31.08.2012 · IWW-Abrufnummer 122699
Finanzgericht des Saarlandes: Urteil vom 06.03.2012 – 1 K 1032/10
1. Ein bestandskräftiger Bescheid darf aufgrund einer nachträglich bekannt gewordenen Tatsache nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert werden, wenn zwar das FA seine Amtsermittlungspflicht, im Gegenzug aber auch der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten in erheblicher Weise verletzt hat.
2. Von einer derartigen, eine Anwendung von § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ermöglichenden beiderseitigen Pflichtverletzung ist auszugehen, wenn in der von einem Steuerberater erstellten Feststellungserklärung für eine GbR Schuldzinsen unter Bezug auf ein bereits im Vorjahr aufgelöstes Konto der GbR als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend gemacht, die Zinsen tatsächlich jedoch nicht von der GbR an die Bank gezahlt, sondern lediglich einem internen Forderungskonto der Bank gutgeschrieben worden sind, und wenn der Veranlagungsbeamte des FA trotz der erheblichen Höhe der geltend gemachten Schuldzinsen von über 87.000 Euro keinen Bankbeleg über die Zinszahlung angefordert, sondern einfach bei Veranlagung die ihm plausibel erscheinenden Erklärungsdaten ohne nähere Nachprüfung übernommen hat.
3. Eine Änderung des Steuerbescheids wäre jedoch nicht möglich, wenn der Verstoß des FA gegen seine Ermittlungspflicht den Verstoß des Steuerpflichtigen gegen seine Mitwirkungspflicht deutlich überwiegt.
FG des Saarlandes v. 06.03.2012
1 K 1032/10
Tatbestand
Der Rechtsstreit wird um die Frage geführt, ob der Beklagte den erklärungsgemäßen Feststellungsbescheid 2002 über die Einkünfte einer GbR aus Vermietung und Verpachtung nach § 173 AO ändern durfte.
Die Kläger sind Gesellschafter einer ehemaligen Grundstücks-GbR (GbR). An der GbR waren die Kläger … sowie X … beteiligt. Aus dem an die X – GmbH (GmbH) vermieteten Anwesen erzielte die GbR erhebliche Einnahmen …. Den Einnahmen standen stets hohe Zinsaufwendungen gegenüber …. Über das Vermögen der GmbH ist 2002 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Die GbR wurde 2007 aufgelöst.
….
Im Streitjahr 2002 beliefen sich die Einnahmen der Feststellungserklärung zufolge auf 125.884 EUR und die Darlehenszinsen – aus Konto 529-038531 – auf 87.604,03 EUR. Bei der Veranlagung wurden diese Zinsen ohne nähere Prüfung anerkannt und am 13. Juli 2004 ein entsprechender Feststellungsbescheid für 2002 ohne Vorbehalt der Nachprüfung erlassen. Der Überschuss der Werbungskosten über die Einnahmen wurde erklärungsgemäß mit 19.363 EUR festgestellt.
Für 2003 beliefen sich die Einnahmen der Feststellungserklärung zufolge auf 14.880 EUR und die Darlehenszinsen – aus Konto 529-038531 – auf 62.496,19 EUR. Der Überschussrechnung war eine Forderungsberechnung für das Konto 594-006298 vom 1. Januar 2002 bis zum 19. Januar 2005 beigefügt, aus dem sich die Entstehung der geltend gemachten Zinsen ableiten ließ.
Bei der Bearbeitung des Feststellungsbescheides 2003 fiel dem Beklagten u.a. auf, dass die für 2002 und 2003 geltend gemachten Zinsen nicht gezahlt, sondern lediglich auf einem internen Konto der Bank „für Forderungsberechnung” gebucht wurden. Für 2003 erließ er am 6. Juni 2005 einen entsprechenden Feststellungsbescheid mit einer umfangreichen Erläuterung. Gleichzeitig erließ er für 2002 am 6. Juni 2005 einen nach § 173 AO geänderten Feststellungsbescheid, der die Einkünfte der GbR aus Vermietung und Verpachtung ohne die geltend gemachten Zinsen feststellte. Dagegen legten die Kläger am 7. Juli 2005 Einspruch ein, den der Beklagte mit Entscheidung vom 15. Dezember 2009 als unbegründet zurückwies.
Am 13. Januar 2 010 haben die Kläger Klage erhoben. Sie beantragen,
den Änderungsbescheid vom 6. Juni 2005 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2002 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 15. Dezember 2009 ersatzlos aufzuheben.
Der Beklagte habe bei der Durchführung der Veranlagung 2002 erkennen müssen, dass die Zinsen nicht gezahlt worden seien. Die Kläger hätten der Erklärung für 2002 die Einkunftsberechnung beigefügt, wonach Darlehenszinsen aus dem Konto mit der Nummer 529-038531 bei der Bank über 87.604,03 EUR geltend gemacht worden seien. Der Erklärung sei weiterhin ein Schreiben der Bank vom 18. Juli 2003 über das Darlehensforderungskonto 529-038531 beigefügt gewesen, wonach dieses Darlehen von der Bank bereits mit Schreiben vom 8. November 2001 fristlos gekündigt und der Sollsaldo auf ein internes Forderungsberechnungskonto Nr. 594-006298/0 der Bank übernommen worden sei. Die Forderungsberechnung der Bank bezüglich des Kontos Nr. 594-006298/0 zum 31. Dezember 2002 sei der Erklärung gleichfalls beigefügt gewesen. Aus dieser Forderungsberechnung für das Konto 594-006298/0 vom 18. Juli 2003 sei ohne weiteres ersichtlich gewesen, dass Darlehenszinsen in 2002 nicht bezahlt, sondern die Tilgungsbeträge auf das Kapital gebucht worden seien.
Alle Tatsachen, die den Beklagten zum Erlass des Änderungsbescheides veranlasst hätten, hätten sich bereits aus den Anlagen zur Erklärung vom 12. Mai 2004 (Forderungsberechnung für das Konto 594-006298/0 und Schreiben der Bank vom 18. Juli 2003) ergeben. Auch wenn die Kläger irrtümlicherweise entsprechende Werbungskosten geltend gemacht hätten, berechtige dies nicht zur Änderung des Feststellungsbescheides vom 13. Juli 2004 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO . Die maßgeblichen Tatsachen seien dem Beklagten bei Erlass des Bescheides bereits bekannt gewesen. Die Feststellungslast für die Voraussetzungen einer Änderung zu Lasten der Kläger trage der Beklagte (BFH, BStBl II 1998, 599). In der Einspruchsentscheidung vom 15. Dezember 2009 führe der Beklagte aus, dass die Kenntnis der Nichtzahlung von Darlehenszinsen im Jahr 2002 „erst durch die Vorlage der Forderungsabrechnung bei Bearbeitung der Feststellungserklärung 2003 eingetreten” sei. Aus den Zinsbelegen, die von den Klägern am 10. September 2003 für die Feststellung 2001 vorgelegt worden seien, gehe aber hervor, dass das Darlehenskonto 529-038531 bereits zum 29. November 2001 aufgelöst worden sei. Der Beklagte habe also bereits 2003 positive Kenntnis davon gehabt, dass auf diesem Konto keine Zinsen mehr hätten anfallen können.
Der Sachverhalt sei nicht verschleiert und die Steuererklärungen seien von den Klägern nicht lückenhaft und missverständlich gestaltet worden. X sei stets alleiniger Geschäftsführer der Grundstücksgesellschaft gewesen. Die gesamte Abwicklung sei bis zur Auflösung der Gesellschaft ausschlie ßlich über den Geschäftsführer gelaufen, der wiederum mit den Steuererklärungen etc. den Steuerberater … beauftragt habe. X habe die Erklärung zur Einkunftsfeststellung 2002 alleine unterzeichnet, ohne dass die Kläger zuvor Einsicht genommen hätten. Aus heutiger Sicht sei der Vorgang nur so erklärbar, dass der die Feststellungserklärung 2002 erstellende Steuerberater der aufgelösten Grundstücksgesellschaft auf Grundlage der Anlage 1 zu der als Anlage K 2 vorgelegten Einspruchsbegründung vom 5. Juli 2005 irrtümlicherweise die per 31. Dezember 2002 ausgewiesenen Darlehenszinsen von 87.604,03 EUR dem gekündigten Darlehenskonto 529-038531 zugeordnet habe, obwohl die Forderungsberechnung für das interne Forderungsberechnungskonto Nr. 594-006298 der Bank erstellt worden sei. X habe die Feststellungserklärung 2002 unterzeichnet, ohne dass der Fehler aufgefallen sei.
Die am 16. September 2003 auf telefonische Anforderung des Beklagten vorgelegte Forderungsberechnung für das Konto 594-006298/0 per 31. Dezember 2001 zeige, dass nach Auflösung des Kontos 529-038531 und Umbuchung der Darlehensvaluta von 1.985.406,87 DM (1.015.122,41 EUR) auf Konto 594-006298 bereits für den restlichen Zeitraum des Jahres 2001 (10. November bis 31. Dezember 2001) keine Darlehenszinsen mehr gezahlt worden seien, sondern ein Betrag von 12.396,34 EUR lediglich als Verbindlichkeiten, die den gesamten Darlehenssaldo erhöhten, ausgewiesen seien. Nichts anderes ergebe sich auch aus der anlässlich der Feststellungserklärung 2003 am 18. März 2005 vorgelegten Forderungsberechnung für Konto 594-006298/0, soweit auch dort keine Zahlungen mehr auf Zinsen verrechnet worden seien (Bl. 108 , 113 ff., 124).
Die Annahme des Beklagten, das Konto 529-038531 sei auf Konto 594-006298/0 umgeschuldet worden und dort seien Schuldzinsen angefallen, sei eine Schlussfolgerung, keine Tatsache. Wegen des eindeutigen Inhalts der Feststellungserklärung 2003 über Werbungskosten aus Schuldzinsen für Konto 529-038531 habe bei der Willensbildung des Beklagten über die Feststellung 2002 bereits die Tatsache vorgelegen, dass dieses Konto im November 2001 aufgelöst worden sei und daher auf dem Konto keine Schuldzinsen mehr hätten angefallen sein können.
Ein Steuerbescheid könne nicht wegen „neuer Tatsachen” zu Ungunsten des Steuerpflichtigen geändert werden, wenn die – widersprüchlichen – Angaben in der Steuererklärung vom Finanzamt bei der Veranlagung zunächst übernommen worden seien, dem Finanzamt die nachträglich bekannt gewordene Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht aber von Anfang an nicht verborgen geblieben wäre (FG Rheinland-Pfalz vom 22. Februar 2011, 3 K 2208/08).
Der Beklagte beantragt,
die Klage als unbegründet abzuweisen.
Die für 2002 geltend gemachten Darlehenszinsen i.H.v. 87.604,03 EUR seien wegen fehlender Zahlung unstreitig nicht abzugsfähig. Dem Finanzamt sei vor der Überprüfung der Feststellungserklärung für 2003 nicht bekannt gewesen, dass die Beteiligten keine Zinsen mehr an die Bank gezahlt hätten. Der Sachverhalt habe sich erst im rechtlichen Gehör vom 22. April 2005 vervollständigt. Selbst wenn sich bei der Bearbeitung der am 23. Juni 2004 eingereichten Feststellungserklärung für 2002 Ermittlungen für das Finanzamt aufgedrängt hätten, so würde ein Abwägen der beiderseitigen Pflichtverstöße nach den Grundsätzen von Treu und Glauben dennoch die Änderung gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO erlauben. Nicht zuletzt mit Blick auf die Straf- und Bußgeldvorschriften der Abgabenordnung stelle sich die Frage, warum die Steuerpflichtigen für 2002 und 2003 überhaupt noch Zinsen zugunsten der Bank in ihren Feststellungserklärungen dargestellt hätten. Der Besteuerungssachverhalt sei durch missverständliche und unvollständige Angaben verschleiert worden.
In allen Erklärungen bis einschließlich 2003 seien die Darlehenszinsen mit „Bank Kto.Nr. 529-038531” und „Verrechnungkonto X GmbH” erläutert worden. Die Steuerberatung habe bis dahin für 2002 keine Zinsbelege eingereicht. Insbesondere finde sich keine Kopie einer Forderungsberechnung für das Konto 594-006298/0 per 31. Dezember 2002 vom 18. Juli 2003 in den Akten. Das Anschreiben der Bank an die Eheleute X vom 18. Juli 2003, in dem die Zusammenhänge der Forderungsberechnung per se sowie die Zusammenhänge von Jahreskontoauszug und Forderungsberechnung miteinander dargestellt seien, finde sich ebenfalls nicht in den Akten. Auch aus dem Schriftverkehr zwischen Finanzamt und Steuerberatungsgesellschaft ergebe sich kein Hinweis auf den Eingang dieses Schreibens und der Forderungsberechnung vom 18. Juli 2003.
Für 2001 habe der Berechnung der Einkünfte ein Darlehens-Jahreskontoauszug in Kopie beigelegen, der nur einen Teil der erklärten Zinsaufwendungen für die Bank belegt habe. Der Beleg für den Differenzbetrag mit der Bezeichnung „Forderungsberechnung” sei am 16. September 2003 gefaxt worden. Der Jahreskontoauszug 529-038531 weise unter dem 28. November 2001 eine Gutschrift i.H.v. 1.985.406,87 DM aus und unter dem 29. November 2001 den Vermerk „Konto aufgelöst”. Die Forderungsberechnung für das Konto 594-006298/0 weise unter dem 10. November 2001 eine Hauptforderung von 1.015.122,41 EUR und unter dem 31. Dezember 2001 Zinsen von 8,62 % aus 1.015.122,41 EUR i.H.v. 12.396,34 EUR aus. Andere Beträge seien nicht ausgewiesen. Die Forderungsberechnung per 31. Dezember 2001 sei am 18. Juli 2003 erstellt worden. Aufgrund der am 16. September 2003 eingereichten Belege für 2001 habe sich der Sachverhalt als Umschuldung dargestellt. Das Finanzamt habe die Summe der Zinsaufwendungen von 119.547,98 DM als nachgewiesen angesehen.
Der Einkunftsberechnung 2003 sei zum Nachweis der Zinsaufwendungen bei der Bank von 62.496,19 EUR die Kopie einer Forderungsberechnung für das Konto 594-006298/0 per 19. Januar 2005, erstellt am 19. Januar 2005, beigefügt gewesen (mit Daten vom 1. Januar 2002 bis zum 19. Januar 2005). Auf telefonische Rückfrage des Finanzamts sei am 18. März 2005 das Begleitschreiben vom 18. März 2005 eingegangen, das ausführe „wie telefonisch gesprochen, erhalten Sie in der Anlage die Zinsaufstellung der Bank unserer o.g. Mandantin” und das die Kopie der Forderungsberechnung (handschriftlich ergänzt um die Summenzahl 62.496,19 EUR) enthalten habe. Aus einem Vermerk auf dieser Kopie ergebe sich, dass sich der Sachbearbeiter des Finanzamts die Systematik am 18. April 2005 von einem Mitarbeiter der Bank habe telefonisch erläutern lassen (Bl. 61).
Nach dem Erklärungsverhalten habe das Finanzamt zunächst keinen außergewöhnlichen Besteuerungssachverhalt erkennen können. Ab dem Feststellungszeitraum 2001 seien Bruchstücke des Besteuerungssachverhaltes vorgelegt worden. Bis zur Bearbeitung der Feststellungserklärung 2003 habe das Finanzamt keinen Anlass gehabt, über die Beleganforderung hinausgehende Ermittlungen anzustellen. Die Klägerseite habe bewusst auf eine zusammengefasste und zeitraumübergreifende Darlegung des Sachverhalts verzichtet. Die fortlaufende alte Kontoangabe und die vorgelegten Kopien sollten den Sachverhalt einer Umschuldung beim Sachbearbeiter suggerieren und unter dem Druck des späten Erklärungseingangs zu einem Abhaken der Beträge für die Bank verleiten.
Bei einer Abwägung etwaiger Ermittlungsfehler des Finanzamts mit den Obliegenheitsverletzungen der Kläger seien die Ermittlungsdefizite als wesentlich geringer zu bewerten. Denn der Besteuerungssachverhalt sei verschleiert und die Steuererklärung lückenhaft und missverständlich gestaltet worden.
Eine Forderungsberechnung für 2002, aus der zu ersehen gewesen sei, dass in 2002 faktisch keine Zinsen an die Bank gezahlt worden seien, habe bei Willensbildung über die Feststellung 2002 nicht vorgelegen. X habe mit seiner Unterschrift unter die Feststellungserklärungen versichert, von den übrigen Beteiligten bevollmächtigt gewesen zu sein.
Erst bei Bearbeitung der Feststellungserklärung 2003 habe sich herausgestellt, dass in 2002 keine Zinsen gezahlt worden seien. Die Forderungsberechnung für 2002 sei erst im März 2005 mit der Feststellungserklärung 2003 eingereicht worden. Bei Abschluss der Bearbeitung der Feststellungserklärung 2002 habe weder eine Forderungsberechnung für das Konto 594-006298/0 per 31. Dezember 2002 vom 18. Juli 2003, noch das Anschreiben der Bank vom 18. Juli 2003, in dem die Zusammenh änge von Jahreskontoauszug und Forderungsabrechnung miteinander dargestellt seien, vorgelegen. Die klare und eindeutige Erklärung von Zinsen in einer konkreten Höhe unter Benennung des bisherigen Darlehnskontos in drei Feststellungserklärungen (2001, 2002 und 2003) sei kaum als entschuldbarer Irrtum zu erklären. Auch dass X, dem die Absprachen mit der Bank im Schreiben vom 18. Juli 2003 erläutert worden seien, diesen Fehler mehrfach übersehen haben solle, sei unglaubhaft. ….
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die Akten des Beklagten (Bl. 27) verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Beklagte hat zu Recht den Feststellungsbescheid 2002 nach § 173 AO geändert.
1. Rechtsgrundlagen
Gemäß § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.
Tatsachen sind konkrete Vorgänge oder Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart, die sinnlich wahrnehmbar in die Wirklichkeit getreten und damit dem Beweis zugänglich sind. „Tatsache” i.S.d. § 173 AO ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften, materieller oder immaterieller Art (BFH vom 25. Juli 2001 VI R 82/96, BFH/BFH/NV 199 2001, 1533). Keine Tatsachen sind Werturteile, Schlussfolgerungen, Rechtsansichten und Bewertungen jeglicher Art (BFH vom 14. Mai 2003 X R 60/01, BFH/NV 2003, 1144; vom 14. Mai 2003 II R 25/01, BFH/NV 1992003, 1395). Nachträglich bekannt werden Tatsachen oder Beweismittel, wenn sie dem Finanzamt erst nach dem Zeitpunkt, in dem die Willensbildung über die Steuerfestsetzung abgeschlossen ist, bekannt werden (z.B. BFH vom 13. September 2001 IV R 79/99, BStBl II 2002, 2).
Eine Änderung der Steuerfestsetzung bzw. gesonderten Feststellung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zum Nachteil des Steuerpflichtigen scheidet jedoch aus, wenn sie auf Tatsachen gründet, die der Finanzbehörde infolge Verletzung der amtlichen Ermittlungspflicht (§ 88 AO) trotz ordnungsgemäßer Mitwirkung des Steuerpflichtigen zunächst unbekannt geblieben sind. Die Finanzbehörde verletzt ihre Amtsermittlungspflicht nur, wenn sie offenkundigen Zweifelsfragen, Unklarheiten oder Zweifeln, die sich nach der Sachlage ohne weiteres aufdrängen, nicht nachgeht und Ermittlungsmöglichkeiten nicht nutzt, die sich ihr hätten aufdrängen müssen. Ist – wie im Entscheidungsfall – eine Feststellungserklärung abgegeben worden, kann die Finanzbehörde grundsätzlich davon ausgehen, dass der steuerlich relevante Sachverhalt richtig, vollständig und wahrheitsgemäß angegeben ist. Die Finanzbehörde braucht den Angaben des Steuerpflichtigen nicht mit Misstrauen zu begegnen. Die Erklärung muss vielmehr konkrete Anhaltspunkte für weitere Nachforschungen geben, etwa weil sie erkennbar unvollständig oder in sich widersprüchlich ist oder sich der Finanzbehörde aus anderweitig bekannten Umständen Zweifel an ihrer Richtigkeit hätten aufdrängen müssen.
Diese Einschränkung der Änderungsbefugnis greift aber nur ein, wenn der Steuerpflichtige seinerseits die ihm obliegende Mitwirkungspflicht (§ 90 AO) in zumutbarer Weise erfüllt hat. Liegen hingegen sowohl eine Verletzung der Ermittlungspflicht durch das Finanzamt als auch eine Verletzung der Mitwirkungspflicht durch den Steuerpflichtigen vor, sind die beiderseitigen Pflichtverstöße grundsätzlich gegeneinander abzuwägen. In einem solchen Fall trifft nach ständiger Rechtsprechung des BFH in der Regel die Verantwortung den Steuerpflichtigen mit der Folge, dass der Steuerbescheid geändert werden kann. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Verstoß des Finanzamtes gegen seine Ermittlungspflicht den Verstoß des Steuerpflichtigen gegen seine Mitwirkungspflicht deutlich überwiegt (FG des Saarlandes vom 3. Dezember 2008 1 K 2374/04, EFG 2009, 731 m.w.N. auf die Rechtsprechung des BFH).
Dies alles ist unter den Beteiligten unstreitig. Streitig ist lediglich, ob die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO vorliegend erfüllt sind.
2. Anwendung auf den Entscheidungsfall
Bei Anwendung der vorstehenden Grundsätze war der Beklagte nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO verpflichtet, den streitigen Änderungsbescheid zu erlassen, nachdem ihm bekannt geworden ist, dass die GbR für 2002 – entgegen ihren Erklärungsangaben – keine Zinsen gezahlt hat.
a. Die Anerkennung von Schuldzinsen als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung setzt nicht nur voraus, dass die Zinsen entstanden und durch die Einkunftserzielung veranlasst sind. Die Zinsen müssen gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG auch „geleistet”, d.h. an den Gläubiger gezahlt worden sein. Dies ist eine Tatsache. Die fehlende Zinszahlung war dem Beklagten bei Erlass des ersten Änderungsbescheides für 2002, am 13. Juli 2004, nicht bekannt.
Dies ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass der Beklagte im Bescheid vom 13. Juli 2004 die von den Klägern geltend gemachten Zinsen ungeschmälert anerkannt hat. Wäre dem Sachbearbeiter damals bekannt gewesen, dass – was zwischenzeitlich zu Recht unter den Beteiligten als unstreitig feststeht – die fraglichen Zinsen nicht von der GbR an die Bank geleistet worden sind, sondern einem internen Forderungskonto gutgeschrieben wurden, dann hätte er einen Bescheid dieses Inhalts mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht erlassen. Denn der Sachbearbeiter hat ausweislich der Feststellungsakte in 2002 keine Rückfragen zu der ihm vorgelegten Berechnung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gestellt. Er hat vielmehr die fragliche Veranlagung allein aufgrund der eingereichten Erklärung vorgenommen. Dass ihm hierbei – wie noch auszuführen sein wird – ein Ermittlungsfehler unterlaufen ist, ändert nichts daran, dass ihm zum Zeitpunkt der Veranlagung 2002 nicht bekannt gewesen ist, dass die streitigen Zinsen 2002 nicht an die Bank geleistet worden sind. Es bestehen insbesondere keine Anhaltspunkte dafür, dass der Sachbearbeiter wie auch immer geartete rechtliche Überlegungen angestellt oder Schlussfolgerungen tatsächlicher Art gezogen hat. Er hat offenbar schlicht und einfach bei der Veranlagung die ihm plausibel erscheinenden Erklärungsdaten ohne nähere Nachprüfung übernommen (Erklärungsabgabe: 23. Juni 2004; Feststellungsbescheid: 13. Juli 2004).
b. Dem Beklagten hätte die Tatsache der fehlenden Zinszahlung bei der Veranlagung bekannt sein können. Die Feststellungserklärung 2002 wurde am 23. Juni 2004 eingereicht. Die Erklärung wurde – wie in den Vorjahren – durch die Z GmbH erstellt und von dem Gesellschafter-Geschäftsführer X für die GbR unterschrieben. Ebenfalls wie in den Vorjahren wurden unter Hinweis auf das Kto.Nr. 529-038531 bei der Bank bei den Werbungskosten Zinsen i.H.v. 87.604,03 EUR geltend gemacht. Diese Kostenposition war insofern nicht ungewöhnlich, als auch in den Vorjahren stets höhere – sich nach und nach vermindernde – Zinsbeträge geltend gemacht und belegt worden sind. Gleichwohl steht – wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 18. März 2 010 festgestellt hat – außer Zweifel, dass bei ordnungsgemäßer Veranlagung vom Beklagten für eine derart erhebliche Kostenposition ein Bankbeleg über die Zinszahlung hätte eingefordert werden müssen. Dies insbesondere auch deshalb, weil aus den Zinsbelegen, die für die Feststellung 2001 vorgelegt worden sind, hervorging, dass eben dieses Konto Nr. 529-038531 zum 29. November 2001 aufgelöst worden ist. Der Beklagte hat seine Ermittlungen schwerpunktmäßig darauf gerichtet, ob die Zinsen entstanden, nicht aber darauf, ob sie von der GbR – was normalerweise selbstverständlich ist – auch geleistet worden sind. Auf diesen Aspekt ist der Beklagte nach Aktenlage erst gestoßen, als ihm bei der Veranlagung für 2003 am 18. März 2005 die Zinsaufstellung für das Konto 594-006298 zum Zeitraum 1. Januar 2002 bis 19. Januar 2005 vorgelegt worden ist.
c. Das Kennenmüssen der unterbliebenen Zinszahlung steht einer Änderung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht entgegen. Der Ermittlungsfehler, der dem Beklagten bei der Veranlagung des Streitjahres unterlaufen ist, erscheint dem Senat bei weitem nicht so gravierend wie die Versäumnisse, die den Klägern und ihrem Vertreter bei Abgabe der Feststellungserklärung 2002 anzulasten sind. Die insofern klare und eindeutige Erklärung weist Zinsen unter Benennung eines Kontos aus, das – was dem Gesellschafter-Geschäftsführer wegen seiner unmittelbaren persönlichen Betroffenheit wesentlich bewusster als dem Veranlagungssachbearbeiter des Finanzamts gewesen sein musste – im Vorjahr aufgelöst worden ist. Ein Zahlungsbeleg über die erheblichen Zinsen war der Erklärung nicht beigefügt. Dem für die GbR handelnden Geschäftsführer X war schon damals bestens bekannt, welche Absprachen hierzu mit der Bank unter dem Eindruck der Insolvenz der X GmbH getroffen worden sind. Inwiefern vor dem Hintergrund dieses Wissens, das sich beim Beklagten offenbar erst nach und nach im Zuge weiterer Ermittlungen eingestellt hat, von den Klägern der streitige Zinsbetrag – zudem unter Angabe des zwischenzeitlich aufgelösten Darlehenskontos – geltend gemacht werden konnte, ist dem Senat unerfindlich. Mit der Pflicht der GbR und des für sie handelnden Steuerberaters, „die für die Besteuerung erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenzulegen” hat dies alles nichts zu tun. Es besteht deshalb vorliegend keinerlei Grund, von der nach der Rechtsprechung des BFH bestehenden Regel abzuweichen, dass das „Erklärungsverschulden” das „Veranlagungsverschulden” überwiegt.
3. Die Klage war damit als unbegründet abzuweisen. Die Kosten des Verfahrens werden den Klägern gemäß § 135 Abs. 1 FGO auferlegt.
Zur Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO bestand keine Veranlassung.
Der Senat hielt eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid (§ 90a FGO) für angemessen.