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  • · Fachbeitrag · Interview mit StB Erich Erichsen

    „Wir liegen 0 : 3 zurück, wollen aber mit 4 : 3 vom Platz.“

    | Als Steuerberater Erich Erichsen (Hamburg) den „Gemischtwarenhandel“ von seinem Vater übernahm, überführte er die Kanzlei zunächst ins digitale Zeitalter. Heute liegt der Digitalisierungsgrad bei 100 % und er ist froh, dass er mit den betreuten Mandaten breit aufgestellt ist. Wer in der Kanzlei von Erich Erichsen als Mandant aufgenommen werden will, muss selber digital aufgestellt sein oder bereit sein, das in drei Monaten mit Coaching der Kanzlei zu werden. Kanzleiführung professionell sprach mit Erich Erichsen darüber, wie seine Kanzlei die Corona-Krise erlebte und wie sich der hohe Digitalisierungsgrad ausgewirkt hat. |

     

    REDAKTION: Herr Erichsen, wie haben Sie den Anfang der Corona-Pandemie erlebt?

     

    ERICH ERICHSEN: Mein persönlichstes Corona-Erlebnis hatte ich, als ich völlig unerwartet doch noch einen Abend-Rückflug nach Hamburg bekam. Wir saßen da zu acht in einer eigentlich ausgebuchten Maschine. Am Hamburger Flughafen angekommen, war das wie bei The Walking Dead: Alle Geschäfte geschlossen, kaum einer unterwegs. Am Anfang war natürlich die Unsicherheit groß, wie sich die Erkrankung auswirkt. Der eine wird schwer krank, der andere bekommt nicht mal Schnupfen. Das war bei den Mandanten auch nicht anders. Wir haben zwar die Wirtschaft auf die Intensivstation geschickt und ins Sauerstoffzelt gesteckt, aber wie viele Unternehmen das überleben, ist genauso unsicher. Fakt ist, dass auch schon Steuerberater in meinem persönlichen Umfeld von eigenen Problemen berichten.

     

    REDAKTION: Steuerberater gehörten zu den Berufsgruppen, die ‒ im Home-Office ‒ wenigstens weiterarbeiten konnten. Sie haben alle Mitarbeiter von heute auf morgen nach Hause geschickt. Wie haben Sie das geschafft? Andere Kanzleien mussten für jede Technikerstunde kämpfen.

     

    ERICH ERICHSEN: Das Angebot und die Infrastruktur für Home-Office gab es schon vorher, nur hat es kaum einer genutzt ‒ allenfalls, wenn man mal für den Heizungsableser zu Hause bleiben musste. Die Mitarbeiter haben zu Hause eine Docking-Station, da stellen sie die Laptops drauf, an denen sie im Büro arbeiten, dann gehen die beiden Bildschirme an und sie arbeiten weiter. Ich hab ihnen auch angeboten, auf Kosten der Kanzlei einen zur Einrichtung passenden Schreibtisch und Stuhl zu besorgen. Durch die Internet-Telefonie-Anlage war schon vorher sichergestellt, dass die Mandanten den Eindruck haben, sie würden ihren Ansprechpartner im Büro erreichen. Im Büro war täglich eigentlich nur eine Mitarbeiterin. Weil vor allem das FA noch ein Fan von Papier ist, hat sie die Post eingescannt und im DMS den Kollegen zur Verfügung gestellt.

     

    REDAKTION: Hat denn das Home-Office von Anfang an geklappt?

     

    ERICH ERICHSEN: Na ja, wir mussten alle Home-Office lernen. Wir hielten anfänglich täglich eine Zoom-Videokonferenz ab. Allerdings waren die zu Beginn unstrukturiert und der ein oder andere Mitarbeiter war noch im Schlabberlook. Es fehlte auch an der Vorbereitung. So dauerten die Sitzungen manchmal 45 Minuten und wir waren alle mit dem Format unzufrieden. Ich war unzufrieden, wenn mich Mandanten anriefen und ich ihnen in dem Moment keine Auskunft geben konnte. Und die Mitarbeiter hatten auch nicht den Eindruck, dass in den Videokonferenzen die richtigen Informationen rüberkommen.

     

    Ich arbeite mit einem Unternehmensberater eng zusammen. Mit dem haben wir das dann verbessert. Wir haben die Regel aufgestellt: Wenn ich ins Home-Office gehe, gehe ich ins Büro, bin entsprechend vorbereitet und angezogen. Damit wurde es besser. Jeder gab einen kurzen Status ab, wo er gerade steht und was er gerade macht und erzählte, was für Feedback er vom Mandanten bekommen hat. Der organisatorische Teil dauerte im Laufe der Zeit nur noch 20 Minuten und dann war noch Zeit, um darüber zu sprechen, was Corona mit uns macht, über persönlichere Dinge eben. Und die Mandanten bekamen am Schluss gar nicht mehr mit, dass wir alle im Home-Office waren.

     

    REDAKTION: Mittlerweile sind Sie alle wieder im Büro. Wie hat die Kanzlei die Rückkehr verkraftet?

     

    ERICH ERICHSEN: Die Rückkehr war an sich unproblematisch. Etwa seit August arbeiten wir wieder alle im Büro, also keine Wechselschicht oder ähnliches. Ich habe die vier Monate von April bis Mitte Juli dafür genutzt, die Kanzlei umzubauen. Da waren die Mitarbeiter natürlich gespannt zu sehen, wie die neuen Räume aussehen. Insgesamt hat uns allen das tägliche kollegiale Miteinander gefehlt. Einige meinten sogar, sie hätten ihre Freunde vermisst.

     

    REDAKTION: Seit Anfang 2020 arbeiten Sie und die Mitarbeiter der Kanzlei in einer 25-Stunden-Woche, wobei die Mitarbeiter ihr volles Gehalt weiterbeziehen. Konnten Sie die 25-Stunden-Woche denn im Home-Office durchhalten?

     

    ERICH ERICHSEN: In den ersten Wochen sicher nicht. Die 25-Stunden-Woche setzt ja ein strammes Programm voraus: In fünf Stunde die Arbeit von acht erledigen. Das geht nur, wenn man fünf Stunden lang konzentriert und ungestört bei der Sache ist. Aber gegen Ende der Home-Office-Zeit waren einige sogar noch effektiver.

     

    REDAKTION: Was ist die wichtigste Voraussetzung, um eine solch flexible Kanzlei zu haben?

     

    ERICH ERICHSEN: Die Kanzlei ist zu 100 % digital. Außerdem habe ich die 25-Stunden-Woche von vornherein als Projekt der Kanzlei und nicht nur von mir angelegt. Der gemeinsame Weg dahin schweißt zusammen.

     

    REDAKTION: Wie kommt es, dass der Digitalisierungsgrad in vielen Kanzleien noch vergleichsweise niedrig ist? Ungefähr die Hälfte der DATEV-Steuerberater nutzt Unternehmen online oder hat kein DMS.

     

    ERICH ERICHSEN: Ich glaube, es fehlt noch am Leidensdruck. Ich mache Veranstaltungen zum Thema Digitalisierung. Hauptbremser sind immer wieder: Die Mandanten wollen nicht, die Mitarbeiter wollen nicht. Aber wenn Sie selbst sich nicht auskennen, wie wollen Sie Mandanten und Mitarbeiter von den Vorteilen überzeugen? In meinen Veranstaltungen versuche ich dann die Kolleginnen und Kollegen von dieser These am konkreten Beispiel zu überzeugen: Ich zeige ihnen dann, wie man z. B. die Kasse mit konkreten Buchungsvorschlägen auslesen kann. Das geht ruckzuck und das Ergebnis ist oft auf Anhieb richtig. Ich frage dann: „Zeigen Sie mir die Buchhalterin, die das schneller kann? Jetzt nämlich sind wir am Punkt, wo Geld verdient wird!“

     

    Manche Seminarteilnehmer sagen, ich sei der Jürgen Klopp der Steuerberater. Wenn man 0 : 3 zurückliegt, aber mit 4 : 3 vom Platz will, muss sich in der zweiten Halbzeit was ändern.

     

    REDAKTION: Wie hat sich bei Ihnen die Digitalisierung auf das Angebot neuer Dienstleistungen ausgewirkt?

     

    ERICH ERICHSEN: Wir bieten z. B. an, den Zahlungsverkehr komplett zu übernehmen. Außerdem haben unsere Mandanten ein Dashboard, auf dem sie jederzeit ihre Finanzlage sehen können. Wir bieten auch eine Verfahrensdokumentation an. Die ist bei uns übrigens Voraussetzung für Neumandanten. Ich verkaufe die den Mandanten als eine Art Versicherungsprämie gegen die Betriebsprüfung. Ein weiterer Vorteil ist, dass man dann durch ersetzendes Scannen von den zu archivierenden Papierbergen runterkommt. Außerdem ist das für mich der Einstieg in die Prozessberatung bei meinen Mandanten.

    Quelle: ID 46809761