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  • · Fachbeitrag · Digitalisierungsberatung

    „Digitalisierung ‒ einfach mal machen!“

    | Die Wurzeln der heutigen Kanzlei Birkenmaier & Kusel in Kempten reichen bis 1947 zurück. Beraten werden alle Branchen. Die Kernmandantschaft rekrutiert sich nach wie vor aus der Land- und Forstwirtschaft und dem Gemeinnützigkeitsbereich. Doch mittlerweile kümmert sich eine Unternehmensgruppe mit 130 Mitarbeitern um sie. Geleitet wird die Gruppe gemeinsam von Herbert Birkenmaier und Peter Kusel. |

    Der Weg zur digitalen Kanzlei

    JÜRGEN DERLATH: Wie kam es dazu, als Kanzlei, die älter ist als die Bundesrepublik, digital zu werden? Gab es rückblickend einen entscheidenden Moment?

     

    PETER KUSEL: Wir wollten im Prinzip nicht warten, bis die Automation uns unsere Arbeit wegnimmt und wir es an den Umsätzen merken. Deswegen haben wir geschaut, welche Möglichkeiten der Paradigmenwechsel uns als Kanzlei bietet. Und so haben wir, digital-affine Mitarbeitende, mein Partner und ich, das Thema intern vorangetrieben. Erst haben wir die Kernprozesse digitalisiert und dann die vor- und nachgelagerten Prozesse.

     

    JÜRGEN DERLATH: Welche Rolle spielte dabei die Größe, die Sie mittlerweile erreicht haben?

     

    PETER KUSEL: Hier gab das eine das andere. Bei unserer Größe und mit den verschiedenen Standorten war Digitalisierung sowohl eine Grundlage als auch Schub-Faktor.

    Digitalisierungsberatung als Geschäftsfeld

    JÜRGEN DERLATH: Welche Rolle spielt die Digitalisierung in Ihrem Dienstleistungsportfolio?

     

    PETER KUSEL: Wir bieten unseren Mandaten das klassische Steuerberater-Portfolio an Dienstleistungen ‒ plus viel Digitalisierungsberatung, Softwarelösungen, Datenschutz und Payroll-Management. Wir blicken also deutlich über den Tellerrand der Kernleistungen hinaus.

     

    JÜRGEN DERLATH: Muss ich da als Mandant irgendwas mitbringen? Also muss ich z. B. bereits besonders digital affin sein?

     

    PETER KUSEL: Digitale Affinität ist wünschenswert. Wir werden natürlich versuchen, Sie ‒ wie alle unsere Mandanten ‒ von den Vorteilen der digitalen Zusammenarbeit zu überzeugen und auch davon, dass Papier über kurz oder lang Mehrkosten verursachen wird, weil dann ja zwei Abläufe in der Kanzlei vorgehalten werden müssen. Bisher hat das ganz gut funktioniert, bei Mandanten und Mitarbeitern. Im Übrigen erleben wir auch immer öfter, dass Mandanten zu uns kommen, weil der Vorberater keine digitale Kommunikation anbietet.

     

    JÜRGEN DERLATH: Was sind denn typische Fragestellungen der Digitalisierungsberatung?

     

    PETER KUSEL: Im ersten Schritt geht es um die medienbruchfreie Zusammenarbeit zwischen der Kanzlei und dem Mandanten. Davon sind zunächst einmal die Prozesse in Finanz- und Lohnbuchhaltung betroffen: keine Medienbrüche, papierbelegarmes Buchen etc. Im nächsten Schritt schauen wir uns die anderen Systeme beim Mandanten an, also die vor- und nachgelagerten Systeme. Wir setzen selber in der Kanzlei eine ganze Reihe von Programmen und Tools ein und geben unser Wissen da gerne an die Mandanten weiter.

     

    JÜRGEN DERLATH: Wo über Digitalisierungsberatung und Prozesse gesprochen wird, kommt irgendwo auch immer die Verfahrensdokumentation um die Ecke.

     

    PETER KUSEL: 2018 haben wir unsere Compliance Unit gegründet. Sie kümmert sich für die Mandanten um die Einhaltung der Vorschriften zu GoBD und Risk Management, Datenschutz und Geldwäsche. Wir beginnen so gesehen mit einer buchhaltungsnahen Digitalisierungsberatung und entwickeln das mit den Mandanten dann immer weiter. In diesem Zusammenhang sprechen wir auch das Thema Verfahrensdokumentation an. Es ist aber bei diesem Thema noch Luft nach oben. Nichtsdestotrotz sehe ich im Thema Compliance-Beratung eine Zukunftschance für Kanzleien.

    Die Rolle der Software in der Kanzlei

    JÜRGEN DERLATH: Es ist schon mehrfach angeklungen, dass Software eine zentrale Rolle für Ihre Dienstleistungen spielt. Während so manche Kanzlei noch damit ringt, alle digitalisierbaren analogen Prozesse in die Kanzleisoftware zu bringen, setzen Sie zusätzlich weitere komplexe Systeme und Tools selbst ein und beraten hierzu auch die Mandanten in der Nutzung. Worin genau liegt der Nutzen? Denn erstmal verursacht das Kosten.

     

    PETER KUSEL: Es gibt mehrere Aspekte. Ein Aspekt ist natürlich die Amortisation. Die Investition in Software und Tools rechnet sich mittelfristig über Effizienzgewinne und über die Entlastung, die sie bringen. Sie befreien von stumpfen Tätigkeiten, sodass man sich auf die tollen Arbeiten konzentrieren kann. Aber es gibt auch den Qualitätseffekt: Die Arbeit ist weniger fehleranfällig und unsere Dienstleistung wird dadurch höherwertiger. Ab einer gewissen Größe sind zusätzliche Programme einfach zwingend. Wie sollte ich ohne ein Projektmanagementtool unsere Unternehmensgruppe orchestrieren?

     

    JÜRGEN DERLATH: Welche Software setzen Sie in der Kanzlei ein?

     

    PETER KUSEL: Neben Unternehmen online von der DATEV nutzen wir unter anderem unsere Eigenentwicklung MeinPaul für die Kommunikation zum Mandanten, MS-Teams für die interne Kommunikation, personio im payroll-Management, Keeeb als Sharing-Wissensplattform, MeisterTask für das Projektmanagement und zur Koordination sowie DocuSign.

     

    JÜRGEN DERLATH: Wie kommen Sie auf diese Tools?

     

    PETER KUSEL: Abends, wenn ich auf der Couch noch etwas in Magazinen oder TechBlogs lese. Wenn es mich interessiert, nehme ich dann sofort den Kontakt zu den Anbietern auf.

    Zwei Beispiele: MeinPaul und DokuSign

    JÜRGEN DERLATH: Sie haben auch eine eigene Software für die Mandantenkommunikation entwickelt, MeinPaul. Wie kam es dazu und wie zu dem ungewöhnlichen Namen?

     

    PETER KUSEL: Der Paul ist aus dem englischen pal, Freund, entstanden. Also eigentlich wäre es ein mypal. Aber dann wurde daraus kurzerhand ein MeinPaul. Die Entwicklung von MeinPaul war ein Meilenstein für unsere Digitalisierung. Wir haben schon 2012 mit etwas Vergleichbarem begonnen. Aber der Durchbruch kam 2018 mit MeinPaul, mit dem wir sogar einen Startup-Preis gewonnen haben. Wir wickeln damit die gesamte Kommunikation zwischen Kanzlei und Mandat ab: Es gibt in MeinPaul einen Chat, eine Dokumentenablage, ein Newssystem, eine Vorlagenverwaltung, eine Aufgabenverwaltung und die Möglichkeit für Terminanfragen. Mittlerweile setzen auch andere Kanzleien MeinPaul bei sich ein.

     

    JÜRGEN DERLATH: Und wie nehmen die Mandanten das an?

     

    PETER KUSEL: Nach anfänglichen Berührungsängsten lassen sich immer mehr Mandanten darauf ein. Man muss den Mandanten auch die Zeit und die Hilfe geben, sich mit den neuen Systemen zurechtzufinden. Ich bin ein absoluter Fan von Usability. Es sind eben nicht immer nur die Mandanten schuld, wenn sie ein Programm nicht einsetzen wollen. Viele Programme sind für die Profis in den Kanzleien gemacht. Dass bei den Mandanten aber steuerlich nicht so bewanderte Menschen sitzen, wurde nicht mitgedacht.

     

    JÜRGEN DERLATH: Sie setzen auch die Lösung DocuSign ein. Das ist ja eine mächtige Lösung, bei der von der elektronischen Signatur über den Workflow um Verträge bis zur Vertragsanalyse mit KI alles dabei ist.

     

    PETER KUSEL: Es hat damit angefangen, dass ich mich gefragt habe, warum ich nach Auswärtsterminen eigentlich für Unterschriften noch ins Büro soll. Und dann habe ich nach einer Lösung gesucht und jetzt setzen wir DocuSign bei uns in der Kanzlei ein und empfehlen es auch bei Mandanten, wo es aus unserer Sicht sinnvoll ist.

     

    JÜRGEN DERLATH: Und bei welchen Use Cases setzen Sie DocuSign ein?

     

    PETER KUSEL: Überall da, wo mehrere an einem Dokument beteiligt sind und deren Beteiligung rechtsverbindlich dokumentiert werden soll. Das kann bei der Mandatsannahme sein, bei der uns der Mandant die Annahme der Vereinbarungen bestätigen muss ‒ was nicht zwingend in der Kanzlei passieren muss. Das kann der Mandant auch von zu Hause aus. Oder wenn die Unterschriften unter Gesellschafterbeschlüsse im Umlaufverfahren eingeholt werden sollen, oder bei SEPA-Lastschriftmandaten. Bei uns bildet DocuSign mit anderen Programmen mittlerweile das Rückgrat der Kanzlei.

    Quelle: Ausgabe 08 / 2021 | Seite 143 | ID 47334148