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  • · Fachbeitrag · Mitarbeitergewinnung

    Zehn Mythen zur Fachkräftegewinnung in der Steuerberatung

    von Marion Ketteler, Münster, www.kanzleiprofiling.de

    | Gibt es den Fachkräftemangel wirklich? Oder ist er vielleicht nur eine willkommene Ausrede, um im Bereich Personal nichts ändern zu müssen? Machen Sie mit mir für die Lesedauer dieses Beitrags ein Gedankenexperiment und schauen wir uns doch einmal die Mythen an, die sich um den Fachkräftemangel ranken. |

    Mythos 1: Die Industrie zahlt besser

    Wieso gehen junge Menschen ‒ und gerade jene, an denen der Kanzlei so viel liegt ‒ nach ihrer Ausbildung weg und versuchen ihr Glück lieber in einem komplett neuen Umfeld, statt in der vertrauten Kanzlei zu bleiben? Weil die Industrie besser zahlt, werden Sie jetzt antworten. Dieser Mythos wird von Kanzleiinhabern genährt, die nicht verstanden haben, dass die neue Generation aus anderen Motiven beruflich tätig ist.

     

    Was, wenn Geld nicht das entscheidende Argument wäre? Junge Menschen definieren sich nicht mehr ausschließlich über Geld. Sie wollen ein gutes Einkommen, aber mehr Geld bedeutet nicht mehr Motivation. Was stellen Sie denn Absolventen nach der Ausbildung in Aussicht? Vielleicht ist das ja gerade nicht interessant?

     

    PRAXISTIPP | Sinn in dem, was man tut, und interessante Aufgaben bei möglichst großem gestalterischen Freiraum sind die Schlüsselwörter. Mit fixen Arbeitszeiten und repetitiven Aufgaben erreichen Sie bei diesen Mitarbeitern nichts. Dann gehen sie lieber.

     

    Mythos 2: Es müssen immer größere und teurere Anzeigen her

    Grundsätzlich davon auszugehen, dass die Printanzeige DAS Recruiting-Instrument ist, ist eine (teure) Fehlannahme. Die Welt heute ist digital. Damit verändert sich auch das Verhalten der Menschen. Wer kauft heute noch eine Zeitung der Stellenanzeigen wegen, wenn sich Stellenangebote in spezialisierten Suchmaschinen, Jobportalen oder in den Social Media ohne Aufwand finden lassen? Sie ahnen die Antwort bereits: Babyboomer, aber noch einen suchen Sie ja nicht.

     

    PRAXISTIPP | Die richtige Frage lautet also, wie erreichen Sie die Person, die Sie suchen? Wenn Sie wissen, wen Sie suchen, dann müssen Sie klären, wo sich diese Person medial aufhält und die Person dort ansprechen.

     

    Mythos 3: Die Bewerber werden immer schlechter

    Wirklich? Alle oder die Bewerber, die zu Ihnen kommen? Was wäre, wenn sich die guten Bewerber vielleicht nur nicht bei Ihnen bewerben, weil sie Sie zum Beispiel nicht finden (nur ein Eintrag in den Gelben Seiten, keine Website, kein Social-Media-Auftritt). Oder wenn Sie so etwas haben: Was erfährt der Interessent, wenn er sich Ihren Webauftritt anschaut? Welche interessanten Fakten liefern Sie, die Lust machen, bei Ihnen arbeiten zu wollen?

     

    PRAXISTIPP | Viele Auftritte von Kanzleien sind ausschließlich mandantenbezogen. Künftige Mitarbeiter erfahren so gut wie nichts darüber, wie die Kanzlei „tickt“.

     

    Mythos 4: Die Bewerbungen lesen sich heute alle gleich

    Versetzen Sie sich in den Bewerber. Er findet im Internet die konservativ gestaltete Seite einer Kanzlei und reagiert darauf mit einer ‒ richtig ‒ konservativen Bewerbung. Erst recht, wenn Sie in die Stellenanzeige geschrieben haben, dass Sie die „üblichen“ Bewerbungsunterlagen erwarten.

     

    PRAXISTIPP | Geben Sie den Bewerbern Anhaltspunkte, was Ihre Kanzlei besonders macht und schauen Sie, wie die Bewerber damit umgehen.

     

    Mythos 5: Das AGG hat das Bewerbungsverfahren vermint

    Über den Punkt sollen die streiten, die sich rechtlich damit auskennen. Aber eines stimmt: Wer heute noch „Verstärkung für ein junges dynamisches Team“ oder einen „Steuerberater“ bzw. „Steuerfachangestellten“ sucht, bekommt Ärger. Klar, wer das früher so gemacht hat, weil er das auch so meinte, der muss sich heute verstellen. Aber in wie vielen Fällen wurden Stellenanzeigen einfach gedankenlos abgeschrieben, weil es schnell gehen sollte, ohne zu überlegen, dass man damit durchaus hoch qualifizierte Interessenten von einer Kontaktaufnahme abschreckt.

     

    Es ist auch nicht richtig, dass man Bewerbern heute in der Absage nicht mehr die Wahrheit sagen kann. Wenn die Person, die sich bei Ihnen beworben hat, nicht auf das Profil passt oder wenn eine andere Person das Geforderte übererfüllt, dann haben Sie gute Gründe für die Absage. Die Frage ist aber, ob die Absage ein Vierteljahr, nachdem die Unterlagen eingereicht wurden, in dem Einzeiler bestehen sollte: „Anbei erhalten Sie zu unserer Entlastung ...“.

     

    PRAXISTIPP | Solche Absagen zeigen mangelnde Wertschätzung. Dieser Bewerber wird seine schlechte Erfahrung kundtun, sodass Sie davon ausgehen können, dass sich aus seinem Umkreis niemand bei Ihnen bewerben wird. Unterschätzen Sie diese Auswirkungen nicht!

     

    Mythos 6: Und wenn wir dann jemanden wollen, hat sie/er schon woanders zugesagt

    Ein Bewerbungsprozess ist für Bewerber in erster Linie eins: Lästig und unangenehm. Er möchte diesen Zustand so schnell wie möglich beenden, da er Sicherheit anstrebt. Also bewirbt er sich bei mehreren Kanzleien, um seinen Zustand möglichst schnell zu beenden. Da die allerwenigsten Kanzleien gute Stelleninserate schreiben, kann der Bewerber ohnehin nicht unterscheiden, welche Kanzlei für ihn die beste ist. Also kann er sich auch nicht für die beste entscheiden, sondern nur für die schnellste.

     

    PRAXISTIPP | Natürlich müssen Sie die Unterlagen in Ruhe prüfen. Aber wenn Sie sich nicht rasch dafür die Zeit freimachen, dürfen Sie sich nicht wundern, wenn andere Kanzleien schneller zugreifen. Auf diesem Markt gewinnt nicht der Beste, sondern der Schnellste.

     

    Mythos 7: Weil wir viele Bewerbungen haben, sind wir ein attraktiver Arbeitgeber

    Die Anzahl von Bewerbungen sagt nichts über Ihre Arbeitgeberattraktivität aus. Denken Sie an die Big Four der Branche: Allein über ihre Bekanntheit werden sie mehr Bewerbungen erhalten. Sie haben eine Recruiting Abteilung und können viel Geld in die Bewerberansprache stecken. Ist das deswegen ein guter Arbeitgeber? Da kommt es wohl eher auf den Bereich und die Menschen an, mit denen man arbeitet. Kann also stimmen, muss aber keineswegs.

     

    PRAXISTIPP | Vielleicht sind viele Bewerbungen ein Indiz für einen guten Bewerbungsprozess ‒ oder für einen schlechten, weil sich zwar viele, aber nicht die passenden Bewerber melden. Ihre Arbeitgeberattraktivität müssen Sie an anderer Stelle beweisen ‒ vielleicht machen Sie Ihre Attraktivität besser an Ihrer Fluktuationsrate fest.

     

    Mythos 8: Leute, die unseren Anforderungen gerecht werden, bewerben sich sowieso nicht bei uns

    Welche Anforderungen machen Ihre Kanzlei denn so besonders? Arbeiten Sie vielleicht mit einem Programm, das niemand kennt? Oder suchen Sie ausschließlich nach exzellenten Kollegen mit hervorragenden Kenntnissen in Land- und Forstwirtschaft? Dann wird es in der Tat schwierig. Aber sind denn alle Mitarbeiter, die heute bei Ihnen arbeiten, auch schon als Supermitarbeiter zu Ihnen gekommen? Oder haben Sie sie nicht vielleicht doch eher aufgebaut?

     

    PRAXISTIPP | Ist die Hürde in der Stellenanzeige zu hoch, springt niemand darüber. So einfach ist das. Machen Sie es den Bewerbern doch gerade leicht, wenn Sie schon so spezielle Kandidaten suchen: Bieten Sie eine grandiose Einarbeitung an und stellen Sie das auf Ihrer Stellenanzeige schon explizit heraus. Machen Sie den Menschen Mut statt Sorge.

     

    Mythos 9: Auf unserer Website erfahren Bewerber alles Wichtige über die Kanzlei

    Wie schon gesagt, sind viele Seiten auf die Ansprache von Mandanten ausgerichtet. Wenn Sie hingegen bereits eine spezielle Karriereseite haben sollten, Glückwunsch! Schauen Sie aber trotzdem nochmal kurz nach, was auf der Seite steht. Wenn da nur ein Verzeichnis der offenen Stellen zu finden ist, müssen Sie nacharbeiten.

     

    PRAXISTIPP | Die Karriereseite ist die Seite, auf der Sie Ihre Unternehmenskultur darstellen und Ihre Kanzlei präsentieren. Stellenangebote haben dort schlichtweg nichts verloren. Die gehören auf separate Seiten und zwar für jede Stelle eine. Ihre Karriereseite sollte die Informationen bereithalten, die für Interessenten oder zukünftige Bewerber von Bedeutung sind. Ich wette, die allermeisten Kanzleien haben das gerade nicht.

     

    Mythos 10: Gute Leute gibt es nur über Personalvermittler

    Ich will es kurz machen. Geld müssen Sie so oder so in die Hand nehmen. Entweder Sie investieren in sich und Ihre Kanzlei oder in Personalvermittler. Besser ist der erste Weg: Werden Sie sich klar, wofür Ihre Kanzlei steht. Machen Sie sich intensiv Gedanken über Ihre neuen Mitarbeiter. Und schreiben Sie beides auf Ihre Website. Damit erreichen Sie mittelfristig sicherlich mehr. Oder Sie nehmen jedes Mal das Geld in die Hand und schauen, wen der Personalvermittler so alles mitbringt.

     

    PRAXISTIPP | Solange Sie es den Bewerbern unnötig schwer machen, sich für Sie zu entscheiden, müssen Sie wohl damit leben, viel Geld an Recruiter zu zahlen, um gute Mitarbeiter zu bekommen. Sie könnten auch einen richtig guten Bewerberprozess erstellen. Es kostet natürlich auch Zeit und Geld, ist aber langfristig gesehen die bessere Alternative, weil sie Ihnen langfristig nützt.

     

    Nachwort

    Was denken Sie jetzt über den Fachkräftemangel in der Steuerberatung? Ich bin überzeugt, dass diejenigen keine Probleme haben, richtig gute Fachkräfte zu bekommen und zu binden, die verstanden haben, dass sie in Vorleistung gehen müssen, die ihren Recruiting-Prozess modern und auf die Bedürfnisse der Bewerber ausrichten und die wissen, dass es mit der Einstellung neuer Mitarbeiter nicht getan ist, sondern dass gute Mitarbeiterführung zu den Hauptaufgaben von Führungskräften zählt.

    Quelle: Ausgabe 07 / 2021 | Seite 131 | ID 47147770