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  • 27.01.2005 · IWW-Abrufnummer 050229

    Bundesfinanzhof: Urteil vom 05.10.2004 – VII R 69/03

    1. Auch unter der Geltung der InsO kommt es hinsichtlich der Frage, ob ein steuerrechtlicher Anspruch zur Insolvenzmasse gehört oder ob die Forderung des Gläubigers eine Insolvenzforderung ist, nicht darauf an, ob der Anspruch zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im steuerrechtlichen Sinne entstanden war, sondern darauf, ob in diesem Zeitpunkt nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund für den Anspruch bereits gelegt war. Es besteht kein Anlass, von dieser unter der Geltung der KO entwickelten Rechtsprechung abzuweichen.



    2. Die Vorsteuervergütung für einen bestimmten Besteuerungszeitraum wird das FA in dem Zeitpunkt "zur Insolvenzmasse schuldig" i.S. des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO, in dem ein anderer Unternehmer eine Lieferung oder sonstige Leistung für das Unternehmen des zum Vorsteuerabzug berechtigten Schuldners erbringt.



    3. Will das FA nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Aufrechnung gegen einen sich für einen Besteuerungszeitraum ergebenden Vorsteuervergütungsanspruch des Schuldners erklären und setzt sich dieser Anspruch sowohl aus vor als auch aus nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vorsteuerbeträgen zusammen, hat das FA sicherzustellen, dass die Aufrechnung den Vorsteuervergütungsanspruch nur insoweit erfasst, als sich dieser aus Vorsteuerbeträgen zusammensetzt, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden sind.


    Gründe:

    I.

    Als Insolvenzverwalter in dem mit Beschluss vom 8. Februar 2000 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin gab der Kläger und Revisionskläger (Kläger) für die Schuldnerin Umsatzsteuer-Voranmeldungen für Februar und März 2000 ab. Ausgehend von den in diesen Anmeldungen erklärten Umsätzen sowie der danach berechneten Umsatzsteuer und den geltend gemachten Vorsteuervergütungen setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Umsatzsteuer-Vorauszahlung für das I. Quartal 2000 auf ./. 111 861 DM fest, zahlte hiervon aber nur einen Teilbetrag von 53 137,33 DM an den Kläger aus und rechnete in Höhe von 58 723,67 DM mit seiner seit dem 4. Februar 2000 fälligen Forderung gegen die Schuldnerin aus der Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für das III. Quartal 1999 auf. Nachdem der Kläger gegen die Aufrechnung Einwände erhoben hatte, erließ das FA einen Abrechnungsbescheid, mit welchem es feststellte, dass das Guthaben Umsatzsteuer für das I. Quartal 2000 in Höhe von 58 723,67 DM durch Aufrechnung erloschen sei. Im Verlauf des hiergegen nach erfolglosem Einspruch durchgeführten Klageverfahrens änderte das FA den angefochtenen Abrechnungsbescheid mit Bescheid vom 7. März 2003 und stellte das Erlöschen des Guthabens Umsatzsteuer für das I. Quartal 2000 durch Aufrechnung in Höhe von nur noch 46 164,66 DM (= 23 603,62 ¤) fest; insoweit hielt der Kläger seine Klage aufrecht, während die Beteiligten den Rechtsstreit im Übrigen in der Hauptsache für erledigt erklärten.

    Soweit keine Erledigung der Hauptsache eingetreten war, wies das Finanzgericht (FG) die Klage aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2003, 1758 veröffentlichten Gründen ab.

    Mit der Revision rügt der Kläger sowohl die Verletzung materiellen Rechts als auch Verfahrensmängel. Entgegen der Auffassung des FG sei das FA mit der Vorsteuervergütung erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Masse schuldig geworden. Die Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH), auf welche das FG sich gestützt habe, beträfen andere Sachverhalte und beruhten auf einer Auslegung des § 55 Nr. 1 der Konkursordnung (KO) unter Heranziehung des § 54 KO, von dem jedoch die Nachfolgevorschrift des § 95 der Insolvenzordnung (InsO) erheblich abweiche. Der Zweck des § 96 InsO sei es, die Masse zur gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger zu erhalten; deshalb sei der Begriff "etwas schuldig werden" eng in dem Sinne auszulegen, dass der Fiskus in dem Zeitpunkt etwas zur Masse schuldig werde, in dem die entsprechende Forderung festgesetzt werde. Außerdem bestehe auf Seiten des Fiskus als Gläubiger mangels Kenntnis von einer etwaigen späteren Aufrechnungslage in der Regel gar kein schutzwürdiges Vertrauen. Jedenfalls habe das FG, obwohl es einzelne Vorsteuerbeträge nicht für aus den umsatzsteuerrechtlichen Saldierungsregeln ausscheidbar gehalten habe, diese im Ergebnis doch ausgeschieden und zwischen aufrechenbaren und nicht aufrechenbaren Vorsteuerbeträgen differenziert. Schließlich habe das FG die ihm obliegende Sachaufklärungspflicht verletzt, da es hinsichtlich der Rechnungen des Ingenieurs K vom 16. und 24. Februar 2000 den Zeitpunkt der Leistungserbringung trotz entsprechender Beweisanregungen von Seiten des Klägers nicht aufgeklärt, sondern wegen bereits im Januar und Februar 2000 geleisteter Anzahlungen die Leistungserbringung für die Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 8. Februar 2000 unterstellt habe.

    II.

    Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Das angefochtene Urteil entspricht dem Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO).

    Der vom Kläger zugunsten der Insolvenzmasse geltend gemachte Vorsteuervergütungsanspruch ist in Höhe von 46 164,66 DM durch wirksame Aufrechnung des FA erloschen.

    Aufgrund der von der Vorinstanz getroffenen Feststellungen, die für den Senat bindend sind (§ 118 Abs. 2 FGO), ist davon auszugehen, dass der Schuldnerin ein Vorsteuervergütungsanspruch aus der Festsetzung für das I. Quartal 2000 zustand, dass diesem Anspruch vorkonkursliche Steuerforderungen gegen die Schuldnerin gegenüberstanden und dass die allgemeinen Voraussetzungen der Aufrechnung (§ 226 Abs. 1 der Abgabenordnung --AO 1977--, §§ 387 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs; zur Aufrechnungsbefugnis im Insolvenzverfahren vgl. § 94 InsO) vorlagen. Hiervon gehen übereinstimmend auch die Beteiligten aus. Es steht ebenfalls fest, dass das FA mit den Steuerforderungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgerechnet hat.

    1. Bestanden die zur Aufrechnung sich gegenüberstehenden Forderungen des Schuldners und eines Insolvenzgläubigers bereits im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, ist der Insolvenzgläubiger nach § 95 Abs. 1 InsO auch zur Aufrechnung befugt, wenn die Aufrechnungslage erst während des Insolvenzverfahrens eintritt, weil die aufzurechnende Hauptforderung im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch aufschiebend bedingt oder nicht fällig oder die Forderungen noch nicht auf gleichartige Leistungen gerichtet waren, es sei denn (Satz 3 der Vorschrift), dass die Hauptforderung im Insolvenzverfahren unbedingt und fällig wird, bevor der Insolvenzgläubiger seinen Anspruch einfordern und somit die Aufrechnung mit diesem Anspruch erklären kann.

    Nach den Feststellungen des FG liegen diese einschränkenden Voraussetzungen des § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO im Streitfall nicht vor, da der Vergütungsanspruch der Schuldnerin frühestens am 24. August 2001 fällig war, die Gegenforderung des FA hingegen seit dem 4. Februar 2000. Dies wird auch von Seiten der Revision nicht in Abrede gestellt.

    2. Die Revision ist vielmehr der Ansicht, dass ein Anspruch der Schuldnerin auf Vergütung der Vorsteuer für das I. Quartal 2000 im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch gar nicht bestanden habe, dass also die Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO gegeben seien, wonach die Aufrechnung unzulässig ist, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Dieser Ansicht ist nicht zu folgen. Das FG hat zutreffend geurteilt, dass der Vorsteuervergütungsanspruch der Schuldnerin in der hier noch streitigen Höhe einen bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch darstellt, gegen den das FA mit fälligen Gegenforderungen aufrechnen durfte.

    a) Für die Frage, ob § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO der Aufrechnung durch den Insolvenzgläubiger entgegensteht, ist entscheidend, dass die Hauptforderung ihrem Kern nach bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist. Damit wird die Aufrechnung gegen steuerrechtliche Forderungen ermöglicht, die im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zwar noch nicht i.S. des § 38 AO 1977 entstanden, wohl aber insolvenzrechtlich "begründet" sind. Im Insolvenzverfahren des Steuerpflichtigen kommt es nämlich hinsichtlich der Frage, ob ein Anspruch zur Insolvenzmasse gehört (vgl. § 35 InsO) oder ob die Forderung eines Gläubigers eine Insolvenzforderung ist (§ 38 InsO), nicht darauf an, ob der Anspruch zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im steuerrechtlichen Sinne entstanden war, sondern darauf, ob in diesem Zeitpunkt nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund für den Anspruch bereits gelegt war. Hierfür können auch zivilrechtliche Umstände maßgeblich sein. Für die Behandlung von Steueransprüchen ergibt sich daraus, dass eine Steuerforderung immer dann Insolvenzforderung i.S. des § 38 InsO ist, wenn sie vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens in der Weise "begründet" worden ist, dass der zugrunde liegende zivilrechtliche Sachverhalt, der zu der Entstehung der Steueransprüche führt, bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwirklicht worden ist. Nach denselben Grundsätzen muss auch der Zeitpunkt der insolvenzrechtlichen Entstehung, d.h. die Zugehörigkeit zur Insolvenzmasse (§ 35 InsO) eines steuerrechtlichen Vergütungs- oder Erstattungsanspruchs des Schuldners beurteilt werden (ständige Rechtsprechung, Senatsurteile vom 21. September 1993 VII R 119/91, BFHE 172, 308, BStBl II 1994, 83; vom 21. September 1993 VII R 68/92, BFH/NV 1994, 521; vom 17. Dezember 1998 VII R 47/98, BFHE 188, 149, BStBl II 1999, 423; vom 1. August 2000 VII R 31/99, BFHE 193, 1, BStBl II 2002, 323).

    Es besteht kein Anlass, diese auf der Grundlage der Vorschriften der KO entwickelte Rechtsauffassung unter der Geltung der InsO zu ändern (vgl. Brandes in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung --MünchKommInsO--, § 95 Rdnr. 25 f.). Der in § 3 Abs. 1 KO verwendete Begriff des zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens "begründeten Vermögensanspruchs", auf den sich die genannten Senatsurteile stützen, findet sich in gleicher Weise in § 38 InsO; es ist kein Grund erkennbar, diesen Begriff nach dem In-Kraft-Treten der InsO anders auszulegen. Zutreffend ist zwar, dass die Aufrechnungsmöglichkeiten des Gläubigers nach § 54 KO durch die Nachfolgevorschrift des § 95 InsO erheblich eingeschränkt worden sind (vgl. Brandes, a.a.O., § 95 Rdnr. 4); jedoch hat sich die zitierte Rechtsprechung des Senats zur konkursrechtlichen Entstehung von Ansprüchen nicht auf diejenigen Regelungen des § 54 KO, die nicht in die InsO übernommen worden sind, gestützt. Auch ist nicht der Ansicht der Revision zu folgen, dass das FA kein schutzwürdiges Vertrauen in eine zukünftige Aufrechnungslage genieße, da es von Erstattungs-/Vergütungsansprüchen des Steuerschuldners in der Regel erst mit dem Eingang der entsprechenden Erklärung Kenntnis erlange. Zutreffend ist zwar, dass nach dem Sinn und Zweck des § 95 InsO das vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete Vertrauen des Insolvenzgläubigers geschützt werden soll, mit dem Entstehen der Aufrechnungslage seine Forderung durchsetzen zu können (vgl. Brandes, a.a.O., § 95 Rdnr. 1; Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 12. Aufl., § 95 Rz. 2). Gleichwohl gibt die Vorschrift keinen Anhaltspunkt für eine Prüfung, ob der Insolvenzgläubiger im Einzelfall ein solches Vertrauen auch gebildet hat, sondern geht generell von einem solchen schützenswerten Vertrauen aus, wenn die gegenseitigen Forderungen im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits begründet waren.

    b) Für den Vorsteuervergütungsanspruch wird der Rechtsgrund dadurch gelegt, dass ein anderer Unternehmer eine Lieferung oder sonstige Leistung für das Unternehmen des zum Vorsteuerabzug Berechtigten erbringt. Die Frage, ob der Anspruch zusätzlich die Erstellung einer Rechnung mit gesondertem Umsatzsteuerausweis voraussetzt (vgl. § 15 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes --UStG--), ist nur aus steuerrechtlicher Sicht von Belang, während es aus insolvenzrechtlicher Sicht auf die vollständige Verwirklichung des steuerrechtlichen Tatbestandes nicht ankommt. Für das insolvenzrechtliche "Begründetsein" des Vorsteuervergütungsanspruchs des Schuldners kommt es somit auf den Zeitpunkt der Leistungserbringung an den Schuldner an. Wie § 14 Abs. 1 Satz 1 UStG zeigt, ist der Leistende in diesem Zeitpunkt auch verpflichtet, dem Leistungsempfänger auf dessen Verlangen eine Rechnung mit gesondertem Steuerausweis auszustellen; der Anspruch auf die Rechnung ergibt sich, sobald die Leistung bewirkt ist, so dass zu diesem Zeitpunkt fest steht, dass aus der erbrachten Leistung ein Vorsteuervergütungsanspruch hergeleitet werden kann und damit der Grund für den Vorsteuervergütungsanspruch des Leistungsempfängers gelegt ist (Senatsurteile in BFHE 172, 308, BStBl II 1994, 83; in BFH/NV 1994, 521; in BFHE 188, 149, BStBl II 1999, 423; in BFHE 193, 1, BStBl II 2002, 323).

    c) Für den Streitfall ohne Bedeutung ist, dass der Vorsteueranspruch umsatzsteuerrechtlich lediglich eine unselbständige Besteuerungsgrundlage darstellt und grundsätzlich nicht selbständig als Auszahlungsanspruch festgesetzt, sondern bei der Berechnung der Umsatzsteuer mitberücksichtigt wird und in die Festsetzung der Umsatzsteuer eingeht (vgl. § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG, § 18 Abs. 1, 3 und 4 UStG; BFH-Urteil vom 24. März 1983 V R 8/81, BFHE 138, 498, BStBl II 1983, 612) und die Aufrechnung die Höhe der sich aus dem Gesetz ergebenden festzusetzenden Umsatzsteuer nicht beeinflussen darf (vgl. BFH-Urteil vom 14. Mai 1998 V R 74/97, BFHE 185, 552, BStBl II 1998, 634). Das FG hat für den Senat bindend festgestellt (§ 118 Abs. 2 FGO), dass derjenige Teil in Höhe von 46 164,66 DM des vom FA festgesetzten Vorsteuerüberschusses des I. Quartals 2000, gegen den das FA die Aufrechnung erklärt hat, sich allein aus Vorsteuerabzugsbeträgen zusammensetzt, welche insolvenzrechtlich bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden sind, weil die entsprechenden umsatzsteuerpflichtigen Leistungen des jeweiligen Unternehmers vor diesem Zeitpunkt der Schuldnerin erbracht worden sind. Damit war die Aufrechnung des FA zulässig.

    Auch wenn einzelne Vorsteuerbeträge umsatzsteuerrechtlich lediglich eine unselbständige Besteuerungsgrundlage darstellen, kann es insolvenzrechtlich geboten sein, zum Zweck der Feststellung der Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu differenzieren, inwieweit ein festgesetzter Vorsteuerüberschuss auf vor oder nach der Insolvenzeröffnung erbrachten Unternehmerleistungen beruht. Das aus § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG folgende umsatzsteuerrechtliche Erfordernis, wonach sämtliche in den Besteuerungszeitraum fallenden abziehbaren Vorsteuerbeträge mit der berechneten Umsatzsteuer zu saldieren sind, hat zwar Vorrang gegenüber einer Aufrechnung des FA mit anderen Ansprüchen, hindert jedoch ebenfalls aus insolvenzrechtlicher Sicht nicht, einen nach dieser umsatzsteuerrechtlichen Saldierung verbleibenden festgesetzten Vorsteuervergütungsanspruch daraufhin zu untersuchen, ob und inwieweit dieser bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden und damit nach §§ 95, 96 InsO aufrechenbar ist.

    Im Unterschied zu den Fällen, welche den Senatsurteilen in BFHE 172, 308, BStBl II 1994, 83, in BFH/NV 1994, 521 und in BFHE 188, 149, BStBl II 1999, 423 zu Grunde lagen, in denen der festgesetzte Vorsteuerüberschuss ausschließlich aus einer bestimmten, dem Gemeinschuldner vor der Konkurseröffnung erbrachten Leistung resultierte, ist allerdings der Streitfall nach den Feststellungen des FG dadurch gekennzeichnet, dass sich der Vorsteuervergütungsanspruch der Schuldnerin für das I. Quartal 2000 aus einer Vielzahl von Vorsteuerbeträgen aus Eingangsrechnungen für vor und nach der Insolvenzeröffnung ausgeführte Lieferungen und Leistungen ergab. Für Fälle dieser Art muss das FA, um dem Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO Rechnung zu tragen, sicherstellen, dass der festgesetzte Vorsteuervergütungsanspruch des Schuldners, gegen den es die Aufrechnung mit eigenen Forderungen erklären will, ausschließlich auf vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (insolvenzrechtlich) begründeten Vorsteuerbeträgen beruht. Ist für den jeweiligen Besteuerungszeitraum keine berechnete Umsatzsteuer gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG zu verrechnen, ist derjenige Teil des Vergütungsanspruchs, der aus nach der Insolvenzeröffnung erbrachten Unternehmerleistungen resultiert, auszuzahlen und lediglich gegen die Restforderung die Aufrechnung zu erklären. Ist dagegen für den jeweiligen Besteuerungszeitraum auch Umsatzsteuer festzusetzen, käme es in Befolgung des Aufrechnungsverbots des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO in Betracht, --nur zur Ermittlung der Höhe des aufrechenbaren Betrags-- eine Umsatzsteuer-Festsetzung für den Zeitraum bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens durchzuführen. In Betracht käme es aber auch, die für den Besteuerungszeitraum berechnete Umsatzsteuer zunächst nach § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG mit den Vorsteuerbeträgen dieses Zeitraums zu verrechnen, und zwar zunächst mit solchen, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens (insolvenzrechtlich) begründet worden sind. Setzte sich in einem solchen Fall auch der ggf. noch verbleibende Vergütungsanspruch aus Vorsteuerbeträgen aus sowohl vor als auch nach der Insolvenzeröffnung ausgeführten Lieferungen und Leistungen zusammen, wäre wiederum derjenige Teil des Vergütungsanspruchs, der aus nach der Insolvenzeröffnung erbrachten Unternehmerleistungen resultiert, vom FA auszuzahlen. Auf diese Weise könnte das FA sicherstellen, dass bei der Aufrechnung gegen den dann noch verbleibenden Teil des Vorsteuervergütungsanspruchs des Schuldners das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO beachtet wird. Mit dem Vorschlag der Revision, den aufrechenbaren Betrag unter Berücksichtigung einer sich aus dem Verhältnis der aufrechenbaren zu den nicht aufrechenbaren Vorsteuerbeträgen ergebenden Quote zu ermitteln, wäre dagegen dem Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht in ausreichender Weise Rechnung getragen.

    Welcher dieser Berechnungsmethoden der Vorzug zu geben ist, kann der Senat offen lassen, da das FA nach den Feststellungen des FG nach der letztgenannten --und damit nach der für die Insolvenzmasse günstigeren-- Berechnungsmethode verfahren ist. Das FG hat anhand der vom FA mit Schriftsatz vom 14. Januar 2003 ermittelten Vorsteuerbeträge festgestellt, dass das FA mit der Beschränkung der zunächst erklärten Aufrechnung auf einen Betrag von nur noch 46 164,66 DM die entstandene Umsatzsteuer allein mit dem Grunde nach aufrechenbaren Vorsteuerbeträgen verrechnet hat. Dieser verbleibende aufgerechnete Betrag von 46 164,66 DM setzt sich nach den Feststellungen des FG ausschließlich aus Vorsteuerbeträgen aus Rechnungen für Lieferungen und Leistungen an die Schuldnerin vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zusammen. Der Senat ist an diese Feststellungen gebunden, weil die Revision insoweit keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen erhoben hat (§ 118 Abs. 2 FGO).

    Soweit das FG die Ansicht vertreten hat, dass der Schuldnerin die den Rechnungen des Ingenieurs K vom 16. und 24. Februar 2000 zu Grunde liegenden Leistungen bereits vor der Insolvenzeröffnung am 8. Februar 2000 erbracht worden sind, weil dieser schon im Januar und Februar 2000 erhebliche Anzahlungen erhalten hatte, handelt es sich um eine mögliche Würdigung der festgestellten Tatsachen, die revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist, weil mit ihr weder gegen Denkgesetze noch gegen allgemeine Erfahrungssätze verstoßen wird (vgl. Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 118 Rz. 54). Die Revision stellt dieser Würdigung durch das FG nur ihre eigene --ebenfalls mögliche-- Tatsachenwürdigung gegenüber, dass die Anzahlung wohl eher im Hinblick auf das wegen des bereits bestellten vorläufigen Insolvenzverwalters gegebene Ausfallrisiko verlangt worden sei und nicht wegen bereits erbrachter Leistungen.

    d) Hinsichtlich der von der Revision erhobenen Rüge einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht, indem das FG es verfahrensfehlerhaft unterlassen habe, zu der Frage des Zeitpunkts der Leistungserbringung Beweis zu erheben, fehlt es bereits an einer schlüssigen Darlegung eines Verfahrensmangels (§ 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b FGO); die Verfahrensrüge ist daher unzulässig.

    Zur schlüssigen Darlegung des Verfahrensmangels eines vom FG übergangenen Beweisantrags gehört nach ständiger Rechtsprechung (u.a.) auch der Vortrag, dass die Nichterhebung des angebotenen Beweises in der mündlichen Verhandlung gerügt wurde oder weshalb diese Rüge nicht möglich war (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 20. April 1989 IV R 299/83, BFHE 157, 106, BStBl II 1989, 727, und BFH-Beschluss vom 17. November 1997 VIII B 16/97, BFH/NV 1998, 608). Da der im finanzgerichtlichen Verfahren geltende Untersuchungsgrundsatz eine Verfahrensvorschrift ist, auf deren Einhaltung ein Beteiligter --ausdrücklich oder durch Unterlassen einer Rüge-- verzichten kann (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung), hat die unterlassene rechtzeitige Rüge den endgültigen Rügeverlust zur Folge (Senatsbeschluss vom 17. Dezember 1999 VII B 183/99, BFH/NV 2000, 597). An entsprechenden Darlegungen der Revision fehlt es im Streitfall; auch aus dem Protokoll über die mündliche Verhandlung vor dem FG ergibt sich kein Hinweis, dass der Kläger das Übergehen seines schriftsätzlichen Beweisantrags gerügt hat. Vielmehr hat er nach der Erörterung der Sach- und Rechtslage vor dem FG rügelos zur Sache verhandelt und den Klageantrag gestellt. Das FG hat daran anschließend die mündliche Verhandlung geschlossen und hat nach Beratung das Urteil verkündet. Der Kläger hat nicht zu diesem Zeitpunkt die Aufmerksamkeit des FG auf den Beweisantrag gelenkt bzw. das Übergehen gerügt. Auf die Rüge ist damit wirksam verzichtet worden. Ohne Erfolg macht die Revision insoweit geltend, dass die Rüge nicht habe vorgebracht werden können, weil das FG in der mündlichen Verhandlung nicht seine Ansicht zum Ausdruck gebracht habe, wonach die Leistungen des Ingenieurs K vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbracht worden seien. Aus den Schriftsätzen des Klägers vom 31. März und 8. Mai 2003, auf welche die Revision verweist, ergibt sich, dass es sich insoweit um einen streitigen Punkt gehandelt hat. Der Kläger hatte keinen Grund anzunehmen, dass das FG von einer Leistungserbringung des Ingenieurs K erst nach Insolvenzeröffnung ausgehen würde, zumal er selbst den Zeitpunkt der Leistungserbringung nicht zu benennen vermocht hat.

    RechtsgebieteAO 1977, BGB, InsO, UStGVorschriftenAO 1977 § 226 Abs. 1 BGB § 387 InsO § 95 Abs. 1 InsO § 96 Abs. 1 Nr. 1 UStG § 16 Abs. 2 Satz 1