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  • 14.09.2000 · IWW-Abrufnummer 001087

    Oberlandesgericht Düsseldorf: Urteil vom 25.05.2000 – 13 U 76/99

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF
    IM NAMEN DES VOLKES
    URTEIL

    13 U 76/99
    6 O 328/98
    LG Duisburg

    Verkündet am 25. Mai 2000

    H..., Justizangestellte
    als Urkundsbeamter der
    Geschäftsstelle

    In pp.

    hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 9. Mai 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht B sowie die Richter am Oberlandesgericht M und G

    für Recht erkannt:

    Tenor:

    Die Berufung der Klägerin gegen das am 6. April 1999 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg wird zurückgewiesen.

    Die Kosten des Berufungsverfahren werden der Klägerin auferlegt.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

    Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 12.000 DM abzuwenden, sofern nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in vorgenannter Höhe leistet.

    Die Sicherheitsleistungen können durch Bank- oder Sparkassenbürgschaften erbracht werden.

    Tatbestand:

    Die Klägerin macht gegen den beklagten Steuerberater Schadensersatzansprüche wegen der verspäteten Einlegung von Rechtsmitteln gegen Umsatzsteuerfestsetzungen geltend.

    Die Klägerin ist Betreiberin von Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit. Als Steuerberater der Klägerin fertigte der Beklagte die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1979 bis 1990. Nach vorangegangener Betriebsprüfung erklärte das Finanzamt die Umsatzsteuerbescheide 1987 bis 1990 Unter dem 19. April 1993 für vorbehaltslos. Die Frist zur Einlegung des Einspruchs gegen diesen Bescheid lief am 22. Mai 1993 ab.

    Bis zum Mai 1994 setzte die Finanzverwaltung die Umsatzsteuer für Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit auf der Basis fest, daß sie den bei der Leerung der Automaten vorhandenen Inhalt mit 1,5 multiplizierte. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 5. Mai 1994 bildet dagegen nur der Kasseninhalt die Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer bei derartigen Umsätzen. Die Entscheidung wirkte sich allerdings nicht mehr auf die bis zu diesem Zeitpunkt bereits bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheide aus.

    Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Beklagte hätte die Problematik hinsichtlich der Festsetzung der Umsatzsteuer bei Umsätzen aus Geldspielautomaten zumindest kennen und vorsorglich Rechtsmittel einlegen müssen. Für die Jahre 1987 bis 1990 sei ihr ein Schaden von 362.962,67 DM entstanden, wovon sie einen Teilbetrag von 10.000 DM geltend mache.

    Die Klägerin hat beantragt,

    den Beklagten zu verurteilen, an sie 10.000 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. August 1997 zu zahlen.

    Der Beklagte hat beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Widerklagend hat er beantragt,

    festzustellen, daß der Klägerin auch der weitere Schadensersatzanspruch wegen angeblicher Zuvielzahlung von Umsatzsteuer für die Jahre 1987 bis 1990 in Höhe von 352.962,67 DM nicht zusteht.

    Die Klägerin hat beantragt,

    die Widerklage abzuweisen.

    Der Beklagte hat die Verletzung von Sorgfaltspflichten in Abrede gestellt und die Einrede der Verjährung erhoben.

    Durch Urteil vom 6. April 1999, auf das zur näheren Sachdarstellung Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, bis zum Ablauf der Einspruchsfrist gegen den Bescheid vom 19. April 1993 habe es keine höchstrichterliche Rechtsprechung gegeben, die Anhaltspunkte für eine Fehlerhaftigkeit der Umsatzsteuerbescheide 1987 bis 1990 gegeben hätte. Auch habe die Klägerin nicht dargetan, daß eine Rechtsprechungsänderung für den Beklagten vorhersehbar gewesen sei.

    Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit der form- und fristgerecht eingelegten Berufung. Die Klägerin vertritt die Ansicht, dem Beklagten hätte bekannt sein müssen, daß ein Klageverfahren bezüglich der Umsatzsteuer bei Umsätzen aus Geldspielautomaten anhängig gewesen sei.

    Die Klägerin beantragt,

    den Beklagten unter Abänderung des am 6. April 1999 verkündeten Urteils des Landgerichts Duisburg zu verurteilen, an sie 10.000 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. August 1997 zu zahlen und die Widerklage abzuweisen.

    Der Beklagte beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.

    Der Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.

    Entscheidungsgründe:

    Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

    I.

    Es ist bereits zweifelhaft, ob die Berufung der Klägerin insgesamt zulässig ist.

    Zwar war die Klägerin nicht gehindert, die zunächst beschränkt eingelegte Berufung zu erweitern. Die Möglichkeit, den Antrag auf einen weiteren Teil des angefochtenen Urteils zu erstrekken, bleibt dem Rechtsmittelführer lediglich verschlossen, wenn seiner Erklärung in der Rechtsmittelschrift zu entnehmen ist, daß er im übrigen auf das Rechtsmittel verzichte (BGHZ 88, 360, 363). In der Berufungsbegründung ist jedoch nicht der klare und eindeutige Wille der Klägerin zum Ausdruck gekommen, das erstinstanzliche Urteil hinsichtlich der Widerklage hinzunehmen. Allerdings ist die Erweiterung der Berufung nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung nur zulässig, sofern sich der Berufungskläger im Rahmen der ursprünglichen Berufungsbegründung hält und nicht neue Gründe nachschieben muß (Zöller/Gummer, ZPO, 21. Aufl., 519, Rdnr. 31 m.w.N.). Hier ist zweifelhaft, ob die Berufungsbegründung auch darauf gerichtet ist, das erstinstanzliche Urteil bezüglich der Widerklage abzuändern. Der Streitgegenstand der Leistungsklage umfaßt nicht den Streitgegenstand der negativen Feststellungswiderklage. Es geht in jedem Falle um andere Zeiträume. Da aber Gegenstand des Rechtsstreits nur eine Pflichtverletzung des Beklagten ist und die Parteien über die Höhe des Schadens nicht streiten, liegt ein schwieriges Abgrenzugsproblem vor. Das braucht der Senat nicht zu entscheiden (vgl. BVerfGE 60, 243, 246). Denn die Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg.

    II.

    Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NJW 1998, 1486 m.w.N.) hat der Steuerberater seinen Mandanten, von dessen Beratungsbedürftigkeit er grundsätzlich auszugehen hat, umfassend zu beraten und ungefragt über alle bedeutsamen steuerlichen Einzelheiten und deren Folgen zu unterrichten. Insbesondere muß der Steuerberater seinen Auftraggeber möglichst vor Schaden bewahren und ihm den nach den Umständen sichersten Weg zu dem erstrebten steuerlichen Ziel aufzeigen und sachgerechte Vorschläge zu dessen Verwirklichung machen. Welche konkreten Pflichten aus diesen allgemeinen Grundsätzen abzuleiten sind, richtet sich nach dem erteilten Mandat und den Umständen des Einzelfalles.

    1. Im Streitfall wirft die Klägerin dem Beklagten in erster Linie den vor, die Umsatzsteuerbescheide 1987 - 1990 hätten mit Rücksicht auf ein beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) anhängiges Verfahren, das die umsatzsteuerrechtlichen Bemessungsgrundlagen für die Besteuerung von Geldspielautomaten zum Gegenstand hatte, nicht Bestandskraft erlangen dürfen. Dieser Vorwurf ist jedoch nicht gerechtfertigt.

    a) Ein Steuerberater, der die Beratung eines Mandanten übernimmt, beachtet dann die im Verkehr erforderliche Sorgfalt, wenn er die veröffentlichte höchstrichterliche Rechtsprechung, an der das Bundesverfassungsgericht, der Bundesfinanzhof (BFH) und der EuGH beteiligt sind, berücksichtigt. Gegen diese Sorgfaltspflichten hat der Beklagte nicht verstoßen. Im Gegenteil:

    Die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1987 - 1990 sind auf der Grundlage des Urteils des BFH vom 29. Januar 1987 (BStBl 11, 1987, 51E) ergangen, wonach jedes in einen Geldspielautomaten eingeworfene Geldstück ein Entgelt für die Überlassung des Automaten zum Spielen darstellt. Das Bunderverfassungsgericht und der EuGH hatten sich bis zur Bestandskraft der Steuerbescheide zu dem hier bedeutsamen Gesichtspunkt noch nicht geäußert. Die Klägerin vermag auch keine finanzgerichtliche Entscheidung zu benennen, die sich mit der Rechtsprechung des BFH auch nur im Ansatz kritisch auseinandergesetzt hätte. Zwar sind in der Literatur Bedenken gegen die Vereinbarkeit dieser Rechtsprechung mit dem EG-Recht erhoben worden (z.B. Reiß, BB 1991, 1764). Abweichende Stimmen im Schrifttum muß der Steuerberater bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben in der Regel nicht berücksichtigen. Allerdings darf er, ähnlich wie ein Rechtsanwalt, nicht blind auf den Fortbestand der höchstrichterlichen Rechtsprechung vertrauen. Es kommt darauf an, mit welchem Grad an Deutlichkeit (Evidenz) eine neue Rechtsentwicklung in eine bestimmte Richtung weist und eine neue Antwort auf bisher anders entschiedene Fragen nahelegt (BGH NJW 1993, 3323, 3325). Daß sich noch vor dem Ablauf der Einspruchsfrist eine Entwicklung hin zu der Auffassung abzeichnete, die schließlich vom EuGH vertreten worden ist, hat die Klägerin nicht durch eine einzige Fundstelle belegt. Vielmehr dürften die Finanzverwaltung und die Finanzgerichte von den Schlußanträgen, die der Generalanwalt am 3. März 1994 in der dem EuGH vorgelegten Rechtssache gestellt hat (UR 1994, 178), überrascht worden sein (vgl. Lausterer, UR 1994, 183 m. ausf. Hinw. zur Rechtsprechung der Finanzgerichte), zumal selbst die EG-Kommission die deutsche Auffassung teilte, daß als Besteuerungsgrundlage beim Betreiben von Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit der von dem Spieler tatsächlich eingesetzte Gesamtbetrag einschließlich der Spielgewinne anzusetzen sei (Antwort der Kommission vom 28. Oktober 1992 auf die Anfrage des Abgeordneten Rogalla, UR 1993, 194). Das für die Klägerin zuständige Finanzgericht D hatte trotz der ins Feld geführten EG-rechtlichen Gesichtspunkte noch am 1 R. August 1 992 - 5 V 6387/91 A (U), EFG 1 993, 264 keine Zweifel an der Richtigkeit der Rechtsprechung des BFH.

    b) Allerdings sind die Fragen, die das Finanzgerichts Hamburg dem EuGH durch Beschluß vom 22. Dezember 1992 vorgelegt hat und die dann zu der Entscheidung vom 5. Mai 1994 (BStB1 II, 548) geführt haben, in der Ausgabe der Zeitschrift "Deutsches Steuerrecht" vom 26. März 1993, also noch vor Ablauf der hier bedeutsamen Einspruchsfrist am 22. Mai 1993, veröffentlicht worden. Dem Beklagte kann jedoch nicht der Vorwurf gemacht werden, diese Veröffentlichung unbeachtet gelassen zu haben.

    Ein Rechtsanwalt verstößt nur dann gegen seine Sorgfaltspflichten, wenn er eine ständige, das Mandatsverhältnis prägende Rechtsprechung des zuständigen Untergerichts außer acht läßt (Zugehör, Handbuch der Anwaltshaftung, Rdnr. 579). Ein vergleichbarer Sachverhalt liegt hier aber nicht vor. Es ist darüber hinaus zweifelhaft, ob ein Steuerberater die in der Zeitschrift "Deutsches Steuerrecht" veröffentlichten Entscheidungen kennen muß. Späth (DStZ 1990, 281) vertritt die Ansicht, auch ein äußerst sorgfältiger und gewissenhafter Steuerberater könne nur auf die Veröffentlichungen im Bundessteuerblatt und nicht auch auf die in den steuerlichen Fachzeitschriften verwiesen werden. Gräfe/ Lenzen/Schmeer (Steuerberaterhaftung, 3. Aufl., Rdnr. 241) neigen dagegen zu der Auffassung, die in der Zeitschrift "Deutsches Steuerrecht" veröffentlichten finanzgerichtlichen Entscheidungen müsse ein Steuerberater kennen. Die Frage, ob letzterer Meinung, die im Vergleich zu Rechtsanwälten recht hohe Anforderungen an die Sorgfaltspflichten eines Steuerberaters stellt, zu folgen ist, kann aber dahinstehen. Selbst wenn man sich ihr anschließen wollte, bliebe die Frage, ab welchem Zeitpunkt der Steuerberater von einer in der Zeitschrift "Deutsches Steuerrecht" veröffentlichten finanzgerichtlichen Entscheidung Kenntnis nehmen muß. Für die Kenntnisnahme höchstrichterlicher Entscheidungen wird einem Steuerberater ebenso wie einem Rechtsanwalt eine Karenzzeit von vier bis sechs Wochen zuzubilligen sein (OLG Köln, Urteil vom 4. September 1998, JURIS DOKNR 621813). Die Information über die Entscheidungen nachgeordneter Gerichte darf der Steuerberater länger zurückstellen. Das gilt jedenfalls für die Streitfragen, die - wie hier - nicht Gegenstand einer aktuellen Diskussion sind. In einem solchen Falle muß dem Steuerberater eine zweimonatige Karenzzeit eingeräumt werden. Diese war hier, ohne daß aufzuklären ist, wann die Ausgabe der Zeitschrift "Deutsches Steuerecht" vom 26. März 1993 ausgeliefert worden ist, bis zum Eintritt der Bestandskraft der Steuerbescheide nicht abgelaufen.

    c) Der Beklagte wäre aber auch dann nicht zum Schadensersatz verpflichtet, wenn man - entgegen der Auffassung des Senats eine Pflichtverletzung annehmen wollte. Es fehlte dann die Kausalität zwischen der Pflichtverletzung und dem Schaden.

    Die Finanzverwaltung hätte einen rechtzeitig eingelegten. Einspruch des Beklagte gegen die Umsatzsteuerbescheide zurückgewiesen. Erst durch Verfügung vom 9. September 1993 hat die Oberfinanzdirektion Düsseldorf (DStR 1993, 1631) dem Ruhen von Einspruchsverfahren, bei denen es um die Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die Umsätze von Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeiten ging, allgemein zugestimmt. Gleichzeitig hat die Behörde unter Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung des Finanzgerichts Düsseldorf angeordnet, Anträge auf Aussetzung der Vollziehung weiterhin abzulehnen. Mithin wäre auch einem solchen Antrag des Beklagten der Erfolg versagt geblieben.

    2. Die Klägerin kann dem Beklagten schließlich nicht vorwerfen, er hätte aufgrund des Vorbehalts der Nachprüfung, mit dem das Finanzamt die Umsatzsteuerbescheide versehen hat, erkennen müssen, daß ein gerichtliches Verfahren anhängig war. Nach § 169 Abs. 1 AO können Steuern, solange der Steuerfall nicht abschließend geprüft ist, allgemein oder im Einzelfall unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt werden. So ist auch hier verfahren worden. Die Bescheide sind, wie die Klägerin im Berufungsrechtszug selbst vorträgt, nach vorangegangener Betriebsprüfung für vorbehaltslos erklärt worden.

    III.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

    Der Streitwert für das Berufungsverfahren, zugleich Beschwer der Klägerin, wird auf 362.962,67 DM festgesetzt.

    RechtsgebieteAO, ZPOVorschriftenAO § 169 Abs. 1 ZPO § 97 Abs. 1 ZPO § 708 Nr. 10 ZPO § 711