14.11.2017 · IWW-Abrufnummer 197613
Finanzgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 22.08.2017 – 3 K 2227/15
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Im Namen des Volkes
Verkündet am: 22.08.2017
Urteil
3 K 2227/15
In dem Finanzrechtsstreit
xxx
wegen Einkommensteuer 2001 AO/FGO-Sachen
hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz - 3. Senat - aufgrund mündlicher Verhandlung vom 22. August 2017 durch
xxx
für Recht erkannt:
I. Der Einkommensteuerbescheid 2001 vom 11. Januar 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. Oktober 2015 wird aufgehoben, soweit die Einkünfte der Klägerin aus selbstständiger Tätigkeit geändert wurden.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten zu Gunsten der Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beklagte den Einkommensteuerbescheid für 2001 vom 7. April 2006 zu Lasten der Klägerin ändern durfte.
Mit der Einkommensteuererklärung für 2001 machte die Klägerin Verluste aus selbständiger Tätigkeit als Diplomdesignerin (Pflanzencollagen) geltend, die vom Beklagten im Erstveranlagungsbescheid zur Einkommensteuer 2001 vom 20. November 2002 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 AO nicht angesetzt wurden.
Mit Bescheid vom 6. Januar 2003 wurden entsprechende Verluste aus selbständiger Tätigkeit in Höhe von 12.219 DM in Ansatz gebracht und der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben. Der Bescheid erging „nach § 165 Abs. 1 Satz 1 und 2 AO teilweise vorläufig“. In den Erläuterungen wird dazu ausgeführt, der Bescheid sei vorläufig hinsichtlich der Einkünfte aus selbständiger Arbeit, weil zur Zeit die Gewinnerzielungsabsicht nicht abschließend beurteilt werden könne. Der Bescheid sei im Hinblick auf anhängige Verfassungsbeschwerden bzw. andere gerichtliche Verfahren vorläufig hinsichtlich der beschränkten Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3 EStG).
Für die Folgejahre (Veranlagungszeiträume 2002 bis einschließlich 2005) wurden die Einkünfte der Klägerin aus selbständiger Arbeit ohne entsprechenden Vorläufigkeitsvermerk (also endgültig) in Ansatz gebracht, unabhängig davon, ob sie positiv (2002, 2003, 2005) oder negativ (2004) waren (s. den Überwachungsbogen „Gewinnerzielungsabsicht-Liebhaberei“).
Mit Bescheid vom 7. April 2006 wurde der Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 2001 unter Berufung auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geändert (Erstattung Kirchensteuer). Auch dieser Bescheid erging “nach § 165 Abs. 1 Satz 1 und 2 AO teilweise vorläufig“. In den Erläuterungen heißt es:
„Die Festsetzung der Einkommensteuer ist im Hinblick auf vor dem Bundesverfassungsgericht, dem Bundesfinanzhof bzw. dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften anhängige Verfahren vorläufig hinsichtlich
Dagegen legten die Kläger seinerzeit Einspruch ein, den sie allerdings wieder zurücknahmen.
Für die Veranlagungszeiträume 2006 und 2007 wurden die Einkünfte der Klägerin aus selbständiger Arbeit einmal mit (2006) und einmal ohne (2007) entsprechenden Vorläufigkeitsvermerk in Ansatz gebracht (s. den Überwachungsbogen „Gewinnerzielungsabsicht-Liebhaberei“).
Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 2008 kam der Beklagte zu dem Ergebnis, dass die Klägerin ihre Tätigkeit als selbstständige Designerin auch in den vorangegangen Jahren nicht mit Gewinnerzielungsabsicht betrieben habe. Aus diesem Grund erließ er am 11. Januar 2011 einen Änderungsbescheid (u.a.) für 2001 und erkannte die Verluste nicht mehr an. In dem Änderungsbescheid wird ausgeführt, er sei nach § 165 Abs. 2 Satz 2 AO mit Ausnahme der im Abschnitt „Erläuterungen“ genannten Punkte endgültig. Er sei nach § 165 Abs. 2 Satz 1 AO geändert und nach § 165 Abs. 1 Satz 2 AO teilweise vorläufig. In den Erläuterungen wurde u.a. ausgeführt, nach der Betrachtung der erklärten Einkünfte aus der selbständigen künstlerischen Tätigkeit der Klägerin ab dem Jahr 1998 liege eine einkommensteuerlich beachtliche Tätigkeit nicht vor. Ein Totalgewinn sei bei der bisherigen Gestaltung der Tätigkeit nicht zu erzielen.
Dagegen legten die Kläger Einspruch ein und machten geltend, die Tätigkeit sei nicht als Liebhaberei einzustufen.
Mit Einspruchsentscheidung (auch für 2001) vom 22. Oktober 2015 wurden Grund und Umfang der Vorläufigkeit nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 4 AO aktualisiert und im Übrigen der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.
Am 23. November 2015 haben die Kläger Klage erhoben.
Sie tragen vor, für den Änderungsbescheid vom 11. Januar 2011 fehle die erforderliche Rechtsgrundlage, da der Bescheid vom 7. April 2006 insoweit (Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit) nicht vorläufig ergangen sei. Dass es sich um Liebhaberei gehandelt habe, werde nicht angegriffen.
Das vom Beklagten angeführte Urteil des BFH vom 19. Oktober 1999 (IX R 23/98) bestätige die Rechtsauffassung der Kläger, dass der Vorläufigkeitsvermerk durch einen im Änderungsbescheid enthaltenen neuen Vorläufigkeitsvermerk von seinem Umfang der Vorläufigkeit her neu bestimmt werde. Diese Rechtsprechung habe der BFH in den Jahren 2013 und 2015 konkretisiert.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
den Einkommensteuerbescheid 2001 vom 11. Januar 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. Oktober 2015 aufzuheben, soweit die Einkünfte der Klägerin aus selbstständiger Tätigkeit geändert wurden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Er vertieft und ergänzt sein bisheriges Vorbringen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Der Änderungsbescheid des Beklagten vom 11. Januar 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. Oktober 2015 ist – soweit angefochten (Änderung der Einkünfte der Klägerin aus selbständiger Tätigkeit) – rechtswidrig, verletzt die Kläger in ihren Rechten und ist daher aufzuheben (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO), weil es an der erforderlichen Rechtsgrundlage für diese Änderung fehlt.
Der Beklagte hat zu Unrecht angenommen, dass die mit Bescheid vom 6. Januar 2003 ausgesprochene Vorläufigkeit der Besteuerung der Einkünfte der Klägerin aus selbständiger Tätigkeit in dem Änderungsbescheid vom 7. April 2006 unverändert geblieben und er daher befugt gewesen sei, diese Einkünfte mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 11. Januar 2011 unter Berufung auf § 165 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 AO zu ändern.
Nach § 165 Abs. 2 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde Steuerfestsetzungen aufheben oder ändern, soweit sie die Steuer vorläufig festgesetzt hat.
Die Voraussetzungen für eine solche vorläufige Steuerfestsetzung enthält § 165 Abs. 1 AO. Danach kommt eine vorläufige Steuerfestsetzung in Betracht, soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für die Entstehung einer Steuer eingetreten sind (Satz 1 der Vorschrift) oder einer der in Satz 2 der Vorschrift geregelten Tatbestände gegeben ist.
Hat das Finanzamt die Steuer - wie im Streitfall mit den Bescheiden vom 6. Januar 2003 und vom 7. April 2006 geschehen - unter Bezugnahme auf Gründe i.S. des § 165 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 AO vorläufig festgesetzt, so bleibt der Vorläufigkeitsvermerk bis zu seiner ausdrücklichen Aufhebung wirksam. Eine stillschweigende Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks durch eine Änderungsveranlagung, auch wenn sie auf eine (andere) Korrekturvorschrift gestützt ist, ist ausgeschlossen (vgl. BFH-Urteil vom 14. Juli 2015 VIII R 21/13, BFHE 253, 1, BStBl II 2016, 371 m.w.N.).
Eine vorläufige Steuerfestsetzung wird jedoch dann gemäß § 165 Abs. 2 AO geändert, wenn das FA einen nachfolgenden Änderungsbescheid mit einem gegenüber dem Erstbescheid inhaltlich eingeschränkten Vorläufigkeitsvermerk versieht; denn ein in einem Änderungsbescheid enthaltener Vorläufigkeitsvermerk, der an die Stelle eines bereits im Erstbescheid enthaltenen Vorläufigkeitsvermerks tritt, bestimmt den Umfang der Vorläufigkeit neu und regelt abschließend, inwieweit die Steuer nunmehr vorläufig festgesetzt ist (BFH-Urteil vom 19. Oktober 1999 IX R 23/98, BFHE 190, 44, BStBl II 2000, 282). Dies gilt auch dann, wenn ein sowohl auf § 165 Abs. 1 Satz 1 AO als auch auf Satz 2 dieser Vorschrift gestützter Vorläufigkeitsvermerk im geänderten Bescheid durch einen allein auf § 165 Abs. 1 Satz 2 AO gestützten Vorläufigkeitsvermerk ersetzt wird (BFH-Urteil vom 14. Juli 2015 VIII R 21/13, a.a.O.). Eine andere Beurteilung stünde in Widerspruch zu § 124 Abs. 1 Satz 2 AO, wonach ein Vorläufigkeitsvermerk als Nebenbestimmung zu einem Verwaltungsakt in gleicher Weise wie der Verwaltungsakt selbst mit dem Inhalt wirksam wird, mit dem er bekanntgegeben wird (BFH-Urteil vom 19. Oktober 1999 IX R 23/98, a.a.O.). Für den Regelungsinhalt der Nebenbestimmung ist danach entscheidend, wie der Adressat ihren materiellen Gehalt nach den ihm bekannten Umständen - seinem "objektiven Verständnishorizont" - unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte (ebenda). Da Umfang und Grund der Vorläufigkeit nach § 165 Abs. 1 Satz 3 AO anzugeben sind, muss der Steuerpflichtige den in einem Änderungsbescheid enthaltenen – geänderten - Vorläufigkeitsvermerk so verstehen, dass der Umfang der Vorläufigkeit gegenüber dem ursprünglichen Bescheid geändert und nun im Änderungsbescheid abschließend umschrieben worden ist (ebenda). Es wäre mit dem Grundsatz des § 124 Abs. 1 Satz 2 AO nicht zu vereinbaren, dem Steuerpflichtigen die Spekulation darüber zuzumuten, ob die Einengung des Vorläufigkeitsvermerks auf erneuter Prüfung oder auf einem Versehen beruht (ebenda).
Vor diesem Hintergrund ist der im Änderungsbescheid vom 7. April 2006 im Verhältnis zum Ursprungsbescheid inhaltlich geänderte Vorläufigkeitsvermerk so zu verstehen, dass der Umfang der Vorläufigkeit gegenüber dem ursprünglichen Bescheid geändert und nun im Änderungsbescheid abschließend umschrieben worden ist. Dies ergibt sich aus Folgendem:
Der Ursprungsbescheid vom 6. Januar 2003 enthielt einen sowohl auf § 165 Abs. 1 Satz 1 AO gestützten (vom Bearbeiter manuell eingegebenen) Vorläufigkeitsvermerk als auch einen auf § 165 Abs. 1 Satz 2 AO gestützten (vom Rechenzentrum maschinell gesetzten) Vorläufigkeitsvermerk, ohne allerdings kenntlich zu machen, welcher der mitgeteilten Vorläufigkeitsgründe Satz 1 oder Satz 2 der genannten Vorschrift zuzuordnen sein soll. Denn auf der Seite 1 des Bescheides heißt es (unter der Überschrift „Festsetzung“) ohne nähere Erläuterung:
„Der Bescheid ist nach § 165 Abs. 1 Satz 1 und 2 AO teilweise vorläufig“.
Auf den Seiten 3 und 4 des Bescheides wurden dann zwar Grund und Umfang der Vorläufigkeit konkretisiert und mitgeteilt, dass der Bescheid hinsichtlich der Einkünfte aus selbständiger Arbeit (weil zur Zeit die Gewinnerzielungsabsicht nicht abschließend beurteilt werden könne) und im Hinblick auf anhängige Verfassungsbeschwerden bzw. andere gerichtliche Verfahren hinsichtlich der beschränkten Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3 EStG) vorläufig sei. Bei welchem dieser Gründe es sich um einen solchen nach § 165 Absatz 1 Satz 1 AO oder um einen nach § 165 Absatz 1 Satz 2 AO handeln soll, ist hingegen weder erläutert noch sonst ersichtlich.
Der Änderungsbescheid vom 7. April 2006 enthält zwar nach der Überschrift "Festsetzung" nach wie vor den Hinweis, dass der Bescheid nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO und § 165 Abs. 1 Satz 2 AO vorläufig sei. In dem Erläuterungsteil fehlt jedoch jeglicher Hinweis darauf, dass sich die Vorläufigkeit weiterhin auf die Einkünfte der Klägerin aus selbständiger Tätigkeit beziehen soll. In den Erläuterungen heißt es nämlich:
„Die Festsetzung der Einkommensteuer ist im Hinblick auf vor dem Bundesverfassungsgericht, dem Bundesfinanzhof bzw. dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften anhängige Verfahren vorläufig hinsichtlich
Angesicht dieser umfassenden Änderungen mussten die Kläger den im Verhältnis zum Ursprungsbescheid nicht unerheblich erweiterten Vorläufigkeitsvermerk grundsätzlich so verstehen, dass der Umfang der Vorläufigkeit gegenüber dem ursprünglichen Bescheid geändert und nun im Änderungsbescheid abschließend umschrieben worden ist. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus § 165 Abs. 1 Satz 3 AO. Danach muss das Finanzamt in allen Fällen der vorläufigen Festsetzung bzw. Feststellung Grund und Umfang der Vorläufigkeit für den Steuerpflichtigen ausreichend erkennbar angeben (BFH-Urteil vom 21. August 2013 X R 20/10, BFH/NV 2014, 524; BFH-Urteil vom 12. Juli 2007 X R 22/05, BFHE 218, 26, BStBl II 2008, 2 m.w.N.). Die Reichweite der Vorläufigkeit muss daher grundsätzlich dem Bescheid entnommen werden können, was zweifelsfrei durch den Wortlaut der Erläuterungen und durch eine klare Formulierung erreicht wird (BFH-Urteil vom 21. August 2013 X R 20/10, a.a.O.). Fehlen Erläuterungen oder ist die Formulierung unklar, so kann der Vorläufigkeitsvermerk dennoch wirksam sein, wenn sich der Umfang der Vorläufigkeit im Wege der Auslegung aus Sicht eines objektiven Empfängers feststellen lässt (ebenda). Die von § 165 Abs. 1 Satz 3 AO geforderten Angaben dienen dem Rechtsschutzinteresse des Steuerpflichtigen (BFH-Urteil vom 12. Juli 2007 X R 22/05, a.a.O.). Er soll wissen, welche Umstände der endgültigen Festsetzung bzw. Feststellung entgegenstehen und hinsichtlich welcher als ungewiss betrachteten Tatsachen sich das Finanzamt eine weitere Überprüfung vorbehält (ebenda).
Im vorliegenden Fall gab es für die Kläger keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Änderungsbescheid vom 7. April 2006 weiterhin in Bezug auf die Einkünfte der Klägerin aus selbständiger Tätigkeit vorläufig sein solle. Denn der Bescheid als solcher enthielt – wie dargelegt – keinen entsprechenden Hinweis und auch außerhalb des Bescheides lagen keine Umstände vor, die den Klägern hätten Veranlassung geben können, eine solche Vorläufigkeit auch nur zu vermuten. Das Gericht folgert dies aus dem Umstand, dass der Beklagte entsprechende Einkünfte der Klägerin für die dem Streitjahr 2001 folgenden Jahre 2002 bis einschließlich 2005 ohne Vorläufigkeitsvermerk (also endgültig) in Ansatz gebracht, und zwar unabhängig davon, ob sie positiv (2002, 2003, 2005) oder negativ (2004) waren (s. den Überwachungsbogen „Gewinnerzielungsabsicht-Liebhaberei“).
Der Beklagte war daher nicht befugt, den Bescheid vom 7. April 2006 mit dem angefochtenen Bescheid vom 11. Januar 2011 unter Berufung auf § 165 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 AO zu ändern und – wegen fehlender Gewinnerzielungsabsicht - keine Verluste der Klägerin aus selbständiger Tätigkeit mehr in Ansatz zu bringen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der vom Beklagten zu tragenden Kosten beruht auf §§ 151 Abs. 2 und 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr.10, 711 ZPO.
Die Revision ist aus folgenden Gründen wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) und zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt.1 FGO) zuzulassen:
Im vorliegenden Fall stellt sich die vom BFH bislang noch nicht entschiedene Frage, ob ein zuvor manuell gesetzter Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO auch dann noch Gültigkeit hat, wenn er in einem nachfolgenden Änderungsbescheid in der hier vorliegenden Form „wiederholt“ wird (nur Hinweis auf § 165 Abs. 1 Satz 1 AO unter der Überschrift „Festsetzung“, ohne Grund und Umfang der Vorläufigkeit i.S. des § 165 Abs. 1 Satz 1 AO im Erläuterungsteil anzugeben). Die Antwort auf diese Frage lässt sich insbesondere den Entscheidungen vom 19. Oktober 1999 (IX R 23/98, BFHE 190, 44, BStBl II 2000, 282) und 14. Juli 2015 (VIII R 21/13, BFHE 253, 1, BStBl II 2016, 371) nicht zweifelsfrei entnehmen.
Die Revision ist außerdem zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) zuzulassen, weil das Gericht anderer Auffassung ist als das FG Münster, das in seinem Urteil vom 25. Mai 2012 (4 K 511/11 E, EFG 2012, 1616) sogar angenommen hat, dass ein im ursprünglichen Steuerbescheid (neben einem maschinell gesetzten Vermerk nach § 165 Abs. 1 Satz 2 AO) manuell gesetzter Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO selbst dann weiterhin Gültigkeit hat, wenn er in einem nachfolgenden Änderungsbescheid weder im „Tenor“ noch im Erläuterungsteil des Bescheides wiederholt wird und der Änderungsbescheid nur noch den maschinell gesetzten Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 Satz 2 AO enthält.
Rechtsmittelbelehrung
Die Revision ist nicht zugelassen worden. Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.
Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Bundesfinanzhof einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Der Beschwerdeschrift soll eine Abschrift oder Ausfertigung des angefochtenen Urteils beigefügt werden. Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Auch die Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen. In der Begründung muss dargelegt werden, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder, dass die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder dass ein Verfahrensfehler vorliegt, auf dem das Urteil des Finanzgerichts beruhen kann.
Für die Einlegung und Begründung der Beschwerde vor dem Bundesfinanzhof besteht Vertretungszwang. Zur Vertretung der Beteiligten vor dem Bundesfinanzhof berechtigt sind Rechtsanwälte, Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer oder vereidigte Buchprüfer; zur Vertretung berechtigt sind auch Gesellschaften im Sinne des § 3 Nr. 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch solche Personen handeln. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Der Bundesfinanzhof hat die Postanschrift: Postfach 86 02 40, 81629 München, und die Hausanschrift: Ismaninger Str. 109, 81675 München, sowie den Telefax-Anschluss: 089/ 9231-201.
Lässt der Bundesfinanzhof aufgrund der Beschwerde die Revision zu, so wird das Verfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht. Innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses des Bundesfinanzhofs ist jedoch bei dem Bundesfinanzhof eine Begründung der Revision einzureichen. Die Beteiligten müssen sich auch im Revisionsverfahren nach Maßgabe des dritten Absatzes dieser Belehrung vertreten lassen.
Hinweis:
Rechtsmittel können auch über den elektronischen Gerichtsbriefkasten des Bundesfinanzhofs eingelegt und begründet werden, der über die vom Bundesfinanzhof zur Verfügung gestellte Zugangs- und Übertragungssoftware erreichbar ist. Die Software kann über die Internetseite www.bundesfinanzhof.de lizenzkostenfrei heruntergeladen werden. Hier befinden sich auch weitere Informationen über die Einzelheiten des Verfahrens, das nach der Verordnung der Bundesregierung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesverwaltungsgericht und beim Bundesfinanzhof vom 26. November 2004 (BGBl. I S.3091) einzuhalten ist.
gez. Amendt gez. Weiß gez. Gebel
Verkündet am: 22.08.2017
Urteil
3 K 2227/15
In dem Finanzrechtsstreit
xxx
wegen Einkommensteuer 2001 AO/FGO-Sachen
hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz - 3. Senat - aufgrund mündlicher Verhandlung vom 22. August 2017 durch
xxx
für Recht erkannt:
I. Der Einkommensteuerbescheid 2001 vom 11. Januar 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. Oktober 2015 wird aufgehoben, soweit die Einkünfte der Klägerin aus selbstständiger Tätigkeit geändert wurden.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten zu Gunsten der Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beklagte den Einkommensteuerbescheid für 2001 vom 7. April 2006 zu Lasten der Klägerin ändern durfte.
Mit der Einkommensteuererklärung für 2001 machte die Klägerin Verluste aus selbständiger Tätigkeit als Diplomdesignerin (Pflanzencollagen) geltend, die vom Beklagten im Erstveranlagungsbescheid zur Einkommensteuer 2001 vom 20. November 2002 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 AO nicht angesetzt wurden.
Mit Bescheid vom 6. Januar 2003 wurden entsprechende Verluste aus selbständiger Tätigkeit in Höhe von 12.219 DM in Ansatz gebracht und der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben. Der Bescheid erging „nach § 165 Abs. 1 Satz 1 und 2 AO teilweise vorläufig“. In den Erläuterungen wird dazu ausgeführt, der Bescheid sei vorläufig hinsichtlich der Einkünfte aus selbständiger Arbeit, weil zur Zeit die Gewinnerzielungsabsicht nicht abschließend beurteilt werden könne. Der Bescheid sei im Hinblick auf anhängige Verfassungsbeschwerden bzw. andere gerichtliche Verfahren vorläufig hinsichtlich der beschränkten Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3 EStG).
Für die Folgejahre (Veranlagungszeiträume 2002 bis einschließlich 2005) wurden die Einkünfte der Klägerin aus selbständiger Arbeit ohne entsprechenden Vorläufigkeitsvermerk (also endgültig) in Ansatz gebracht, unabhängig davon, ob sie positiv (2002, 2003, 2005) oder negativ (2004) waren (s. den Überwachungsbogen „Gewinnerzielungsabsicht-Liebhaberei“).
Mit Bescheid vom 7. April 2006 wurde der Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 2001 unter Berufung auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geändert (Erstattung Kirchensteuer). Auch dieser Bescheid erging “nach § 165 Abs. 1 Satz 1 und 2 AO teilweise vorläufig“. In den Erläuterungen heißt es:
„Die Festsetzung der Einkommensteuer ist im Hinblick auf vor dem Bundesverfassungsgericht, dem Bundesfinanzhof bzw. dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften anhängige Verfahren vorläufig hinsichtlich
- der Höhe des Behinderten-Pauschbetrages (§ 33b Abs. 3 EStG)
- der Nichtberücksichtigung pauschaler Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben in Höhe der steuerfreien Aufwandsentschädigung nach § 12 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages
- der Nichtabziehbarkeit von Beiträgen zu Rentenversicherungen als vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften im Sinne des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a EStG
- der beschränkten Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3 EStG)“
Dagegen legten die Kläger seinerzeit Einspruch ein, den sie allerdings wieder zurücknahmen.
Für die Veranlagungszeiträume 2006 und 2007 wurden die Einkünfte der Klägerin aus selbständiger Arbeit einmal mit (2006) und einmal ohne (2007) entsprechenden Vorläufigkeitsvermerk in Ansatz gebracht (s. den Überwachungsbogen „Gewinnerzielungsabsicht-Liebhaberei“).
Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 2008 kam der Beklagte zu dem Ergebnis, dass die Klägerin ihre Tätigkeit als selbstständige Designerin auch in den vorangegangen Jahren nicht mit Gewinnerzielungsabsicht betrieben habe. Aus diesem Grund erließ er am 11. Januar 2011 einen Änderungsbescheid (u.a.) für 2001 und erkannte die Verluste nicht mehr an. In dem Änderungsbescheid wird ausgeführt, er sei nach § 165 Abs. 2 Satz 2 AO mit Ausnahme der im Abschnitt „Erläuterungen“ genannten Punkte endgültig. Er sei nach § 165 Abs. 2 Satz 1 AO geändert und nach § 165 Abs. 1 Satz 2 AO teilweise vorläufig. In den Erläuterungen wurde u.a. ausgeführt, nach der Betrachtung der erklärten Einkünfte aus der selbständigen künstlerischen Tätigkeit der Klägerin ab dem Jahr 1998 liege eine einkommensteuerlich beachtliche Tätigkeit nicht vor. Ein Totalgewinn sei bei der bisherigen Gestaltung der Tätigkeit nicht zu erzielen.
Dagegen legten die Kläger Einspruch ein und machten geltend, die Tätigkeit sei nicht als Liebhaberei einzustufen.
Mit Einspruchsentscheidung (auch für 2001) vom 22. Oktober 2015 wurden Grund und Umfang der Vorläufigkeit nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 4 AO aktualisiert und im Übrigen der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.
Am 23. November 2015 haben die Kläger Klage erhoben.
Sie tragen vor, für den Änderungsbescheid vom 11. Januar 2011 fehle die erforderliche Rechtsgrundlage, da der Bescheid vom 7. April 2006 insoweit (Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit) nicht vorläufig ergangen sei. Dass es sich um Liebhaberei gehandelt habe, werde nicht angegriffen.
Das vom Beklagten angeführte Urteil des BFH vom 19. Oktober 1999 (IX R 23/98) bestätige die Rechtsauffassung der Kläger, dass der Vorläufigkeitsvermerk durch einen im Änderungsbescheid enthaltenen neuen Vorläufigkeitsvermerk von seinem Umfang der Vorläufigkeit her neu bestimmt werde. Diese Rechtsprechung habe der BFH in den Jahren 2013 und 2015 konkretisiert.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
den Einkommensteuerbescheid 2001 vom 11. Januar 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. Oktober 2015 aufzuheben, soweit die Einkünfte der Klägerin aus selbstständiger Tätigkeit geändert wurden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Er vertieft und ergänzt sein bisheriges Vorbringen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Der Änderungsbescheid des Beklagten vom 11. Januar 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. Oktober 2015 ist – soweit angefochten (Änderung der Einkünfte der Klägerin aus selbständiger Tätigkeit) – rechtswidrig, verletzt die Kläger in ihren Rechten und ist daher aufzuheben (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO), weil es an der erforderlichen Rechtsgrundlage für diese Änderung fehlt.
Der Beklagte hat zu Unrecht angenommen, dass die mit Bescheid vom 6. Januar 2003 ausgesprochene Vorläufigkeit der Besteuerung der Einkünfte der Klägerin aus selbständiger Tätigkeit in dem Änderungsbescheid vom 7. April 2006 unverändert geblieben und er daher befugt gewesen sei, diese Einkünfte mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 11. Januar 2011 unter Berufung auf § 165 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 AO zu ändern.
Nach § 165 Abs. 2 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde Steuerfestsetzungen aufheben oder ändern, soweit sie die Steuer vorläufig festgesetzt hat.
Die Voraussetzungen für eine solche vorläufige Steuerfestsetzung enthält § 165 Abs. 1 AO. Danach kommt eine vorläufige Steuerfestsetzung in Betracht, soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für die Entstehung einer Steuer eingetreten sind (Satz 1 der Vorschrift) oder einer der in Satz 2 der Vorschrift geregelten Tatbestände gegeben ist.
Hat das Finanzamt die Steuer - wie im Streitfall mit den Bescheiden vom 6. Januar 2003 und vom 7. April 2006 geschehen - unter Bezugnahme auf Gründe i.S. des § 165 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 AO vorläufig festgesetzt, so bleibt der Vorläufigkeitsvermerk bis zu seiner ausdrücklichen Aufhebung wirksam. Eine stillschweigende Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks durch eine Änderungsveranlagung, auch wenn sie auf eine (andere) Korrekturvorschrift gestützt ist, ist ausgeschlossen (vgl. BFH-Urteil vom 14. Juli 2015 VIII R 21/13, BFHE 253, 1, BStBl II 2016, 371 m.w.N.).
Eine vorläufige Steuerfestsetzung wird jedoch dann gemäß § 165 Abs. 2 AO geändert, wenn das FA einen nachfolgenden Änderungsbescheid mit einem gegenüber dem Erstbescheid inhaltlich eingeschränkten Vorläufigkeitsvermerk versieht; denn ein in einem Änderungsbescheid enthaltener Vorläufigkeitsvermerk, der an die Stelle eines bereits im Erstbescheid enthaltenen Vorläufigkeitsvermerks tritt, bestimmt den Umfang der Vorläufigkeit neu und regelt abschließend, inwieweit die Steuer nunmehr vorläufig festgesetzt ist (BFH-Urteil vom 19. Oktober 1999 IX R 23/98, BFHE 190, 44, BStBl II 2000, 282). Dies gilt auch dann, wenn ein sowohl auf § 165 Abs. 1 Satz 1 AO als auch auf Satz 2 dieser Vorschrift gestützter Vorläufigkeitsvermerk im geänderten Bescheid durch einen allein auf § 165 Abs. 1 Satz 2 AO gestützten Vorläufigkeitsvermerk ersetzt wird (BFH-Urteil vom 14. Juli 2015 VIII R 21/13, a.a.O.). Eine andere Beurteilung stünde in Widerspruch zu § 124 Abs. 1 Satz 2 AO, wonach ein Vorläufigkeitsvermerk als Nebenbestimmung zu einem Verwaltungsakt in gleicher Weise wie der Verwaltungsakt selbst mit dem Inhalt wirksam wird, mit dem er bekanntgegeben wird (BFH-Urteil vom 19. Oktober 1999 IX R 23/98, a.a.O.). Für den Regelungsinhalt der Nebenbestimmung ist danach entscheidend, wie der Adressat ihren materiellen Gehalt nach den ihm bekannten Umständen - seinem "objektiven Verständnishorizont" - unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte (ebenda). Da Umfang und Grund der Vorläufigkeit nach § 165 Abs. 1 Satz 3 AO anzugeben sind, muss der Steuerpflichtige den in einem Änderungsbescheid enthaltenen – geänderten - Vorläufigkeitsvermerk so verstehen, dass der Umfang der Vorläufigkeit gegenüber dem ursprünglichen Bescheid geändert und nun im Änderungsbescheid abschließend umschrieben worden ist (ebenda). Es wäre mit dem Grundsatz des § 124 Abs. 1 Satz 2 AO nicht zu vereinbaren, dem Steuerpflichtigen die Spekulation darüber zuzumuten, ob die Einengung des Vorläufigkeitsvermerks auf erneuter Prüfung oder auf einem Versehen beruht (ebenda).
Vor diesem Hintergrund ist der im Änderungsbescheid vom 7. April 2006 im Verhältnis zum Ursprungsbescheid inhaltlich geänderte Vorläufigkeitsvermerk so zu verstehen, dass der Umfang der Vorläufigkeit gegenüber dem ursprünglichen Bescheid geändert und nun im Änderungsbescheid abschließend umschrieben worden ist. Dies ergibt sich aus Folgendem:
Der Ursprungsbescheid vom 6. Januar 2003 enthielt einen sowohl auf § 165 Abs. 1 Satz 1 AO gestützten (vom Bearbeiter manuell eingegebenen) Vorläufigkeitsvermerk als auch einen auf § 165 Abs. 1 Satz 2 AO gestützten (vom Rechenzentrum maschinell gesetzten) Vorläufigkeitsvermerk, ohne allerdings kenntlich zu machen, welcher der mitgeteilten Vorläufigkeitsgründe Satz 1 oder Satz 2 der genannten Vorschrift zuzuordnen sein soll. Denn auf der Seite 1 des Bescheides heißt es (unter der Überschrift „Festsetzung“) ohne nähere Erläuterung:
„Der Bescheid ist nach § 165 Abs. 1 Satz 1 und 2 AO teilweise vorläufig“.
Auf den Seiten 3 und 4 des Bescheides wurden dann zwar Grund und Umfang der Vorläufigkeit konkretisiert und mitgeteilt, dass der Bescheid hinsichtlich der Einkünfte aus selbständiger Arbeit (weil zur Zeit die Gewinnerzielungsabsicht nicht abschließend beurteilt werden könne) und im Hinblick auf anhängige Verfassungsbeschwerden bzw. andere gerichtliche Verfahren hinsichtlich der beschränkten Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3 EStG) vorläufig sei. Bei welchem dieser Gründe es sich um einen solchen nach § 165 Absatz 1 Satz 1 AO oder um einen nach § 165 Absatz 1 Satz 2 AO handeln soll, ist hingegen weder erläutert noch sonst ersichtlich.
Der Änderungsbescheid vom 7. April 2006 enthält zwar nach der Überschrift "Festsetzung" nach wie vor den Hinweis, dass der Bescheid nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO und § 165 Abs. 1 Satz 2 AO vorläufig sei. In dem Erläuterungsteil fehlt jedoch jeglicher Hinweis darauf, dass sich die Vorläufigkeit weiterhin auf die Einkünfte der Klägerin aus selbständiger Tätigkeit beziehen soll. In den Erläuterungen heißt es nämlich:
„Die Festsetzung der Einkommensteuer ist im Hinblick auf vor dem Bundesverfassungsgericht, dem Bundesfinanzhof bzw. dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften anhängige Verfahren vorläufig hinsichtlich
- der Höhe des Behinderten-Pauschbetrages (§ 33b Abs. 3 EStG)
- der Nichtberücksichtigung pauschaler Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben in Höhe der steuerfreien Aufwandsentschädigung nach § 12 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages
- der Nichtabziehbarkeit von Beiträgen zu Rentenversicherungen als vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften im Sinne des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a EStG
- der beschränkten Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3 EStG)“
Angesicht dieser umfassenden Änderungen mussten die Kläger den im Verhältnis zum Ursprungsbescheid nicht unerheblich erweiterten Vorläufigkeitsvermerk grundsätzlich so verstehen, dass der Umfang der Vorläufigkeit gegenüber dem ursprünglichen Bescheid geändert und nun im Änderungsbescheid abschließend umschrieben worden ist. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus § 165 Abs. 1 Satz 3 AO. Danach muss das Finanzamt in allen Fällen der vorläufigen Festsetzung bzw. Feststellung Grund und Umfang der Vorläufigkeit für den Steuerpflichtigen ausreichend erkennbar angeben (BFH-Urteil vom 21. August 2013 X R 20/10, BFH/NV 2014, 524; BFH-Urteil vom 12. Juli 2007 X R 22/05, BFHE 218, 26, BStBl II 2008, 2 m.w.N.). Die Reichweite der Vorläufigkeit muss daher grundsätzlich dem Bescheid entnommen werden können, was zweifelsfrei durch den Wortlaut der Erläuterungen und durch eine klare Formulierung erreicht wird (BFH-Urteil vom 21. August 2013 X R 20/10, a.a.O.). Fehlen Erläuterungen oder ist die Formulierung unklar, so kann der Vorläufigkeitsvermerk dennoch wirksam sein, wenn sich der Umfang der Vorläufigkeit im Wege der Auslegung aus Sicht eines objektiven Empfängers feststellen lässt (ebenda). Die von § 165 Abs. 1 Satz 3 AO geforderten Angaben dienen dem Rechtsschutzinteresse des Steuerpflichtigen (BFH-Urteil vom 12. Juli 2007 X R 22/05, a.a.O.). Er soll wissen, welche Umstände der endgültigen Festsetzung bzw. Feststellung entgegenstehen und hinsichtlich welcher als ungewiss betrachteten Tatsachen sich das Finanzamt eine weitere Überprüfung vorbehält (ebenda).
Im vorliegenden Fall gab es für die Kläger keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Änderungsbescheid vom 7. April 2006 weiterhin in Bezug auf die Einkünfte der Klägerin aus selbständiger Tätigkeit vorläufig sein solle. Denn der Bescheid als solcher enthielt – wie dargelegt – keinen entsprechenden Hinweis und auch außerhalb des Bescheides lagen keine Umstände vor, die den Klägern hätten Veranlassung geben können, eine solche Vorläufigkeit auch nur zu vermuten. Das Gericht folgert dies aus dem Umstand, dass der Beklagte entsprechende Einkünfte der Klägerin für die dem Streitjahr 2001 folgenden Jahre 2002 bis einschließlich 2005 ohne Vorläufigkeitsvermerk (also endgültig) in Ansatz gebracht, und zwar unabhängig davon, ob sie positiv (2002, 2003, 2005) oder negativ (2004) waren (s. den Überwachungsbogen „Gewinnerzielungsabsicht-Liebhaberei“).
Der Beklagte war daher nicht befugt, den Bescheid vom 7. April 2006 mit dem angefochtenen Bescheid vom 11. Januar 2011 unter Berufung auf § 165 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 AO zu ändern und – wegen fehlender Gewinnerzielungsabsicht - keine Verluste der Klägerin aus selbständiger Tätigkeit mehr in Ansatz zu bringen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der vom Beklagten zu tragenden Kosten beruht auf §§ 151 Abs. 2 und 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr.10, 711 ZPO.
Die Revision ist aus folgenden Gründen wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) und zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt.1 FGO) zuzulassen:
Im vorliegenden Fall stellt sich die vom BFH bislang noch nicht entschiedene Frage, ob ein zuvor manuell gesetzter Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO auch dann noch Gültigkeit hat, wenn er in einem nachfolgenden Änderungsbescheid in der hier vorliegenden Form „wiederholt“ wird (nur Hinweis auf § 165 Abs. 1 Satz 1 AO unter der Überschrift „Festsetzung“, ohne Grund und Umfang der Vorläufigkeit i.S. des § 165 Abs. 1 Satz 1 AO im Erläuterungsteil anzugeben). Die Antwort auf diese Frage lässt sich insbesondere den Entscheidungen vom 19. Oktober 1999 (IX R 23/98, BFHE 190, 44, BStBl II 2000, 282) und 14. Juli 2015 (VIII R 21/13, BFHE 253, 1, BStBl II 2016, 371) nicht zweifelsfrei entnehmen.
Die Revision ist außerdem zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) zuzulassen, weil das Gericht anderer Auffassung ist als das FG Münster, das in seinem Urteil vom 25. Mai 2012 (4 K 511/11 E, EFG 2012, 1616) sogar angenommen hat, dass ein im ursprünglichen Steuerbescheid (neben einem maschinell gesetzten Vermerk nach § 165 Abs. 1 Satz 2 AO) manuell gesetzter Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO selbst dann weiterhin Gültigkeit hat, wenn er in einem nachfolgenden Änderungsbescheid weder im „Tenor“ noch im Erläuterungsteil des Bescheides wiederholt wird und der Änderungsbescheid nur noch den maschinell gesetzten Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 Satz 2 AO enthält.
Rechtsmittelbelehrung
Die Revision ist nicht zugelassen worden. Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.
Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Bundesfinanzhof einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Der Beschwerdeschrift soll eine Abschrift oder Ausfertigung des angefochtenen Urteils beigefügt werden. Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Auch die Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen. In der Begründung muss dargelegt werden, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder, dass die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder dass ein Verfahrensfehler vorliegt, auf dem das Urteil des Finanzgerichts beruhen kann.
Für die Einlegung und Begründung der Beschwerde vor dem Bundesfinanzhof besteht Vertretungszwang. Zur Vertretung der Beteiligten vor dem Bundesfinanzhof berechtigt sind Rechtsanwälte, Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer oder vereidigte Buchprüfer; zur Vertretung berechtigt sind auch Gesellschaften im Sinne des § 3 Nr. 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch solche Personen handeln. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Der Bundesfinanzhof hat die Postanschrift: Postfach 86 02 40, 81629 München, und die Hausanschrift: Ismaninger Str. 109, 81675 München, sowie den Telefax-Anschluss: 089/ 9231-201.
Lässt der Bundesfinanzhof aufgrund der Beschwerde die Revision zu, so wird das Verfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht. Innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses des Bundesfinanzhofs ist jedoch bei dem Bundesfinanzhof eine Begründung der Revision einzureichen. Die Beteiligten müssen sich auch im Revisionsverfahren nach Maßgabe des dritten Absatzes dieser Belehrung vertreten lassen.
Hinweis:
Rechtsmittel können auch über den elektronischen Gerichtsbriefkasten des Bundesfinanzhofs eingelegt und begründet werden, der über die vom Bundesfinanzhof zur Verfügung gestellte Zugangs- und Übertragungssoftware erreichbar ist. Die Software kann über die Internetseite www.bundesfinanzhof.de lizenzkostenfrei heruntergeladen werden. Hier befinden sich auch weitere Informationen über die Einzelheiten des Verfahrens, das nach der Verordnung der Bundesregierung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesverwaltungsgericht und beim Bundesfinanzhof vom 26. November 2004 (BGBl. I S.3091) einzuhalten ist.
gez. Amendt gez. Weiß gez. Gebel