· Fachbeitrag · Coronakrise
Fünf sofort umsetzbare Maßnahmen für die Kanzlei im Dauerstress
von Ralf Ecker, Bexbach
| Seit gut einem Jahr hat uns die Coronakrise fest im Griff. Kurzarbeitergeld, Corona-Überbrückungshilfen, Quarantäne und Überbrückungskredite legen die bereits in normalen Zeiten häufig am Anschlag arbeitenden Kanzleien regelrecht lahm. In diesem Beitrag möchte ich Ihnen fünf Maßnahmen vorstellen, wie Sie den gesundheitlichen Kollateralschaden bewältigen. Alle vorgestellten Maßnahmen helfen Ihnen und den Mitarbeitern in der konkreten Stresssituation und wirken sich danach weiter positiv auf das Kanzleiklima und die Motivation in der Kanzlei aus. |
Was ist Stress?
Stress kann als physiologische Reaktion (Seyle, 1956) verstanden werden. In diesem Sinne ist Stress ein für das Überleben notwendiger Verteidigungsmechanismus bei besonderen Herausforderungen, der, wenn er aber länger andauert oder schwerwiegend ist, zu (chronischen) Erkrankungen bis hin zum Tod führen kann. Negative Auswirkungen von hohem Stress sind u. a. eine Verringerung unserer analytisch ‒ kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten sowie eine Reduzierung unserer sozialen Kompetenzen sowie auf längere Sicht zusätzlich eine massive Beeinträchtigung unseres Immunsystems.
Nicht immer aber wird eine Stresssituation negativ erlebt (Dystress). Manche beschreiben Stresssituationen auch als anregend (Eustress). Diesen scheinbaren Widerspruch löst die transaktionale Theorie von Stress und Bewältigung (Lazarus & Folkman, 1984) auf. Danach ist Stress ebenfalls eine Reaktion auf Stressoren aus der Umwelt. Wie stark (und negativ) Stress aber empfunden wird, hängt wesentlich von den Möglichkeiten des Individuums ab, mit den Stressoren umzugehen. Ob ein Stressor also als unangenehm empfunden wird oder nicht, wird wiederum von einer Vielzahl persönlicher und kontextueller Faktoren beeinflusst, einschließlich (kognitiver und sozialer) Fähigkeiten und Fertigkeiten, Einschränkungen, Ressourcen, Normen und dem menschlichen Umfeld. Abstrakt beschrieben entsteht Stress, wenn eine Herausforderung als bedrohlich eingeschätzt wird und keine Ressourcen zur Bewältigung zur Verfügung stehen.
ZWISCHENFAZIT | Folgende Punkte sind wichtig für Führungskräfte:
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Fünf Maßnahmen für kurzfristiges Trouble-Shooting
Bei dem nachfolgenden Katalog an Trouble-Shooting-Maßnahmen geht es mir insbesondere um Praktikabilität und um kurzfristige Umsetzbarkeit bei überschaubarem strukturellen und finanziellen Aufwand, um die reale Gefahr von signifikanten Überlastungen und damit einhergehenden psychischen und psychosomatischen Erkrankungen möglichst sofort zu reduzieren.
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Maßnahme 1: Seien Sie Ihren Mitarbeitern eine Stütze
Eine der wichtigsten Maßnahmen besteht darin, dem Stress seine psychische Belastung zu entziehen und ihm damit einen Teil seines Nährbodens zu entreißen. Das gelingt dadurch, dass Sie Ihre Mitarbeiter „stützen“ und hinter ihnen stehen. Haben Ihre Mitarbeiter das Gefühl, dass Sie ihnen vertrauen, ihre Leistung wahrnehmen und den Rücken stärken, dann kann Ihr verändertes Verhalten die psychische Belastung bereits spürbar verringern, was sich positiv auf so wichtige Faktoren wie Selbstsicherheit, Arbeitszufriedenheit und Leistungsdrang auswirkt.
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Stressige Situationen entstehen oft in der Betreuung von „anspruchsvollen“ Mandanten. In einer von mir betreuten Kanzlei erzählte mir eine Mitarbeiterin freudestrahlend, dass der Chef vor Kurzem auf eine Art und Weise hinter ihr gestanden habe, wie sie es nie von ihm erwartet hätte. Er hatte sie gegenüber einem Mandanten, der anmaßend und ungerecht wurde, massiv verteidigt. Allein diese eine Situation hat dafür gesorgt, dass ihre Motivation, ihre Einsatzfreude und ihre Loyalität spürbar gestiegen und ihr Stresslevel im Gegenzug sogar gesunken ist. |
Maßnahme 2: Führen Sie weniger aufgaben- und mehr menschenorientiert
Seien Sie assoziierter Teil des Teams und pflegen Sie grundsätzlich eine „Kultur der offenen Tür“. Nie war es so wichtig wie in dieser Krise, dass Sie wahrnehmen, wie es Ihren Leuten geht und diese tatsächlich Ihr ehrliches Interesse an ihnen als Mitarbeiter und Mensch erkennen. Reine Lippenbekenntnisse greifen zu kurz. Zeigen Sie echtes Interesse. Seien Sie sowohl Chef und doch auch Teil des Teams. Vielen Führungskräften fällt das schwer, da sie von ihren intrinsischen Motivstrukturen mehr aufgabenorientiert und weniger menschenorientiert sind. Der Engpass Zeit, der immer wie ein Damoklesschwert über ihnen schwebt, verstärkt diese intrinsische Motivstruktur noch zusätzlich, weshalb ich Ihnen folgende Maßnahmen empfehlen möchte:
Maßnahme 3: Intensivieren Sie die Kommunikationskultur in der Kanzlei
Überarbeiten Sie die bestehenden Kommunikationsstrukturen und intensivieren Sie die Kommunikation auf mehreren Ebenen sowie an den Schnittstellen. Implizit arbeiten Sie dadurch auch bewusst und strukturiert an der Beziehung zu Ihren Mitarbeitern!
Über folgende Kommunikationsstrukturen sollten Sie nachdenken:
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Mit wem? | Wozu/wie oft? | Vorteile |
mit Führungskräften | Proaktive Fallplanung und Prioritätenplanung sowie Umsetzungsplanung:
Mindestens monatlich und zwingend | Gefördert werden: Planungssicherheit, Schaffung freier Kapazitäten durch mehr Klarheit und Fokus, Abbau von Unsicherheiten und Nebenkriegsschauplätzen (emotional aufgeladener „Kampf um Prioritäten“) |
Strategische und operative Status-Updates und Jour-Fixes:
Mindestens monatlich und zwingend | Fokussierung auf wichtige Projekte, Kapazitätsplanungen, proaktives Informationsverhalten, feste Kommunikationswege | |
mit dem Team, in den Teams zwischen den Teams | Bei kleineren Kanzleien: fachlicher und organisatorischer Austausch aller Mitarbeiter
In größeren Strukturen Verwaltung, FiBu, Lohn und Abschlussteams untereinander
Schnittstellenmeetings verschiedener Teams | Gefördert werden: Informationsaustausch, fachliche Weiterbildung, Verbesserung des Team-Geistes bzw. des Wir-Gefühls in der Kanzlei, individuelle Wertschätzung, vernetztes Denken |
mit allen | Jour-fixes und stille Stunden
Nach Bedarf (z. B. mehrmals die Woche) | Gefördert werden: Reduktion von Störungen, effizienteres Arbeiten |
Beziehungsmeetings (also bewusst nicht auf der Sachebene, wie in den Kommunikationsformen davor)
Beispiele: einmal pro Woche eine (Online-)Frühstücks- oder eine Mittagspause oder einmal pro Monat ein (Online-)Stammtisch | Gefördert werden: Team-Geist, Wir-Gefühl in der Kanzlei, Zusammenhalt |
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Zwei Mitarbeiter eines von mir beratenen Unternehmens erzählten mir, dass sie einmal pro Woche ihr „Feierabendbier“ via Webmeeting gemeinsam genießen und richtig viel Spaß haben. Wegen des Homeoffice muss niemand mehr nach Hause fahren, was den Effekt hat, dass alle Teilnehmer lockerer sind und richtig gute Gespräche und großartige Stimmung aufkommt. Inzwischen sind die Treffen im Unternehmen so beliebt, dass zweimal im Monat ein „Marketing & Friends-Feierabendbier“ getrunken wird. |
Beachten Sie | Halten Sie die Zeiten möglichst ein und verschieben Sie derartige Meetings nur, wenn im übertragenen Sinne die Welt untergeht, denn sonst kommt schnell wieder ein Gefühl von „nicht so wichtig“ auf!
Maßnahme 4: Sorgen Sie für Freude bei der Arbeit
„Wie viel gute Laune verträgt Ihre Kanzlei?“ In einer Zeit, in der wesentliche Werte unseres Menschseins durch Kontaktbeschränkungen stark eingegrenzt sind, wird das soziale Miteinander am Arbeitsplatz umso wichtiger. Ich höre immer wieder, wie gut es den Menschen tut, raus zu kommen und an ihrem Arbeitsplatz miteinander zu reden, gemeinsam Probleme zu lösen und Nutzen zu stiften. Wenn auch Abstand gehalten werden muss, so darf Lachen und Freude erlaubt sein. Fördern Sie den Spaß und die Freude in Ihrer Kanzlei und gehen Sie mit gutem Beispiel voran. Emotionen wie Angst, Trauer, Enttäuschung und auch eine gefühlsneutrale Befindlichkeit gehen mit einem deutlich niedrigeren Muskeltonus einher als die Emotionen Freude oder Begeisterung. Freude fördert unsere Leistungsfähigkeit und unsere Resilienz. Seien Sie kreativ und fördern Sie den Spaß in Ihrer Kanzlei!
Maßnahme 5: Ermöglichen Sie flexible Arbeitsformen
Homeoffice ist inzwischen in vielen Kanzleien eine kaum noch wegzudenkende Alternative, die intensiv genutzt wird und auch zukünftig eine wichtige Rolle dabei spielen wird, qualifizierte Arbeitskräfte für sich zu gewinnen. In der akuten Belastungssituation sind flexible Arbeitsformen aber auch geeignet, die Situation zu entspannen. Arbeitnehmer müssen ja nicht nur mit den Herausforderungen im Beruf, sondern auch mit den Auswirkungen der Krise auf das Privatleben zurechtkommen. Flexibilisierung ist aber auch kein Allheilmittel. Bei aller Liebe zum Homeoffice bestehen durchaus auch Gefahren wie Überlastung oder „soziale Isolierung“. Aus diesem Grund sind die bereits vorhin angesprochenen flankierenden Maßnahmen so wichtig!
Personalbilanz ‒ ein systematischer Entwicklungsansatz
Wer die Kanzlei systematisch besser aufstellen möchte, dem empfehle ich eine Beschäftigung mit dem Instrument der Personalbilanz (siehe die weiterführenden Hinweise). Innerhalb dieses Ansatzes gibt es ein eigenes Analyse- und Präventionssystem, das sich speziell den verschiedenen Stress- und Belastungsfaktoren im beruflichen Umfeld widmet. Das Verfahren misst die Stressbelastung in sechs großen Bereichen (Arbeitsumfeld, soziales Umfeld und Organisation, akuter Stress, chronischer Stress, subjektive Stressauslöser, Verhaltens- und Persönlichkeitsänderungen) und wurde speziell für den Arbeitskontext entwickelt. Dabei werden extrem hohe Standards an Datensicherheit gestellt und die Privatsphäre der Teilnehmer geschützt.
Weiterführende Hinweise
- Das Selbstvertrauen der Mitarbeiter als Erfolgsfaktor (Ecker, KP 20, 105)
- Personalentwicklung ‒ Werden Sie zum Mentor Ihrer Mitarbeiter! (Ecker, KP 19, 214)
- Personalentwicklung ‒ Entwickeln Sie Ihre Mitarbeiter ‒ Sie haben auf mittlere Sicht nur diese! (Gaugler, KP 19, 198)