· Fachbeitrag · Steuerberatungsvertrag
Kann man heute noch guten Gewissens auf einen schriftlichen Beratungsvertrag verzichten?
von Hans-Günther Gilgan, Münster, www.gilgan.de
| Die Erfahrung zeigt: In Honorar- und Haftungsfällen ist regelmäßig umstritten, was Gegenstand des Beratungsvertrags geworden ist. Trotzdem verzichten viele Steuerberater noch immer darauf, schriftliche Verträge mit den Mandanten zu schließen. Und das, obwohl sie ihren einzelnen Mandanten gegenüber Leistungen von mehreren Tausend EUR im Jahr erbringen. Aber warum verzichten so viele Berater in ihrem Kerngeschäft auf die rechtssichere Dokumentation von Auftragsumfang und Vergütung, wo doch die Tücken zahlreich sind und Folgen teuer werden können? |
Tücken bei Verträgen mit Verbrauchern
Der Steuerberatungsvertrag ist ein Vertrag i. S. v. § 311 Abs. 1 BGB und kommt durch Angebot (§ 145 BGB) und Annahme (§§ 146 ff. BGB) zustande, die beide nicht der Schriftform bedürfen. Ist der Mandant jedoch ein Verbraucher (§ 13 BGB), was bei Einkommensteuer-Mandaten von Arbeitnehmern regelmäßig der Fall sein dürfte, dann sind die Vorschriften zum Widerrufs- und Rückgaberecht zu beachten. Der Steuerberater kann den Auftrag (endgültig) nur persönlich annehmen (§ 3 Abs. 2 BOStB). Natürlich können Mitarbeiter die Annahme vorbereiten. Außer bei Mitgliedern der Geschäftsleitung (vertretungsberechtigte Gesellschafter oder Geschäftsführer) und Prokuristen von Steuerberatungsgesellschaften muss - insbesondere bei Einzelpraxen und Sozietäten ‒ eine Vertretungsmacht zum Abschluss von Steuerberatungsverträgen durch nichtberufsangehörige Mitarbeiter verneint werden. Wer den Auftrag ablehnen will, hat die Ablehnung unverzüglich zu erklären. Es ist der Schaden zu ersetzen, der aus einer schuldhaften Verzögerung dieser Erklärung entsteht, § 63 StBerG.
Beachten Sie | Nach den §§ 312 ff. BGB muss ein Mandant, bei dem es sich um einen Verbraucher i. S. d. § 13 BGB handelt, auf sein Widerrufs- oder Rückgaberecht nach § 355 BGB sowie die Rechtsfolgen hingewiesen werden, damit die zweiwöchige Widerrufsfrist des § 355 Abs. 1 BGB zu laufen beginnt. Erfolgt kein Hinweis, beginnt auch die Widerrufsfrist nicht, sodass der Mandant dann jederzeit seinen Widerruf erklären kann.
Für Dienstleistungsverträge außerhalb von Geschäftsräumen regelt § 356 Abs. 4 BGB, dass die Widerrufsfrist nach 12 Monaten und 14 Tagen erlischt. Das gilt auch dann, wenn der Unternehmer die Dienstleistung vollständig erbracht hat und mit der Ausführung der Dienstleistung erst begonnen hat, nachdem der Verbraucher dazu seine ausdrückliche Zustimmung gegeben hat und gleichzeitig seine Kenntnis davon bestätigt hat, dass er sein Widerrufsrecht bei vollständiger Vertragserfüllung durch den Unternehmer verliert. Bei einem außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag muss die Zustimmung des Verbrauchers auf einem dauerhaften Datenträger übermittelt werden.
ZWISCHENFAZIT | Es ist also von entscheidender Bedeutung, ob es sich bei dem Auftraggeber um einen Unternehmer oder einen Verbraucher handelt, insbesondere dann, wenn ein Verbraucher beabsichtigt, ein Unternehmen zu gründen und in dieser Zeit die Beratung durch den Steuerberater angefordert wird. Der Steuerberater sollte also den potenziellen (Verbraucher-)Mandanten stets in seine Kanzlei bestellen, um die Rechtsfolgen des § 356 BGB bei Verträgen außerhalb von Geschäftsräumen zu vermeiden. In keinem Fall sollte der Hinweis auf das Widerrufsrecht vergessen werden. |
Tücken bei telefonischen Auskünften
Telefonische Mitteilungen eines Steuerberaters können einen Auskunftsvertrag begründen. Dies ist nach der Rechtsprechung der Fall, wenn die Auskunft für den Empfänger erkennbar von erheblicher Bedeutung ist und er sie zur Grundlage wesentlicher Entschlüsse machen will. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Auskunftsgeber besonders sachkundig ist oder ein eigenes wirtschaftliches Interesse besitzt. Dass für eine telefonische Auskunft kein Honorar verlangt wird, steht dieser Auffassung nicht entgegen.
Beachten Sie | Steuerberater sollten also darauf achten, dass alles, was anlässlich der beruflichen Tätigkeit „zwischen Tür und Angel“ erklärt wird, zu einem Haftpflichtanspruch führen kann. Ein Grund mehr, diese für den Steuerberater rechtsverbindlichen Auskünfte immer auch abzurechnen, da sie ansonsten von der Berufshaftpflichtversicherung nicht gedeckt sind.
Ein Mandatsverhältnis kommt danach bereits dann zustande, wenn der Steuerberater erstmals vom Mandanten telefonisch kontaktiert wird und im Rahmen dieses Telefonats die Frage des Anrufers beantwortet, nicht hingegen, wenn mehr beiläufig bestimmte Fragen gestellt werden und dem Steuerberater nicht vor Augen gehalten wird, dass die Entscheidung ausschließlich von der von ihm zu nennenden effektiven Höhe der evtl. Steuerschuld abhängig sein sollte.
Konkludenter Vertrag ‒ Tücken beim Zustandekommen
Das Angebot zum Abschluss eines Steuerberatungsvertrags muss in der Regel direkt an den Steuerberater gerichtet werden. Der Erklärungsinhalt wird entweder von Anfang an unzweifelhaft sein oder aufgrund von Nachfragen geklärt werden können, sodass über den Inhalt regelmäßig Klarheit bestehen sollte. In Ermangelung einer ausdrücklichen Erklärung kann auch das tatsächliche Verhalten des Mandanten (=schlüssiges Verhalten) als Angebot gewertet werden.
Das setzt aber voraus, dass der Erklärende mit seinem Verhalten bzw. seinen Handlungen sein gewolltes Tun so zum Ausdruck bringt, dass daraus zuverlässig auf einen bestimmten Rechtsfolgewillen geschlossen werden kann. Diese Handlungen müssen dem Empfänger einen mittelbaren Schluss auf den Rechtsfolgewillen des Erklärenden ermöglichen. Insoweit sind im Interesse der Rechtssicherheit strenge Anforderungen zu stellen.
Das gilt auch für die Annahme des Angebots auf Abschluss eines Steuerberatungsvertrags. Das setzt deshalb voraus, dass aufgrund einer umfassenden Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls das Verhalten des Auftraggebers vom Steuerberater nach Treu und Glauben als entsprechendes Vertragsangebot zu werten ist und sein eigenes nachfolgendes Verhalten als dessen Annahme gedeutet werden darf.
Der Steuerberater muss also Angaben dazu machen, durch welche Erklärungen oder welches tatsächliche Tun das Angebot und die Annahme erklärt worden sein sollen, z. B. durch
- Vorlage von Rechnungen der Vorjahre,
- Inanspruchnahme einer entgeltlich angebotenen Leistung, z. B. durch Unterschrift des Mandanten unter einen vom Steuerberater erstellten Jahresabschluss,
- Herstellung des Kontakts zu einem Telefonvermittler und Mitteilung an den Auftraggeber nach Zusendung der Unterlagen, die (Geld-)Anlage könne getätigt werden,
- widerspruchslose Fortsetzung eines beendeten Vertrags (§ 625 BGB).
Keinen Indizienwert haben:
- Übergabe von Unterlagen an den Steuerberater,
- der Auftrag zur monatlichen Buchführung: kein konkludenter Auftrag zur Erstellung des Jahresabschlusses,
- eine Generalvollmacht, weil sich daraus keinerlei Anhaltspunkte ergeben, ob ein Auftrag in einer bestimmten Angelegenheit erteilt worden ist,
- ein Fachvortrag in der Gesellschafterversammlung des Auftraggebers; dadurch wird kein Beratungsvertrag mit den Zuhörern begründet,
- eine erteilte Vertretungs- und Zustellungsvollmacht: hieraus ergibt sich lediglich, dass dieser gegenüber der Finanzverwaltung ermächtigt ist, einen Steuerbescheid für seinen Auftraggeber entgegenzunehmen,
- eine Empfangsvollmacht und Bezug eines Newsletters vom Steuerberater.
Konkludenter Vertrag ‒ Tücken bei Inhalt und Umfang
Selbst wenn das Zustandekommen eines Steuerberatungsvertrags nachgewiesen werden kann, bereitet es nicht selten Schwierigkeiten, dessen Inhalt zu klären. Dabei sind die Erklärungen des Auftraggebers nicht nach dessen innerem, unerklärt gebliebenem Willen, sondern danach auszulegen, wie der Steuerberater sie redlicher Weise unter den ihm bekannten Umständen nach Treu und Glauben verstehen musste/durfte. Für die Praxis empfiehlt es sich deswegen, grundsätzlich vor der Erledigung eines Auftrages mit dem Auftraggeber schriftlich Klarheit über die vom Steuerberater vorzunehmenden Arbeiten zu schaffen. Das ist für alle Seiten von Vorteil:
- Es herrscht Klarheit über den Inhalt des Vertrags.
- Lücken in der Beauftragung können geschlossen werden.
- Dem Mandanten wird klar, dass er, wenn er nicht mitwirkt, gekündigt werden kann.
- Um die Begründung des Zehntelsatzes („beliebter“ Streitfall vor Gericht) zu vermeiden, kann eine Honorarvereinbarung innerhalb der StBVV vereinbart werden. Die Vereinbarung kann auch befristet sein, um später durch eine neue, höhere oder geringere Gebühr ersetzt zu werden.
- Die Schriftlichkeit ermöglicht es Einzelkanzleien, den Versicherungsschutz durch AAB zu nutzen und statt der Mindestversicherungssumme von 250.000 EUR in den Genuss des erhöhten Versicherungsschutzes i. H. v. 1 Mio. EUR zu kommen. Für alle anderen Rechtsformen gelten ab 1.8.22 neue Mindestversicherungssummen.
FAZIT | Ein bloß mündlicher Abschluss eines Steuerberatungsvertrags ist also angesichts des breiten Aufgabengebiets der Steuerberater und der haftungsrechtlichen Konsequenzen unangemessen und birgt neben den Nachteilen auch den Verzicht auf viele Vorteile. |
Warum haben so viele Steuerberater keine schriftlichen Verträge?
Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass ein Steuerberater, der auf schriftliche Verträge verzichtet, ein Risiko beim Honorar eingeht, ohne dafür etwas zu bekommen. Ein Kaufmann tut so etwas eigentlich nicht. Trotzdem verzichten viele Steuerberater immer noch auf schriftliche Verträge. Die Begründungen lauten in der Regel so:
- Ich habe ein gutes Verhältnis zu meinen Mandanten.
- Bisher ist es noch immer gut gegangen.
- Ich würde ja gerne, aber ich habe so viele Altmandate ohne schriftlichen Vertrag.
- In einem schriftlichen Vertrag sehen die (Alt-)Mandanten ein Misstrauensvotum.
- Mit jedem Mandanten einen Vertrag zu schließen, ist mir ‒ angesichts des geringen Ausfallrisikos ‒ zu viel Arbeit.
- Ich nehme bei jedem Mandanten „einen Schnaps mehr“ und versichere mich so bei mir selbst gegen das Ausfallrisiko.
Diese Begründungen sind gut kombinierbar und damit ist es einigermaßen schwierig, dagegen anzuargumentieren. Ich will es dennoch versuchen; denn den Argumenten liegt meines Erachtens die falsche Prämisse zugrunde: Alles bleibt, wie es war und das gilt auch für das Mandatsverhältnis.
Das Mandatsverhältnis wandelt sich ‒ die Risiken steigen
Ältere Steuerberater haben die Erfahrung gemacht, dass das Mandatsverhältnis ein besonderes Vertrauensverhältnis ist (Steuerberater als „Beichtvater“) und dass Berater und Mandant miteinander durch dick und dünn gehen. Aber gilt das auch für Mandatsverhältnisse, die heute begründet werden? Die Bindung zwischen Berater und Mandant hat abgenommen ‒ und das auf beiden Seiten, denn es gibt Kanzleien, die sich (regelmäßig) von Mandanten trennen, die entweder nicht in das Dienstleistungsprofil passen, deckungsbeitragsschwach sind oder sich als schwierig in der Zusammenarbeit erweisen. Aber gerade in der Trennungssituation zeigt sich, mit wem man jahrelang zusammen war.
Der Mandant ist preissensibel und Plattformen wie www.get-it-fair.de haben sich darauf spezialisiert, diese Sensibilität auszunutzen. Der Mandant reicht die Rechnung des Steuerberaters ein. Sie wird in der Plattform geprüft und wenn es sich zu lohnen scheint, bekommt der Berater Post vom Anwalt. Im Erfolgsfall bekommt die Plattform 25 % des zu viel verlangten Honorars.
Wieso sollte sich ein Mandant, mit dem Sie jahrelang gut zusammengearbeitet haben, einem fairen Vertrag verweigern, der zutreffend die Ist-Situation beschreibt? Mandanten sind es gewöhnt, dass überall die Dokumentationsanforderungen steigen (GoBD, Qualitätsmanagement etc.). Warum sollte das nicht auch für Ihre Kanzlei gelten? Zumal Ihr Leistungsspektrum für diese Mandanten im Laufe der Jahr(zehnt)e deutlich gewachsen sein dürfte. Sprechen Sie also offen, dass es an der Zeit ist, da „Grund reinzubekommen“.
PRAXISTIPP | Bedenken Sie: Wenn Sie später die Praxis verkaufen wollen, dann werden die Umsätze nicht mitgerechnet, die nicht dauerhaft erzielbar sind, worunter i. d. R. die Einkommensteuerfälle fallen, weil nicht klar ist, ob sie im Folgejahr bzw. den Folgejahren „wiederkommen“. Wenn aber das Mandat schriftlich unterlegt und damit von Dauer ist, dürfte der so erzielte Umsatz zum Vorteil des Steuerberaters mitzurechnen sein. |
Niemand hat gesagt, dass Verträge sofort und mit allen Mandanten geschlossen werden sollen. Beginnen Sie mit den neuen Mandanten. Dann nehmen Sie sich die Altmandanten vor, von denen Sie glauben, dass sie der Vertragsidee gegenüber aufgeschlossen sind und üben sich in der Argumentation. Ein guter Anlass „Grund hineinzubekommen“, ist eine Änderung der bestehenden Beauftragung. Der Aufwand selbst ist im Übrigen begrenzbar. Es gibt auch hierfür digitale Lösungen, wie etwa die von www.virtualguide.io: Unterstützt von einem Chatbot wird der Vertrag zusammengestellt und nach Unterschrift medienbruchfrei an das DMS übergeben. Die Erhebung der Daten ist darüber hinaus kanzleiintern bzw. an den Mandanten delegierbar.
Und noch ein Wort in Richtung der „Versicherer bei sich selbst“: Aus alledem müssten klar geworden sein, dass Sie die „Prämien“ dringend nach oben anpassen müssen, wenn die Rechnung noch aufgehen soll. Aber Vorsicht: Sie müssen auch jederzeit in der Lage sein, das (erhöhte) Honorar begründen zu können. Ihren Versicherungsgedanken lässt kein Richter durchgehen. Ach ja, und sie sollten die Mehreinnahmen auch tatsächlich zurücklegen.
FAZIT | Es wirkt etwas aus der Zeit gefallen, keine schriftlichen Verträge mit den Mandanten zu haben. Die Steuerberatung ist eine hoch qualifizierte und teure Dienstleistung und dennoch wird diese Leistung immer noch wie eine Zeitung am Kiosk verkauft. Nein, schlimmer: Der Käufer verspricht, das Geld am nächsten Tag zu bringen. Natürlich, der Stammkäufer bringt das Geld am nächsten Tag. Aber hätten Sie auch so viel Vertrauen in die reine Laufkundschaft? Und der Anteil der Laufkundschaft wird auch unter den Mandanten steigen. |