselben Personengesellschaft stand und steuerlich zum (Sonder-)Betriebsvermögen der Personengesellschaft gehörte.

    Quelle: Ausgabe 06 / 2012 | Seite 187 | ID 32266020