· Fachbeitrag · Kanzleistrategie
Aktive Mandantenpolitik schlägt „Gier“ nach neuen Mandanten
von Ralf Ecker, Bexbach
| Wachstum gilt als elementare Grundlage für wirtschaftlichen Erfolg und als Bestätigung, auf dem richtigen Kurs zu sein. Führt aber eine Strategie „Hauptsache-mehr-Mandanten“ tatsächlich zu nachhaltigem Wachstum? Schützt die unreflektierte Anhäufung von Mandaten vor sich stark verändernden Märkten? In diesem Beitrag möchte ich Ihnen Möglichkeiten aufzeigen, wie Sie zu einer individuellen Mandantenpolitik gelangen, mit der Sie Ihre Kanzlei für eine erfolgreiche Zukunft positionieren. |
Das Ende der alten Rezepte
Die Steuerberatungsbranche befindet sich in einem umfassenden Wandlungsprozess. Die Digitalisierung, die demografischen Herausforderungen, der Wertewandel der Arbeitnehmer, die fachlichen Änderungen sowie die unkalkulierbaren exogenen Faktoren und Krisen stellen die Kanzleien vor völlig neue Herausforderungen (Derlath, KP 20, 122).
Was gestern funktionierte, kann heute ‒ dennoch ‒ falsch sein
Die Fragen der Zukunft erfordern neue Antworten und eine Abkehr von dem klassischen Modell der „guten alten Zeit“.
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Vielen Kanzleiinhabern ist jedoch klar, dass dieses Modell, das eigentlich auf einem Best-Case-Szenario beruht, weder eine echte Strategie ist noch Antworten auf Fragen der Zukunft gibt. Die Quantität der Mandate sagt nichts über die Qualität der Mandate und über deren tatsächlichen Beitrag zum Gewinn der Kanzlei aus. Die Quantität kollidiert vielmehr mit dem Engpassfaktor Zeit. Das führt zu einer permanenten Reaktivität und dazu, dass die Mandate zu oft nur aus der Perspektive der Vergangenheit betreut werden. Die Zeit für vorausschauende Gestaltung und Beratung ist schlicht nicht da. Ein zweiter noch dramatischerer Aspekt permanenter Reaktivität ist die Gefahr der Überlastung. Wer immer den Fristen hinterherhechelt, steht unter permanentem Stress. Stress aber macht anfälliger für Fehler, erhöht Krankenstände und führt am „Ende des Tages“ zum Burn-out.
Alternative strategische Modelle sind nötig
Es stellt sich also die Frage, wie Sie Ihre Mandantenpolitik nach alternativen strategischen Gesichtspunkten gestalten können. Es wird wohl nie nur den einen richtigen Weg geben können. Dazu sind sowohl die Kanzleien, ihre Historien, die regionalen und demografischen Strukturen, in denen die Kanzlei beheimatet ist, viel zu unterschiedlich. Als Trainer und Berater bin ich, wie die meisten Kanzleiinhaber auch, eher Praktiker als Theoretiker, weswegen sich die dargestellten Vorschläge und Ansätze an Ihren Markterfordernissen orientieren müssen und sich gerne auch überlappen dürfen. Das synergetische „Sowohl-als-auch“ führt in dynamischen und unkontrollierbaren „Welten“ zu besseren Ergebnissen, als das kategorische „Entweder-oder“! Denn es wird immer mal wieder Ausnahme- und Härtefälle geben, die eine Kanzlei durchaus verkraften können sollte.
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Praxistipp | Egal welchen Ansatz Sie letztlich tatsächlich präferieren, es ist immer sinnvoll, sich zunächst einmal die gegenwärtige ökonomische Realität der Kanzlei aus betriebswirtschaftlicher Sicht vor Augen zu führen. Hat die Kanzlei eine lange Historie, dann empfiehlt sich in der Regel ein anderer Strategiemix als bei einer jungen, im Aufbau befindlichen, Kanzlei. |
Ansatz 1: ABC-Analyse
Für viele Kanzleiinhaber ist die klassische ABC-Analyse ihrer Mandanten immer noch eine Kröte, die sie ungern schlucken. Sei es, dass sie aufgrund von Dankbarkeit oder langjähriger Verbundenheit die objektive Wahrheit nicht so ungeschminkt sehen wollen oder sei es, dass sie die Zahlen ungern intern kommunizieren möchten, da immer noch die sehr ethische und doch ziemlich theoretische Formel gilt: „Alle Mandanten werden gleich behandelt“. Dabei ist dieses sehr einfache betriebswirtschaftliche Instrument ein hervorragender Kompass, um vorhandene und potenzielle Mandate in Wichtigkeit und Rentabilität zu klassifizieren und um daraus konkrete operative Handlungsstrategien abzuleiten.
Die ABC-Analyse hilft Ihnen dabei zu erkennen, welche Mandate den größten Anteil am Gesamtumsatz haben bzw. welche Mandate den höchsten Deckungsbeitrag für Ihre Kanzlei erwirtschaften. Auch Kostengesichtspunkte, wie Bearbeitungsaufwand oder nicht monetäre Gesichtspunkte, wie die Wichtigkeit eines Mandats können in die ABC-Analyse mit einbezogen werden. Ein sehr einfaches Beispiel einer ABC-Analyse könnte in etwa wie folgt aussehen:
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A-Mandate | B-Mandate | C-Mandate | |
Anteil am Gesamtumsatz | ca. 80 % | ca. 10 % | ca. 10 % |
Anteil an der Gesamtzahl der Mandate | ca. 20 % | ca. 40 % | ca. 40 % |
Priorität | sehr hoch | hoch | niedrig |
Strategie | Premiumbetreuung | Weiterentwicklung | Standardbetreuung oder Trennung |
In vielen Kanzleien wiederholt sich das Muster, dass der Hauptanteil vom Umsatz mit wenigen Mandaten gemacht wird (manchmal als 80-20-Regel oder Pareto-Prinzip bezeichnet).
PRAXISTIPP | Beleuchten Sie bitte Ihre eigene Mandantenstruktur unter objektiven betriebswirtschaftlichen Kriterien und beziehen Sie das Opportunitätskostenprinzip mit ein. Die gut ausgebildete Steuerfachkraft, die jeden Monat X Stunden damit verbringt, den Belegen eines C-Mandanten nachzulaufen, diese dann zu ordnen und einzubuchen, um dann eine Rechnung zu schreiben, die im Idealfall gerade noch die Kosten deckt und erst nach mehrfachem Mahnen bezahlt wird, ist die ganze Zeit gebunden und steht für ertragreichere Tätigkeiten nicht zur Verfügung. Wie viel Deckungsbeitrag könnte diese hochqualifizierte Mitarbeiterin alternativ mit einem A- bzw. B-Mandat erwirtschaften? In einer Zeit, in der gute Steuerfachangestellte, Bilanzbuchhalter und Steuerfachwirte zum Engpass werden, ist der Opportunitätskostenansatz wichtiger denn je! |
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Ansatz 2: Marktsegmentierung
Segmentieren bedeutet, die heterogene Gruppe der Mandanten und potenziellen Mandanten in homogene Gruppen, mit gemeinsamen Merkmalen, zu unterteilen. Segmentiert wird anhand bestimmter Kriterien:
- 1. Geografische Segmentierung: regional vs. überregional
- 2. Spezialisierungsgrad (Thema/Branche): Generalist vs. Spezialist
- 3. Nutzensegmentierung: Preisführerschaft vs. Nutzenführerschaft
- 4. Marktdurchdringungsgrad: Marktführer vs. Nische
Anbei zwei strategisch nicht (unbedingt) empfehlenswerte Extrembeispiele, die plakativ verdeutlichen sollen, was Marktsegmentierung bedeutet:
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Kriterium 1: Geografische Segmentierung ‒ regional vs. überregional
Suche ich mir meine Mandate vor der Haustür oder ist ganz Deutschland (die gesamte Welt) mein Markt? Hier liegen die Vor- und Nachteile der jeweiligen Strategie klar auf der Hand, wobei die fortschreitende Digitalisierung die räumliche Nähe als wichtigstes Segmentierungskriterium immer unwichtiger werden lässt. Die Corona-Krise hat diese Tendenz weiter beschleunigt, indem sie Bilanzbesprechungen via Konferenz- und Webinarsoftware für eine breitere Mandantschaft salonfähig gemacht hat!
Kriterium 2: Spezialisierung (Thema/Branche) ‒ Generalist vs. Spezialist
Die herkömmliche Kanzlei wird sich nicht von heute auf morgen zu einem Spezialisten entwickeln können. Ein Generalist zu sein, ist auch nicht gleichbedeutend damit, jedes Mandat anzunehmen und ausnahmslos jede Branche zu bedienen. Eine Kanzlei mit dem strategischen Ansatz Generalist stellt sich ganz bewusst breiter auf. Sie bietet den Mandanten thematisch möglichst alles aus einer Hand und das für unterschiedliche Branchen. Diese Strategie kann (und sollte sogar) um ganz klare Ausschlusskriterien (z. B. keine Vereine, kein Baulohn usw.) ergänzt werden. Wird daneben auch noch der betriebswirtschaftliche Ansatz (keine C-Mandate) berücksichtigt, dann wird aus der ständigen Übung („Wir nehmen, was kommt!“) eine klare Strategie.
Die einzelnen strategischen Richtungen sind jeweils mit Vor- und Nachteilen verbunden:
Übersicht / | |
Vorteile Komplettanbieter | Nachteile Komplettanbieter |
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Vorteile Spezialist | Nachteile Spezialist |
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Folgende Fragen sollten Sie sich in diesem Zusammenhang stellen:
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Kriterium 3: Nutzensegmentierung ‒ Preis- oder Nutzenführerschaft
Wollen wir am Markt als die Kanzlei sichtbar sein, die den Mandanten einen besonders guten Nutzen bietet oder wollen wir insbesondere die preissensibleren Kunden ansprechen und uns über ein besonders attraktives Preis-/Leistungsverhältnis profilieren? Diese Strategie überlappt die vorherigen Strategien, da die Höhe der Honorare je nach Region und Branche stark variieren kann und stark mit dem Spezialisierungsgrad und wahrgenommenen Kundennutzen korreliert.
Hierzu empfehle ich Ihnen die folgenden Leitfragen:
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Kriterium 4: Marktdurchdringungsgrad: Marktführer vs. Nische
Eine weitere Segmentierungsstrategie ist der angestrebte Marktdurchdringungsgrad. Möchte ich in einer Region oder in einer Branche Marktführer sein? Diese Strategie geht eng einher mit der geografischen und der Branchensegmentierung. Viele der dort gestellten Fragen können übertragen werden. Hinzu kommen jedoch noch Fragen wie:
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PRAXISTIPP | Kombinieren Sie die Segmentierungsvorschläge mit den organisatorisch-technischen Skalierungsansätzen. Die dargestellten Ansätze ermöglichen gerade auch traditionellen Kanzleien eine sukzessive Anpassung der Strategie ohne vorherigen harten Schnitt. |
Ansatz 3: Mehr Produktivität durch Skalierung
Eine weitere Strategie, um aus der Hamster-Falle auszubrechen, ist die bewusste Nutzung von Skaleneffekten. Hier können Sie wiederum mehrere der bereits dargestellten Strategien koppeln und durch organisatorische und technische Strukturen erweitern. Mit dem Konzept für eine strukturierte Personalentwicklung (siehe die weiterführenden Hinweise) gepaart führt dieser Ansatz zu zufriedenen Mitarbeitern mit höherem Leistungsdrang, höherer Motivation und höherer Eigenverantwortlichkeit. Dadurch können vorhandene Mandate ausgebaut, interessante neue Mandate gewonnen und C-Mandate sehr standardisiert bearbeitet werden.
Ergebnis: Vom Deklarierer zum Partner des Mandanten
Die individuelle Mandatspolitik bietet enorme Chancen für die Zukunft. Sie werden für Mandanten sichtbarer, weil Sie ihnen noch besseren und differenzierteren Service bieten können. Wer bei Ihnen das Basic Paket bucht, erhält qualifizierte Deklaration ‒ wer das Premium Paket bucht erhält auch Gestaltungsberatung und „Seelsorge“. Ihre Mitarbeiter werden aufatmen, dass Sie nicht noch ein Mandat „in die Orga kippen“. Das Schöne daran: Sie brechen nicht von heute auf morgen mit der Vergangenheit, sondern Sie erweitern nur Ihre Rolle: vom Steuerdeklarierer zum echten Partner des Mandanten.
Weiterführende Hinweise
- Fallstudie ‒ Das Selbstvertrauen der Mitarbeiter als Erfolgsfaktor in besonderen Zeiten (Ecker, KP 20, 105)
- Personalentwicklung ‒ Entwickeln Sie Ihre Mitarbeiter ‒ Sie haben auf mittlere Sicht nur diese! (Gaugler, KP 19, 198)
- Personalentwicklung ‒ Werden Sie zum Mentor Ihrer Mitarbeiter! (Ecker, KP 19, 213)