· Fachbeitrag · Beweislast
Reichweite der Zugangsfiktion
von Oberstaatsanwalt Raimund Weyand, St. Ingbert
| Streitet der Steuerpflichtige ab, einen Bescheid erhalten zu haben, muss das FA den Zugang beweisen. Dieser Grundsatz gilt aber nicht unbeschränkt, wenn der Pflichtige unglaubhafte Angaben macht, so das FG München (29.1.14, 3 K 908/11, Urteil unter www.dejure.org ). |
Sachverhalt
Der klagende Unternehmer hatte für zwei Jahre keine Umsatzsteuererklärungen abgegeben. Das FA erließ Schätzungsbescheide zunächst unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, hob diesen nach einiger Zeit aber auf. Zwei Jahre später reichte der Geschäftsmann die Erklärungen nach, jeweils mit einer Differenz von 20.000 EUR zu seinen Gunsten. Das FA verwies auf die Bestandskraft der Schätzungsbescheide und lehnte eine Änderung der Veranlagungen ab. Nach einem erfolglosen Einspruchsverfahren erhob der Steuerpflichtige Klage. Er behauptete, die Schätzungsbescheide seien ihm nicht zugegangen. Das FG wies die Klage ab.
Entscheidung
Ein Verwaltungsakt ist nach § 124 Abs. 1 AO nur dann wirksam, wenn er dem Adressaten bekannt gegeben wurde. Bestreitet der Steuerpflichtige generell, Bescheide erhalten zu haben, muss das FA den Zugang positiv beweisen. Die Zugangsfiktion des § 122 Abs. 2 AO, nach der ein schriftlicher Verwaltungsakt am dritten Tage nach Aufgabe zur Post als zugegangen gilt, greift hier nicht ein. Anders als bei der Behauptung, ein Bescheid sei nur verspätet eingetroffen, muss der angebliche Empfänger seine Angaben auch nicht substanziiert vorbringen. Es genügt, wenn er den Zugang pauschal abstreitet. Allerdings ist diese Beweislastregelung nicht schrankenlos. Das FG kann in der ihm nach § 96 Abs. 1 FGO zustehenden freien Beweiswürdigung je nach den Umständen des Einzelfalls zu anderen Schlussfolgerungen kommen. Es darf insbesondere die Glaubwürdigkeit der Behauptungen des Klägers in seine Entscheidungen einbeziehen.
Der Kläger war dem Gericht bereits aus einem anderen Verfahren bekannt, in dem er den Zugang von Bescheiden ebenfalls abgestritten hatte, wobei diese nicht an seine Geschäfts-, sondern seine Wohnanschrift adressiert waren. In beiden Verfahren waren außerdem Bescheide für jeweils zwei Veranlagungszeiträume in nur einem Briefumschlag abgesandt worden. Bestritten wurde aber nur der Zugang der Bescheide, die für den Pflichtigen nachteilig waren. Außerdem hatte das FA Steuernachzahlungen und Verspätungszuschläge vom Konto des Geschäftsmanns abgebucht, ohne dass dieser irgendwie reagiert hätte. In einer Gesamtschau dieser Umstände erschien dem FG die Glaubwürdigkeit des Pflichtigen ernstlich erschüttert. Auch weil dieser seinen steuerlichen Pflichten allgemein und über Jahre hinweg nur zögerlich und unzuverlässig nachgekommen war, ging der Senat von einer wirksamen Zustellung der Schätzungsbescheide aus.