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  • · Fachbeitrag · Virtuelle Steuerkanzlei

    Vorteile und Grenzen einer virtuellen Kanzlei

    von Alexandra Buba, M. A., freie Wirtschaftsjournalistin Nürnberg

    | Die moderne Technik erlaubt es längst, eine völlig virtuelle Steuerkanzlei zu unterhalten, bei der Steuerberater, Mitarbeiter und Mandanten sich niemals zu Gesicht bekommen müssten. Doch ist das wirklich die Kanzlei der Zukunft? Eine Steuerkanzlei aus Baden-Württemberg setzt voll auf das virtuelle Konzept - kennt aber auch seine Grenzen. |

    Die virtuelle Steuerkanzlei gibt es nicht

    Wer nach der virtuellen Steuerkanzlei googelt, findet eine ganze Menge interessanter Offerten. Es wird damit geworben, dass man nicht nur vor Ort in der Kanzlei für den Mandanten da sei, auch wenn man dort mit ihm gern einen Kaffee einnehmen würde. Sollte er aber keine Zeit haben, komme man zu ihm nach Hause oder auf die Arbeitsstelle oder telefoniere via Skype mit ihm. Letzteres nennt sich dann „virtuelle Kanzlei“.

     

    Das „Skypen“ ist in der Tat das, was die meisten Berater, die eine virtuelle Steuerkanzlei bewerben, tatsächlich anbieten. Die Videotelefonie via Internet soll und kann den persönlichen Mandantenkontakt ersetzen - wenn dies gewünscht ist, schließlich ist der Mandant König. Neben den Skype-Beratern finden sich unter dem Stichwort „virtuelle Steuerkanzlei“ noch Informationsportale, deren Zweck letztlich unklar bleibt. Sie sollen den Mandanten durch die dargebotenen Erklärungen und Nachrichten möglicherweise in die Lage versetzen, seine steuerlichen Belange in Eigenregie zu regeln.

     

    Mit einem wirklichen virtuellen Unternehmen haben die genannten Ansätze wenig zu tun, vielmehr verwenden sie aus Marketingerwägungen ein wohlgefälliges Schlagwort. Sämtliche Auftritte geben nämlich keine Hinweise darauf, dass etwa die Finanzbuchführung digital erledigt werden kann, Kooperationen mit Beratern anderer Beratungsschwerpunkte existieren oder die Organisation der Kanzlei rein IT-gestützt funktioniert und alle Beteiligten online von einem beliebigen Ort aus zusammenarbeiten. All dies gehört streng genommen zu einem virtuellen Unternehmen.

    Virtuelle Vorzeigebranche IT

    In anderen Branchen sieht dies anders aus. Längst ist der hinter seinem Bildschirm klemmende, Pizza bestellende Nerd ein Synonym geworden für all jene, die für die Arbeit nicht das Haus verlassen und sie auch nicht unbedingt zu den üblichen Bürozeiten erledigen wollen. Über dieses Klischee hinaus bietet aber insbesondere die Informationstechnologie viele Beispiele echter virtueller Unternehmen, bei denen die einzelnen Mitglieder rechtlich unabhängig für bestimmte, zeitlich befristete Projekte überwiegend oder ausschließlich mithilfe des Internets zusammenarbeiten.

    So entsteht der virtuelle Arbeitsplatz

    Die technischen Voraussetzungen für die Einrichtung eines Home-Offices sind gering: Telearbeiter benötigen nicht mehr als einen PC, einen Internetzugang und ein Telefon. Tatsächlich befindet sich das Büro mancher Angestellter heute schon in einem Notebook. In der Konsequenz lässt sich fast jeder Büroarbeitsplatz mit einer überschaubaren Investition an den heimischen Schreibtisch oder einen beliebigen anderen Ort verlegen.

     

    Internet ist das A und O

    Die wichtigste Voraussetzung dafür ist eine schnelle und sichere Internetverbindung, die den Zugriff auf Anwendungen, Datenbanken und Kommunikationssysteme des Arbeitgebers ermöglicht. Diese ist mittlerweile fast überall in Deutschland vorhanden - häufig sogar bereits über Funk. Gemeinhin wird diese direkte Verbindung zum Unternehmen über ein sogenanntes VPN (Virtual Private Network) gesichert. Moderne Chat-, Telefon- und Videokonferenzsysteme erlauben zudem eine - zumindest rational betrachtet völlig ausreichende - Kommunikation mit Kollegen, dem Chef oder Kunden. Bereits sieben Millionen Bundesbürger nutzen regelmäßig die Videotelefonie (wie etwa Skype) über Internet.

     

    Desktop-Virtualisierung und Cloud-Lösung

    Auf dem Schreibtisch steht möglicherweise nur noch ein Bildschirm, der mit einem äußerst schlanken Computer verbunden ist. Dieser muss nur über eine geringe Rechenleistung verfügen und kann durchaus ein älteres Modell sein. Bei der sogenannten vollständigen Desktop-Virtualisierung wird technisch nämlich nicht nur eine einzelne Anwendung auf dem Server ausgeführt, sondern auch das gesamte Betriebssystem ausgelagert. Nutzer können über das Netzwerk auf sämtliche Programme, alle Daten und zudem ihre persönlichen Einstellungen zugreifen. Dabei bleibt die individuelle Anzeige immer gleich: Die Mitarbeiter sehen immer dieselbe Oberfläche, egal, ob sie mit einem PC in der Kanzlei, von einem Notebook von zu Hause aus oder über ein Tablet arbeiten.

     

    MERKE |  Die Desktop-Virtualisierung ist nicht nur komfortabel für die Mitarbeiter, sondern erspart der Kanzlei eine Menge Kosten. Wartung und Datensicherung erfolgen nur noch auf dem Server. Auf den mobilen Geräten werden keinerlei Daten mehr gespeichert. Das erhöht zusätzlich die Sicherheit im Falle des Geräteverlusts.

     

     

    Kombiniert man die Desktop-Virtualisierung mit einer Cloud-Lösung, bei der sämtliche Daten, Anwendungen und persönliche Konfigurationen in einem Rechenzentrum gespeichert werden, lässt sich eine Steuerberatungskanzlei heute vollständig virtuell betreiben. Chef und Mitarbeiter arbeiten an einem beliebigen Ort mit identischen Datenbeständen und Programmen, die Mandanten liefern elektronische Belege für die digitale Finanzbuchführung.

    Zwang zur Errichtung einer Niederlassung

    Dieser Vision steht derzeit zum einen der Zwang zur Errichtung einer Niederlassung entgegen, den das Berufsrecht auferlegt. Es gestattet bislang keine ausschließlich virtuelle Kanzlei. Zum anderen argumentieren selbst eingefleischte Befürworter der weitestgehenden Virtualisierung in der Steuerberatung mit fehlendem menschlichen Kontakt und dem Bedürfnis nach 
einem festen und abgegrenzten Arbeitsort.

    Bausteine für eine virtuelle Beratung

    Mit der Frage, wann eine Steuerkanzlei „virtuell“ zu nennen ist, betritt man ein weites Feld. Streng definitorisch darf eine Steuerberatungskanzlei nicht ausschließlich virtuell agieren - das Berufsrecht verlangt eine physische Niederlassung. Auf dem Weg zur Virtualität gibt es aber durchaus einige wichtige Bausteine:

     

    Checkliste / Wie virtuell ist Ihre Kanzlei?

    • Digitales Belegwesen: Bei vielen Anbietern von Kanzleisoftware ist die Möglichkeit, eingescannte oder originär digitale Belege vollständig papierlos zu verarbeiten, seit einigen Jahren Standard.

     

    • Dokumenten-Management-System (DMS): Sämtliche Akten und Dokumente der Kanzlei lassen sich in einem digitalen Archiv speichern, das entweder auf dem Server innerhalb der Kanzlei oder im Rechenzentrum eines Softwareanbieters archiviert wird. Mittlerweile setzt sich der Begriff Enterprise Content Management (ECM) durch, der noch etwas über das DMS hinausgeht.

     

    • Unified Communication: Bei diesem Modell geht es darum, sämtliche Kommunikationsinhalte und -kanäle so zu vereinen, dass etwa Telefonate, E-Mails oder Chat-Protokolle an ein und derselben Stelle verfügbar und nutzbar sind.

     

    • Cloud Computing:Beim Cloud Computing liegen sämtliche Dokumente und Anwendungen nicht mehr auf einem Server innerhalb des Unternehmens oder der Kanzlei, sondern bei einem externen Anbieter - sozusagen in einer „Wolke“. Die Nutzung der Services ist flexibel, erfolgt über das Internet und wird nutzungsabhängig abgerechnet.
     

     

    RTS Steuerberatungsgesellschaft - eine virtuelle Kanzlei

    Die RTS Steuerberatungsgesellschaft KG ist in den vergangenen zehn Jahren von zehn auf mittlerweile 200 Mitarbeiter an zehn verschiedenen Standorten rund um Stuttgart gewachsen - nicht zuletzt dank Virtualisierung, wie Steuerberater und Partner der Gesellschaft Thomas Härle meint: „Es ist ein Thema, an dem letztlich keiner vorbeikommen wird. Die Zukunft wird virtuell ablaufen.“ Schon vor zehn Jahren stellte die Kanzlei die Weichen in diese Richtung und installierte damals ein Dokumenten-Management-System. Heute werden am Standort Backnang 90 % aller Finanzbuchführungen digital abgewickelt. In Stuttgart sind es zwischen 60 und 70 % und an den weiteren Standorten je nach Dauer ihrer Zugehörigkeit zur Gesellschaft weniger - mit starker Wachstumstendenz.

     

    „Die klassischen Finanzbuchhalter werden verschwinden“, ist sich Härle sicher, „und die Finanzverwaltung wird uns einen Teil unserer angestammten Geschäftsfelder wegnehmen.“ Das ist bereits z.B. in Dänemark und Estland - Stichwort „vorausgefüllte Steuererklärung“ - zu sehen. Die Strategie der Kanzlei will diesen Entwicklungen Rechnung tragen. Konsequent arbeitet RTS daran, ihren Mandanten neue Dienstleistungen anzubieten. Ausgangspunkt dafür sind tagesaktuelle Zahlen aus der digitalen Finanzbuchführung. „Wenn Mandate zukunftsfähig bleiben wollen, brauchen sie eine Strategie - und die kann sehr gut aus den Zahlen kommen“, erläutert Härle. Es sei erstaunlich, wie viele Unternehmer sich auch heute noch nicht dezidiert mit wirtschaftlicher Planung auseinandersetzen. Das eröffne Mandanten wie Beratern immense Chancen - auch der Handwerker müsse heute schließlich kalkulieren.

     

    Einfache Tätigkeiten ins Ausland verlagern

    Finanzbuchführungen erledigen für die RTS Mitarbeiter in Ostdeutschland, wo das Lohnniveau deutlich geringer ist. Was bei den Big Four-Gesellschaften schon seit Jahrzehnten gängige Praxis ist, plant auch die mittelständische Kanzlei RTS: die Verlagerung einfacher Tätigkeiten noch weiter nach Osten, über die deutsche Grenze hinaus. Ein erstes Pilotprojekt hat RTS bereits erfolgreich abgeschlossen. So bearbeitete ein Mitarbeiter Buchführungen über zwei Jahre hinweg aus den USA, weil er sich dort aus privaten Gründen aufhielt. „Problemlos“, konstatiert Härle.

     

    MERKE |  Einen wichtigen Meilenstein für den Einsatz von Finanzbuchhaltungsmitarbeitern im Ausland wird noch einmal die E-Rechnung setzen. Mit der flächendeckenden Einführung der elektronischen Rechnung nebst eines eigenen normierten Formats, über das gerade beraten wird, entfallen das heute in der Regel noch notwendige Einscannen und die fehleranfällige OCR (Optical Character Recognition). Dadurch wird auf einen Schlag eine große Zahl aller Finanzbuchführungen zwangsläufig digital - es sei denn, der Mandant möchte sämtliche elektronische Rechnungen ausdrucken und in seinen Pendelordner heften.

     

     

    Mitarbeiter müssen den Nutzen verstehen

    Härle erwartet diesen Widerstand aber nicht - im Gegenteil. „Nicht die Mandanten sind das Problem, da sie durchaus erkennen, dass sie auf diese Weise Zeit und Geld sparen können“, so der Berater. „Wer nicht will, sind die Mitarbeiter.“ Sie müsse man bei diesem Projekt auch emotional mitnehmen und ihnen eben nicht den liebgewonnenen Stuhl wegziehen, sondern sie in ihrer angestammten Arbeitsumgebung belassen und deutlich signalisieren, dass die Kanzlei als solche unverändert bestehen bleibt.

     

    Ein klares Beratungskonzept begegnet zudem etwaigen Ängsten, am Ende wegrationalisiert zu werden. Die Arbeit geht den Kanzleimitarbeitern durch Virtualisierung sicher nicht aus, denn je bruchloser Abrechnungs-, Buchungs- und Zahlungsvorgänge innerhalb der EDV ablaufen können, desto weiter lässt sich die Dienstleistung des Steuerberaters spannen. „Wir haben Mandanten, die ihre eigene Buchhaltungsabteilung aufgelöst haben, weil sie erkennen, dass das über uns wirtschaftlicher erledigt wird“, berichtet Härle. Auf der anderen Seite gebe es natürlich auch solche, die stärker als bislang mitarbeiten wollen. Von tagesaktuellen Zahlen und einer darauf aufbauenden Planung und Beratung profitierten aber alle.

     

    Durch die Effizienz der digitalen Fibu ist die Kanzlei zudem neuerdings in der Lage, ihren Mandanten eine Komplettdienstleistung rund um den Kapitalfluss bis hin zum Inkasso anzubieten. Damit sei man einer der Vorreiter in der Region Stuttgart, interessiere aber mittlerweile auch Mandanten aus anderen Teilen Deutschlands für sich. Zwei größere Internethändler konnte RTS jüngst für sich gewinnen, ebenso wie etwa Mandate aus Hessen oder Bayern.

     

    Zur gewachsenen Attraktivität für Mandanten, die außerhalb der eigenen 
Region angesiedelt sind, gesellen sich die individuellen Vorteile, die mit dem Verschwinden der Papierberge einhergehen. „Wenn ich früher von einem Standort zum anderen gefahren bin, war mein Kofferraum voll mit Akten“, sagt Härle, „heute ist da nichts.“ Außerdem schätze er es sehr, sich gelegentlich für zwei Tage zum ungestörten Arbeiten nach Hause zurückziehen zu können.

     

    Den menschlichen Kontakt weiterhin pflegen

    Trotz aller Virtualisierung legt der Berater aber Wert darauf, dass seine Kanzlei weiterhin jederzeit eine offene Tür für jeden Mandanten hat. Jeder, der den Berater persönlich treffen möchte, kann dies auch weiterhin tun. „Das ganze Menschliche darf nicht verloren gehen“, sagt Härle, „und gerade dies kommt in unserem regionalen Standortkonzept zum Ausdruck.“

     

    Noch fünf oder sechs Jahre Zeit für Veränderung

    Seinen Berufskollegen gibt er noch fünf oder sechs Jahre Zeit, um ihre Organisation an die unaufhaltsamen Veränderungen der Arbeitswelt anzupassen. Wer dies unterlasse, werde es in Zukunft schwer haben, da die Mandanten preissensibel im Hinblick auf Standarddienstleistungen reagieren, wohl aber bereit sind, qualitativ hochwertige Beratungsleistungen entsprechend zu honorieren. Der Einstieg in die virtuelle Steuerkanzlei verlangt allerdings ein nicht unerhebliches Investment, und die Einführung der Prozesse erfordert Zeit und Übung. Kanzleien, die sich dem verschließen, prophezeit Härle eine düstere Zukunft: Sie stünden unter Fusionsdruck, wenn sie nicht den Wert ihrer Praxis aufs Spiel setzen wollten.

     

    FAZIT |  Viele Kanzleien nutzen moderne Kommunikations- und Organisationsmittel nicht in dem Maße, wie sie heute zur Verfügung stehen. Diese Zurückhaltung mag durchaus ihre Berechtigung haben, wenn weder Mandanten noch Mitarbeiter gewillt sind, einem technisch vorpreschenden Chef virtuelle Gefolgschaft zu leisten. Steuerberater sollten aber sehr kritisch prüfen, wann lediglich das menschliche Phlegma modernen und effizienteren Arbeitsprozessen - mag man sie nun virtuell nennen oder nicht - entgegensteht. Auf der anderen Seite macht die schönste Technik keinen Sinn, wenn sie niemand nutzt.

     

     

    Weiterführender Hinweis

    • „Cloud-Computing: Was nützt die Daten-Wolke Kanzlei und Mandanten?“ in KP 11, 69
    Quelle: Ausgabe 05 / 2013 | Seite 85 | ID 37264730