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  • 06.06.2013 · IWW-Abrufnummer 131791

    Hessisches Finanzgericht: Urteil vom 20.04.2013 – 4 K 422/12

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    4 K 422/12
    Tenor
    1. Der Bescheid des Beklagten vom 28.10.2011 über die Anforderung der Dateien „vk _ rechnungen …csv“ und „vk _ verkaeufe …csv“ in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.02.2012 wird aufgehoben.
    2. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
    3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der erstattungsfähigen Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
    4. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
    Tatbestand

    Die Beteiligten streiten um den Umfang der Verpflichtung der Klägerin zur Gewährung des Datenzugriffs im Rahmen einer laufenden Betriebsprüfung. Die Klägerin betreibt eine Apotheke. Mit dieser erzielt sie nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 lit. b AO vom Beklagten (dem Finanzamt, im Folgenden: ‚FA’) gesondert festzustellende Einkünfte aus Gewerbebetrieb, die sie durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt. Aus den von der Klägerin mit den Feststellungserklärungen der Jahre 2007 bis 2009 beim FA eingereichten Jahresabschlüssen ergab sich nach Erträgen und Aufwendungen im jeweils sechsstelligen Bereich zum 31.12.2007 ein Bilanzgewinn von 87.479,47 Euro, zum 31.12.2008 von 80.696,99 Euro und zum 31.12.2009 von 87.048,52 Euro.

    Aufgrund eines Prüfungsvorschlags der Veranlagungsstelle des FA mit der Erwägung „noch nicht geprüfter M-Betrieb“ ordnete das FA gegenüber der Klägerin am 29.08.2011 für die Zeiträume 2007 bis 2009 eine steuerliche Außenprüfung betreffend Einkommensteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer an, zu deren Vorbereitung es mit Schreiben vom 12.09.2011 unter anderem die „Einzeldaten der Registrierkasse (Journal der EDV-Kasse sowie Daten der Z-Bons)“ und die „Einzeldaten des Warenverkaufs“ anforderte. Dieses Schreiben enthielt keine Rechtsbehelfsbelehrung. Die bei Prüfungsbeginn am 26.10.2011 in einem Fragebogen vom Prüfer erbetenen Auskünfte zur Beschaffenheit der Kassenführung beantwortete die Klägerin am 31.10.2011 wie folgt: Die Tageseinnahmen würden im Betrieb der Klägerin über eine modulare PC-Kasse der Firma A mit zwei Kassen erfasst, sodann durch Tagesendsummenbons (Z-Bons) mit anschließender Nullstellung ausgewertet und als Summe in ein manuell geführtes Kassenbuch eingetragen. Ein Testat über die Unveränderlichkeit der Kassensoftware liege nicht vor. Ferner erläuterte die Klägerin mündlich, dass eine gesonderte Fakturakasse wegen des geringen Umfangs der Lieferungen auf Rechnung nicht existiere und die diesbezüglichen Aufzeichnungen manuell geführt würden. Hochpreisige Medikamente an Privatpatienten würden nicht verkauft. Die Auslage an frei verkäuflicher Ware sei deshalb sehr gering, weil sich in der Nähe ein Drogeriemarkt befinde. Neben den zwei Bedienkassen werde ein PC mit Scanner zur Erfassung des Wareneingangs genutzt. Der Warenbestand werde nicht automatisch überprüft. Warenbestellungen würden manuell vorgenommen. Auf das Schreiben vom 12.09.2011 erhielt der Prüfer vom steuerlichen Berater der Klägerin eine CD mit von der Firma A bereitgestellten Daten aus dem Kassensystem der Klägerin, unter denen der steuerliche Berater jedoch die Datei mit der Einzeldokumentation der Verkäufe entfernt hatte, da er die Auffassung vertrat, dass das FA ein entsprechende Zugriffsrecht nicht habe.

    Mit Schreiben vom 28.10.2011 forderte das FA die Klägerin auf, „die von der Firma A gelieferten Daten über die Warenverkäufe (vk _ rechnungen …csv und vk _ verkaeufe …csv) bis zum 11.11.2011 bereitzustellen“ und drohte für den Fall der verspäteten Erfüllung die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes an. Entgegen der Ansicht des steuerlichen Beraters seien die genannten Dateien als Bestandteil der Grundaufzeichnungen nach § 147 Abs. 6 AO vorzulegen. Auch dieses Schreiben enthielt keine Rechtsbehelfsbelehrung. Am 03.11.2011 teilte der steuerliche Berater mit, dass eine Datei „VK-Rechnungen“ nicht existiere, da die Klägerin das entsprechende Kassenmodul nicht erworben habe. Die Datei „VK-Verkäufe“ sei vom Datenzugriffsrecht des FA nach § 147 Abs. 6 AO nicht umfasst, da die Klägerin keine entsprechende Einzelaufzeichnungspflicht habe. Gegen die „Anforderungen von Daten“ legte die Klägerin am 24.11.2011 Einspruch ein, den das FA nach Einholung einer Weisung der Mittelbehörde und Gewährung der beantragten Vollziehungsaussetzung durch Einspruchsentscheidung vom 03.02.2012 als unbegründet zurückwies.

    Mit ihrer am 23.02.2012 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Rechtsbegehren weiter. Die Anforderung der Datei „VK Rechnungen“ sei bereits deshalb rechtswidrig, weil eine solche Datei mangels Erfassung der Rechnungsumsätze über die PC-Kasse nicht existiere. Hinsichtlich der Datei „VK Verkäufe“ habe das FA kein Zugriffsrecht, da die Klägerin gesetzlich nicht verpflichtet sei, die Verkäufe einzeln aufzuzeichnen, es damit an einer Aufbewahrungspflicht i.S.d. § 147 Abs. 1 AO und folglich auch an einem Zugriffsrecht des FA auf die aufbewahrten Unterlagen bzw. Dateien nach § 147 Abs. 6 AO fehle (Verweis auf BFH vom 24.06.2009 – VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452 sowie Bellinger StBp 2011, 272 ff. u. 305 ff. und Mack Stbg. 2012, 116 ff.). Die Aufzeichnungspflicht nach § 144 AO greife nicht, da die Klägerin Einzelhändlerin sei. Eine Einzelaufzeichnungspflicht für den Warenverkauf ergebe sich auch nicht aus den in § 145 AO getroffenen allgemeinen Regeln für die Führung von Büchern. Das belege bereits der Ausnahmecharakter des § 144 AO. Soweit die ältere Rechtsprechung zur Situation vor der Einführung von PC-Kassen die Auffassung vertreten habe, dass der Einzelhandel nur aus Zumutbarkeitsgründen von der Einzelaufzeichnungspflicht befreit sei (BFH vom 12.05.1966 – IV 472/60, BStBl. III 1966, 372), sei diese Aussage durch die klaren Aussagen des BFH im Urteil vom 24.06.2009 überholt. Im Ergebnis unterlägen damit die freiwillig geführten und aufbewahrten Unterlagen bzw. Dateien nicht dem Zugriffsrecht nach § 147 Abs. 6 AO. Mangels Aufbewahrungspflicht dürften solche Medien vom Steuerpflichtigen auch jederzeit vernichtet bzw. gelöscht werden. Bei der vom FA verlangten Verkaufsdatei handele es sich auch nicht i.S.v. § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO um „sonstige Unterlagen, soweit sie für die Besteuerung von Bedeutung sind“. Denn diese Vorschrift komme nur zum Tragen, soweit der Gesetzgeber nicht auf eine Aufzeichnungspflicht verzichtet habe. Dies sei bezüglich des Warenausgangs bei Einzelhandelsunternehmen jedoch im Unkehrschluss zu § 144 AO gerade der Fall. § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO könne nicht den Zweck haben, als Auffangvorschrift („Blanko-Scheck“) für durch den Gesetzgeber nicht geregelte Aufzeichnungspflichten herzuhalten.

    Insoweit wäre auch der Vorbehalt des Gesetzes verletzt. Theoretisch könne alles irgendwie einmal „von Bedeutung“ sein. Dem Bürger sei es nicht möglich, anhand dieser Vorschrift im Vorhinein zu erkennen, welche Unterlagen er für Steuerzwecke aufbewahren müsse. Anders als in Österreich sei eine (zweifelsfrei wünschenswerte) klarstellende gesetzliche Regelung in der AO bisher unterblieben. Eine solche könne nicht im Verwaltungswege hergestellt werden. Dass nach der neuen Kassenrichtlinie (BMF vom 26.11.2010 – BStBl. I 2010, 1342) sämtliche steuerlich relevanten Daten einzeln aufzubewahren seien, sei für den Streitfall ohnehin nicht von Belang, da diese Verwaltungsanweisung erst ab dem 01.01.2011 anwendbar sei. Selbst insoweit könnten jedoch aus den darin lediglich enthaltenen Aufbewahrungsvorschriften keine Aufzeichnungspflicht abgeleitet werden.

    Auch die berufsrechtlichen Vorschriften (hier: §§ 17, 22 ApoBetrO) begründeten keine steuerrechtlichen Aufzeichnungspflichten, zumal nach diesen Vorschriften die Preise nicht zu dokumentieren seien. § 22 UStG zwinge nur zur Dokumentation der Entgelte, nicht aber zur kombinierten Aufzeichnung von Waren und Preisen. Die vom BMF zusammengefassten Grundsätze ordnungsgemäßer DV-gestützter Buchführungssysteme (GoBS) (BMF vom 07.11.1995, BStBl. I 1995, 738, Anhang 64 zum AO-Handbuch 2012) begründeten selbst keine Aufzeichnungspflicht und seien damit für Datenverarbeitungsanwendungen, die nicht Teil des betrieblichen Rechnungswesens seien, nicht verbindlich. Gleiches gelte für die Empfehlungen des IDW. Die These des FA, aus der Funktionalität eines vorhandenen PC-Systems (z.B. eines Warenwirtschaftssystems) auf eine bestimmte Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflicht des Steuerpflichtigen zu schließen, sei rechtsdogmatisch nicht haltbar, da dann der Umfang der Aufzeichnung- und Aufbewahrungspflicht vom jeweils eingesetzten PC-System und von der individuell eingesetzten Software abhinge. Die Klägerin schulde nur den Nachweis, dass die Tagesendsummenbons zutreffend ermittelt wurden. Dieser Nachweis sei nicht einzeln, sondern auf der Systemebene zu führen. Die Anforderung des FA gehe über die stichprobenartige Überprüfung des entsprechenden Verfahrens weit hinaus. Der BFH habe es im Urteil vom 24.06.2009 gerade für unzulässig erachtet, seitens der Betriebsprüfung ohne gesetzliche Aufbewahrungspflicht zur Verprobung überzugehen. Die Firma A habe auch nie in Verdacht gestanden, ihre Software mit Manipulationsmöglichkeiten auszustatten.

    Im Übrigen verfüge die Kasse nicht über die vom FA gemutmaßte Funktionalität. Es handele sich um das Modell der Firma A. Betriebswirtschaftliche Auswertungen habe es damit nicht gegeben. Ein Trainingsspeicher existiere nicht. Gleiches gelte für bedienerbezogene Tagesendsummenbons. Eine Bedienungsanleitung (Benutzerhandbuch) habe vorgelegen und hätte auf Anfrage jederzeit vorgelegt werden können. Umprogrammierungen der Software seien nicht möglich gewesen und hätten daher auch nicht stattgefunden.

    Die Klägerin beantragt,

    den Datenanforderungsbescheid des Beklagten vom 28.10.2011 in Form der Einspruchsentscheidung vom 03.02.2012 aufzuheben sowie die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

    Das FA beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Das FA vertritt die Auffassung, dass die Klägerin bereits nach § 144 AO zur gesonderten Aufzeichnung des Warenausgangs verpflichtet sei. Ferner ergebe sich die Verpflichtung zur Führung entsprechender Einzelaufzeichnungen für jedes Handelsunternehmen grundsätzlich auch aus § 238 Abs. 1 Satz 3 HGB und § 145 Abs. 1 Satz 2 AO (Verweis auf BFH vom 12.05.1966 – IV 472/60, BStBl. III 1966, 372). Auf die Unzumutbarkeit der Führung von Einzelaufzeichnungen könne sich die Klägerin nicht berufen, da sie die fraglichen Aufzeichnungen (d.h. die Einzelverkäufe) tatsächlich geführt habe. Bei der von der Klägerin verwendeten PC-Kasse handele es sich um ein Erlöserfassungssystem mit integrierter Warenwirtschaftsverwaltung. Die mit einem solchen System bewältigte Dokumentation des Warenausgangs sei gerade bei Apotheken zur Aktualisierung des Warenbestandes („permanente Inventur“) und zur Einhaltung der strengen und vielfältigen berufsrechtlichen Vorschriften (z.B. zur Kennzeichnung der Rezeptpflichtigkeit und der Rezeptart, zur Zuzahlungspflicht bei gesetzlicher Krankenversicherung und zur abgegebenen Menge) erforderlich (Verweis auf §§ 17, 22 ApoBetrVO und § 13 Abs. 3 BtMG). Ferner zwängen § 22 UStG und § 4 Abs. 5 EStG zur gesonderten Aufzeichnung. Die im Bescheid vom 28.10.2011 angeforderten Dateien seien im Ergebnis Teil der nach § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO aufzubewahrenden „Grundaufzeichnungen“. Somit habe die Klägerin die Grundsätze ordnungsmäßiger DV-gestützter Buchführungssysteme nach § 146 Abs. 5 AO zu beachten, gegen die eine Beschränkung der Archivierung der Tagesaufzeichnungen auf die Tagesendsummenbons widerspreche. Selbst Kostenstellenrechungen unterlägen dem Datenzugriff (Verweis auf FG Rheinland-Pfalz vom 13.06.2006 – 1 K 1743/06, EFG 2006, 1634). Das FG Sachsen-Anhalt habe die Rechtsauffassung des FA bestätigt, wonach die Verkaufsdaten nach § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO aufzubewahren seien (Beschluss vom 15.01.2013 – 1 V 580/12, n. v., Kopie Bl. 110 ff. der Klageakte).

    Dessen ungeachtet stehe dem FA der Zugriff auf die angeforderten Dateien auch zum Zwecke der allgemeinen Verprobung zu. So sei eine Verprobung des Aufschlagssatzes einzelner Warengruppen, des erklärten Gesamtumsatzes mittels Kassenabrechnungen, der Falscherfassung von Privatrezepten, eine Mengenverprobung des Warenbestandes sowie die Prüfung der Verwendung von Manipulationssoftware ohne Zugriff auf die Verkaufsdatei nicht möglich. Da ein Programmierprotokoll nicht vorgelegt worden sei, könne die Angabe der Klägerin, dass nach der Aufstellung keine Änderungen vorgenommen worden seien, nicht verifiziert werden. Auch die Organisationsunterlagen und die betriebswirtschaftlichen Auswertungen der Kasse habe die Klägerin nicht vorgelegt. Die Intensität und die Ausgestaltung der Prüfung lägen nach § 194 AO im Ermessen des FA. Der Prüfer habe bei der Klägerin erhebliche Mängel in der Kassenbuchführung festgestellt (Verweis auf einen checklistenartig ausgefüllten und weder datierten noch unterschriebenen Aktenvermerk des Prüfers, sowie auf einen Aktenvermerk vom 26.10.2011). Die Klägerin habe den Nachweis der Vollständigkeit der Einnahmen daher durch Vorlage der „Kassenstreifen“ (Papierjournalrolle) zu führen. Da dieser nicht existiere, sei die Verkaufsdatei vorzulegen.

    Auf die dem Gericht vorgelegten Verwaltungsakten wird ergänzend Bezug genommen. Sie waren Gegenstand des Verfahrens. Darüber hinaus wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 24.04.2013 ergänzend Bezug genommen.
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    Entscheidungsgründe

    Die Klage ist begründet. Der wegen des vorherigen Streits der Beteiligten um den Umfang der Datenzugriffsrechte des FA als Verwaltungsakt i.S.d. § 118 Satz 1 AO zu wertende Bescheid des FA vom 28.10.2011 (BFH vom 08.04.2008 – VIII R 61/06, BStBl. II 2009, 579) ist in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.02.2012 in Ermangelung einer die Datenanforderung stützenden gesetzlichen Grundlage i.S.d. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Auf den Umstand, dass die ebenfalls angeforderte Datei „vk _ rechnungen …csv“ nach den Angaben der Klägerin gar nicht existiert, kam es nicht an.

    1. Die Anforderung des FA vom 28.10.2011 kann nicht auf § 147 Abs. 6 AO gestützt werden, da die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift im Streitfall nicht erfüllt sind.

    a) Sind Unterlagen nach § 147 Abs. 1 AO mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems erstellt worden, so hat die Finanzbehörde im Rahmen einer Außenprüfung das Recht, Einsicht in die gespeicherten Daten zu nehmen und das Datenverarbeitungssystem zur Prüfung dieser Unterlagen zu nutzen (§ 147 Abs. 6 Satz 1 AO). Sie kann im Rahmen einer Außenprüfung auch verlangen, dass Daten nach ihren Vorgaben maschinell ausgewertet oder ihr die gespeicherten Unterlagen und Aufzeichnungen auf einem maschinell verwertbaren Datenträger zur Verfügung gestellt werden (§ 147 Abs. 6 Satz 2). Diese Befugnisse stehen der Finanzbehörde nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Vorschrift nur in Bezug auf Daten zu, die der Steuerpflichtige nach § 147 Abs. 1 AO aufzubewahren hat (BFH vom 24.06.2009 – VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452 unter II. 1. a. b. aa.). Die in § 147 Abs. 1 AO geregelten Aufbewahrungspflichten setzen wiederum eine gesetzliche Aufzeichnungspflicht des Steuerpflichtigen voraus und bestehen grundsätzlich nur im Umfang dieser Aufzeichnungspflicht (BFH vom 24.06.2009 – VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452 unter II. 1. a. b. cc.).

    b) Im Streitfall hatte die Klägerin, der aufgrund der Größe und der Einzelumsatzhäufigkeit ihres Geschäfts zweifelsfrei die Kaufmannseigenschaft nach § 1 Abs. 1 HGB i.V.m. § 238 Abs. 1 HGB zukommt, keine gesetzliche Verpflichtung, die von ihr getätigten Einzelverkäufe (d.h. die im Einzelnen verkauften Waren und die hierfür im Einzelnen vereinnahmten Kaufpreise) im Einzelnen manuell oder auf einem Datenträger (§ 146 Abs. 5 AO) aufzuzeichnen und diese manuellen oder elektronischen Aufzeichnungen nach § 147 Abs. 1 AO aufzubewahren.

    aa) Da die Klägerin ihre Waren nach der Art ihres Geschäftsbetriebes nicht regelmäßig an anderer gewerbliche Unternehmer, sondern an Endverbraucher liefert, ist sie zweifelsfrei nicht nach § 144 Abs. 1 bis 4 AO zur gesonderten Aufzeichnung des Warenausgangs einschließlich des Warenpreises (§ 144 Abs. 3 Nr. 4 AO) verpflichtet. Entgegen der Ansicht des FA ergibt sich eine entsprechende Verpflichtung auch nicht aus den allgemeinen Vorschriften nach § 238 Abs. 1 Satz 3 HGB und § 145 Abs. 1 Satz 2 AO. Zur Erfüllung des in diesen Vorschriften geregelten Gebotes der Gewährleistung der eindeutigen Identifizierbarkeit und Nachprüfbarkeit der einzelnen Handelsgeschäfte ist der Kaufmann ungeachtet der Eigenart seines Unternehmens zwar grundsätzlich verpflichtet, seine Kassenvorgänge (seien es Barausgaben oder Bareinnahmen) einzeln aufzuzeichnen (vgl. BFH vom 12.05.1966 – IV 472/60, BStBl. III 1966, 372 zur Herleitung dieses Gebotes aus den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung). Es entspricht jedoch der gefestigten und auch im „Computerzeitalter“ aufrecht erhaltenen höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass die in § 238 Abs. 1 HGB und § 145 AO zum Ausdruck kommenden Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung derartige Einzelaufzeichnungen aus Zumutbarkeits- und Praktikabilitätsgründen regelmäßig nicht verlangen, wenn der Unternehmer gegen Barzahlung Waren von geringerem Wert an eine unbestimmte Vielzahl von Kunden im offenen Ladengeschäft verkauft (BFH vom 12.05.1966 – IV 472/60, BStBl. III 1966, 37; BFH vom 01.10.1969 – I R 73/66, BStBl. II 1970, 45; BFH vom 26.02.2004 – XI R 25/02, BStBl. II 2004, 599; BFH vom 07.02.2008 – X B 189/07, n. v. Juris; BFH vom 14.12.2011 – XI R 5/10, BFH/NV 2012, 1921 unter II. 1 a.). Soweit hiernach auf Einzelaufzeichnungen verzichtet werden darf, sind die Tagessummen der Kasseneinnahmen und Kassenausgaben in Form von Kassenberichten oder mit Hilfe eines Kassenbuchs täglich festzuhalten (BFH vom 01.10.1969 – I R 73/66, BStBl. II 1970, 45; BFH vom 20.06.1985 – IV R 41/82, BFH/NV 1985, 12). Die aus der Tageskasse ausgezählte Summe der Tagesein- und Ausgaben ist in das in Form aneinandergereihter Kassenberichte geführte Kassenbuch zu übertragen (BFH vom 07.07.1977 – IV R 205/72, BStBl. II 1978, 307; BFH vom 21.02.1990 – X R 54/87, BFH/NV 1990, 683). Die zugehörigen Tagesendsummensbons (Z-Bons) sind als sonstige Unterlagen i.S.d. § 147 Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 5 AO aufzubewahren (FG Bremen vom 24.09.1996 – 2 94 085 K 2, EFG 1997, 449; FG Hamburg vom 04.12.1990 – II 104/88, EFG 1991, 507).

    Nach diesen Grundsätzen war auch die Klägerin i.S.v. § 238 Abs. 1 Satz 3 HGB und § 147 Abs. 1 Satz 2 AO als Einzelhändlerin von der Verpflichtung befreit, die einzelnen „Verkäufe“ über die Ladentheke (d.h. den jeweiligen Warenausgang in Verbindung mit dem vereinnahmten Kaufpreis) einzeln aufzuzeichnen. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin (wie der Bevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung klargestellt hat) sämtliche mit den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung anfallenden Geschäftsvorfälle mit diesen unbar abwickelt, da dies am grundsätzlichen und zusätzlichen Anfall von anonymen (da rezeptfreien) Bargeschäften „über die Ladentheke“ in erheblichem Umfang nichts ändert. Die Klägerin konnte ihre Pflicht zur Gewährleistung der eindeutigen Identifizierbarkeit und Nachprüfbarkeit der einzelnen Geschäfte mithin grundsätzlich dadurch erfüllen, dass sie – wie sie dies zu Beginn der Betriebsprüfung dargestellt und erläutert hatte – die festgestellten Tagesendsummen fortlaufend in ein Kassenbuch übertrug. Dass sie die einzelnen Barverkäufe gleichwohl freiwillig und programmgesteuert in einer gesonderten Datei („VK Verkäufe“) mitschrieb und speicherte, ändert hieran nichts. Zwar stellt dies die von der Rechtsprechung zur Begründung der Erleichterung angeführten Kriterien der Praktikabilität und Zumutbarkeit in Frage. Für die Tragfähigkeit dieser Kriterien kann es jedoch nicht auf den einzelnen (sich z.B. durch den Einsatz einer besonders ausgestalteten Kasse möglicherweise überobliagtionsmäßig verhaltenden) Steuerpflichtigen, sondern allein auf den Typus eines in größerem Umfang Barumsätze erzielenden Einzelhandelsbetriebes ankommen. Eine Apotheke gleich welcher Größe kann insoweit nicht anders behandelt werden als z.B. ein Betrieb der Kleingastronomie. Andenfalls würde der Umfang der Aufzeichnungspflicht vom Umfang der vom Steuerpflichtigen

    tatsächlich getätigten Aufzeichnungen abhängen, was mit der abstrakt-generellen Intention der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung und dem Regelungszweck des § 238 Abs. 1 Satz 2 HGB und des § 145 Abs. 1 Satz 2 AO und überdies auch mit den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Vorrangs und Vorbehalts des Gesetzes (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) nicht zu vereinbaren wäre (vgl. BFH vom 24.06.2009 – VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452 unter II. 1. b. cc. unter Verweis auf das Volkszählungs-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, BVerfG vom 15.12.1983 – 1 BvR 209/83 u.a., BVerfGE 65, 1 unter C. II. 2. a.). Für Steuerzwecke (d.h. ungeachtet des dargestellten handelsrechtlichen Auslegungsergebnisses) führt darüber hinaus eine am Gesetzeswortlaut orientierte Auslegung des § 144 AO zu dem Ergebnis, dass die von dieser Vorschrift nicht betroffenen Unternehmer (wie im Streitfall die Klägerin) im Umkehrschluss ihren Warenausgang nicht einzeln aufzeichnen müssen.

    Entgegen der Ansicht des FA handelt es sich bei der angeforderten Datei „VK Verkäufe“ daher nicht um einen Bestandteil der nach § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO aufzubewahrenden „Grundaufzeichnungen“. Das gilt auch für die Datei „VK Rechnungen“, bei der es sich nach den Mutmaßungen des FA ebenfalls um einen Datensatz mit Einzelverkäufen handeln soll. Insoweit kann dahinstehen, dass diese Datei nach den (vom FA nicht widerlegten) Angaben der Klägerin überhaupt nicht existiert, weil gegenüber den Kunden nur geringe Rechnungsumsätze angefallen und diese manuell dokumentiert worden seien.

    bb) In Bezug auf die im Bescheid vom 28.10.2011 angeforderten Dateien ergibt sich eine Aufbewahrungspflicht auch nicht aus § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO. Nach dieser Vorschrift sind auch „sonstige Unterlagen“ gesondert aufzubewahren, soweit sie „für die Besteuerung von Bedeutung sind“. Zwar lässt der weite Wortlaut der Norm die Deutung zu, dass nach ihr ohne Rücksicht auf eine Aufzeichnungspflicht sämtliche für die Besteuerung bedeutsamen Unterlagen aufzubewahren sind. Eine solche Auslegung hat die höchstrichterliche Rechtsprechung jedoch zu Recht verworfen. Vielmehr ist § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO unter Berücksichtigung der generellen Akzessorietät der Aufbewahrungspflicht zu einer bestehenden gesetzlichen Aufzeichnungspflicht dahingehend einschränkend auszulegen, dass nur solche sonstigen (d.h. nicht unter § 147 Abs. 1 Nr. 1 bis 4a AO fallenden) Unterlagen oder Daten (etc.) aufbewahrt werden müssen, die zum Verständnis und zur Überprüfung der für die Besteuerung gesetzlich vorgeschriebenen Aufzeichnungen im Einzelfall von Bedeutung sind (BFH vom 24.06.2009 – VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452 unter II. 1. b. cc.; BFH vom 14.12.2011 – XI R 5/10, BFH/NV 2012, 1921 unter II. 2. a. bb.).

    Nach dieser Maßgabe ist der von der Klägerin aufbewahrte Datensatz „VK Verkäufe“ zum Verständnis und zur Überprüfung des von ihr aufzubewahrenden Kassenbuchs und der aufzubewahrenden Tagesendsummensbons (Z-Bons) nicht „von Bedeutung“. Für die Beantwortung der Frage, ob bestimmte Unterlagen oder Daten nach den vom BFH entwickelten Grundsätzen „im Einzelfall“ zum Verständnis oder zur Überprüfung vorgeschriebener Aufzeichnungen „bedeutsam“ sind, kann es – mit Blick auf die gleichzeitig geforderte einschränkende Auslegung der gesetzlichen Aufbewahrungs- und Zugriffstatbestände unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – ebenfalls nicht auf die Verhältnisse des einzelnen Steuerpflichtigen ankommen. Vielmehr ist entscheidend, ob die fraglichen Unterlagen oder Daten zum Verständnis und zur Überprüfung der jeweils aufzuzeichnenden Geschäftsvorfälle bei abstrakt-genereller Betrachtung typischerweise von Bedeutung sind. Denn nur so ist sichergestellt, dass der Steuerpflichtige im Vorhinein erkennen kann, welche Unterlagen und Daten er zur Gewährleistung der Ordnungsmäßigkeit seiner Buchführung innerhalb der gesetzlichen Fristen zwingend aufbewahren muss. Es wäre mit dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht zu vereinbaren, wenn sich eine Aufbewahrungspflicht nach § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO allein aus dem Umstand ergäbe, dass der Steuerpflichtige freiwillig (z.B. zu internen Kontrollzwecken) bestimmte Aufzeichnungen fertigt, die sich im Rahmen einer Betriebsprüfung für eine Verprobung der verpflichtend erstellten Aufzeichnungen später als hilfreich erweisen könnten.

    Der Streitfall ist unter Berücksichtigung dieser Vorgabe zu entscheiden. Die von der Klägerin freiwillig und programmgesteuert gespeicherten Einzeldaten der Verkäufe sind aus der Perspektive des FA für eine rückschauende Verprobung des Kassenbuchs und der Z-Bons zwar zweifellos von großem Interesse. Die Bejahung einer hierauf gestützten generellen Aufzeichnungspflicht würde jedoch den Grundsatz ad absurdum führen, dass für den Betrieb der Klägerin nach § 145 Abs. 1 Satz 2 AO eine gesonderte Aufzeichnung des Warenausgangs und der Einnahmen gerade nicht erforderlich ist. Bei abstrakt-genereller Betrachtung sind die Einzeldaten auch für das „Verständnis“ der Z-Bons und des Kassenbuchs nicht erforderlich, da letztere die fraglichen Einzelaufzeichnungen gerade ersetzen sollen. Diese Erwägungen gelten vorliegend sowohl für die Datei „VK Verkäufe“ als auch für die Datei „VK Rechnungen“ (soweit überhaupt vorhanden).

    Der Streitfall ist insoweit auch mit der vom BFH entschiedenen Konstellation vergleichbar, in der ein in größerem Umfang bar abrechnender Betreiber einer Kraftfahrzeugwerkstatt über die Führung des Kassenbuchs hinaus seine Kundenaufträge dadurch einzeln festhält, dass er jeweils eine Kopie des Fahrzeugscheins des zu reparierenden Fahrzeugs anfertigt und hierauf handschriftlich den Arbeitsumfang, die zu beschaffenden Ersatzteile und die geleisteten Arbeitsstunden notiert. Trotz der unbestreitbaren Tatsache, dass diese zusätzlichen Aufzeichnungen bei der Überprüfung der Richtigkeit des Kassenbuches durch die Finanzbehörde äußert hilfreich wären, besteht hierfür nach der Rechtsprechung (BFH vom 07.12.2010 – III B 199/09, BFH/NV 2011, 411) ersichtlich keine Aufbewahrungspflicht nach § 147 Abs. 1 AO. Soweit das FA der angeführten Entscheidung des FG Rheinland-Pfalz etwas anderes entnimmt (FG Rheinland-Pfalz vom 13.03.2006 – 1 K 1743/05, EFG 2006, 1550), sind die dort zu Grunde gelegten Erwägungen jedenfalls durch die Entscheidung des BFH vom 24.06.2009 (VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452) überholt. Den neuerlichen Erwägungen des FG Sachsen-Anhalt im summarischen Aussetzungsverfahren (FG Sachsen-Anhalt vom 15.01.2013 – 1 V 580/112, n. v. ist mit den hier vertretenen Argumenten nicht zu folgen.

    cc) Entgegen der Auffassung des FA ergibt sich eine gesetzliche Pflicht zur gesonderten Aufzeichnung des Warenausgangs nebst den im Einzelnen vereinnahmten Warenpreisen auch nicht aus den für die Klägerin geltenden sonstigen (berufs-) rechtlichen Bestimmungen. Die aufgrund § 21 des Apothekengesetzes erlassene Apothekenbetriebsordnung (ApoBetrO) und das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) enthalten zwar einzelne Aufzeichnungs- und Bestandsdokumentationspflichten. Eine Verpflichtung zur Dokumentation der für den Verkauf einzelner Warenstücke vereinnahmten Preise (d.h. der „Verkäufe“, wie sie sich aus der Datei „VK Verkäufe“ ergeben sollen) findet sich hier jedoch nicht. § 17 Abs. 6 Satz 1 Nr. 4 ApoBetrO betrifft nur die Angabe des Preises auf der vom Bezieher vorgelegten und wieder an sich genommenen Verschreibung. Die besonderen Aufzeichnungspflichten nach § 17 Abs. 6a u. Abs. 6b ApoBetrO und die Aufbewahrungspflichten nach § 22 ApoBetrO sehen eine Berücksichtigung des Preises nicht vor. Gleiches gilt für die Anzeigepflicht nach § 12 Abs. 2 BtMG und die Aufzeichnungspflicht nach § 17 BtMG. Auch die Regelungen nach § 22 UStG i.V.m. §§ 63 ff. UStDV beinhalten lediglich die Pflicht zur Aufzeichnung der Entgelte i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG. Eine Verpflichtung zur kombinierten Einzelaufzeichnung von Waren und Preisen ergibt sich hieraus nicht.

    Sofern das FA die Auffassung vertritt, dass es nach § 147 Abs. 6 AO zumindest die Herausgabe der nach der ApoBetrO und dem BtMG geführten Aufzeichnungen bzw. die Gewährung des Zugriffs auf die entsprechenden Daten verlangen könne, ist der Bescheid vom 28.10.2011 jedenfalls deshalb rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, da das FA sein dort formuliertes Vorlageersuchen nicht auf die entsprechenden Aufzeichnungen beschränkt, sondern vielmehr Zugriff auf die Daten zu sämtlichen „Verkäufen“ und „Rechnungen“ (d.h. Rechungsverkäufen) verlangt hat (vgl. BFH vom 24.06.2009 – VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452 unter II. 1. c.). Gleiches gilt hinsichtlich der Entgeltaufzeichnungspflichten nach § 22 UStG. Eine diesbezügliche Umdeutung des Anforderungsbescheides ist nicht möglich, da damit i.S.v. § 128 Abs. 1 AO ein anderes Ziel verfolgt werden würde, welches vom FA wegen des weitergehenden Vorlagebegehrens i.S.v. § 128 Abs. 2 AO nicht gewollt war. Aus den gleichen Gründen ist es auch nicht möglich, im Anforderungsbescheid des FA insoweit ein „wesensgleiches Minus“ zu erblicken.

    2. Der streitgegenständliche Bescheid kann auch nicht hilfsweise auf die allgemeine Verpflichtung der Klägerin nach § 200 Abs. 1 AO zur Mitwirkung bei der Betriebsprüfung in Gestalt der Unterstützung des Prüfers beim Datenzugriff gestützt werden. Denn § 200 Abs. 1 Satz 2 AO verweist in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf § 147 Abs. 6 AO, weshalb die Pflichten der Klägerin nach § 200 Abs. 1 AO nicht weiter reichen können als ihre Pflichten nach § 147 Abs. 6 AO (BFH vom 24.06.2009 – VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452 unter II. 1. b. aa.). Weitere in Betracht kommende Rechtsgrundlagen für den Bescheid 28.10.2011 sind nicht erkennbar. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber den Umfang des Datenzugriffs durch § 147 Abs. 6 AO und § 200 Abs. 1 Satz 2 AO unter Verzicht auf die Einführung weitergehender Befugnisse der Finanzbehörden einer eindeutigen und in sich abgeschlossenen Regelung zugeführt hat. Diese Gesetzeslage mag – wie die Klägerin selbst einräumt – aus prüfungspraktischer Sicht zwar ausgesprochen misslich sein. Dem Gesetzgeber stünde es jedoch jederzeit frei, nach dem (von der Klägerin beschriebenen) österreichischen Vorbild Abhilfe zu schaffen und ein gesetzliches Zugriffsrecht auch für die außerhalb einer gesetzlichen Aufzeichnungspflicht vom Steuerpflichtigen geschaffenen Daten zu schaffen.

    3. Bei diesem Ergebnis würde es auch dann bleiben, wenn die (allerdings nicht weiter belegte) Behauptung des FA zuträfe, nach der die bei der Klägerin gesichteten Z-Bons formelle Fehler aufwiesen oder sich hieraus Differenzen ergäben und aus diesen Gründen Zweifel an der Richtigkeit des manuell geführten Kassenbuches bestünden. Die Frage des Bestehens einer Vorlageverpflichtung i.S.v. § 147 Abs. 6 AO ist von der Frage der im Übrigen erkennbaren Ordnungsmäßigkeit der klägerischen Buchführung und der dadurch eröffneten Schätzungsbefugnis des FA nach § 162 AO strikt zu trennen. Nicht ordnungsmäßige Kassenaufzeichnungen (z.B. Differenzen zwischen den Tagessummen laut Z-Bons und den Eintragungen im Kassenbuch, nicht zeitgerechte Führung des Kassenbuchs oder mangelnde Sturzfähigkeit der Kasse) lassen den Schluss zu, dass nicht alle Bareinnahmen verbucht worden sind (BFH vom 02.02.1982 – VIII R 65/80, BStBl. II 1982, 409) und berechtigen die Betriebsprüfung gegebenenfalls zu Zuschätzungen (vgl. bei mangelhaftem Kassenbuch z.B. FG Hamburg vom 04.12.1990 – II 104/88, EFG 1991, 507). Soweit betont wird, dass das Zustandekommen der Tagessummen durch die einzelnen Kassenzettel und Bons (etc.) „nachgewiesen“ werden muss, wenn die Eintragungen im Kassenbuch oder die Tagesendsummenbons keine Gewähr für die Vollständigkeit bieten (Drüen in Tipke / Kruse, AO / FGO, Stand 09/2009, § 147 AO Rn. 24 m.w.N.), handelt es sich hierbei nicht um eine Verpflichtung im Sinne einer (wiederauflebenden) Aufzeichnungspflicht, sondern um eine Obliegenheit des Steuerpflichtigen zur Widerlegung der Schätzungsbefugnis des FA durch anderweitige Glaubhaftmachung der Richtigkeit der Buchführung. Ob dies bei der Klägerin der Fall ist (d.h. ob die Tagesendsummenbons und das Kassenbuch ordnungsgemäß geführt wurden), kann im Streitfall dahinstehen, da dies an der fehlenden Rechtsgrundlage für die Anforderung des FA im Bescheid vom 28.10.2011 nichts ändert. Dass die Klägerin im Falle der Feststellung der fehlenden Ordnungsmäßigkeit ihrer (Kassen-) Buchführung die vom FA angeforderten Einzelverkaufsdaten zur Entkräftung einer entsprechenden Schätzung des FA möglicherweise freiwillig vorlegen wird, belegt allenfalls die fehlende Praxisnähe der in § 147 Abs. 6 AO und § 200 Abs. 1 Satz 2 AO vom Gesetzgeber getroffenen Regelungen.

    4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren auf § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 151 Abs. 1 und Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708, 711 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision lagen nicht vor. Der Umfang der gesetzlichen Aufzeichnungspflichten und die gesetzliche Reichweite der Datenzugriffsrechte der Betriebsprüfung sind durch die höchstrichterliche Rechtsprechung hinreichend geklärt (BFH vom 24.06.2009 – VIII R 80/06, BStBl. II 2010).

    RechtsgebieteAO, HGBVorschriften§ 147 Abs 6 AO, § 146 AO, § 200 Abs 1 S 2 AO, § 238 Abs 1 HGB

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