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  • 12.04.2007

    Bundesfinanzhof: Beschluss vom 14.02.2007 – XI B 108/05

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Gründe:

    I. Für den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erhob Frau Steuerberaterin X unter ihrer Kanzleianschrift A, B-Straße, am 18. April 2002 Klage gegen die Gewerbesteuermessbescheide 1991, 1992, 1993, 1995, 1997 und 1998.

    Die Ladung zur mündlichen Verhandlung am 2. Juni 2005 adressierte das Finanzgericht (FG) an die Prozessbevollmächtigte unter der Anschrift A, C-Straße. Ausweislich der Postzustellungsurkunde versuchte die Postzustellerin, Frau U, am 13. Mai 2005 dort die Ladung zu übergeben. Weil die Übergabe des Schriftstücks in der Wohnung/in dem Geschäftsraum nicht möglich gewesen sei, habe sie das Schriftstück "in dem zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung" eingelegt.

    Da für den Kläger zur mündlichen Verhandlung niemand erschienen war, ließ das FG durch den Geschäftsstellenleiter bei der Steuerberaterin des Klägers telefonisch anfragen, ob die Ladungsadresse C-Straße in A die derzeitige Kanzleianschrift sei. Die Prozessbevollmächtigte bestätigte dies, erklärte aber, sie habe die Ladung nicht erhalten. Das FG wies die Klage mit Urteil vom selben Tag ab. Das Urteil wurde von einem anderen Postbediensteten zugestellt und enthält ebenfalls den Hinweis einer vergeblichen persönlichen Übergabe des zuzustellenden Schriftstücks.

    Mit Schreiben vom 26. Juli 2005 sandte das Servicemanagement der Deutschen Post AG die Ladung, die "nachträglich im Bereich der Deutschen Post AG aufgefunden" worden sei, ohne dass nähere Umstände der Rückgabe bekannt seien, an das FG zurück. Die Ladung sei von der zuständigen Niederlassung der antwortenden Servicestelle der Deutschen Post AG zur Bearbeitung zugesandt worden. Auf dem zurückgesandten Briefumschlag ist die Anschrift der Steuerberaterin mit schwarzem Filzstift dick durchgestrichen und er enthält die Bemerkungen "RETOUR" und neben der Anschrift "unbekannt" sowie den Zusatz "HIER: D-Straße".

    Namens des Klägers legte die Prozessbevollmächtigte fristgerecht Nichtzulassungsbeschwerde ein, mit der sie Verletzung rechtlichen Gehörs geltend macht. Ausweislich des in den FG-Akten festgehaltenen Schriftverkehrs mit der Deutschen Post AG sei die Ladung nicht in ihren, sondern in einen anderen Briefkasten eingeworfen worden. Wäre die Ladung ordnungsgemäß zugestellt worden, hätte der Kläger in der mündlichen Verhandlung Unterlagen zum Beleg seiner freiberuflichen Tätigkeit vorlegen können.

    Der erkennende Senat hat am 10. Januar 2007 die Steuerberaterin Frau X und die Postbedienstete Frau U als Zeuginnen zu der Frage vernommen, ob die Ladung unter der Anschrift C-Straße in A zugestellt wurde. Auf das Protokoll über die Zeugenvernehmungen wird Bezug genommen.

    II. Die Beschwerde ist begründet. Das Urteil des FG wird gemäß § 116 Abs. 6 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen. Der Kläger war nicht ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen worden. Ist ein Beteiligter bzw. dessen Bevollmächtigter nicht ordnungsgemäß zum Termin geladen worden und deshalb auch nicht erschienen, muss das Gericht zur Vermeidung einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör den Termin aufheben oder vertagen (vgl. z.B. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 91 Rz 14).

    1. Die Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde im Streitfall nicht ordnungsgemäß zugestellt.

    Nach § 62 Abs. 3 Satz 5 FGO sind Zustellungen und Mitteilungen an den Bevollmächtigten zu richten, wenn ein solcher --wie hier-- bestellt ist. Nach § 53 Abs. 1 FGO sind Anordnungen und Entscheidungen, durch die eine Frist in Lauf gesetzt wird, sowie Terminbestimmungen und Ladungen zuzustellen, bei Verkündung jedoch nur, wenn es ausdrücklich vorgeschrieben ist. Nach § 53 Abs. 2 FGO wird von Amts wegen nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO), d.h. nach den §§ 166 ff. ZPO zugestellt. Im Streitfall fehlt es an einer ordnungsgemäßen Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung, weil die Voraussetzungen für die tatsächlich vorgenommene Ersatzzustellung nach § 180 ZPO nicht vorlagen.

    a) Nach § 177 ZPO sind Schriftstücke grundsätzlich durch Übergabe zuzustellen. Dementsprechend war die Ladung entweder der Bevollmächtigten des Klägers persönlich oder ggf. einem ihrer Angestellten zu übergeben (§ 62 Abs. 3 Satz 5 FGO, §§ 172, 178 ZPO). Dies ist --wie die Prozessbevollmächtigte des Klägers und die Postzustellerin übereinstimmend als Zeuginnen ausgesagt haben-- nicht geschehen.

    b) Nach § 180 ZPO kann ein Schriftstück in einem zu der Wohnung oder dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung, die der Adressat für den Postempfang eingerichtet hat und die in der allgemein üblichen Art für eine sichere Aufbewahrung geeignet ist, nur dann eingelegt werden, wenn eine Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 ZPO nicht ausführbar ist. Ausweislich der Postzustellungsurkunde vom 13. Mai 2005 wurde zwar der Versuch unternommen, die Ladung zu übergeben, da aber deren Übergabe "in der Wohnung/in dem Geschäftsraum nicht möglich" gewesen sei, sei sie in dem "zur Wohnung" gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt worden. Diese Angaben in der Postzustellungsurkunde sind jedoch, wie die Beweisaufnahme vor dem Senat ergeben hat, unrichtig. Zwar begründet eine Postzustellungsurkunde als öffentliche Urkunde nach § 182 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 418 Abs. 1 ZPO den vollen Beweis der von ihr bezeugten Tatsachen (vgl. hierzu z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 6. Oktober 2003 VII B 12/03, BFH/NV 2004, 497; Urteil des Bundesgerichtshofs vom 10. November 2005 III ZR 104/05, Neue Juristische Wochenschrift 2006, 150, m.w.N.). Im Streitfall ist jedoch der Gegenbeweis gemäß § 418 Abs. 2 ZPO durch den Beweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen geführt worden.

    Die als Zeugin vom Senat vernommene Postzustellerin hat ausgesagt, dass sie sich zwar an die Zustellung der hier streitigen Ladung am 13. Mai 2005 wegen Zeitablaufs nicht mehr konkret erinnern könne. Sie unternehme jedoch grundsätzlich nicht den Versuch, zuzustellende Schriftstücke persönlich zu übergeben. Das sei auch nicht üblich. Dementsprechend lege sie zuzustellende Schriftstücke regelmäßig in den jeweiligen Briefkasten ein und dokumentiere dies in der Postzustellungsurkunde, wie dies auch im Streitfall geschehen sei. Diese Aussage der Postzustellerin deckt sich mit derjenigen der als Zeugin vernommenen Steuerberaterin, die bestätigt hat, dass die Post regelmäßig um 11.00 Uhr in ihre Kanzlei geliefert werde. Dort beschäftige sie vier Angestellte. Die Kanzlei sei daher allenfalls in der Mittagspause nicht besetzt. Damit ist zur Überzeugung des Senats die Unrichtigkeit der Angaben zu den Voraussetzungen der Ersatzzustellung in der Postzustellungsurkunde erwiesen.

    2. Der Zustellungsmangel ist auch nicht nach § 189 ZPO geheilt. Der Senat lässt dahingestellt, inwieweit nicht zuletzt in Anbetracht der Haftungsrisiken eines Prozessbevollmächtigten und der Schwierigkeit, den Nichterhalt einer Ladung zu beweisen, offenkundige und bewusst oder grob fahrlässig gemachte unzutreffende Angaben in der Postzustellungsurkunde überhaupt geeignet sind, den tatsächlichen Zugang eines zuzustellenden Schriftstückes i.S. des § 189 ZPO zu belegen. Jedenfalls unter den im Streitfall gegebenen Umständen lässt sich der Zugang der Ladung bei der Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht mit Gewissheit feststellen:

    - Die Prozessbevollmächtigte hat als Zeugin vor dem Senat ausgesagt und auch schon am Tag der mündlichen Verhandlung gegenüber dem Geschäftsstellenleiter des FG erklärt, die Ladung nicht erhalten zu haben. Sie hat ferner auf zunehmende, bereits beim zuständigen Postamt ergebnislos gerügte Schwierigkeiten mit der Postzustellung in ihrer Kanzlei hingewiesen.

    - Nach der Postzustellungsurkunde wurde die Ladung zudem in einen "zur Wohnung" gehörenden Briefkasten eingelegt. Wie die Prozessbevollmächtigte aber glaubhaft und unbestritten ausgesagt hat, befindet sich in der C-Straße in A nicht ihre Wohnung, sondern ihre Kanzlei (mit vier Angestellten). Bei dem Gebäude handelt es sich zudem um ein Geschäfts-, kein (Mehrfamilien-)Wohnhaus.

    - Die Ladung ist in der Folgezeit wieder in den Postverkehr gebracht worden und auf diese Weise an das FG zurückgelangt. Die handschriftlichen Anmerkungen auf dem entsprechenden Briefumschlag lassen es als möglich erscheinen, dass die Ladung in einen anderen Briefkasten eingelegt wurde. Da die Zustellerin eine persönliche Übergabe der zuzustellenden Schriftstücke regelmäßig nicht unternimmt, konnte ihr gegenüber auch der tatsächliche Empfänger die Fehlzustellung nicht beanstanden.

    - Der erkennende Senat konnte sich auch nicht davon überzeugen, dass die Prozessbevollmächtigte selbst oder eine ihrer Angestellten die Ladung wieder in den Postverkehr gebracht haben. Sie hat ausgesagt, die Schrift auf dem Briefumschlag nicht zu kennen. Zwar hat der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) in der Beweisaufnahme einen losen Briefumschlag vorgelegt, auf dem in einer durchaus ähnlichen Schrift "retour" und "falsch" vermerkt sind. Es ergaben sich aber keine Anhaltspunkte dafür, dass er jemals ein Schreiben oder einen Steuerbescheid an die Prozessbevollmächtigte des Klägers enthalten hatte. Er war unpaginiert und trotz einer Lochung nicht in der vom FA vorgelegten Steuerakte abgeheftet. Auch in seiner Stellungnahme zur Beweisaufnahme wird vom FA nicht belegt, dass dieser Briefumschlag an die Klägerverteterin adressierte Schreiben oder Steuerbescheide enthalten hatte.

    Zu Recht weist zwar das FA in seiner Stellungnahme zur Beweisaufnahme darauf hin, dass der Briefumschlag, in dem die Ladung enthalten war, auffallenderweise --nachdem er wieder in den Postverkehr gelangt ist-- von der Post mit dem Datumsstempel des 13. Juli 2005 versehen wurde, genau des Tages, an dem der Prozessbevollmächtigten das Urteil in der Streitsache zugestellt wurde. Dies weist aber nicht nach, dass die Ladung der Prozessbevollmächtigten des Klägers tatsächlich zugegangen ist. Zum einen ergibt sich daraus nicht mit der gebotenen Gewissheit, dass dieser Briefumschlag im Anschluss an die Einlegung des Urteils am 13. Juli 2005, also nach ca. 11.00 Uhr von der Prozessbevollmächtigten oder einer ihrer Angestellten wieder in den Postverkehr gebracht wurde. Zum anderen erscheint es dem Senat sehr ungewöhnlich, dass die Prozessbevollmächtigte am Tag der mündlichen Verhandlung gegenüber der Geschäftsstelle des FG erklärt, die Ladung nicht erhalten zu haben, dann aber "Mit-dem-in-den-Postverkehr-Bringen" der Ladung bis zur Zustellung des Urteils zuwartet.

    Die Tatsache, dass die Prozessbevollmächtigte bereits früher gegenüber dem FA behauptet hatte, Steuerbescheide für ihre Mandanten nicht erhalten zu haben, beweist --entgegen der Auffassung des FA-- ebenfalls nicht, dass die streitige Ladung der Prozessbevollmächtigten tatsächlich zugegangen ist. Die Prozessbevollmächtigte hat ausgesagt, dass es in ihrem Zustellbezirk wiederholt zu Fehlzustellungen kommt. Das ist durchaus möglich. Auch hat die Postzustellerin ausgesagt, dass sie ständig als Vertreterin eingesetzt ist, so dass das Risiko von Fehlzustellungen erfahrungsgemäß steigt.

    RechtsgebieteFGO, ZPO